Besuch bei Zucker, Tabak und Kakao
Ich hatte in São Paulo dem Kaffee meinen Besuch abgestattet, dem einstigen Potentaten des Landes, so wollte ich auch seine Geschwister sehen, die diese Erde reich, fruchtbar und berühmt gemacht. Solche hohe Herren kommen einem nicht entgegen. Man muß sich die Mühe machen, stundenlang zu ihren Residenzen zu reisen. Aber diese Mühe wird in sich selbst belohnt. Denn der Weg nach Cachoeira, der mitten durch die herrlich fruchtbare Zone um Bahia führt, ist eine einzige Folge schöner Blicke. Da sind die Palmenwälder zuerst, so dicht und so dunkel, so weit und so mächtig, wie ich bisher keine gesehen; man kennt Palmen sonst meist als Einzelgänger, als einsame Wächter über einer alten Hütte, als Hüter in einem vornehmen Park, als Spalier auf südlichen Boulevards. Hier aber waren sie dicht aneinander, Grün in Grün, Schaft an Schaft wie eine römische Legion, Schild an Schild, und diese üppige Masse gab nur die erste Ahnung von der Sattheit und Fruchtbarkeit der Gegend von Bahia. Dann wieder vorbei an langen Flächen, wo Mandioca gepflanzt wird, die Hauptnahrung des Landes, dieses wohlschmeckende und nahrhafte Wurzelmehl, das der Urbevölkerung war, was den Chinesen der Reis, und noch heute mit den Bananen und der Brotfrucht das freigebigste Geschenk der Natur an jeden Armen ist.
Allmählich nehmen die Felder andere Formen an. Wie Bambus schießen aufrecht Schäfte im Grün empor, immer in gleicher Höhe und rechts und links die gleichen Sträucher. Masse macht immer monoton, und so ist ein Zuckerfeld ebenso langweilig zu sehen wie ein Kaffee- oder ein Teefeld in seinem einförmigen, von keinem Farbton unterbrochenen Grün. Nein, er scheint kein amüsanter Gastgeber, der Zucker, er hat nichts zu bieten und nichts zu zeigen. Aber da plötzlich an einer Wegwende begegnet man einem Gespann, und im ersten Augenblick frage ich mich: ist das einer jener alten Farbstiche aus dem Museum oder Wirklichkeit? Denn es ist absolut das Gespann von anno 1600, der Wagen plump und statt der durchbrochenen Räder – wie in Pompeji, wie vor zweitausend Jahren – noch die runde Radscheibe. Und die sechs Ochsen, die ihn ziehen, haben noch denselben Ring durch die Nase für den Zügel wie auf den ägyptischen Wandbildern, und der Neger, der ihn führt, trägt denselben bunten Kattunrock wie in der Sklavenzeit, und genau so werden die Stengel in die Mühle geführt wie in den Zeiten der Kolonisation; vielleicht ist es noch dieselbe, obwohl einige Schornsteine am Rand des Horizonts modernere Raffinierung anzudeuten scheinen. Aber wie fühlt man verwundert (und wohltätig belehrt), einen wie schmalen Streif des Landes erst in Brasilien das Maschinelle und Neuzeitliche erfaßt, wieviel noch hier alter Brauch ist, alte Formen, alte Methoden – mag sein, volkswirtschaftlich zum Nachteil. Aber welche Freude doch jedem Auge, das sich ermüdet an der Monotonisierung der Welt. Respektvoll grüße ich den alten Potentaten, den Zucker, darum im Vorüberfahren: er hütet noch das heilige Erbe der Erdfrucht vor den Verführungen der chemischen Künste und gibt dem Land und der Welt in dem süßen Saft etwas von der gekelterten Kraft dieser Sonne und der Unerschöpflichkeit seiner gesegneten Erde.
Auch sein dunklerer Landesbruder, der Tabak, erweist sich konservativer als ich vermeint. In Cachoeira, dieser alten historischen Stadt, wo Häuser noch Schießscharten gegen die Indios tragen, haben sich die großen und berühmten Zigarrenfabriken des Landes zusammengefunden. Als alter Diener Sankt Nicotins hatte ich hier Dankbarkeit für manche duftige Zigarre zu sagen und wollte im stillen mir schuldbewußt nachzählen, wieviel solcher grüner Felder mit Tausenden und aber Tausenden Blättern ich in all den Jahren meines Lasters in Rauch verwandelt. Wählen ist immer schwer, und so sah ich alle drei Fabriken. Aber »Fabriken« ist hier ein übertriebenes Wort, denn ich hatte schon gefürchtet, ich würde nur mächtigen stählernen Maschinen gegenüberstehen, die an einem Ende den geschichteten Tabak einschlucken und am andern Ende die Zigarre gerollt, gehüllt, etikettiert und womöglich schon in die Schachteln gepreßt herausreichen, wodurch man ja in solchen Fabriken immer den Eindruck hat, eigentlich nur großen Automaten zuzusehen und nicht einem realen Umwandlungsprozeß. Aber nichts von alldem. Hier in Brasilien ist auch dieser Prozeß nicht maschinisiert. Jede Zigarre wird hier mit der Hand gemacht oder vielmehr: an jeder einzelnen arbeiten zwanzig bis vierzig geschickte Händepaare. Und man kann – für jeden Raucher eine Überraschung – der allmählichen Verwandlung zublickend, erstaunend wahrnehmen, wieviel Mühe sich unter seinem dünnen Deckblatt verbirgt. Hunderte dunkelfarbige Mädchen sitzen in diesen Sälen nebeneinander, jede Gruppe anders tätig, und im Durchschreiten macht man den ganzen Werdegang einer Zigarre gleichsam optisch mit. Im ersten Raum der Tabak, wie er vom Felde kommt, die großen, schon getrockneten Blätter, die einen merkwürdig bitteren und scharfen Duft ausatmen. Nach der ersten Sortierung – Frauen besorgen sie, die inmitten eines solchen Tabakbergs sitzen wie Bäuerinnen auf einem Strohschober – werden die Rippen losgelöst. Dann erst beginnt das Walzen des Tabaks zur Form der Zigarre, eine andere Gruppe gibt mit einem Messer vor einem Meßstab ihnen das gleiche Maß. Aber noch sind sie nur nackter Tabak, negerhaft und unbekleidet. Das Deckblatt muß ihnen erst Form und auch Geschmack geben. Jedoch – sonderbare Böswilligkeit der Natur – Brasilien, seit Jahrhunderten das reichste Tabakland, hat alle Formen des Tabaks, nur dieses eine Tabakblatt, aus dem das Deckblatt geformt wird, will hier nicht gedeihen. So muß dieses Deckblatt – Milliarden und Milliarden solcher Blätter – aus Sumatra hergeschafft werden, und an jeder Zigarre, die man achtlos schmaucht, haben zwei Erdteile Anteil, Asien und Amerika, und wir rauchen sie meist noch in dem dritten. Ist das Deckblatt endlich umgeschlagen, so muß eine andere handfertige Künstlerin die Spitze drehen, wieder andere schwarze Finger kleben die Etikette um, wieder andere die Steuerzettel (die hier in Brasilien allem anhaften außer dem neugeborenen Kinde). Dann erst kommt die Cellophanhülle, die Packung, das Zuschneiden, das Füllen der Kisten und der Brandstempel darauf – fast schäme ich mich, eine Zigarre in den Mund zu stecken, seit ich weiß, wieviel Mühe daran hängt. Und als ich die Hunderte gebeugten Rücken all dieser braunen Mädchen sah, fühlte ich schuldbewußt, wie viele Rücken ich so gebeugt. Aber derlei Bedenken dauern nicht lang. Und da diese Potentaten gastfreundlich mich mit Kistchen ihres trefflichen Fabrikats beschenkten, gingen, noch ehe wir nach Bahia zurückkehrten, einige dieser Skrupeln in blauem, kühlem Rauch auf.
Den dritten der drei Potentaten Nordbrasiliens, den Kakao, konnte ich nicht in seiner eigenen Residenz besuchen. Denn der Kakao hat seinen Lieblingsort in feuchten und schwülen Zonen unter einem Schirmdach von Urwaldbäumen, die ihm die erwünschte – und uns höchst unerwünschte – Treibhauswärme geben, in der er, umschwirrt von Myriaden Moskitos, am besten gedeiht. Aber glücklicherweise besitzt er außerdem ein elegantes Stadthaus in Bahia, das Instituto do Cacau, wo man in plastischem Bilde die blühenden Bäume mit ihren Früchten bequemer betrachten kann. Denn das ist das Sonderbare dieses Baumes, daß er gleichzeitig blüht und Frucht trägt; während die Früchte als kleine Kürbisse in einer Pflanzung abgeerntet werden, sind die andern schon nachgereift, und die Ernte kann also gewissermaßen in continuo erfolgen. Die Kerne, welche den süßen, schmackhaften Saft geben, sind – auch dies mußte ich erst lernen – bitter, und es erfordert sehr umständliche Prozeduren der Reinigung, Entbutterung, Sterilisierung, ehe hier die prallen Säcke mit elektrischen Rollen bis ins Schiff befördert werden; hier allein haben schon ganz moderne Methoden eingesetzt, und dieses Institut ist somit Kaufhaus, Warenhaus, Museum, Universität des Kakaos, und man lernt hier mehr in einer Stunde als daheim aus hundert Büchern.
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Die hier vorzufindene Sammlung der gemeinfreien Werke Stefan Zweigs ist aus der Ausgabe des Null Papier Verlages übernommen. Zu dieser Ausgabe gelangen Sie durch einen Klick auf diesen Eintrag.