Der Erzähler
Denn das ist die Eigenschaft aller echten Form,
daß der Geist augenblicklich und unmittelbar
daraus hervortritt, während die mangelhafte ihn
wie ein schlechter Spiegel gebunden hält und uns
an nichts erinnert als an sich selbst.
Brief eines Dichters an einen anderen
In zwei Welten wohnt seine Seele, in der heißesten tropischesten Überhitzung der Phantasie und in der nüchternsten, kältesten Sachwelt der Analyse – zweigeteilt ist darum auch seine Kunst, jede einem andern Extrem fanatisch zugewandt. Man hat oft den Dramatiker Kleist mit dem Novellisten zusammengetan, indem man ihn nur einen verschränkten Dramatiker nannte. In Wahrheit drücken aber diese beiden Kunstformen sichtlich ein Gegenteil aus, die zu ihren äußersten Enden getriebene Zwiefalt seines innern Ich – der Dramatiker wirft sich in seinen Stoff zügellos hinein, der Erzähler Kleist vergewaltigt seine Anteilnahme, preßt sich gewaltsam zurück, bleibt ganz außen, daß kein Atem seines Mundes in die Erzählung hineinfließt. In den Dramen spannt und erhitzt er sich selbst, in den Novellen will er die andern, den Leser, spannen und erhitzen, im Drama treibt er sich vor, in der Novelle zurück. Beides, Entströmen und Verhalten, stößt er bis in die äußerste Möglichkeit der Kunst: so sind seine Dramen die subjektivsten, ausströmendsten, die eruptivsten des deutschen Theaters, seine Novellen die knappsten, gefrorensten, komprimiertesten der deutschen Epik. Immer lebt Kleistens Kunst im Superlativ.
In den Novellen schaltet Kleist sein Ich aus, er unterdrückt seine Leidenschaftlichkeit, oder vielmehr: er schiebt sie auf ein anderes Geleise. Denn schon hat der fanatische Übertreiber wieder ein Übermaß: er treibt diese (sehr künstlerische) Selbstausschaltung in einen Exzeß, in ein Extrem der Objektivität, also wieder in eine Gefahr der Kunst (das Gefährliche ist sein Element). Niemals hat es die deutsche Literatur wieder zu einer so objektiven, scheinbar ruhigen Relation, zu einer solchen meisterlichen Sachlichkeit des Berichtes gebracht wie in diesen sieben Novellen und kleinen Anekdoten: vielleicht fehlt nur ein letztes lösendes Element ihrer scheinbar fehllosen Vollendung: die Natürlichkeit. Man spürt, daß hier einer die Lippen gewaltsam verpreßt, um nicht mit einem Zittern des Atems die Quallust zu verraten, mit der er hier Spannungen häuft; man spürt, wie die Hand fiebert in dem krankhaften Zwang, sich zu verhalten, wie der ganze Mensch sich gewaltsam zurückdrückt, um außen zu bleiben. Man vergleiche, dies zu fühlen, nur sein Vorbild, die »Novelas ejemplares« des Cervantes, ihr selig leichtes Verraten, ihr spitzbübisches Schalten mit Versteck und Geheimnis, und Kleistens gespannte, pralle, mit Aufregung geladene Technik, die aus Nüchternheit einen Exzeß macht und gleichsam mit verbissenen Zähnen zum Leser redet. Er will kühl sein und wird eisig, er will mit leiser Stimme reden und redet gepreßt, er will streng erzählen, lateinisch, taciteisch, und krampft die Sprache. Immer, zur Rechten und zur Linken fährt Kleist titanisch in die Übertreibung hinein. Nie ist die deutsche Sprache mehr gehärtet worden, nie aber war sie auch mehr metallen kalt, mehr eisern glanzlos als in der Kleistschen Prosa: er handhabt sie nicht (wie Hölderlin, Novalis und Goethe) gleich einer Harfe, sondern gleich einer Waffe, gleich einem Pflug mit unerbittlicher Gewaltsamkeit. Und in dieser unbiegsamen, harten, bronzen gequollenen Sprache erzählt er dann – ewiger Fanatiker des Gegensatzes – die heißesten, die packendsten, die jagendsten Stoffe, seine kalte, protestantisch strenge Nüchternheit und Klarheit ringt mit den phantastischsten, unwahrscheinlichsten Problemen. Er verrätselt künstlich den Gegenstand, verknäult listig das Gespann der Erzählung nur um der harten und bösen Freude willen, den Zuschauer zu ängstigen, zu ergreifen, zu erschrecken, um dann mit einem Riß knapp vor dem Niedersturz die straffen Zügel zurückzureißen: wer hinter dieser scheinbaren Kälte Kleistens als Erzähler nicht seine dämonische Lust fühlt, den andern dorthin zu jagen, wo seine eigene Hausung ist, in die gewaltsame Empfindung, tief hinein in Grauen und ins Gefährliche, dem mag diese Technik scheinen, was in Wahrheit Umwendung tiefster Leidenschaftlichkeit ist, Fanatiker der Selbstvergewaltigung. Alles Nicht-Gute, alles Versteckte und Verschlagene Kleistens verrät sich in seiner Zurückstauung, weil Ruhe, Herrschaft und Meisterschaft wider sein innerstes Wesen war: Ungezwungenheit, die höchste Magie des Künstlers, mußte ihm gerade dort sich versagen, wo er die Widernatur seines Wesens, gebändigte Ruhe, sich zum Gesetze erzwingen wollte.
Aber doch: wie vieles erzwingt sein Wille, sein dämonisch starker Wille von der Prosa, wie stahlhart preßt er in diesen Novellen das Blut in die Adern der Sprache! Am stärksten empfindet man diese Meisterschaft bei den zufallslosen, bei den absichtslosen Stücken, bei jenen kleinen Anekdoten und Berichten, die er ohne jeden angespannten Kunstwillen für seine Zeitung schrieb, bloß um eine freigebliebene Spalte zu füllen. Zwanzig Zeilen Polizeibericht, eine Reiterepisode aus dem Siebenjährigen Krieg ballt sein plastischer Wille zu unvergänglicher Form: kein Luftbläschen Psychologie dringt da in den durchsichtigen Glasguß der Erzählung, in dem das Sachliche geradezu magisch transparent wird. In den größeren Novellen ist die Anstrengung zur Objektivität schon sichtbar. Jene echt Kleistische Leidenschaft am Verwirren und Verschrauben, das Gewaltsame der Verdichtung, seine Spiellust mit dem Geheimnis macht sie mehr aufregend als plastisch, durch nichts hitzen sie so sehr als durch ihre Scheinkühle, so daß »Die Marquise von O.« (eine achtzeilige Anekdote Montaignes) als spannende Scharade, das »Bettelweib von Locarno« wie ein schauriger Alp wirken. Gleichsam der Revers seines Wesens wird sichtbar, eine Exaltation des Nichtexaltiertseins, ein Übermaß des Maßhaltens. Auch Stendhal hatte ja zur kalten, nichtbildernden, antisentimentalischen Prosa tendiert und täglich das Bürgerliche Gesetzbuch gelesen, so wie Kleist den Ton der Chroniken sich zum Vorbild nimmt: während er aber bloß zu einer Technik kommt, gerät Kleist, der Triebhafte, in eine Passion des Nichtpassioniertseins, das Übermaß der Spannung ist nun aus ihm selbst in den Leser übergeschaltet. Aber immer spürt man das Zuviel, das unweigerlich von seinem Wesen ausgeht: darum ist von seinen Novellen die stärkste diejenige, die das Motiv seines Wesens in Gestaltung verwandelt, »Michael Kohlhaas«, der herrlichste, sinnvollste Typus des Übertreibers, den Kleist geschaffen, der Mann, der seine stärksten Kräfte durch Übersteigerung zur Zerstörung treibt, Gradsinn zu Starrsinn, Rechtlichkeit zu Rechthaberei; unbewußt ist er Sinnbild seines Gestalters, der aus seinem Besten das Gefährlichste schuf und aus dem Fanatismus des Willens über Weg und Ziel hinausdrängt. Auch in der Zucht, in der Verhaltung ist Kleist ebenso dämonisch übermäßig wie in der Schwelgerei, wie im Entströmen.
Am vollendetsten erscheint diese Mischung, ich sagte es schon, im Absichtslosen, in jenen kleinen Anekdoten, die er gleichsam jenseits der Kunstabsicht schrieb, und dann in jener großartigsten Darstellung eines sonderbaren Menschen: in seinen Briefen. Nie hat sich ein deutscher Dichter ähnlich aufgetan der Welt gestellt, als Kleist in der Handvoll Briefe, die von ihm erhalten sind. Sie scheinen mir unvergleichbar mit den psychologischen Dokumenten Goethes und Schillers, weil Kleistens Wahrhaftigkeit unendlich kühner, hemmungsloser, abgründiger und unbedingter ist als die unbewußten Stilisierungen, die immer ästhetisch gebundenen Bekenntnisse der Klassiker. Kleist exzediert seiner ganzen Natur gemäß auch im Bekenntnis, er gibt der grausamsten Selbstzerfleischung noch einen geheimnisvollen Lustton, er hat nicht nur Liebe, sondern eine Art Brünstigkeit zur Wahrheit und eine herrliche Ekstatik immer im allertiefsten Schmerz. Nichts Schneidenderes als die Schreie dieses Herzens, und doch scheinen sie aus einer unendlichen Höhe zu kommen wie der zuckende Ton eines getroffenen Raubvogels, nichts Großartigeres als das heroische Pathos seiner klagenden Einsamkeit. Man meint die Qual des vergifteten Philoktet zu hören, der abseits von den Brüdern, einsam auf der Insel seines Geistes mit den Göttern hadert; und wie er sich in der Qual der Selbsterkenntnis die Kleider vom Leibe reißt, steht er nackt vor uns da, aber nackt nicht wie ein Schamloser, sondern nackt wie ein Blutender, wie ein Brennender, der sich eben dem letzten Kampf entwunden. Es sind Schreie darin aus der letzten Tiefe der Irdischkeit, Schreie des zerrissenen Gottes oder eines gequälten Tieres, und dann wieder Worte einer furchtbaren Wachheit, eines überstarken Innenlichts, das die Augen blendet. In kein Werk vermochte er sich so ganz hineinzuwerfen wie in seine Briefe, keines hat so urtümlich seine Zweiheit von Knappheit und Überschwang, von Ekstase und Analyse, von Zucht und Leidenschaft, von Preußischheit und Urwelt. Vielleicht waren in jenem verschollenen Manuskript, in der »Geschichte meines Innern«, all diese Flammen und Blitze noch gebunden in ein einziges Licht; aber dies Werk, das gewißlich kein Kompromiß von »Dichtung und Wahrheit« war, sondern der Fanatismus der Wahrheit selbst, ist uns verloren. Hier wie immer hat das Schicksal ihm die Rede gehemmt und dem »unaussprechlichen Menschen« in ihm verboten, sein eigenes Geheimnis zu verraten.
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Die hier vorzufindene Sammlung der gemeinfreien Werke Stefan Zweigs ist aus der Ausgabe des Null Papier Verlages übernommen. Zu dieser Ausgabe gelangen Sie durch einen Klick auf diesen Eintrag.