Der Tod des Empedokles
und
Klar wie die ruhigen Sterne gehen
Aus langem Zweifel reine Gestalten auf
Empedokles ist die heroische Steigerung des Hyperiongefühls, nicht mehr Elegie der Ahnung, sondern Tragik des Schicksalerkennens: was dort lyrisch ausklingt im Schicksalsliede, rauscht hier empor zu dramatischer Rhapsodie. Aus dem Träumer, dem ratlosen Sucher ist der Held, der wissende und furchtlose, geworden: eine Stufe, eine gewaltige, ist Hölderlin, seit ihm »die ganze Seele beleidigt war«, emporgeschritten zur freiwilligen, antikisch frommen Hingabe an das Geschick. Darum ist die geheimnisvolle Trauer, die beide Werke musikalisch überschwebt, eine so durchaus andersfarbene, im Hyperion nur morgendliche Trübe, im Empedokles aber schon finstere, schicksalsträchtige Gewitterwolke. Schicksalsgefühl ist jetzt heroisch gesteigert zum Untergangsgefühl: ging es Hyperion dem Träumer noch um das edle Leben, um Reinheit und Einheit der Existenz, so fordert Empedokles, in dem alle Träume ausgelöscht sind in ein erhabenes Wissen, nicht mehr ein großes Leben, sondern nur großen Tod.
Darum überragt die Gestalt des Empedokles um ein so Sichtliches den schmächtigen, wirren Schwärmer Hyperion: höherer Rhythmus wird hier im Gedichte angeschlagen, denn nicht das zufällige Leiden des Menschen wird hier enthüllt, sondern die heilige Not des Genius. Das Leiden des Knaben gehört ihm selbst und der Erde zu, gemeiner Teil, jeder Jugend verhaftet – der Schmerz des Genius aber ist hoher Besitz, ihm selbst schon verwandt, solches Leiden ist »heilig« – »ihr Schmerz gehört den Göttern«.
Ein Sterben in Schönheit, den freien Tod mit ungebrochenem Gefühl aus der Ganzheit der Seele, ihn wollte Hölderlin sich selbst vorbilden (denn wie nahe war er wohl solchem Entschluß in jenen Tagen der Selbstzerstörung!): unter seinen Papieren deutet ein erster Plan auf ein Drama »Der Tod des Sokrates«. Eines Weisen, eines Freien Heldenuntergang sollte also vorerst gebildet sein: bald aber drängt den klugen Skeptiker Sokrates das verschattet überkommene Bild des Empedokles zur Seite, von dessen Schicksal nur das deutsame Wort überliefert ist, »er rühmte sich, mehr zu sein als die sterblichen, vielfachem Verderben geweihten Menschen«. Dieses Sich-anders-, Sich-höher-, Sich-reiner-Fühlen macht ihn zu Hölderlins geistigem Ahnherrn, und seine ganze Enttäuschtheit an der zerstückten, ewig fragmentarischen Welt, wirft er ihm durch die Jahrtausende zu. Dem Knaben Hyperion, ihm konnte er bloß seine musische Ahnung, seine wirre Sehnsucht, seine suchende Ungeduld mitgeben – ihm aber, Empedokles, dem »immer fremden Manne«, gibt er seine mystische Verbundenheit mit dem All, Ekstase und tiefste Ahnung des Untergangs. Im Hyperion vermochte er sich nur zu poetisieren, zu symbolisieren – im Empedokles steigert der Geprüfte sich ins Heldische empor, hier ist ihm sein Ideal erfüllt, ganz mit der Ganzheit des Empfindens aufzuschweben in beflügelte Gestalt.
Empedokles von Agrigent ist, wie Hölderlins erste Hinschrift klar deutend ausspricht, »ein Todfeind aller einseitigen Existenz« und am Leben, an den Menschen leidend, weil er nicht »mit allgegenwärtigem Herzen innig wie ein Gott und frei und ausgebreitet wie ein Gott mit ihnen lieben und leben kann«. Darum gibt Hölderlin ihm sein Geheimstes mit, die Unteilbarkeit des Gefühls; Empedokles hat als der Dichter, als der wahre Genius die Gnade der Allverbundenheit, die »himmlische Verwandtschaft« mit der ewigen Natur. Aber noch höher hebt ihn bald Hölderlins Rauschkraft empor, er macht ihn zum Magier des Geistes:
vor dem
In todesfroher Stund am heilgen Tage
Das Göttliche den Schleier abgeworfen –
Den Licht und Erde liebten, dem der Geist,
Der Geist der Welt, den eignen Geist erweckte.
Aber eben um dieser Allumfassung willen leidet der Meister an der zerstückten Form des Lebens, »daß alles Vorhandene an das Gesetz der Sukzession geknüpft ist«, daß Stufen und Schwellen und Türen und Schranken das Lebendige ewig abteilen und auch der höchste Enthusiasmus nicht imstande ist, die Zerteiltheit der Menschen in eine feurige Einheit umzuschmelzen. So reißt Hölderlin das Eigenerlebnis, den Zwiespalt zwischen eigener Gläubigkeit und Nüchternheit der Welt ins Kosmische empor: Empedokles überhäuft er mit den höchsten Entzückungen seines Daseins, der Ekstase der Inspiration, aber auch mit den tiefsten Depressionen seiner Ernüchterung. Denn Empedokles ist im Augenblicke, da Hölderlin ihn erscheinen läßt, nicht der Gewaltige mehr – die Götter (in Hölderlins Sinn: die Inspiration) haben ihn verlassen, haben »seine Kraft von ihm genommen«, weil er in Hybris, in trunkenem Überschwang sich zu sehr seiner Seligkeit gerühmt:
Denn es hasset
Der sinnende Gott
Unzeitiges Wachstum.
Jenem aber war das Alleinsgefühl zur seligen Verzückung geworden, der Phaetonsflug hatte ihn so hoch in die Himmel gerückt, daß er vermeinte, selbst Gott zu sein, und sich rühmte:
Zur Magd ist mir
Die herrnbedürftige Natur geworden.
Und hat sie Ehre noch, so ists von mir.
Was wäre denn der Himmel und das Meer
Und Inseln und Gestirn und was vor Augen
Den Menschen alles liegt, was war es auch,
Dies tote Saitenspiel, gab ich ihm Ton
Und Sprach und Seele nicht? Was sind
Die Götter und ihr Geist, wenn ich sie nicht
Verkündige.
Nun ist von ihm die Gnade gesunken, aus ungeheuerster Machtfülle ist er zurückgestürzt in die ungeheuerste Ohnmacht: die »weite lebensreiche Welt« erscheint dem mit Schweigen Geschlagenen »als ein verlorenes Eigentum«. Die Stimme der Natur geht leer über ihn hin und weckt in seiner Brust nicht mehr Melodie, er ist zurückgesunken ins Irdische. Hier ist Hölderlins Urerlebnis sublimiert, der Niedersturz aus den Himmeln der Begeisterung in die reale Welt, und dramatisch bildet sich alle Schmach, die er in jenen Tagen erduldet, zu gewaltiger Szene um. Denn die Menschen erkennen sogleich den Genius in seiner Ohnmacht, hämisch boshaft, undankbar dringen sie auf den Wehrlosen ein, sie treiben Empedokles von Stadt und Herd, wie sie Hölderlin von Haus und Liebe drängten, sie jagen ihn hinaus in die tiefste Einsamkeit.
Hier aber, in der Höhe des Ätna, in der heiligen Einsamkeit, wo die Natur wieder spricht, erhebt sich herrlich die gesunkene Gestalt, erhebt sich herrlich das heldische Gedicht. Sobald Empedokles – wunderbar ist das Symbol – von der Reinheit des kristallenen Bergwassers getrunken, dringt die Reinheit der Natur wieder magisch in sein Blut,
es dämmert zwischen dir
Und mir die alte Liebe wieder auf,
aus Trauer wird Erkenntnis, aus Notwendigkeit ein freudiges Bejahen. Empedokles erkennt den Weg zur Heimkehr, zur letzten Verbindung: er geht über die Menschen hinaus in die Einsamkeit, über das Leben in den Tod. Die letzte Freiheit, Heimkehr ins All, das ist Empedokles’ seligste Sehnsucht nun, und freudig tritt der Weltgläubige an, sie zu erfüllen:
es scheun
Die Erdenkinder meist das Neu und Fremde…
Beschränkt im Eigentume sorgen sie,
Wie sie bestehn, und weiter reicht ihr Sinn
Im Leben nicht. Doch müssen sie zuletzt,
Die Ängstigen, hinaus, und sterbend kehrt
Im Element ein jedes, daß es da
Zu neuer Jugend wie im Bade sich
Erfrische. Menschen ist die große Lust
Gegeben, daß sie selber sich verjüngen.
Und aus dem reinigenden Tode, den
Sie selber sich zu rechter Zeit gewählt,
Erstehn, wie aus dem Styx Achill,
Unüberwindlich die Völker.
»O gebt euch der Natur, eh sie euch nimmt« – herrlich rauscht der Gedanke des Freitodes in ihm auf, und schon versteht der Weise den hohen Sinn rechtzeitigen Untergangs, das innere Muß seines Todes: das Leben zerstört durch Zerstückung, der Tod erhält rein durch Auflösung ins All. Und Reinheit ist des Künstlers höchstes Gesetz; nicht das Gefäß, sondern den Geist hat er unversehrt zu bewahren:
Es muß
Beizeiten weg, durch wen der Geist geredet.
Es offenbart die göttliche Natur
Sich göttlich oft durch Menschen; so erkennt
Das viel versuchende Geschlecht sie wieder.
Doch hat der Sterbliche, dem sie das Herz
Mit ihrer Wonne füllte, sie verkündet,
O laßt sie dann zerbrechen das Gefäß,
Damit es nicht zu anderm Brauche dien’
Und Göttliches zum Menschenwerke werde.
Laßt diese Glücklichen doch sterben, laßt,
Eh sie in Eigenmacht und Tand und Schmach
Vergehn, die Freien sich bei guter Zeit
Den Göttern liebend opfern.
Nur der Tod kann das Heilige des Dichters retten, den ungebrochenen, vom Leben nicht besudelten Enthusiasmus, nur der Tod kann seine Existenz zum Mythos verewigen.
Denn anders ziemt es nicht für ihn, vor dem
In todesfroher Stund, am heiligen Tage
Das Göttliche den Schleier abgeworfen,
Den Licht und Erde liebten, dem der Geist,
Der Geist der Welt, den eignen Geist erweckte.
Aus dem Vorgefühl des Todes trinkt er die letzte, die höchste der Begeisterungen: wie dem Schwan in der Sterbestunde bricht dem Verschlossenen noch einmal die Seele auf in Musik… in Musik, die herrlich anhebt und nicht endet. Denn hier setzt die Tragödie ab, oder vielmehr sie verschwebt. Über diese Seligkeit der Selbstauflösung war Hölderlin Steigerung nicht mehr möglich – nur von unten antwortet noch erzener Chor der entschwindenden, gleichsam in den Äther sich lösenden Stimme des Erlösten, die Ananke lobpreisend, die ewige Notwendigkeit:
So mußt es geschehen,
So will es der Geist
Und die reifende Zeit,
Denn einmal bedurften
Wir Blinden des Wunders.
Und erhaben abschließend, preist der Gegengesang das Unbegreifliche:
Groß ist seine Gottheit
Und der Geopferte ist groß.
Mit seinem letzten Wort, mit seinem letzten Atem ist Hölderlin noch Lobkünder des Schicksals, unerschütterlich frommer Diener der heiligen Notwendigkeit.
Niemals war der Dichter bei Hölderlin, der hohe Gestalter so nahe der griechischen Welt wie in dieser Tragödie, die mit ihrem Zwiesinn von Opferhandlung und festlicher Erhebung stärker und reiner als irgendeine andere deutsche die heroische Höhe der Antike erreicht. Was Goethe im Tasso mißlungen, weil er des Dichters Qual nur in bürgerlichen Nöten faßte, im Ressentiment der Eitelkeit, des Klassendünkels und überheblichen Liebeswahns, das wird hier durch Reinheit des tragischen Elements mythisch wahr: Empedokles ist als Genius vollkommen entpersönlicht und seine Tragödie die Tragödie der Dichtung, des Schaffens schlechthin. Nicht ein Staubkorn eitler Episode, nicht ein Fleckchen theatralischen Füllsels beschmutzen den rauschenden Faltenwurf dieses dramatischen Schreitens, keine Frauen hemmen mit erotischer Verstrickung den Aufstieg, nicht Diener und Knechte mengen sich ein in den furchtbaren Konflikt des Einsamen mit den geliebten Göttern: wie bei der Frommheit Dantes, Calderons und der Antike ist ungeheurer Raum gläubig aufgeschlagen über dem einzelnen Geschick, und so steht es zwischen dem offenen Himmel der Zeiten. Keine Tragödie der Deutschen hat so viel Himmel über sich wie diese, keine wächst so naturhaft aus bretternem Hause der Agora, dem offenen Markte, dem Fest, der Opferhandlung entgegen: in diesem Fragment (und jenem andern noch, dem Guiskard) ist die antike Welt noch einmal wahr geworden durch leidenschaftlichen Willen der Seele.
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Die hier vorzufindene Sammlung der gemeinfreien Werke Stefan Zweigs ist aus der Ausgabe des Null Papier Verlages übernommen. Zu dieser Ausgabe gelangen Sie durch einen Klick auf diesen Eintrag.