Das Tal der Trauer


Cosi cominciando ad errare la mia fantasia
venni a quello, che non sapea dove io fossi;
e veder mi parea donne andare scapigliate,
piangendo per via, maravigliosamente tristi.


La vita nuova XXIII.


In einer Nacht, darin kein Licht sich rührte,
War mir, als ob ein fremder Ruf mich nannte
Und eine Hand mich jäh zu Fernen führte.


Auf Wegen ging ich, die mein Schritt nie kannte,
Und plötzlich, von der Schwärze Glanz bespiegelt,
Enthüllte sich mein dunkler Führer: Dante!


Ein Schweben war es, wie vom Wind beflügelt,
Durch Wolken, die sich bös wie Tiere packten,
Vorbei an Ländern, karg und hochgehügelt,


An Felsen, die zum Himmel mit den nackten
Armstümpfen griffen, und vorbei an Schroffen,
Die sich zu schreckhaft wilden Formen zackten.


Doch endlich stand ein fahles Tal uns offen,
Und als mein Blick durch seine Tiefe strebte,
Ward er von einem Rätselbild betroffen.


Ein heller Nebel, der von Höhlen bebte,
Floß quellend her in windbewegten Schichten,
Und staunend fühlte ich, daß alles lebte


In diesen Fluten, daß die lichten, dichten
Dunstschleier sich im Näherspülen teilten
Zu einem Schwärm von seltsamen Gesichten.


Denn Frauen waren dies, die flügelnd eilten,
Die nackten Arme tänzerisch erhoben.
Und wie sie lärmend auf uns näherpfeilten,


Sah ich den Sturm in ihren Gliedern toben,
Und wie die lohen Flammen ihrer Haare
Sie in ein rotes Feuernetz verwoben.


Und immer mehr aufströmten dieser Paare,
Herwerfend sich mit den verbuhlten Hüften,
Als glühe Wollust vieler tausend Jahre


In einer Stunde aus den rauhen Klüften,
Und wehte Lust aus allen Menschheitszeiten
In Rauch empor zu diesen grauen Lüften.


Doch manchen war ein ruhevolles Schreiten,
Sie gingen scheu, die Augen tränenblinkend,
Den Weg der wundersamen Traurigkeiten,


Manchmal aus breitgebauchten Krügen trinkend
Mit jener Gier, die auch die andern hatten,
Dann rücklings wieder in die Trauer sinkend,


Und in der Augen tiefgehöhlten Schatten
Glomm gleiches Licht, wie es den andern glühte;
Denn Schweigen schien sich hier dem Schrei zu gatten


Und Lust und Schmerz, die rot’ und dunkle Blüte
Flocht sich zu eins in aller Frauen Gesten –
Verzweiflung, die sich zu verschließen mühte,


Schlug durch die Glieder, die sich fiebrig preßten,
Und aus dem Jubel stiegen nicht die Schwingen,
Die leuchtend ruhen ob den reinen Festen.


Nur Taumel trieb mit unsichtbaren Klingen
Sie vorwärts. Und die trunkenen Mänaden
Waren wie jene, die in Wehmut gingen,


Von einem unnennbaren Leid beladen,
Leid, das ich ahnte, ohne es zu fassen. –
Doch immer heller quollen aus den Schwaden


Des Nebels weißgeschäumte Frauenmassen,
Und immer schneller wiegten ihre Tänze
Die Schmerzenswollust her an mein Erblassen.


Verloren war mir aller Sinne Grenze,
Und jäh geschüttert zwischen Lust und Grauen
Vom tiefsten Tal bis an der Sterne Kränze,


Schrie ich empor: »Wer sind die nackten Frauen,
Mein Meister, Wandrer du durch alle Kreise
Der unbetretnen Welt?« – In seine Brauen


Schob eine Falte sich. In Priesterweise
Die Hände hebend, die dem Bösen wehren,
Sprach er, sich meinen Lippen neigend, leise:


»Dies sind die Frauen, die der Qual gehören
Und nicht der Gnade. Denn sie alle kannten
Im Leben nur die Wollust zu betören,


Und nicht zu lieben. Tausend Herzen brannten
Für ihren Leib, der nun in Brunst sich windet,
Denn Jener warf sie hin zu den Verbannten,


Dem sich der letzte Sinn des Lebens kündet.
Sie fachten Brände an, die sie nicht hatten,
Nun aber hat die Lust sie selbst entzündet,


Und peitscht sie fiebernd durch das Tal der Schatten.
Erbarmungslos, wie sie den andern waren,
Sind nun die Lüste, die sich ihnen gatten.


Ein Nesselfeuer glimmt von ihren Haaren
Und sengt mit Leidenschaft die nackten Lenden,
Daß sie wie toll in alle Winde fahren,


Doch keine Quelle kann da Kühlung spenden,
Wie sie in ihrer Qual zu hoffen meinten.
Und jene Krüge in den heißen Händen


Sind voll von Tränen. Die sie einstens weinten,
Waren so torenhaft in ihrem Sehnen,
Daß sie zu Füßen der Verdammten greinten,


Und in den Krügen glühn nun ihre Tränen,
Geschmolzen in der Liebe Bitternissen. –
Doch jene, die darin die Kühlung wähnen


Und nicht den Ratschluß ihres Richters wissen,
Beredet Durst, den Becher steil zu schlürfen,
Daß ärger nur, vom scharfen Salz zerrissen,


Die Lippen dorren und sich brennend schürfen.
Doch neue Hoffnung beugt sie zu dem Rande,
Von dem sie niemals Kühlung hoffen dürfen. –


So kettet eine unsichtbare Bande
Den Schmerz an Schmerz zu seiner Qualen Stillung,
Verkehrt den Trotz in Glut, den Stolz in Schande.


Die Not der andern ist für sie Erfüllung!
Sie alle, die zum Spiel die Liebe deuten,
Bestraft so Gott in deutsamer Verhüllung.« –


Die Stimme stieg, wie frommer Glocken Läuten…
Doch jene Frauen, die uns sprechen hörten
Und sich entflammt der fremden Männer freuten,


Stoben heran. Entblößte Glieder kehrten
Sich unsern zu, und in erwachtem Schauer
Empfand ich jäh, wie sehr sie uns begehrten.


Aufschrie die Wollust in der Müden Trauer,
Und selig baute sich aus den versehnten
Blinkenden Frauen eine weiße Mauer


Schimmernder Leiber, die sich lüstern dehnten.
Wie Rosenfeuer schoß das heiße Schwelen
Im Blute auf. Verwirrte Worte tränten


Von ihren Lippen, hoch in weißen Kehlen
Zuckte ein Krampf, mit heißen Lichtern flackte
Im Blick der jähe Wahnsinn ihrer Seelen.


Hart bis an uns her wellte warm der nackte
Strom ihrer Glieder, und an unsern fühlten
Wir ihrer Herzen zügellose Takte,


Fühlten die scharfen Düfte des verschwülten
Geflechtes ihrer Haare, leise Schlingen,
Die uns verwühlten und gefangen hielten.


Die Arme, rund gebeugt zu weißen Ringen,
Begannen uns betörend zu umschließen;
Mein Blut, aufhämmernd von so süßen Dingen,


Die ganz des Meisters Wort vergessen ließen,
Begehrte nur mehr, in die linden, lauen
Geströme sanft ersterbend hinzufließen.


Da schnitt wie Messer in das süße Grauen
Des Meisters Stimme ein: »Was flüchtet
Ihr nun zur Liebe, Ihr verruchten Frauen?


Ihr habt sie nie erkannt! Und nun beschwichtet
Kein Mitleid mehr den Aufruhr Eurer Lüste.
Ihr seid von Gott erkannt und seid gerichtet.


Und wenn auch dieser Eure Lippen küßte,
Und wenn ich selbst, vergessend meine Würde,
Hintaumelte ans Bette Eurer Brüste,


So wißt, daß auch die Lust zur Qual Euch würde.
Drum geht und trinkt die Tränen der Betrübten,
Denn kein Verzeihen lindert Eure Bürde!« –


Der herbe Ruf erschreckte die Verliebten,
Denn wie aus hohen Himmeln stürzend scholl er
Zu ihnen hin, daß sie in Angst zerstiebten.


Die einen tanzten nur noch taumeltoller,
Verzweiflung war ihr lüstern Händespreiten,
Die andern aber faßten wehmutsvoller


Den Krug der wundersamen Traurigkeiten.
Und wieder schleierhaft zur Ferne schwebend,
Verflossen ihre Formen in die Weiten.


Nur eine blieb und sagte zornerbebend:
»Bist du nicht jener Florentiner Dante,
In Trotz und Trauer nur den Fernen lebend,


Seit dich die Stadt aus ihrem Schoß verbannte?
Und war ein Mädchen nicht dereinst dir teuer,
Die Beatrice hieß und die ich kannte


In jener Welt der süßen Abenteuer?
Ich weiß: in reinern Höhen ist nun diese,
Die früh verstarb, und mattes Sternenfeuer


Wiegt silbern sich auf ihrer Haare Vliese.
Zu Gottes Antlitz ist sie hingewendet,
Den Engeln schwisterlich im Paradiese.


Doch ob du dich auch ganz an sie verschwendet,
Was schmähst du uns? Kannst du das Schicksal wissen,
Ein Leben richten, eh es sich vollendet?


Das Leben ist ein Weg im Ungewissen,
Und Gott allein das All der Möglichkeiten.
Sie starb. Allein sie hat nicht sterben müssen.


Sie konnte blühn zu linden Lieblichkeiten,
Und bald genaht wär ihren Kindergliedern
Die süße Not der ersten Werdezeiten.


Nichts wußte sie auf Liebe zu erwidern,
Als sie dich sah. Doch wer kann dir es sagen,
Ob sie, die noch mit halbverschloßnen Lidern


Vom Leben ging, in fraulich reifen Tagen
Nicht dich und deine Glut mißachtet hätte?
Ob sie dich je geliebt, wer kann sie fragen,


Die nun schon wandelt an der Gnaden Stätte?
Vielleicht um ihrer Weigrung willen wäre
Sie hier mit uns geschweißt an eine Kette,


Den Brand im Blute, taumelnd durch die Leere
Verschneiter Nacht, geschreckt vom Feuerscheine
Der gleichen Glut, in der ich mich verzehre.


Und ihr Begehren, wär es nicht das deine,
Dein Schmerz nicht ihre Buße? Vielleicht stände
Sie lüstern vor dir, sie, die Unschuldreine,


Und fiebernd krampften die geliebten Hände
Den bittern Krug, gefüllt mit deinen Tränen?« –
So höhnte jene. Und in jäher Wende


Warf sie sich hoch. Die roten Strähnen
Peitschten die beiden nackten Frauenbrüste,
Ein Lachen quoll ihr höhnisch aus den Zähnen.


Hinwinkend, als ob jener folgen müßte,
Hob sie den Blick. Und wie im Sturme raste
Sie in den Qualm der anderen Gelüste. –


Ich sah auf Dante, wie er erst erblaßte
Und, hart getroffen von dem Speer der Lüge,
Aufstöhnend nach dem lauten Herzen faßte.


Dann aber hellte Lächeln seine Züge,
Und aufwärtsschwebend, als ob durch die Räume
Dies Lächeln ihn zu Beatricen trüge,


Ließ er mich einsam in dem Tal der Träume.

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