Bildnis des Bildnislosen
Ich weiß nicht, was ich Dir über mich
unaussprechlichen Menschen sagen soll.
Aus einem Brief
Wir haben soviel wie kein Bildnis von ihm. Die höchst ungelenke Miniatur und das zweite, gleichfalls sehr minderwertige Porträt zeigen ein alltägliches, rundes Knabengesicht für den schon erwachsenen Mann, irgendeinen jungen deutschen Menschen mit schwarzem, fragendem Blick. Nichts deutet den Dichter darin oder bloß einen geistigen Menschen, kein Zug lockt die Neugier, die Frage auf nach der Seele unter diesem kalten Antlitz: man geht vorbei, ahnungslos, fremd, unbefriedigt, ohne Neugier. Kleistens Innen saß zu tief unter der Haut. Sein Geheimnis war nicht zu zeichnen und nicht zu malen aus seinem Gesicht.
Es ist auch nicht erzählt. Alle Wesensberichte seiner Zeitgenossen, selbst der Freunde, sind dürftig und sämtlich wenig sinnlich. Man spürt nur eines übereinstimmend aus allen: daß er unscheinbar, verborgen, von einer ganz seltsamen Unauffälligkeit in seinem Wesen wie in seinem Gesicht war. Er hatte nichts, was die Menschen um ihn zur Aufmerksamkeit zwang, er reizte den Maler nicht zur Zeichnung, er verlockte nicht die Dichter zum Bericht. Etwas Lautloses, Unbemerkbares, merkwürdig Unbetontes, etwas nicht nach außen Dringendes muß in ihm gewesen sein, eine Undurchdringlichkeit ohnegleichen. Hunderte sprachen mit ihm, ohne zu ahnen, daß er ein Dichter war; Freunde und Gefährten begegneten ihm Jahr und Jahr, ohne ein einziges Mal der Begegnung schriftlich, brieflich Erwähnung zu tun: kein Dutzend anekdotischer Schilderungen sind aus den vierunddreißig Jahren seines Lebens beisammen. Man erinnere sich, um besser das Schattenhafte von Kleistens Vorübergehen an seiner Generation zu fühlen, an Wielands Bericht, wie er Goethes Ankunft in Weimar schildert, den Feuerstreifen seiner Existenz, der jedem, dem er nur von ferne zuleuchtet, die Augen blendet; man gedenke der Bezauberung, die Byron und Shelley, die Jean Paul und Victor Hugo über die Zeit hinstrahlen und die sich tausendfach in Wort, Brief und Gedicht verrät. Niemand setzt auch nur die Feder an, eine Begegnung mit Kleist aufzuzeichnen; die drei Zeilen Clemens Brentanos sind noch das deutlichste, sinnlichste Porträt, das wir schriftlich besitzen: »ein untersetzter Zweiunddreißiger mit einem erlebten runden stumpfen Kopf, gemischtlaunig, kindergut, arm und fest«. Selbst sie, diese nüchternste Beschreibung, zeichnet noch mehr den Charakter als das Bild. Alle haben an seinem Wesen vorbeigesehen, kein einziger ihm in die Augen geschaut. Wem er erscheint, erscheint er immer nur von innen.
Das kam, weil seine Schale zu hart war (und dies ist ja in nuce die Tragödie seiner Existenz). Er hielt alles verschlossen in sich selbst. Seine Leidenschaften zuckten nicht hinauf bis in die Augen. Seine Ausbrüche zerbrachen unter der Lippe vor dem ersten Wort. Er sprach wenig, vielleicht aus Scham, weil seine Zunge schwer und stammerig ging, wahrscheinlich auch aus einer Unfreiheit des Gefühls, einer gewaltsamen Zugesperrtheit.
Erschütternd hat er selbst diese Unfähigkeit zur Rede, dieses heiße Siegel auf seiner Lippe, in einem Briefe bekannt. »Es fehlt«, schreibt er, »an einem Mittel zur Mitteilung. Selbst das einzige, das wir besitzen, die Sprache, taugt nicht dazu, sie kann die Seele nicht malen, und was sie uns gibt, sind nur zerrissene Bruchstücke. Deshalb habe ich jedesmal eine Empfindung wie ein Grauen, wenn ich jemandem mein Innerstes aufdecken soll.« So blieb er stumm, nicht aus Tumbheit oder Trägheit, sondern aus einer übermächtigen Keuschheit des Gefühls, und dies Schweigen, dies dumpfe, brütende, lastende Schweigen, mit dem er stundenlang zwischen den andern saß, war das einzige, was den Menschen an ihm auffiel, und dann noch eine gewisse Abwesenheit des Geistes, ein Verwölktsein mitten am klaren Tag. Er brach oft plötzlich ab in der Rede und starrte vor sich hin (immer hinein in den unsichtbaren Abgrund tief innen), und Wieland erzählt, daß er »bei Tische sehr häufig zwischen den Zähnen mit sich murmelte und dabei das Air eines Menschen hatte, der sich allein glaubt oder mit seinen Gedanken an einem anderen Ort oder mit ganz anderem Gegenstand beschäftigt ist«. Er konnte nicht plaudern und unbefangen sein, alles Konventionelle und Verbindliche fehlte ihm dermaßen, daß die einen »etwas Finsteres und Sonderbares« in dem steinernen Gaste unbehaglich ahnten, indes die andern seine Schärfe, sein Zynismus, seine gewaltsame Überwahrheit verdroß (wenn er einmal, durch sein eigenes Schweigen gereizt, aus sich gewaltsam vorbrach). Es wehte keine weiche Luft des Gespräches um sein Wesen, keine anschmiegende Sympathie strahlte von Antlitz und Wort. Die ihn noch am besten verstand, Rahel, hat es am besten gesagt, »es ging streng um ihn her«. Auch sie, die sonst so Schildernde und Erzählende, zeigt ihn nur von innen, nur die Atmosphäre seines Wesens, nicht seines Wesens plastisches Bild. So bleibt er uns der unsichtbare, der »unaussprechliche« Mensch.
Die meisten, die ihm begegneten, bemerkten ihn nicht, oder sie bogen an ihm vorbei mit einem Gefühl von Grauen und Peinlichkeit. Die ihn kannten, liebten ihn, und die ihn liebten, liebten ihn mit Leidenschaft: doch auch ihnen streifte in seiner Gegenwart noch kalt eine geheime Angst über die Seele und hinderte ihnen Herz und Hand. Wem der Verschlossene sich auftat, dem zeigte er seine ganze Tiefe. Aber jeder fühlte sogleich, daß diese Tiefe ein Abgrund war. Keinem wird wohl in seiner Nähe, und doch zieht er die Nächsten magisch an. Keiner verläßt ihn ganz, der ihn kannte, und doch hält keiner bei ihm durch: der Druck seiner Atmosphäre, die Überhitzung seiner Leidenschaft, die Übertreibung seiner Forderungen (von jedem fast fordert er gemeinsamen Tod!) sind zu übermächtig, daß ein zweiter sie ertrüge. Jeder will zu ihm, jeder scheut vor seinem Dämon zurück; jeder fühlt, daß er nur durch eine Spanne von Tod und Untergang getrennt ist. Wie ihn Pfuel in Paris abends nicht zu Hause findet, stürzt er in die Morgue, ihn unter den Selbstmördern zu suchen. Wie Marie von Kleist eine Woche lang nichts von ihm hört, jagt sie ihren Sohn: er soll ihn aufsuchen und Entsetzliches verhindern. Die ihn nicht kannten, halten ihn für gleichgültig und kalt. Die ihn kennen, schauern und erschrecken vor dem finsteren Feuer, das ihn verzehrt. So kann ihn keiner anfassen und stützen: den einen ist er zu kalt, den andern zu heiß. Nur der Dämon bleibt ihm getreu.
Er weiß es selbst, daß es »gefährlich ist, sich mit mir einzulassen«, wie er einmal sagt. Deshalb klagt er auch keinen an, der sich von ihm zurückgezogen; wer ihm nahe war, hat sich versengt an seinem Feuer. Wilhelmine von Zenge, seiner Braut, hat er durch Intransigenz seiner moralischen Forderungen die Jugend verstört, Ulrike, der Lieblingsschwester, das Vermögen weggelebt, Marie von Kleist, die Herzensfreundin, läßt er leer und vereinsamt zurück, Henriette Vogel reißt er mit sich in den Tod. Er kennt die Gefährlichkeit seines Dämons, die furchtbare Fernwirkung seines Innern: so zieht er sich immer mehr, immer krampfhafter in sich selbst zurück, macht sich noch einsamer, als die Natur ihn schuf. Ganze Tage verbringt er in den letzten Jahren mit der Pfeife im Bett, schreibend und dichtend; selten nur geht er aus, und dann meist »in Tabagien und Kaffeehäuser«. Seine Unmitteilsamkeit wird immer vehementer, immer mehr geht er den Menschen verloren; als er im Jahre 1809 auf ein paar Monate verschwindet, notieren seine Freunde gleichgültig seinen Tod. Er fehlt niemandem, und endete er sein Leben nicht dann derart melodramatisch, so hätte keiner sein Fortsein bemerkt, so stumm, so fremd, so undurchdringlich war er der Welt geworden.
Wir haben kein Bild von ihm, kein Bild seines äußern Wesens und kaum eines seines Innern als die Spiegelschrift seines Werkes, seiner expansiven Briefe. Ein einziges Bild freilich gab es des Bildnislosen, ein wundervolles, das die wenigen erschütterte, die es gelesen, ein Bekenntnis im Geiste Rousseaus, eine »Geschichte meiner Seele«, die er kurz vor seinem Tode verfaßt hat. Aber wir kennen sie nicht, er hat das Manuskript verbrannt, oder die gleichgültigen Hüter seines Nachlasses haben es sorglos vertan so wie seinen Roman und manches andere Werk. So stürzt sein Antlitz ins Dunkel zurück, in dem es vierunddreißig Jahre geschattet. Wir haben kein Bild von ihm; wir kennen nur seinen finsteren Begleiter: den Dämon.
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Die hier vorzufindene Sammlung der gemeinfreien Werke Stefan Zweigs ist aus der Ausgabe des Null Papier Verlages übernommen. Zu dieser Ausgabe gelangen Sie durch einen Klick auf diesen Eintrag.