Bildnis


Tu es laid, mais tu as de la physiognomie.


Der Onkel Gagnon zu dem jungen Henri Beyle


Dämmerung in der kleinen Mansarde der Rue Richelieu. Zwei Wachskerzen brennen auf dem Schreibtisch, seit Mittag schreibt Stendhal an seinem Roman. Jetzt wirft er die Feder mit einem Ruck weg: genug für heute! Nun sich auffrischen, ausgehen, gut speisen, in Gesellschaft, an heiterem Gespräch, an Frauen sich beleben!


Er macht sich bereit, fährt in den Rock, rückt das Toupet zurecht: jetzt noch rasch einen Blick in den Spiegel! Er sieht sich an, und sofort schneidet eine sardonische Falte die Mundwinkel schief: nein, er gefällt sich nicht. Welch ein unfeines, grobes Bulldoggengesicht, rundlich, rot, feistbürgerlich, ach, wie widerlich dick und knollig lagert die breitgenüsterte Nase quer inmitten dieser Provinzvisage! Zwar die Augen, sie wären so übel nicht, klein, schwarz, funkelnd, voll unruhigen Neugierlichts, aber sie sitzen zu tief und zu klein unter den dicken Brauen der schweren, quadratischen Stirn: als le Chinois, den Chineser, haben sie ihn um ihretwillen seinerzeit im Regiment schon verspottet. Was ist noch gut in diesem Gesicht? Stendhal blickt sich ingrimmig an. Nichts ist gut, nichts zart, geistlinig lebendig, alles schwer und vulgär, bitterböseste Bourgeoisie, und dabei der kugelige, in braunem Bart gerahmte Kopf vielleicht noch das Beste an diesem unbequemen Korpus; denn gleich kinnabwärts kröpft sich, zu knapp geraten, der Hals, und tiefer hinab wagt er lieber gar nicht zu schauen, denn er haßt seinen dummen bombastischen Wanst und die zu kurz gestreckten unschönen Beine, die derart mühsam diese ganze schwere Masse Henri Beyle tragen, daß ihn die Schulkameraden immer den »wandelnden Turm« nannten. Noch immer sucht Stendhal im Spiegel nach irgendeinem Trost. Die Hände allenfalls, ja, die können gelten, frauenhaft zart, sehr geschmeidig mit den spitzen, glattpolierten Fingernägeln, aus ihnen spricht noch ein wenig Geist und Adel, und auch die Haut, die mädchenempfindliche und linde, sie verriete zärtliche Gesinnung, ein wenig Noblesse und Feingefühl. Aber wer sieht, wer bemerkt an einem Manne solche feminine Kleinigkeiten? Frauen fragen immer nur nach Gesicht und Figur, und die sind, er weiß es fünfzig Jahre schon, unrettbar plebejisch. Einen Tapeziererkopf hat Augustin Filon seine Visage genannt und Monselet ihn als »Diplomaten mit einem Drogistengesicht« gekennzeichnet; aber selbst solche Begutachtung scheint ihm zu freundschaftlich, denn Stendhal urteilt jetzt selbst, verdrossen in das unbarmherzige Spiegelglas starrend: »Macellaio italiano«: Gesicht eines italienischen Fleischhackers.


Aber wäre er wenigstens, dieser fettleibige massive Körper, brutal und maskulin! – Es gibt ja Frauen, die zu breiten Schultern Zutrauen haben und denen ein Kosak in mancher Stunde besser dient als ein Dandy. Doch niederträchtigerweise, er weiß es, ist diese derbe, bäurische Figur, diese Rotfülligkeit des Bluts bei ihm nur Attrappe, eine Falschmeldung des Fleisches. Unter diesem Koloß Mann flimmert und vibriert ein Nervenbündel subtilster, ja fast krankhafter Empfindlichkeit, als ein »monstre de sensibilité« haben ihn alle Ärzte bestaunt. Und eine solche Schmetterlingspsyche – Verhängnis! –, eingenäht in soviel Fülle und Fett: irgendein Nachtmahr muß in der Wiege Leib und Seele vertauscht haben, denn wie friert und zittert bei jeder Erregung die krankhaft überempfindliche Psyche unter ihrer grobschlächtigen Hülle. Ein offenes Fenster im Nebenraum, und schon rieseln scharfe Schauer über die feindurchäderte Haut, eine zufallende Tür, und sofort zucken die Nerven in wildem Riß, ein schlechter Geruch, und ihm wird schwindlig, die Nähe einer Frau, und er wird verworren, ängstlich oder aus Verkehrtangst grob und unanständig. Unverständlich diese Mischung! Wozu soviel Fleisch, soviel Fett, soviel Wanst, soviel plumpes fuhrmännisches Knochenwerk um ein so spinnfeines und verletzliches Gefühl, wozu ein dermaßen dumpfer, uninteressanter, klotziger Leib um eine so komplizierte und reizbare Seele?


Stendhal wendet sich vom Spiegel ab. Dies Exterieur ist unrettbar, er weiß es seit seiner Jugend. Da kann selbst ein solcher Zauberkünstler von Schneider nicht helfen, der ihm ein Mieder unter die Weste eingebaut hat, das den Hängebauch geschickt nach oben preßt, und famose Kniehosen aus Lyoner Seide fertigte, damit die lächerliche Kurzbeinigkeit verdeckt sei; nichts hilft auch das Haarmittel, das ein manneskräftiges Braun über die längst ergrauten Koteletten dunkelt, nichts die elegante Perücke, die den glatzigen Schädel schützt, nichts die goldbordierte Konsulatsuniform und die fein polierten, flimmernden Nägel. Diese Mittel und Mittelchen stützen und putzen nur ein wenig auf, sie verbergen das Fett und den Verfall, aber doch: keine Frau wird sich nach ihm umwenden auf den Boulevards, keine mit der ergriffenen Ekstase, wie Madame de Rénal seinem Julien oder Madame de Chasteller seinem Lucien Leuwen, ihm jemals in die Augen sehen. Nein, nie haben sie ihn beachtet, schon als jungen Leutnant nicht, und wie jetzt erst, da die Seele im Speck steckt und das Alter ihm die Stirne schrundet. Vorbei, verspielt! Mit solch einem Gesicht hat man kein Frauenglück, und es gibt kein anderes!


So bleibt nur eines: klug sein, geschmeidig, geistig-anziehend, interessant, die Aufmerksamkeit vom Gesicht ablenken nach innen, blenden und verführen durch Überraschung und Rede! »Les talents peuvent consoler de l’absence de la beauté«, Geschicklichkeit kann allenfalls die Schönheit ersetzen. Vom Geiste her muß man bei solch unglücklicher Physiognomie die Frauen packen, da man ihre Sinne ästhetisch nicht anzuwärmen vermag. Also melancholisch tun bei den Sentimentalen, zynisch bei den Frivolen und manchmal umgekehrt, immer wachsam sein und immer geistreich. »Amusez une femme et vous l’aurez.« Klug jede Schwäche fassen, Hitze vortäuschen, wenn man selbst kalt ist, und Kälte, wenn man glüht, durch den Wechsel verblüffen, durch Tricks verwirren, immer zeigen, daß man anders ist als die andern. Und vor allem keine Chance vergeuden, kein Fiasko scheuen, denn manchmal vergessen die Frauen eines Mannes Gesicht, küßte doch in sonderbarer Sommernacht selbst Titania einstmals einen Eselskopf.


Stendhal setzt den modischen Hut auf, nimmt die gelben Handschuhe und probiert ein kaltes, mokantes Lächeln in den Spiegel hinein. Ja, so muß er heute abend bei Madame de T. auftreten, ironisch, zynisch, frivol und steinkalt: es gilt zu frappieren, zu interessieren, zu blenden; das Wort wie eine blitzende Maske über diese ärgerliche Physiognomie zu stülpen. Nur stark verblüffen, gleich mit dem ersten Ruck die Aufmerksamkeit an sich reißen, das ist das beste, die innere Mutlosigkeit verbergen hinter lauten Gascognaden. Wie er die Treppe hinabsteigt, hat er sich schon ein knallendes Entrée ersonnen: er wird sich heute im Salon vom Diener anmelden lassen als Herr Kaufmann Cäsar Bombet und dann erst selbst eintreten, einen geschwätzig lautrednerischen Wollhändler mimen, niemanden zu Wort kommen lassen und von seinen imaginären Geschäften so lange brillant und frech erzählen, bis die lachende Neugier ihm restlos gehört und die Frauen sich an sein Gesicht gewöhnen. Dann noch ein Feuerwerk von Anekdoten, starken und lustigen, die ihnen die Sinne auflockern, eine dunkle Ecke, die hilfreich seine Leiblichkeit verschattet, ein paar Gläser Punsch: und vielleicht, vielleicht finden ihn um Mitternacht dann die Frauen doch charmant.

nachfolgendes Kapitel

Film seines Lebens

lernzettel.org

Die hier vorzufindene Sammlung der gemeinfreien Werke Stefan Zweigs ist aus der Ausgabe des Null Papier Verlages übernommen. Zu dieser Ausgabe gelangen Sie durch einen Klick auf diesen Eintrag.