Der Zwang zum Drama
Ich dichte bloß, weil ich es nicht lassen kann.
Aus einem Brief
Mit der Vernichtung des »Guiskard« meint der Gequälte den unbarmherzigen Gläubiger, den furchtbaren Verfolger in sich erdrosselt zu haben. Aber der Ehrgeiz, der grauenhaft aus den heißesten Adern emporgestiegene Dämon seines Lebens, ist nicht tot: die unselige Tat war so sinnlos, wie wenn einer sein Spiegelbild im Spiegel erschießt; nur das drohende Bild zerklirrt, nicht der Doppelgänger, der in ihm weiterlauert. Kleist kann sowenig mehr von der Kunst zurück wie der Morphinist vom Morphium; endlich hat er ein Ventil gefunden, auf kurze Spanne das entsetzliche Übermaß seines Gefühls, den Aufschwall der Phantasien aus sich zu entladen, sich auszuschwelgen in dichterischen Träumen. Vergebens wehrt er sich, aber er kann, der Kongestionierte seiner Gefühle, jenen heißen Aderlaß nicht mehr entbehren, der ihn befreit. Und dann: das Vermögen ist aufgezehrt, die militärische Karriere verdorben, nüchterner Beamtenfron widert seiner gewaltsamen Natur, so hilft nichts, obwohl er gemartert aufschreit: »Bücherschreiben für Geld – oh, nichts davon.« Die Kunst, die Gestaltung wird zwanghaft Form seiner Existenz, der dunkle Dämon hat Gestalt angenommen und wandert mit ihm in die Werke. Alle Lebenspläne, die er methodisch entworfen, sind zerfetzt vom Sturm des Schicksals: nun lebt er den Willen, den dumpfen und weisen seiner Natur, die aus unendlicher Qual des Menschen Unendliches zu formen liebt.
Wie ein Zwang, wie ein Laster liegt von nun ab die Kunst auf ihm. Daher auch das merkwürdige Zwanghafte, das explosiv Losgerissene seiner Dramen. Sie sind alle – mit Ausnahme des »Zerbrochenen Krugs«, der spielhaft, einer Wette zuliebe, aus freilich nervigstem Handgelenk produziert war – Ausbrüche seines innersten Gefühls, Flucht aus der Hölle seines Herzens; sie haben alle einen überreizten Schreiton, gleichsam den gellen Ton eines Erstickenden, der plötzlich Luft findet, sie sind knallhaft weggeschnellt von überstraff gespannten Nerven, sie sind – man verzeihe das Bild, ich weiß kein wahreres – herausgespritzt aus innerster Erhitzung und Bedrängnis, wie der Same des Mannes heiß vom Blute aus dem Geschlecht fährt. Sie haben wenig Befruchtung vom Geiste, sind kaum überschattet von der Vernunft – nackt, oft schamlos nackt, stoßen sie ins Unendliche hinein aus einer unendlichen Leidenschaft heraus. Jedes einzelne treibt ein Gefühl, ein Übergefühl in seinen Superlativ, in jedem einzelnen explodiert eine andere Glutzelle seiner gestauten, aller Instinkte trächtigen Seele. Im »Guiskard« speit er wie einen Blutsturz seinen ganzen promethidischen Ehrgeiz aus sich heraus, in der »Penthesilea« überschwelgt sich seine sexuelle Hitze, in der »Hermannsschlacht« tobt sich sein bis zur Bestialität hochgetriebener Haß aus – alle drei haben sie mehr das Fieber seines Bluts in den Adern als die Außentemperatur des realen Lebens, und selbst in den linderen, vom eigenen Ich mehr weggebogenen Werken, wie im »Käthchen von Heilbronn« und den Novellen, vibriert noch die elektrische Spannung seiner Nerven. Allerorts ist, wo man Kleisten folgt, magische und dämonische Sphäre, Dämmerung und Verschattung des Gefühls, und dann dies grelle Aufblitzen von großen Gewittern, jene dumpfe, gepreßte Luft, die auf seinem eigenen Herzen ein ganzes Leben lang lastend lag. Dieses Zwanghafte, diese schwefelig-feurige Atmosphäre von Entladung macht die Dramen Kleistens so großartig, sonderbar; auch jene Goethes sind ja Lebensverwandlungen, aber doch nur episodische, sie sind nur Entladungen, Entlastungen einer bedrückten Seele, Selbstrechtfertigungen, Flucht und Ausflucht.
Nie aber haben sie jenes Gefährlich-Explosive, jenes Vulkanische wie die Kleistens, wo Lavatrümmer aus der untersten, unzugänglichsten, aus der tödlichsten Tiefe des Herzens mit solchem plötzlichen Druck herausgeschleudert werden. Diese Gewaltsamkeit des Ausbruches, dies Schaffen auf der Klippe zwischen Tod und Leben ist es ja auch, was Kleist etwa von Hebbels kostümierten Gedankenspielen unterscheidet, wo die Problematik aus dem Hirn kommt, nicht aus der untersten vulkanischen Tiefe der Existenz, oder von jenen Schillers, die nur großartige Konzeptionen und Konstruktionen sind, aber doch irgendwie außerhalb und unbedrohlich hinter der eigenen Not und Urgefahr der Existenz stehen. Nie ist ein deutscher Dichter so tief mit seiner ganzen Seele ins Drama hineingefahren, nie hat sich einer so sehr die Brust mörderisch mit seiner Dichtung aufgesprengt: nur Musik ist sonst so vulkanisch, so zwanghaft, so selbstschwelgerisch entstanden, und gerade dieser gefährliche Charakter hat den gefährdetsten unter den Musikern, Hugo Wolf, magisch angezogen, noch einmal in der »Penthesilea« diesen innersten Ausbruch der vorgepeitschten Leidenschaft auftönen zu lassen.
Diese Nötigung, dies Zwanghafte bei Kleist, drückt es aber nicht sublim die Forderung aus, die zweitausend Jahre früher Aristoteles an die Tragödie stellt, daß sie »von einem gefährlichen Affekt durch dessen vehemente Entladung sich reinige?« In den Attributen »gefährlich« und »vehement« liegt die eigentliche Betonung, und wie für Kleist scheint darum die Vorschrift geschrieben, denn wessen Affekte waren gefährlicher als die seinen, wessen Entladungen vehementer? Er war nicht (wie Schiller) Bewältiger seiner Probleme, sondern ein Besessener: gerade aber diese Unfreiheit macht seinen Ausdruck so gewaltsam, so konvulsivisch. Sein Schaffen kennt nicht ein betrachtsames, planhaftes Nach-außen-Stellen, sondern nur Wegschleudern, ein tollwütiges Losringen aus äußerster, fast tödlich geengter innerer Not. Jeder Mensch in seinem Werke empfindet (wie er selbst) das ihm auferlegte Problem als einzig weltwesentlich, jeder ist bis zur Narrheit erfüllt von seinem Gefühl: jedem geht es in jedem Falle um das Ganze, um das Ja und Nein der ganzen Existenz. Alles wird Kleist in sich (und darum in seinen Menschen) zur Schneide, zur Krise: die Not des Vaterlandes, die andere nur zu einer wortreichen Pathetik aufschwellte, die Philosophie (die Goethe nur kontemplativ-skeptisch verfolgte, gerade so viel aufnehmend, als seinem geistigen Wachstum förderlich war), der Eros und das Leiden Psyches, alles das wird Fieber und Manie, ein Urleiden, das den ganzen Menschen zu zerstören droht. Das nun macht Kleistens Leben so dramatisch, seine Probleme so tragisch, daß sie nicht wie jene Schillers poetische Fiktionen bleiben, sondern grausame Realitäten seines Gefühles werden: darum die wahrhaft tragische Atmosphäre in seinem Werk, die kein anderer deutscher Dichter ähnlich dargestellt hat. Die Welt, das ganze Leben ist bei Kleist in einen Spannungszustand verwandelt: die Unfähigkeit, irgend etwas leichtzunehmen, die Strenge der Auffassung muß jeden seiner Menschen, Kohlhaas wie Homburg und Achill, notwendig in einen Konflikt mit seinen Gegenspielern führen, und da diese Widerstände (wie seine eigenen) gleichfalls ins Gewaltige gesteigert und übersteigert sind, entsteht mit Urnotwendigkeit, nicht zufällig, sondern schicksalhaft, dramatisches Dasein, tragische Sphäre.
Naturhaft, zwanghaft kommt Kleist also zur Tragödie: nur sie konnte die schmerzhafte Gegensätzlichkeit seiner Natur verwirklichen (indes die Epik konziliantere, lässigere Formen frei läßt, fordert das Drama äußerste Zuspitzung und war darum seinem übertreiberischen, extravaganten Charakter einzig willkommen). Goethe hat ein wenig ironisch von dem »unsichtbaren Theater« gesprochen, für das jene Stücke bestimmt seien: dies unsichtbare Theater war für Kleist die dämonische Natur der Welt, die aus gewaltsamer Entzweiung, aus dem Diametralen des Gegensatzes solche Spannung und Bewegung schafft, daß sie freilich ein Schaugerüst zersprengen und überströmen mußte. Keiner war und wollte weniger Praktiker sein als Kleist: er wollte sich entladen und entlasten, alles Spielhafte und Zweckhafte widerspricht der leidenschaftlichen Unruhe seines Charakters. Seine Konzeptionen haben etwas durchaus Zufallhaftes und Lässiges, seine Bindungen sind locker, alles Technische al fresco hingezeichnet (von eiliger und ungeduldiger Hand): wo sein Griff nicht genial ist, tappt er daneben ins Theatralische, selbst ins Melodramatische, er verfällt stellenweise ins Niederste der Vorstadtkomödie, des Ritterschauspiels, des Zaubertheaters, um mit einem Sprung, mit einem Riß wieder (ähnlich wie Shakespeare) in der erhabensten Sphäre des Geistes zu sein. Stoff ist ihm nur Vorwand und Materie, das Durchgluten mit Leidenschaften dagegen die wahre Leidenschaft. So schafft er die Spannung oft mit den niedersten, unbeholfensten, weggeborgtesten Mitteln (Käthchen von Heilbronn, Schroffensteiner); aber ist er dann gehitzt zur Leidenschaft, ist er in sein Urelement des Gegensätzlichen einmal mit der treibenden Dampfkraft seiner Seele eingetreten, so schafft er Intensitäten ohnegleichen. Immer muß er deshalb ganz tief hinab, darum bedarf er, wie Dostojewski, der langwierigen Vorbereitungen, der raffiniertesten Verwirrungen, der labyrinthischen Unterstiege. Im Anfang seiner Dramen sind die Tatsachen, die Situation (Zerbrochener Krug, Guiskard, Penthesilea) auf das dichteste verknäult, gleichsam erst das Gewölk geschaffen, aus dem das dramatische Gewitter dann erst losfahren kann, und er liebt diese gestaute, unübersichtliche, überfüllte Atmosphäre, weil sie in Verwirrung, Verstrickung und Weglosigkeit so recht die seiner Seele ist – Verwirrung der Situation entspricht da jener »Verwirrung des Gefühls«, die Goethe, den Klardämonischen, so sehr bei ihm beängstigte. Und gewiß steckt am Grunde dieses gewaltsamen Verbergens, dieses Rätselratens und Versteckens ein Schuß perverser Qualfreude, ein Vorlustgenießen im Spannen und Retardieren, ein Lüsteln und Zündeln mit der eigenen, der fremden Ungeduld. So rühren, ehe sie das Gefühl auflodern lassen, Kleistens Dramen schon aufreizend an die Nerven: wie Tristanmusik schaffen sie gern mit einer schwelgerischen Monotonie, mit spannenden Andeutungen und aufregenden Undeutlichkeiten eine Vibration des Gefühls. Einzig im »Guiskard« reißt er mit einem Ruck gleich einem Vorhang die ganze Situation tagklar auf – sonst beginnt bei ihm jedes Drama (Homburg, Penthesilea, Hermannsschlacht) mit einer Verwirrtheit der Situation und der Charaktere, aus der dann lawinenhaft anschwellend die Urleidenschaft der Gestalten losbricht und schmetternd gegeneinanderstößt. Manchmal überrennen und zerbrechen sie dann in ihrem Überschwang die vorgezeichnete fragile Konzeption: außer im »Homburg« hat man fast immer das Gefühl bei Kleist, als hätten seine Gestalten sich seiner Hand im Fieber entrissen und wären weiter hinausgestürmt ins Überdimensionale, hinaus in Stärken des Gefühls, wie sie der wache Traum weder gewagt noch gewollt. Nicht wie Shakespeare bewältigt er seine Gestalten und Probleme: sie reißen ihn über sich selbst hinaus. Sie folgen dem dämonischen Anruf, jede ein Zauberlehrling, und nicht dem klaren planenden Willen: im höheren Sinn ist Kleist unverantwortlich für sie wie für Worte, die man aus Träumen spricht und die ungehemmt die wahrsten Wünsche verraten.
Dieses Zwanghafte, Unfreie, dies Müssen über dem eigenen Willen waltet auch in seiner dramatischen Sprache: sie ist wie der Atem eines Aufgeregten, manchmal sich schäumend überstrudelnd und übersprudelnd, manchmal knapp aussetzend, ein Keuchen nur oder ein Schrei oder ein Schweigen. Unablässig fährt sie ins Gegenteilige: manchmal herrlich bildhaft in ihrem Lakonismus, erzgeprägt in ihrer starren Verhaltenheit, schmilzt sie in der Überhitze des Gefühls hemmungslos hyperbolisch über. Oft gelingen ihm einzige Ballungen, bluthaft strotzend wie kraftgeschwellte Adern, dann platzt wieder die aufgebrochene Empfindung bombastisch entzwei. Solange er sie zäumt, die Sprache, ist sie männisch und stark: aber wenn die Empfindung leidenschaftlich wird, entreißt sich ihm das Wort und schwelgt alle seine Träume bildend aus. Nie hat Kleist seine Rede ganz in der Macht: er krümmt, er verbiegt, er dehnt und windet gewaltsam die Sätze, um sie hart zu machen, er spannt (der ewige Übertreiber) sie oft so auseinander, daß man die Enden kaum wieder zusammenfindet; aber immer nur über das einzelne hat er Gewalt und Geduld: nie strömen die ganzen Verse ineinander zu melodischem Fluß, es spritzt, es schäumt, es gischtet und zischt von Leidenschaften. So wie seine Menschen, wenn er sie in sein Fieber gejagt, ihre Überschwänge, so kann er schließlich die Worte nicht mehr im Zügel halten: wenn Kleist sich frei gibt (und in der Produktion entkettet er sein tiefstes Selbst), so wird er überrast und überrannt von seinem Übermaß. Darum gelingt ihm auch kein einziges Gedicht (außer jener magischen Todeslitanei), weil Stauung und Niedersturz nie ein reines ebenmäßiges Strombild schaffen, sondern quirlend gegeneinanderwühlen: sein Vers geht ebensowenig ruhig und melodiös wie sein Atem. Erst der Tod erlöst ihn zu Musik, zum letzten Entströmen.
Treiber und Getriebener, Anpeitschender und selbst Gejagter, so steht Kleist mitten zwischen seinen Gestalten, und was diese seine Dramen so eminent tragisch macht, ist weniger ihr episodischer Einzelfall, sondern der ungeheuer verwölkte Horizont, der sie großartig ins Heroische aufweitet und erhöht. Der Riß, der jedem seiner Helden durch die Brust geht, ist für ihn Teil des ungeheuren Sprunges, der das ganze Weltall unheilbar spaltet und es zu einer einzigen Wunde, zu einem ewigen Leiden verwandelt. Wieder hat Nietzsche die Wahrheit seherisch gefühlt, wenn er von Kleist sagte, daß Kleist sich »mit der unheilbaren Seite« der Natur befasse, denn oftmals sprach er von der »Gebrechlichkeit der Welt«, ihm war sie unheilbar, nie ganz zu vereinen, schmerzliche Ungelöstheit und Unlösbarkeit. Damit gewinnt er aber die wahrhafte Einstellung des Tragikers: nur wer die Welt unablässig als Vorwurf empfindet, im doppelten Sinne des Worts, als Stoff und als Anklage zugleich, der kann als Kläger und Richter Mund um Mund, Rede um Rede dramatisch auftun und jeden sein Recht haben lassen wider das ungeheure Unrecht der Natur, die den Menschen so fragmentarisch, so zerteilt, so ewig unbefriedigt gemacht. Freilich ist solche Vision der Welt nicht hellen Auges zu sehen. Goethe hatte ironisch einem andern Verdunkelten, Arthur Schopenhauer, in sein Stammbuch geschrieben:
Willst du dich deines Wertes freuen,
So mußt der Welt du Wert verleihen.
Nun, niemals konnte Kleistens tragische Anschauung sich entschließen, wie Goethe der Welt »Wert zu verleihen«, und wahrhaft hat es sich darum auch ihm erfüllt, daß er sich nie »seines Wertes freuen« durfte. An seiner eigenen Unzufriedenheit mit dem Kosmos gehen alle seine Geschöpfe zugrunde: tragische Kinder eines echten Tragikers wollen sie ewig über sich hinaus und mit dem Kopf durch die starre Wand des Schicksals. Goethes Konzilianz, die sich weise resignierend mit dem Leben abfand, mußte sich unwillkürlich seinen Figuren, seinen Problemen mitteilen, die darum niemals antike Größe erreichten, selbst wenn sie sich Gewand und Kothurn borgten. Auch die tragisch konzipierten, wie Faust und Tasso, beschwichten und beruhigen sich und werden »gerettet« vor ihrem letzten Selbst, vor ihrem heiligen Untergang. Er wußte, der Urweise, um das Zerstörerische der wahren Tragik (»es würde mich zerstören«, bekennt er, wenn er eine wirkliche Tragödie schriebe); er sah mit seinem Adlerblick die ganze Tiefe der eigenen Gefahr, aber er war zu vorsichtig-weise, sich niederzustürzen. Kleist dagegen war heldenhaft unweise, er hatte den Mut und die Besessenheit zur letzten Tiefe: wollüstig jagte er seine Träume und seine Gestalten in die äußersten Möglichkeiten hinab, wohl wissend, daß sie ihn mitreißen würden in das heilige Verhängnis. Er sah die Welt als Tragödie, so schuf er Tragödien aus seiner Welt und formte als ihre letzte und höchste sein eigenes Leben.
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Die hier vorzufindene Sammlung der gemeinfreien Werke Stefan Zweigs ist aus der Ausgabe des Null Papier Verlages übernommen. Zu dieser Ausgabe gelangen Sie durch einen Klick auf diesen Eintrag.