VI. Stimmen um Mitternacht


»Es will Abend werden, und die Schatten werden groß.«


Jer. VI, 4.


Das Schlafgemach des Königs Zedekia, ein weiter prunkvoller Raum, dessen Umrisse sich im Dunkel verlieren. Nur über dem Ruhebett leuchtet eine Ampel in goldener Schale, und durch das Fenster, das weitaufgetan über die Stadt blickt, strömt weiches Mondlicht. Vorne ein breitgefügter Tisch mit tiefen Sitzen; das Ruhebett, hinter Vorhängen, steht rückwärts in der Mitte des Raumes.


 


(ZEDEKIA steht am Fenster und sieht regungslos auf die mondbeglänzte Stadt. Es ist ganz still und er selbst ein Teil dieser Stille.)


(DER KNABE SPEERTRÄGER von der Türe auf ihn zu. Er wartet ehrfurchtsvoll, ob der König ihn bemerken wolle. Zedekia wendet sich nicht, sondern sieht regungslos in die Nacht hinaus.)


DER KNABE SPEERTRÄGER (nach einer Pause, ehrfurchtsvoll, behutsam):


Mein König!


(ZEDEKIA wendet sich wie erschreckt.)


DER KNABE:


Mitternacht, mein König. Die Stunde ist es, da du mich hießest, den Rat vor dich zu rufen.


ZEDEKIA:


Sind alle versammelt?


DER KNABE:


Alle, so du entboten.


ZEDEKIA:


Hat keiner des Volks oder der Knechte sie gesehen?


DER KNABE:


Keiner, mein König. Auf dem geheimen Wege habe ich sie geleitet.


ZEDEKIA:


Und der Späher, ist er gesondert von ihnen?


DER KNABE:


Er harrt in der Halle der Türhüter.


ZEDEKIA:


Er möge warten. Erst rufe den Rat.


(DER KNABE verneigt sich, hebt den Vorhang der Türe und entschwindet.)


ZEDEKIA (allein, durchmißt mit starken Schritten den Raum. Dann bleibt er wieder am Fenster stehen und blickt hinaus):


Wie die Sterne heute abends glühen, so sah ich sie nie. In Reihen stehen sie, wirr und weiß wie eine Schrift zu schauen auf dem Dunkel des Himmels, und doch vermag keiner sie zu lesen. In Babel, so sagen sie, sind Deuter und Priester, die den Gestirnen dienen und Zwiesprache pflegen mit ihnen des Nachts. Anderen Königen sprechen ihre Götter, auf Türmen sind Stätten gebaut, das Wort der Himmel zu fassen, wenn innen im Herzen das Dunkel waltet wie am Tage des Anbeginns. Warum sind mir nicht Diener gegeben, die Zukünftiges wissen! Wahrlich, es ist furchtbar, Knecht eines Gottes zu sein, der immer schweigt, des Auge keiner gesehen! (Er blickt lang auf die Stadt): Schlaf liegt auf ihnen, denen ich gesetzt bin als König, bei ihren Weibern ruhen sie oder bei ihren Waffen, und all ihr Wachsein ist in mir und ihre Not. Rat muß ich geben, doch wer ist, der mich beratet? Führer muß ich sein, doch wer ist, der mich führte? Über sie bin ich gesetzt, doch einer ist gesetzt über mich, und ich sehe ihn nicht. Schlaf hängt unter mir, Schweigen hängt über mir. Furchtbar, Knecht eines Gottes zu sein, der immer schweigt, des Auge keiner gesehn!


(DER KNABE hebt den Vorhang. Es treten lautlos die fünf Räte des Königs ein. PASHUR, der Priester, HANANJA, der Profet, IMRE, der Älteste, ABIMELECH, der Heerführer, NACHUM, der Verwalter. Zedekia wendet sich und schreitet auf sie zu. Alle verneigen sich.)


ZEDEKIA:


Ich habe euch des Nachts entboten, auf daß geheim bleibe unsere Rede. Des Großen Rates habe ich entraten, denn ich bin seiner nicht sicher mehr. Zu viele sind sie, als daß ein Geheimnis nicht schlüpfte von hundert Zungen. Doch euch vertraue ich des Herzens Geheimstes. Redet frei, wie ich frei zu euch rede, keiner möge zagen, daß ich ihm zürne, wenn sein Wort gegen das meine sich wendet. Doch was an Rede und Ratschluß hier fällt, muß tot sein für Stadt und Volk, begraben in unserer Brust. Das fordere ich von euch und daß ihr es bekräftigt mit einem Gelöbnis. Legt eure Hände zum Zeugnis in des Priesters Hand, er bewahre an des Höchsten Statt euren Eid!


(ALLE heben die Hände schweigend zum Eid und legen sie dann in Pashurs Hand.)


ZEDEKIA:


Und ich schwöre bei Gott dem Allmächtigen, daß ich mein Herz verschließen will dem Zorne gegen jeden, der wider mich redet. (Er legt seine Hände in die Pashurs.) Und nun laßt uns Rates pflegen! (Er weist mit der Hand gegen den Tisch. Alle lassen sich nieder. Schweigen.) Der elfte Monat ist es, daß Nabukadnezar uns belagert. Die Reben sind grün geworden zum andern Male. Nichts hat Nabukadnezar vermocht wider Jerusalem, aber desgleichen auch wir nichts wider ihn. Wie in Wasser schlägt sein Schwert wider uns, wie in Wasser das unsere wider ihn. Nichts haben wir unterlassen, dem Hilfe entwachsen könnte. Ich habe Boten entsandt an Cyros, den Meder, und zu den Fürsten des Morgenlands, daß sie uns beikämen wider Assur. Sie sind heimgekehrt leerer Hände. Keiner ist gewillt, unserer Not zu helfen. Wir sind allein.


HANANJA (heftig):


Gott ist mit uns!


(DIE ANDERN schweigen.)


ZEDEKIA (sehr ruhig):


Gott ist mit uns, er hat sein Zelt geschlagen auf diesem Hügel, und sein Haus schattet mein eigen Dach. Aber Gott sendet auch Prüfungen über sein Volk. Nochmals sei es gesagt: die uns Treue schwuren, haben uns verraten, Ägypten hat uns verlassen, wir sind allein. Lasset uns nun bereden, Wort wider Wort, Meinung wider Meinung, wie wir den Streit ausfechten möchten mit Nabukadnezar oder ob einer Rat wüßte, ihn zu enden.


HANANJA:


Wir müssen beten zu Gott, daß er das Wunder sende. Wir müssen unsere Herzen füllen mit Gebet und seine Altäre mit Opfern. Wir müssen ein Doppeltes tun als bisher…


NACHUM:


Es sind keine Opfer mehr, nicht Farren noch Böcke.


HANANJA:


Nicht wahr ist dies. Selbst habe ich das Blöken der Rinder gehört, die du birgst vor den Altären.


NACHUM:


Die letzten sind es, Milchkühe, gespart den Frauen, ihre Kinder zu säugen, und als Zehrung den Kranken.


HANANJA:


Man darf nicht sparen für Gott. Mögen darben die Kranken und verdorren die Brüste der Frauen. Gott darf nicht entbehren des Opfers.


PASHUR (ernst):


Sein Herz weiß unsere Not auch ohne Gabe.


HANANJA:


Aber nichts ist ihm süßer, denn die Gabe der Not. Man gebe ihm das Letzte und reiße es selbst sich vom Munde.


PASHUR:


Ich kenne die Bräuche, nicht mußt du meines Dienstes mich belehren, Hananja, besser ist er vielleicht mir bewußt, als dir Gottes Wort und Wille.


HANANJA:


Wer nicht opfert heißen Herzens, wer da zaudert und zählt, ist nur ein Schlächter des Tieres und nicht Diener des Herrn. Ich aber sage euch, so ihr nicht das Letzte hingebet von eurer Notdurft, seid ihr nicht würdig, vor sein Antlitz zu treten…


ZEDEKIA (heftig):


Schweigt stille! Ich mag eure Worte nicht. Noch sind der Sandkörner kaum zehn niedergeronnen in der Uhr, und schon erhebt ihr Rede widereinander. Was Gottes ist, will nicht beredet sein. Ich habe euch zum Rate gerufen über unsere Not und wie wir sie vermöchten zu wenden. Kriegszeit ist unsere Zeit, und so frage ich dich als ersten, Abimelech, den Obersten meiner Krieger.


ABIMELECH:


Fest sind die Mauern Jerusalems, mein König, aber noch fester ist mein Herz.


ZEDEKIA:


Aber deine Knechte, du Getreuer, wie ist ihr Sinn? Selten höre ich sie jubeln, und schreite ich an ihnen vorüber, so schlagen sie nicht mehr die Schilde und wahren den Blick.


ABIMELECH:


Schweigsam macht der Krieg, aber er härtet die Herzen. Vorbei ist die Stunde, da sie jauchzten vor Lust, daß das Schwert ihnen frei aus den Händen fuhr, denn die Gewöhnung mordet alles Große, und jede Lust wird schal an der Dauer. Aber sie wachen und warten, ehern hüten sie die Mauern Jerusalems.


ZEDEKIA:


Und wenn die Monde wachsen und sich mindern, wenn abermals das Jahr sich neut? Wir haben keine Hilfe zu erharren.


ABIMELECH:


Mag es dauern, solang es Gott gefällt! Wir werden dauern wie die Zeit.


ZEDEKIA:


Der Herr erfülle dein Wort! (Zu den andern:) Ist eure Meinung gleicher Art?


PASHUR:


Wir müssen harren und gedulden, bis das Los des Sieges gefallen.


ZEDEKIA:


Und was ist dein Wort, Hananja?


HANANJA:


Nie wird Nabukadnezar uns obkommen! Weh denen, die kleinmütig sind und denen das Herz schmilzt im Leibe, es wäre besser, man schlüge sie mit der Schärfe des Schwerts.


IMRE:


Mein Auge ist trübe geworden, doch es hat dereinstens noch Salmanassar gesehen, der aufstund wider Israel, und es sah seiner Toten Schar vor den Mauern. Nie waren so fett die Schakale, denn das Jahr, da Jerusalem gegürtet war von den Feinden des Herrn. Und so wird er wiederum treffen, die wider uns aufstunden. Möge mein Auge nicht welken, ehe es diesen Tag erschaut. Ewig währet Jerusalem!


ABIMELECH, HANANJA, PASHUR:


Ewig währet Jerusalem!


ZEDEKIA (nach einer Pause):


Ich misse dein Wort, Nachum! Warum verharrst du in Schweigen?


NACHUM:


Düster sind meine Gedanken, mein König, und bitter meine Rede. Nicht drängt sich vor, dessen Sinn ohne Freude ist.


ZEDEKIA:


Ich rief euch, Rates zu halten. Willkommen, des Botschaft Labsal bringt, willkommen auch der, des Wort Warnung ist. Sprich frei vor uns allen!


NACHUM:


Ehe du mich entbotest zum Rate, bin ich in die Kammern des Korns gegangen und habe die Scheffel gezählt. Die Räume, die voll gewesen bis zum Speicher, sind licht und leer. Es geht nicht mehr an, daß jeder ein ganzes Brot erhalte des Tages.


(ALLE schweigen betroffen.)


ZEDEKIA:


Wurde nicht Korn aus den Dörfern geschafft? Ließ ich nicht Milchkühe und Vieh in die Mauern treiben?


NACHUM:


Elf Monde währet der Krieg, und viel fressende Mäuler flohen zur Stadt.


ZEDEKIA (nach einer Pause):


Es ist nicht vonnöten, daß jeder die volle Zehrung habe. Wir werden sparen.


NACHUM:


Auch bislang ward kein Körnchen verschwendet, mein König, und doch gähnen die Speicher. Gewaltigen Schlund hat die Zeit.


ZEDEKIA:


Und wie lange… meinest du… könnten wir ausharren… mit unserer Zehrung…


NACHUM (leise):


Drei Wochen, Herr, – zum längsten.


(ALLE schweigen wieder betroffen.)


ZEDEKIA:


Drei Wochen… und dann?


NACHUM:


Ich weiß nicht Antwort, Herr, Gott weiß sie allein.


(ALLE schweigen wieder.)


HANANJA (erregt):


Man teile die Brote. Man gebe jedem nur das Halbe oder ein Drittel. Genug lang haben sie gepraßt für sich und ihre Kebsen, nun mögen sie darben für den Herrn.


ABIMELECH:


Meine Krieger dürfen nicht geschmälert werden. Wer kämpfen soll, darf nicht darben.


HANANJA:


Alle müssen ihr Teil geben, auch die Krieger. Es gilt Jerusalem.


ABIMELECH:


Meine Krieger müssen Kraft haben. Lieber mögen die Unnützen verhungern, die Luftbläser und Wortemacher.


NACHUM:


Um Nichtiges rechtet ihr. Denn was wäre gewonnen, schnürten wir die Magen, wenn Hundertmaltausend in unsern Mauern sind? Drei Wochen reicht die Zehrung, und schlachten wir die Tiere des Tempels, so währet es zwei Sabbate mehr.


PASHUR:


Es muß mehr Stille sein zwischen uns. Wie die Feinde sprecht ihr gegeneinander. Wir müssen verbündet sein gegen Nabukadnezar und verbündet gegen das Volk. Nicht er und nicht sie dürfen wissen von unserer Not.


ZEDEKIA:


Und wenn er es wüßte bereits?


NACHUM:


Keiner kann es wissen. Ein Siegel drücke ich allmorgendlich an die Tür der Kammern und löse es mit eigener Hand. Nicht das Volk ahnt die Not, nicht Nabukadnezar.


ABIMELECH:


Gott sei gepriesen. Er würde unser nicht schonen.


ZEDEKIA:


Ich habe euch gerufen zum Rat, ihr Ältesten des Volkes. Nicht war mir bewußt, wie karg unsere Speise sei, und doch, meine Gedanken standen auf wider die Zeit. Nicht das Schwert allein endet die Kriege, oft sänftigt sie das Wort. Und ich rief euch, zu fragen, was ihr dächtet, wenn ich Botschaft sendete zu Nabukadnezar, daß wir fragten um den Frieden zwischen unsern Völkern.


HANANJA:


Keinen Frieden mit den Lästerern des Allmächtigen!


ABIMELECH:


Möge er senden zu dir, mein König! Nicht wir zu ihm!


PASHUR:


Gefährlich dünkt mich dies Beginnen. Er wird uns zu knechten suchen, sobald er unsere Botschaft gehört.


ZEDEKIA:


Anders denn eure sind meine Gedanken. Noch ist unsere Not ihm verborgen, doch in wenig Tagen wird er sie wissen. Wir müssen die Zeit des Geheimnisses nutzen.


NACHUM:


Wie wahr ist deine Rede, mein König! Wir müssen Gnade suchen bei Nabukadnezar, ehe seine Hoffart mächtig wird über uns.


ABIMELECH (erbittert):


Keine Gnade! Lieber den Tod!


PASHUR:


Gottes Gnade bedürfen wir, keiner andern!


HANANJA:


Feiger Verräter du, Krämer des Glaubens…


IMRE (mühsam):


Wann wird der Streit tot sein in euren Herzen! Wahr redet der König. Nicht zur letzten Stunde dürfen wir warten. Lasset uns ihm entgegengehen, solange wir noch aufrecht sind.


ABIMELECH:


Es ist zu spät schon. Die Toten vor den Mauern reden wider uns.


PASHUR:


Es ist zu spät. Zuviel Grimm hat der Krieg gehäuft.


ZEDEKIA:


Es ist nicht zu spät. (Er schweigt einen Augenblick.) Denn schon ist ein Bote gegangen zwischen Nabukadnezar und mir!


(ALLE aufspringend, wirr durcheinander.)


NACHUM:


Du hast Botschaft von ihm! Gesegnet sei die Stunde!


HANANJA:


Verrat! Du verhandelst mit den Feinden!


ABIMELECH:


Keinen Vertrag ohne unsere Stimme! Du hast unser vergessen!


PASHUR:


Was handelst du, König, ohne unsere Meinung? Wozu sind wir berufen?


ZEDEKIA:


Ruhe vor mir! Könnt ihr nicht warten auf einer Rede Ende! Wie die hungrigen Hunde zerfleischt ihr das erste Wort! (Pause. Er spricht ruhiger:) Ein Sendling ist gekommen von Nabukadnezar in mein Haus, Botschaft zu bringen. Nicht habe ich ihr gewehrt, nicht habe ich sie empfangen. Versiegelt noch harrt sie in seinem Munde. Ist dies Verhandeln, was ich tat, ist dies Betrug? Redet!


(ALLE schweigen.)


PASHUR:


Verzeihe, mein König. Schwer ist es, sein Herz zu halten, wenn es heilig Schicksal trägt.


ZEDEKIA:


An euch ist es, ihn zu hören oder ihn abzuweisen.


NACHUM:


Wir sind in Not. Wir müssen ihn hören.


IMRE:


Man höre ihn und mißtraue doch seinen Worten.


ABIMELECH:


Man höre ihn, doch erwäge, ob man ihn heimsende hernach, denn er mag ein Späher sein und gesandt, uns auszuschleichen.


ZEDEKIA:


Und ihr, Pashur und Hananja?


PASHUR:


Man höre ihn!


(HANANJA schweigt, wendet sich ab.)


ZEDEKIA:


Da keiner dawider spricht, sei er berufen. (Er tritt zur Tür und ruft:) Joab, hole den Boten! (Dann zurück zu den andern:) Fraget ihn aus, jeder nach seinem Dünken. Vielfach sei unser Fragen, doch einig unsere Antwort. Meidet, vor ihm uneins zu sein.


(BARUCH tritt ein hinter Joab, der den Vorhang über ihn hebt und dann verschwindet. Er verneigt sich vor dem Könige.)


ZEDEKIA:


Bist du es, der Botschaft bringt vom Könige Nabukadnezar an Israel?


BARUCH:


An dich hat er mich mit Botschaft gesandt.


ZEDEKIA:


Meine Räte sind dies. Wer zu mir redet, muß ihnen Antwort stehen, denn sie und ich, Israel und sein König, sind eines Gottes Wille. (Zu den andern:) Fraget ihn aus.


HANANJA (höhnisch):


Was geruhet die Gnade des heidnischen Königs…


ABIMELECH (hart unterbrechend):


Die Frage der Vorsicht zuerst! Wie ist dein Name?


BARUCH:


Baruch bin ich, der Sohn Sebulons, aus dem Stamme Naphtali.


ABIMELECH:


Unseres Blutes nennst du dich?


BARUCH:


Ich bin Diener des alleinigen Gottes, und zu Jerusalem steht meiner Väter Haus.


ABIMELECH:


Ist einem Kenntnis dieses Mannes?


PASHUR:


Seinen Vater kenne ich, rechtlich ist er, ein treuer Diener des Herrn.


ABIMELECH:


Wie fielest du in des Feindes Hand?


BARUCH:


Ich war gegangen, Wasser zu holen vom Brunnen Moria. Da faßten sie mich von den Schultern her und griffen mich.


ABIMELECH:


Und wie weisest du, daß du sein Bote bist? Ist geschrieben Zeugnis dir gegeben, gesiegelte Schrift?


BARUCH:


Er ließ seinen Ring an meine Hand tun, daß ich kenntlich sei seinen Kriegern für Eingang und Widergang. (Er hebt die Hand mit dem Ringe.)


ABIMELECH:


Ich habe keine Frage mehr. Er rede seine Botschaft.


BARUCH:


Da mich die Krieger griffen vor dem Tore, schleppten sie mich in des Königs Zelt. Sie führten mich vor sein Angesicht und frugen, ein Ebräer sei gefangen und ob sie mich vom Leben zum Tode bringen sollten. Doch der König wehrete ihnen und hielt mich elf Monde bis zum gestrigen Tage, da er mich frug: »Willst du Botschaft bringen an den König Zedekia?« Ich stund vor ihm ohne Furcht und sagte, daß ich willens sei. Da sprach Nabukadnezar: »Elf Monate lagere ich hier vor der Stadt, und ich habe geschworen, nicht eher zu weichen und bei einem Weibe zu liegen, bis diese Tore sich auftun vor mir. Doch nun ist des Harrens nicht länger. Lange habt ihr mir widerstanden, doch nun reifet der Zorn in mir: fürchtet seine Frucht! Will der König sich bedenken, so möge er eilen. Kein Volk hat mir besser widerstanden, gegen keines will ich milder sein, so ihr euch eilet, die Gnade zu nehmen.«


ABIMELECH:


Nabukadnezar ist ein großer Krieger. Ehre ist es, ihm widerstrebt zu haben elf Monde lang.


BARUCH:


Und er sagte ferner – die Krone trug er zu Häupten, wie ich nie eine gesehen, funkelnd von Gold und Edelgestein: »So ihr die Tore noch auftut und euch beugt, ehe der volle Mond sich neut, will ich euch das Leben lassen. Jeder möge seines Weinstocks pflegen und in Frieden von seinem Feigenbaume essen. Ich will nicht Blut von euch, obzwar ihr Blut vergossen, ich will nur den Ruhm und den Sieg. Ich will, daß die Völker von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang des Neuen gewahr werden, daß kein Trotz ist wider mein Schwert, der nicht zerbräche, und kein König, der mir sich nicht beugete, dem König der Könige. Des will ich ein Zeichen, und dauern möge eure Stadt und eure Tage.«


NACHUM:


Milde dünkt mich die Botschaft.


PASHUR:


Zu milde, als daß ich ihr traute.


ZEDEKIA:


Doch das Zeichen! Welches Zeichen fordert Nabukadnezar?


BARUCH:


Er sagte: Also sprich mein Wort zu Zedekia: »Ich habe die Krone gelassen auf deinem Haupte, weil sie ein Kind war der meinen, ein Kind meiner Gnade. Doch du hast aufgereckt dein Haupt wider mich, so mußt du wieder es beugen; du warst König durch meine Gnade vordem und sollst es wiederum werden durch meine Gnade, doch meinem Zorne mußt du zuvor Buße tun und deiner Hoffart.«


ZEDEKIA (ruhig, sehr langsam):


Was fordert König Nabukadnezar von mir, daß ich tue?


BARUCH:


Er sprach: »Der aufstand wider mich, muß sich beugen, und der die Stirne reckte wider mich, dessen Rücken will ich sehen. Wenn ich einschreite durch das Tor, soll Zedekia mir entgegengehen vom Tor des Tempels bis zum Walle, die Krone in Händen und ein hölzern Joch auf seinem Nacken…«


ZEDEKIA (auffahrend):


Ein Joch?


BARUCH:


»Ein Joch, auf daß alle gewahr werden, daß sein Starrsinn gebrochen sei und sein Hochmut sich beuge. Und ich will ihm entgegengehen und das Joch nehmen von seinem Nacken und die Krone wieder setzen auf sein Haupt.«


ZEDEKIA:


Nie wird das Haupt eine Krone tragen, des Nacken ein Joch gefühlt. Niemals! (Er steht auf.)


ABIMELECH:


Nie werde ich es dulden. (Er steht gleichfalls auf.)


(DIE ANDERN bleiben schweigend sitzen.)


NACHUM (endlich nach einer langen Pause nachdenklich):


Vom Tor des Tempels sagte er, bis zur Mauer der Stadt?


PASHUR:


Hundert Schritte kaum sind es… nicht mehr…


IMRE:


Nicht siebenzig sind es… nicht siebenzig…


ZEDEKIA (sich umwendend in Zorn):


Die Schritte zählet ihr schon, die ich tun soll, den Nacken unter das Joch gespannt wie der Stier vor dem Pflug? Ist Wahnsinn in euch gefahren, daß ihr meint, ich würde mich beugen? Wart ihr nur mutig mit mir, solange es euer Leben galt und euer Gespartes, und nun, da der Freche euch befriedet, verschachert ihr meine Schmach? Feiglinge seid ihr…


PASHUR:


Mit deinem Eide hast du gelobt, mein König, daß jeder frei vor dir sage, was sein Herz ihm gebietet.


ZEDEKIA:


Zum rechten erinnerst du mich. Verzeih meinem Blute. Sprecht frei nach eurem Herzen.


NACHUM:


Hart ist Nabukadnezars Heischung, doch härter die Not. Man möge ihm willfahren. Nicht aber meine, daß wider deine Ehre ich rede, mein König. Habe ich bislang mich gebeugt in Ehrfurcht vor dir, so will ich noch tiefer mich neigen vor dem, der die Not des Volkes auf den Nacken genommen, der sich erniedrigt, auf daß Israel erhöhet sei. Denn wahrlich, Königstat ist es, zu leiden für sein Volk.


PASHUR:


Und ich, mein König, neide dir deine Stunde. Denn selig ist es, zu leiden für seine Brüder. Siebenzig Schritte hast du unter dem Joche zu gehen, und Siebenzigmaltausend rettet dein Schreiten.


ZEDEKIA:


Leicht ist euch, was mir Tod ist. Alle, alle wider mich! Und du, Hananja?


HANANJA:


Ich schweige, mein König. Dein ist die Tat!


ZEDEKIA:


Schweigst du jetzt, Profet! Noch sind die Ohren mir voll deiner Verheißung. Alle, alle wider mich in der Not! So wollt ihr mich zwingen?


ABIMELECH:


Ferne sei es uns, zu zwingen den Gesalbten des Herrn. Frei walte sein Wille!


ZEDEKIA:


Frei! Schicksal habt ihr geladen auf mein Leben, und nun ich stöhne und stürze, tretet ihr abseits und laßt mich ihm allein. (Er geht auf und ab, dann tritt er wieder zum Fenster.) Mauern und Türme, Häuser und Lager, alles, alles auf mein stöhnend Herz, Schicksal von Tausend auf Tausend gehäuft auf mein Leben! Wie das tragen, ohne hinzusinken, wie es ertragen! (Er geht wieder auf und ab. Plötzlich:) Noch einmal wägt euern Beschluß, prüfet bis ins Mark euer Meinen. Ist es euer aller Geheiß, daß ich unter das Joch trete für Israel?


(ALLE schweigen. Dann sagt:)


NACHUM (als erster):


Ich flehe dich an, daß du es tuest für uns und unsere Kinder.


IMRE:


Für die Stadt und das Land.


PASHUR:


Für den heiligen Tempel und den Altar.


HANANJA:


Für Gott, der es heischt von dir.


(ABIMELECH schweigt und birgt sein Gesicht.)


ZEDEKIA (geht wieder auf und ab. In ihm wogt ein innerer Kampf. Endlich tritt er vor. Seine Stimme ist ernst und feierlich):


Ich will tun, wie ihr gebietet. Ich will meinen Stolz nehmen und ihn zerbrechen wie ein Rohr, ich will das Joch nehmen auf mein Haupt.


(ALLE wollen erregt sprechen. Er winkt ihnen, zu schweigen.)


ZEDEKIA:


Ich will die Krone nehmen von meiner Stirne und sie darbieten mit den Händen, wie jener es gebot. Aber heilig ist die Krone Israels, und kein Haupt soll sie tragen, dessen Nacken ein Joch geschleppt. So ich abgetan von mir das Holz der Schmach, tue ich auch ab Zepter und Ring von mir in meines Sohnes Hand. Jung ist er, doch ihr werdet ihn beraten. Schwöret ihr, daß ihr Treue bietet, daß ihr das Volk ihm zuscharen werdet und ihn kleiden mit Krone und Ring an meiner Statt?


PASHUR (ergriffen):


Ich schwöre es, mein König.


IMRE, HANANJA, NACHUM:


Wir schwören es.


ABIMELECH:


Wie ein König hast du getan, Ruhm deinem Namen!


NACHUM:


Ewiges Gedenken dem König Zedekia.


ZEDEKIA:


So mögen stehen die Mauern und die heilige Burg, wenn ich hinsinke in Staub; besser ich, denn die Stadt. Ewig währe Jerusalem!


ALLE (begeistert):


Ewig währet Jerusalem!


ZEDEKIA (zu Baruch):


Du hast gehört, Knabe! So gehe hin zum Könige und sage ihm an: Zedekia, der Herrscher war und aufstund wider ihn, beuget sich vor ihm, auftun sich die Tore seiner Gnade. Gehe hin und eile, denn es drängt mich, bald vor die Tür meines Hauses zu treten und es dem Volke zu sagen das köstliche Wort: Friede.


BARUCH (unruhig, leise):


Ich höre, mein König. Doch eines noch hieß der König mich melden, eines noch heischt er von uns.


ABIMELECH (auffahrend):


Noch mehr? Genügt ihm noch nicht diese Schmach?


BARUCH:


Ein Geringes nur nannte er es. Doch mich dünkt es groß.


ZEDEKIA:


Was fordert sein Stolz noch mehr?


BARUCH:


Er sprach: »Ich will nehmen das Joch vom Nacken des Königs und die Krone wieder legen auf sein Haupt. Und er möge zu meiner Linken gehn, damit man erkenne, daß ich ihn ehre als meiner Krone Geschwister und Kind. Aber noch einer ist in euern Mauern, von dem die Völker sagen, daß er mächtiger sei denn alle, und diesen verlangt es mich, zu sehn. Sie sagen, ein Gott sei in euern Mauern, dessen Blick ihr berget vor den Menschen hinter zeltenen Wänden und den keiner ertrüge zu schauen. Aber fremd ist mir Furcht, und ich will vor ihn treten, daß ich ihn kenne. Ich werde nicht rühren an seinen Altar, nicht fassen nach seinem Brote, nicht gieren nach seinen Schätzen. Einlaß nur heische ich von euch, denn es lüstet mich, den zu kennen, der gewaltiger wäre als ich.« So sagte Nabukadnezar.


PASHUR:


Niemals! Niemals!


HANANJA:


Die Flamme des Herrn möge ihn fressen, den Frevler!


PASHUR:


Lieber in Staub den Tempel als entweiht!


IMRE (bestürzt):


Das Allerheiligste heischt er zu sehen! Furchtbar ist das Verlangen!


PASHUR:


Frevel ist es und heidnischer Hochmut! Sende heim den Boten, mein König, sende ihn heim!


HANANJA:


Sende ihn heim! Nie darf dieses geschehen!


NACHUM:


Übereile nichts, mein König. Wir sind entboten, eines Volkes Wohl zu erwägen.


ABIMELECH:


Tausend Tode lieber als diese Schmach.


PASHUR:


Und ich sterbe mit euch! In eurer Mitte, ihr Krieger!


HANANJA (wild):


Sende ihn heim, König. Lieber Tod als diese Schmach!


IMRE:


Wie ihr doch redet vom Sterben! Wie leicht werft ihr das Wort! Siebenzigtausend tötet euer Trotz, bedenket es, ihr Eilfertigen!


PASHUR:


Willst du es preisgeben, Gottes Heiligtum?


IMRE:


Auch das Leben ist ein Heiligtum von Gott, Gott selbst ist das Leben. Warum überhebst du dich, Gottes Anwalt zu sein?


HANANJA:


Es wäre Schmach ohne Ende und Triumph vor den Heiden, ginge er hin und sagete: Ich habe Jahwes Antlitz gesehn.


NACHUM:


Mögen sie jauchzen, unsere Feinde, möge vergehen unser Stolz. Doch die Stadt möge überdauern unsern Stolz und unser Leben. König, mein König, errette Jerusalem!


HANANJA:


Nein! Sende ihn heim! Sprich das Wort! Sprich das Wort!


ZEDEKIA:


Ich bin die Hand nur, die wägt. Mein eigen Herz halte ich nieder. Eilet, entscheidet, zählet die Stimmen! Zählet und eilet, daß ein Ende sei im Bösen oder im Guten.


IMRE:


Der Älteste bin ich und sage: man erfülle Nabukadnezars Gebot.


HANANJA:


Man erfülle es nicht. Gott wird uns helfen.


PASHUR:


Ich schachere nicht um Gottes Antlitz. Niemalens diesen Frevel!


NACHUM:


Gottes Stadt für ewig. Man sende den Boten.


ZEDEKIA:


Und du, Abimelech?


ABIMELECH:


Nicht dein Berater bin ich, mein König, dein Diener bin ich und dein Schwert. Bei ja und nein, in Leben und Tod steh ich zu dir.


ZEDEKIA:


Zwei Stimmen gegen zwei und in mir selbst sind zwei Stimmen! Widerstreit um mich und Widerstreit in mir! Wie soll ich entscheiden? Weggestoßen habe ich meinen Willen und euch zugeworfen, doch wie das Meer schleudert ihr ihn mir zurück und schauernd halte ich ihn in Händen. Muß ich selbst sie werfen, die Würfel, die fürchterlichen?


PASHUR:


Gott wird dich erleuchten!


ZEDEKIA:


Daß er doch spräche zu mir! Oh, selig die Ahnen, denen er sich noch auftat im Gewölk! Ich habe ausgereckt meine Hände nach ihm und mein Herz, doch verschlossen sind mir seine Himmel. Im Dunkel tappe ich, und meine Hände greifen nur Ungewisses. Betet für mich, daß ich das Rechte finde!


NACHUM:


Unsere Liebe ist mit dir, mein König!


ZEDEKIA:


Die Sterne werden blaß, und ehe die Nacht sich wendet, muß ich ja sagen oder nein, und vielleicht ist nein ja und ja ist nein. Möge Gott mich erleuchten. (Er steht auf, alle erheben sich.) Lasset mich allein! Euer Zwiespalt mehrt nur den meinen. Ich werde entscheiden, wie mein Herz mir sagt, und vielleicht, ehe ihr heimkehret, ist der Spruch gefallen; wie in Kindesnot die Gebärerin, krümmt sich mein Herz, daß es das Rechte gestalte. Betet, ihr Freunde, betet, daß ich das Rechte erwäge für Israel! Betet für mich, betet für Jerusalem!


PASHUR:


Gott möge dich erleuchten! Mein Auge wird nicht den Schlummer sehen, ehe du entschieden. Ich harre vor dem Altare!


HANANJA (im Abgehen):


Gedenke Gottes!


NACHUM (gleichfalls):


Gedenke der Stadt!


IMRE:


Gedenke der Kinder, gedenke der Frauen!


ABIMELECH:


Du findest mich bei dir in Leben oder Tod.


(ALLE gehen ab. BARUCH allein ist wartend stehen geblieben.)


BARUCH (leise):


Soll ich mit ihnen, mein König?


ZEDEKIA (aus seinen Gedanken auffahrend):


Wie sagst du? (Sich erinnernd): Nein, du bleibst!


(BARUCH bleibt wartend in der Nähe der Türe stehen. ZEDEKIA beginnt unruhig auf und ab zu gehen. Er blickt auf die Stadt, starrt lange hinaus, wandert wieder auf und nieder. Dann wendet er sich plötzlich scharf um.)


ZEDEKIA:


Noch heute fordert Nabukadnezar mein Wort?


BARUCH:


Noch heute! Denn morgen neut sich der volle Mond.


ZEDEKIA (geht wieder auf und ab. Dann plötzlich):


Du bist vor seinem Antlitz gestanden! Sprach er vor vielen mit dir oder im geheimen?


BARUCH:


Er ließ mich in sein Gemach entbieten. Nur sein Schreiber war gegenwärtig und sein Vertrauter.


ZEDEKIA:


Und wie war seine Weise, da er zu dir sprach?


BARUCH:


Stolz schien mir seines Wesens Art vor allem. Er sprach gütig zu mir und schien sich zu freuen, daß er so gütig zu sein vermochte; und da die andern ihn deshalb priesen, sonnte er sich in ihrem Wort.


ZEDEKIA:


Und da er drohete, wie war er?


BARUCH:


In Finsternis hüllte er sein Gesicht und stampfte mit dem Fuße. Aber ich merkte, daß auch dies nur getan sei, daß man vor seiner Größe schaudere und ich Botschaft brächte seines Zorns.


ZEDEKIA:


Und frug er dich nach mir?


BARUCH:


Sein Vertrauter wollte mir Kundschaft ablocken, er aber duldete es nicht.


ZEDEKIA:


Hoffärtig ist er und sein Trotz ein Gewitter über unsern Häupten. Aber ich fürchte ihn nicht. Ich fürchte ihn nicht. (Er geht auf und ab.) Keine Frage hat er getan nach mir?


BARUCH:


Nein, mein König.


ZEDEKIA:


Nichts sind wir ihm, ein Häufchen Staub unsere Mauern. Aber er möge Trotz finden für sein Trotzen. Elf Monde stößt seine Stirne gegen unsere Wälle, und kein Lächeln sind wir ihm wert. Für ein Wort bin ich ihm zu gering und für einen Atem die Stadt. Aber noch ist mein Joch nicht geschmiedet, noch stehen die Mauern Jerusalems. (Er geht heftiger auf und ab.) Noch heute, sagst du, verlangt er die Botschaft, noch heute?


BARUCH:


Morgen neut sich der volle Mond.


ZEDEKIA:


Warten haben wir ihn gelehrt, und noch immer hat er es nicht gelernt. Nicht bin ich der Springer seiner Ungeduld, nicht seiner Launen Ball. Will er nicht warten länger als einen Tag, so soll er warten lernen Wochen und Monde. (Sich aufrichtend.) Noch heute bringst du Botschaft an Nabukadnezar! Melde ihm…


BARUCH (erschreckt):


Mein König! Nicht im Zorne entschließe dich!


ZEDEKIA (ganz starr vor Erstaunen):


Was erkühnst du dich?


BARUCH (flehend):


Mein König, ich sah den Grimm auf deinem Antlitz und erschrak vor der Botschaft.


ZEDEKIA:


Was maßt du dir an? Nicht in mein Antlitz hast du zu schauen, sondern Worte zu bringen. Und ich befehle dir… Warum zitterst du?


BARUCH:


Furchtbar ist es, Bote zu sein harter Botschaft.


ZEDEKIA:


Hast du Furcht, sie Nabukadnezar zu bringen?


BARUCH:


Nicht ihn fürchte ich – ich fürchte die Botschaft.


ZEDEKIA (erstaunt):


Was fürchtest du?


BARUCH:


Wider uns wird sie fahren, die Flamme deines Zorns! (Plötzlich in die Knie stürzend:) König, mein König, nicht im Zorne entschließe dich, rette, rette die Stadt!


(ZEDEKIA ist in höchstem Erstaunen zurückgetreten.)


BARUCH:


Ich flehe dich an auf den Knien, rette Jerusalem, rette Jerusalem! Recke aus deine Hand, daß sie den Frieden fasse, sonst stürzen die Mauern und sinkt der Tempel in Staub. König, mein König, tu auf die Tore, tu auf dein Herz!


ZEDEKIA (grimmig):


Tu auf die Tore, tu auf dein Herz – ich kenne dieses Wort. Nicht du sprichst zu mir, du Frecher. Es ist einer hinter dir, der redet wider mich…


BARUCH:


Niemand, mein König: ich flehe aus der Tiefe meiner Angst. Wahrheit will ich dir sagen. Nicht gefordert hat mich Nabukadnezar zu sich, ich sah, daß zögerten die einen und die andern zum Frieden; da ging ich hin zu ihm freien Herzens, daß ich das seine erweichte. Sein Gewand faßte ich an und flehte, elf Monde, Tag für Tag, bis er mir Botschaft gab an dich.


ZEDEKIA:


Das hast du getan? Ein Knabe, ein Kind, bist du gegangen, während wir sprachen und rieten, bist du gegangen zum König der Könige, um Frieden zu holen?


BARUCH:


So habe ich getan in meines Herzens Not, mein König.


ZEDEKIA (ihn lange ansehend; plötzlich scharf):


Nicht du hast diese Tat ersonnen, nicht du!


BARUCH:


Niemand hat mich sie geheißen.


ZEDEKIA:


Das ist nicht wahr. Kein Knabe sinnt solche Taten aus.


BARUCH:


Ich schwöre, mein König, ich tat es allein. Unwissend war er ihrer, nicht hat er sie befohlen noch gebilligt.


ZEDEKIA:


Wer ist dieser, der dir gebietet?


BARUCH (ausflüchtend):


Mein Lehrer, mein Meister.


ZEDEKIA:


Wer ist dein Meister, frage ich, wer gebietet den Knaben in dieser Stadt?


BARUCH:


Gottes Diener und Profet ist mein Meister – Jeremias.


ZEDEKIA (ausbrechend):


Jeremias! Er, immer er! Immer der Schatten hinter meiner Tat, immer in Aufruhr wider mich! In den Kerker habe ich ihn verschlossen, aber noch immer schreit er zu mir wie am ersten Tage: Friede, Friede! Was drängt er sich vor? Was will er mich verwirren, was quert er meinen Weg? Wo ich mich wende, ist auch er, im Palast, in der Stadt, und durch seine Boten wirft er sich auf wider mich. Was verfolgt er mich?


BARUCH:


Du irrst, mein König! Jeremias liebt dich mehr, denn einen andern dieser Stadt.


ZEDEKIA:


Ich brauche seine Liebe nicht, ich speie sie an und zerblase seinen Zorn! Wer ist er, daß er wagt, mich zu lieben? Darf einer aufstehn in der Gasse und künden, er liebet mich oder liebet mich nicht? Was stößt er sich zwischen mich und meinen Entschluß? Will er mehr sein als ich? Ich bin der König, ich allein! Möge er schreien: Friede, Friede! nicht seine Hand hält Jerusalems Geschick. Ich bin der König, und nicht rühmen soll er sich, er habe mich geschreckt mit seinen Träumen. Eher sinke die Stadt, als daß sie gerettet sei durch Jeremias! (Zu Baruch): Du gehst zu Nabukadnezar und sagest ihm an: Nie wird Zedekia ein Joch tragen, nie hebt er den Vorhang des Heiligsten. Möge er kommen mit seinen Völkern, Zedekia ist ihm bereit.


(BARUCH, im Schrecken beide Hände hebend, will sprechen.)


ZEDEKIA:


Kein Wort! Und bringst du die Botschaft nicht, so fällt Jeremias Haupt. Zweimal habe ich seines Lebens geschont, doch zu Ende ist meine Milde. Nicht will ich Richter hinter mir und Schatten hinter meiner Tat, ich will sterben als König zu Jerusalem.


(BARUCH hebt noch einmal die Hände.)


ZEDEKIA:


Ein Wort dawider, und sein Haupt sinkt hin. In deinen Händen ist meine Botschaft, ist Jeremias Haupt. Geh! Ich befehle dir: geh!


(BARUCH bleibt noch einen Augenblick stehen, dann verhüllt er sein Antlitz und wendet sich ab.)


ZEDEKIA (hat sich drohend aufgerichtet gegen den Zögernden. Wie Baruch abgeht, fällt sein ausgereckter Arm nieder wie zerbrochen, sein Antlitz verdüstert sich wieder von neuem. Plötzlich sich aufreckend):


Vorbei! Ein Ende, ein Ende! Nur nicht mehr die Qual! (Er geht wieder auf und ab, hebt den Vorhang und sieht lange stumm sinnend auf die Stadt. Endlich stampft er zweimal mit dem Fuße.)


DER KNABE SCHWERTTRÄGER (erscheint):


Mein König?


ZEDEKIA:


Wein! Bring mir Wein! Ich will schlafen, schwarz und tief, schlafen ohne Träume!


(DER SCHWERTTRÄGER bringt hastig einen Krug und füllt den silbernen Becher. Zedekia stürzt ihn gierig hinab. Sein Gesicht wird wieder unruhig.)


ZEDEKIA:


Wer ist draußen im Gange? Ich höre einen Schritt. Ist der Späher nicht gegangen, zögert er noch?


SCHWERTTRÄGER:


Er ist gegangen, Herr! Der draußen wacht, ist mein Bruder Nehemia.


ZEDEKIA:


Er soll nicht so laut schreiten des Nachts vor meinem Schlafgemach. Ich will nichts hören um mich. Ich will schlafen. Auch ich will schlafen wie die andern.


SCHWERTTRÄGER:


Es soll geschehen, Herr! (Er schlägt die Vorhänge des Pfühles auseinander und verhüllt die Ampel. Nur ein trüber Schein von Mondlicht glänzt in den Raum.)


SCHWERTTRÄGER:


Soll ich dir noch lesen aus den heiligen Büchern, mein König, wie gestern und ehetags?


ZEDEKIA:


Aus den Büchern?… Nein, laß die Bücher, auch sie wissen nicht Rat. Ich will schlafen, schlafen einmal wie die andern. Meine Lider brennen, und mein Herz brennt mit.


SCHWERTTRÄGER (hilft ihm aus dem Obergewand. Zedekia wirft sich auf das Ruhelager):


Gott schütze deinen Schlummer, mein König.


(ZEDEKIA breitet sich hin.)


(SCHWERTTRÄGER ruft Nehemia. Sie stellen sich schweigend ins Dunkel zu Häupten des Bettes, reglos auf ihre Lanzen gestützt. Die Lampe ist ganz verhüllt, nur das Fenster wirft Mondlicht auf den Teppich zu Füßen des Pfühles. Riesengroß stehen die Schatten der Wachenden an der Wand. Es ist ganz still. Man hört aus dem Hofe jetzt das leise plätschernde Rauschen eines Springbrunnens. Sonst ist alles wie erstorben. Die beiden rühren sich nicht. Die Zeit fließt stumm weiter.)


ZEDEKIA (plötzlich wild aufspringend und sie anfahrend):


Was flüstert ihr miteinander? Habe ich nicht Stille befohlen?


SCHWERTTRÄGER (erschrocken):


Wir sprachen nichts, mein König.


ZEDEKIA:


Aber es spricht jemand! Wer dringt in meinen Schlaf, wer frißt an meinem Schlummer? Sie sollen schlafen jetzt alle, alle, damit ich schlafen kann! Ist jemand noch wach in den Nebengemächern?


SCHWERTTRÄGER:


Niemand, mein König. Niemand ist wach mehr im Hause.


ZEDEKIA:


Niemand ist wach mehr, nur ich, nur ich! Warum auf mich alle Last, die Mauern der Stadt und die Türme der Sorgen? Wein, gib mir Wein!


(SCHWERTTRÄGER gibt ihm wieder den Becher, Zedekia stürzt ihn hastig hinab und schleudert ihn weg. Er stöhnt und legt sich wieder auf das Ruhebett. Wieder wird es ganz still. Wieder hört man durch die Stille das Rauschen des fernen Springbrunnens. Es ist ein leises Tönen davon in der Luft, einlullend und geisterhaft. Reglos stehen die Schatten der beiden Wächter, dunkel im Dunkel. Wieder rinnt Zeit vorbei.)


ZEDEKIA (der reglos gelegen, richtet sich im Dunkel ganz leise auf. Wie ein Tier im Ansprang, krümmt sich sein Körper in der Anstrengung des Lauschens, er krampft sich immer mehr zusammen, und plötzlich schreit er heftig):


Es spricht! Es spricht! Es spricht hier von irgendwo. Ich höre eine Stimme, ich höre, ich höre sie. Und es soll niemand jetzt reden in meinem Haus. Wie Gesang tönt es her, es soll niemand jetzt singen in meinem Haus. Hört ihr es, hört ihr es nicht?


SCHWERTTRÄGER:


Ich höre nichts, mein König!


NEHEMIA:


Nichts habe ich vernommen…


ZEDEKIA (sieht beide starr an, dann krümmt er sich wieder auf seinem Lager zusammen, horcht und plötzlich wieder losbrechend):


Und doch! Es spricht! Es spricht! Es spricht ohne Ende! Hieher, Schwertträger, hier, unter meinem Ohr. Wie ein Maulwurf wühlt es im Schwarzen meines Schlafes und frißt meine Ruhe. Hörst du, hörst du es nicht?


SCHWERTTRÄGER (lauscht. Es ist einen Augenblick ganz still. Dann schaudernd):


Ich höre eine Stimme. Aus der Tiefe dringt sie empor!


ZEDEKIA:


Ah, du hörst sie auch!


SCHWERTTRÄGER (schaudernd):


Es tönt wie Gesang. Die Geister der Tiefe sind wach unter dem Haus. Es klagt und stöhnt wie ein gefesseltes Tier.


NEHEMIA:


Vielleicht ist es Wind, in eine Spalte verfangen?


ZEDEKIA:


Nein, Worte sind es, ich fühle sie, ohne sie zu fassen. Wer singt hier nachts in meinem Haus? Ist den Sklaven so wohl, daß sie singen, indes ich, der König, hier liege mit brennenden Lidern? Geh, Joab, und mache ihn stumm.


(SCHWERTTRÄGER eilends ab.)


ZEDEKIA (bleibt gekrümmt horchend. Er scheint etwas zu hören, denn er hebt den Kopf, dann beugt er sich wieder horchend nieder. Plötzlich hört man drei dumpfe Schläge. Der König horcht gierig. Dann aufatmend):


Gott sei gedankt. Es schweigt! Es ist stumm! Er hat es stumm gemacht!


(SCHWERTTRÄGER erscheint wieder an der Tür. Er blickt verstört.)


ZEDEKIA:


Wer war es, der da sprach?


SCHWERTTRÄGER (zitternd):


Ich weiß es nicht, Herr. Ich bin ihm nicht genaht. Wie ich niederstieg zur Halle, hörte ich stärker das Singen, aus der Tiefe der Erde schien es zu kommen, und grauenhaft tönten die Worte. Ich ging nach, wo sie tönten, und fand doch keinen, der sang in der Halle, immer war es tiefer als ich, immer tiefer, wie aus einem Brunnen klang es empor oder einer Grube. Und ich hörte seine Worte, die waren fürchterlich. Dreimal stieß ich den Speer auf die Erde. Und da schwieg die Gehenna.


ZEDEKIA:


Was tönte die Stimme?


SCHWERTTRÄGER (schaudernd):


Ich… ich kann es nicht sagen!


ZEDEKIA:


Ich befehle dir: sage die Worte!


SCHWERTTRÄGER:


Lästerung war es, mein König, die aufströmte vom Brunnen.


ZEDEKIA:


Was waren die Worte? Bei meinem Zorn!


SCHWERTTRÄGER (schaudernd. Seine Stimme wird psalmodierend im Gesang):


So sang es von der Tiefe:
Ich habe mein Haus verlassen müssen
Und mein Erbe meiden,
Und was meine Seele liebet, in der Feinde Hand geben.
Meine Augen fließen mit Tränen Tag und Nacht
Und hören nicht auf,
Denn die Jungfrau, die Tochter meines Volks,
Ist greulich zerplagt.


ZEDEKIA (aufschreiend):


Jeremias! Er, immer er!


SCHWERTTRÄGER (wie begeistert weitersingend):


Wehe, wie hat der Herr die Tochter Zion
Mit seinem Zorn überschüttet!
Er hat die Herrlichkeit Israels
Vom Himmel auf die Erde geworfen,
Er hat die Mauer seiner Paläste
In des Feindes Hände gegeben,
Daß sie im Hause des Herrn geschrien haben
Wie an einem Fest.
Er hat…


ZEDEKIA (ausbrechend):


Schweig still! Schweig still! Ich will es nicht hören. Ich will nicht! Immer er, immer er! Auf jeden Kreuzweg ist er gestellt, da ich schreite, hinter meinen Taten rennen seine Rufe, in meine Träume drängt er sich ein und füttert meinen Zwiespalt. Wie ihm entrinnen, dem Schatten, dem fürchterlichen? Aus der Grube noch schreit er zu mir! Wie ihm entfliehen, der mich verfolgt, wie ihm entgehen, der allerorts ist? Wer befreit mich von ihm…


SCHWERTTRÄGER:


Herr, ist es dein Feind, so… (Er macht eine Bewegung.)


ZEDEKIA (aufgeschreckt aus seinem Zorn, starrt ihn fassungslos an. Dann in erwachendem Stolz):


Du meinst… Nein, ich fürchte ihn nicht. Ich fürchte niemanden. Und ich weiß nicht, ob er mein Feind ist. Vielleicht war es töricht, vor ihm zu flüchten… Vielleicht… (Er geht unruhig auf und ab): Schwertträger!


SCHWERTTRÄGER:


Mein König?


ZEDEKIA:


Geh hinab und schließe auf die Düngergrube. Nimm mit deinen Bruder Nehemia, und bringet den Mann aus der Tiefe vor mich her. Geheim muß er gebracht werden und im geheimen wieder hinab.


(DER SCHWERTTRÄGER und sein Bruder eilig ab.)


ZEDEKIA (allein. Er spricht halblaut vor sich hin):


An jedem Kreuzweg hinter meinem Rücken und immer zu spät, und immer muß ich ihn hören. Warum rief ich nur Gott, der mir schweigt, und nicht alle, die sagen, daß er rede durch sie? Aber warum reden sie einer gegen den andern und widersprechen sich, wie ja dem nein? Wie sie erkennen, wie scheiden das Falsche vom Wahren? Furchtbar, furchtbar dieser Gott, der immer nur schweigt und dessen Boten keiner erfaßt!


(JEREMIAS erscheint, begleitet vom Schwertträger, der auf eine Gebärde Zedekias sofort den Raum verläßt. Sein Antlitz ist fahl und abgemagert, schwarz wie aus einem Totenschädel schauen die Augen aus einem weißen, knöchernen Gesicht. Er blickt den König ruhig forschend an.)


ZEDEKIA (nach einer kurzen Betretenheit):


Ich habe dich rufen lassen, Jeremia. Warum störst du meine Ruhe? Was singst du des Nachts, da alle schlafen, und schläfst nicht auch?


JEREMIAS:


Dem, der da wachen soll über das Volk, ist kein Schlafen verstattet, und zum Wächter bin ich gesetzt und zum Warner.


ZEDEKIA:


Wahr sprichst du, Jeremias, nicht ist jetzt Zeit zu ruhen in Jerusalem, und bei Gott, ich habe nicht geruht. Ratschluß habe ich gehalten mit den Dienern meiner Krone, aber nicht ward still meine Seele daran. Die Freunde habe ich vernommen, die meines Sinnes sind, doch noch verlangt es mich, den zu vernehmen, der wider mich ist in Jerusalem.


JEREMIAS:


Nie ward mein Herz wider dich, mein König, nur meine Rede wider dein Tun.


ZEDEKIA:


Und nie war ich dir feind, sei des eingedenk in dieser Stunde! Wenn ich dich verschloß, so war es, dich zu retten vor deinen Widersachern. Heilig war mir dein Haupt um deiner Kühnheit willen. Doch nun sprich zu mir nicht, wie du am Markte sprichst, sondern in deiner Seele und vor Gottes Ohr. Nahe bist du vielleicht deinem Ende, und die Bücher sagen, daß Worte wahr sind im Antlitz des Todes.


JEREMIAS:


Nicht näher bin ich dem Tode, Zedekia, als du selbst. Auf einem Blatte des dunklen Buches ist unsere Stunde gezeichnet.


ZEDEKIA:


Ich bin nicht dein Feind: möge sie dir ferne sein!


JEREMIAS:


Zweimal habe ich gesprochen zu dir, Zedekia, König von Israel, doch nur deinen Rücken traf meine Rede, und vor dir lief schon die Tat. Nun spreche ich in dein Antlitz und frage dich, was begehrst du von mir?


ZEDEKIA:


Viel ist von den Dingen wahr geworden, Jeremias, die du geweissagt, und deine Stimme ward stärker in meiner Seele. Nabukadnezar ist gekommen von Mitternacht mit Rossen und Wagen, wie du gesehen im Traum, und gürtet die Stadt. Nichts ist ihm gelungen bislang, doch mächtig hilft ihm die Zeit. Ein Geheimnis will ich dir künden. Karg wird in den Mauern das Brot.


JEREMIAS:


Ich weiß es, Herr.


ZEDEKIA:


Wie kannst du es wissen? Keiner hat die Säcke gezählt, als Nachum, der Hüter. Wie gibst du vor, es zu wissen, der du beim Dünger liegst unter der Erde?


JEREMIAS:


Das Brot ist kleiner geworden und kleiner, das sie mir in die Grube reichen, kaum deckt mirs die Spanne der Hand. Und ich höre die Hunde winseln des Nachts und scharren in den Knochen, denn keiner wirft ihnen mehr Weiches zu. So ward mir die Not bewußt.


ZEDEKIA (noch gereizter):


Die Hunde wissen es in den Gassen, die Versenkten in ihrer Grube, und mich, den König, hat man heut es gelehrt. Auf den Gassen geht die Wahrheit um und weilet dort lange, ehe sie kommt zu den Königen.


JEREMIAS:


Wie soll Wahrheit dorthin eilen, wo Dünkel weilt? Ist ihr denn Willkomm bei den Königen? Hart ist das Ohr der Könige und nur aufgetan der Honigrede, ihre Hüften umgürtet mit Hochmut und ihre Füße umnestelt mit Schmeichlern. Sie meinen, die Hochmütigen, man könne Feuer fassen, ohne sich zu brennen, und ins Schwert greifen, ohne sich zu schneiden. Wer aber den Frieden stört, dem wird er verstöret werden, und wer Wind in die Welt gesäet, wird Sturm ernten in seiner Seele.


ZEDEKIA:


Jeremia, zum Rat habe ich dich gerufen, nicht zur Schmähung! Aus deiner Tiefe habe ich dich geholt, und keiner weiß es von ihnen, daß aus dem Brunnen, darein sie dich versenkten, Ratschluß ich hebe. Darum sprich zu mir wahrhaft und rate, ehe daß du schmähest. Willst du mir zu Willen sein?


JEREMIAS:


Gott einzig bin ich zu Willen.


ZEDEKIA:


So höre, was keiner weiß, denn meine Räte. Ein Bote kam von Nabukadnezar, daß wir wendeten den Krieg von unseren Völkern.


JEREMIAS (jauchzend):


Gelobt sei Gott! Tu auf ihm die Tore, tu auf der Demut dein Herz!


ZEDEKIA:


Nicht juble zu früh! Hart ist, was er fordert von uns, und seine Hoffart ohne Maß.


JEREMIAS:


Hoffärtig warst du wider ihn, so nimm nun Hoffart von ihm. Zwinge dein Herz, doch rette die Stadt!


ZEDEKIA:


Meine Ehre hat er gefordert.


JEREMIAS:


Gib sie hin für die Stadt!


ZEDEKIA:


Ist nicht Ehre mein Amt und der Stolz meine Krone?


JEREMIAS:


Was dein ist, wirf weg! Besser als Ehre ist Friede, besser Leiden denn Sterben.


ZEDEKIA:


In ein Joch will er mich beugen!


JEREMIAS:


Selig zu leiden einer für alle, zu leiden für das lebendige Leben. Beuge den Nacken, errette die Stadt!


ZEDEKIA:


Schmach wäre es für all die Könige, deren Erbe ich bin, Unflat am Kleid meiner Ahnen.


JEREMIAS:


Nicht derer denke, die waren, denn Staub sind sie und Wurmfraß. Denke der Stadt, gedenke der Lebendigen!


ZEDEKIA:


Doch nicht mich nur will er erniedrigen, auch unsern Gott.


JEREMIAS:


Gott lächelt seiner Verächter! Tu auf ihm die Tore, tu auf der Demut dein Herz!


ZEDEKIA:


Das Heiligste will er betreten, dem keiner genaht!


JEREMIAS:


Gott wird es wehren, so es sein Wille ist, nicht du. Tu auf die Tore, tu auf der Demut dein Herz!


ZEDEKIA (ergrimmt):


Starrsinn ist deine Weisheit und Trotz dein Ratschluß. Mit tauben Ohren hörst du mir zu, und Kieselstein ist deine Antwort.


JEREMIAS:


Soll ich die Hände klappen zu deiner Verblendung und jauchzen zu deinem Wort? Rat scheinst du zu fragen und buhlst doch nur Beifall. Doch eher dorre meine Zunge und zerfalle mein Gebein, als daß ich deine Torheit lobe und nicht schreie wider deine Verblendung.


ZEDEKIA:


Was wirfst du dich hart über mich? Noch weißt du meinen Willen nicht.


JEREMIAS:


Ich kenne deinen Sinn. Nur dein Wort buhlt um mich, doch dein Wille bockt wider mich! Willst du meiner spotten und spielen mit Gottes Wort? Nicht riefst du mich, daß ich die Wage sei deines Entschlusses. Längst ist die Botschaft gehärtet in deiner Seele und gesiegelt deine Meinung. Nicht mich belügst du, nur dich selber, König von Israel.


ZEDEKIA:


Jeremias!


JEREMIAS:


Ja, ich, Jeremias, sage dir, dem Könige: Unwahr handelst du an mir, und Ausflucht sind deine Worte. Denn nicht frei ist dein Wille mehr, und du willst nicht, daß ich ihn wende.


ZEDEKIA (unsicher):


Wie kannst du es wissen?


JEREMIAS:


Deine Lippe verrät es, wie ein Schuldiger schreckst du vor meinem Zorn. Versuchen wolltest du mich, daß ich dir zuspräche und ablüde die Schuld deinen Schultern, aber, wehe dem, der Menschen versucht, denn Gott versucht er in ihnen.


ZEDEKIA (zögert betroffen. Dann leise):


Viel ist dir zu wissen gegeben, Jeremias! Wahr, allzu wahr ist dein Wort. Nicht ist mein Wille mehr frei. Schon ist die Botschaft bei dem Boten.


JEREMIAS:


Nimm sie ihm ab! Errette die Stadt!


ZEDEKIA:


Schon ist er gegangen.


JEREMIAS:


Zurück! Ruf ihn zurück!


ZEDEKIA:


Zu spät! Zu spät bist du gekommen.


JEREMIAS:


Eile ihm nach! Laß ihm nachsetzen mit Rossen und Läufern.


ZEDEKIA:


Es ist zu spät. Schon hält sie des Königs Hand!


JEREMIAS (bricht zusammen, verhüllt sein Gesicht, mit einem dumpfen Schrei die Hände reckend):


Dann wehe, wehe Jerusalem! Jerusalem! Jerusalem! Wehe! Wehe!


ZEDEKIA (erschreckt ihm nahe tretend):


Was ist dir, Jeremias?


JEREMIAS (hört ihn nicht. Ein Schluchzen geht durch seinen Körper. Allmählich richtet er sich ganz empor. Seine Augen starren in die Ferne mit ekstatischem Blick, sein ganzer Leib ist durchschüttelt von mächtiger Bewegung. Er spricht abwesend wie im Gebet, die Hände aufhebend, überwältigt von innern Gesichten):


Oh wehe, wie bist du vom Himmel gefallen,
Jerusalem, prächtiger Morgenstern,
Und gedachtest doch über die Welten zu steigen!
Über die Wolken wolltest du fahren,
Doch wehe, du bist gesunken, du Schöner,
Nieder, oh nieder, in Dunkel und Nacht.


ZEDEKIA (ihn erwecken wollend):


Jeremias!


JEREMIAS:


Was war heller, als deine Stirne,
Du Burg Jakobs,
Du Kronstadt Davids,
Du Zelt Salomos,
Gottes Kleinod und heiliges Haus?
Wer konnte dich künden, wer durfte dich rühmen?
Die Psalter ward müde, die Zimbel zu leise,
Von Morgen bis Abend dich heilig zu preisen.
Völker pilgerten her, dich zu schauen,
Und wer dich schaute, dem frohlockte das Herz!


ZEDEKIA:


Du rasest, Jeremias! Wach auf! Wach auf!


JEREMIAS:


Doch wie still bist du nun, du Schöne, geworden,
Wo ist dein Leuchten, wohin dein Gefunkel?
Nicht mehr flüstern
Die Stimmen des Bräutigams und der Braut,
Weithin verscholl das Wogen des Marktes,
Das Tönen der Freude,
Flötenklang und der Jungfraun Gesang!
Weh! Ein Würger ist über dich kommen,
Ein arger Vollstrecker von Mitternacht.
Eitel Wüstung sind deine Straßen,
Dornen wachsen in Marmelgemächern
Und Nesseln in deines Königs Palast.
Weh! Gesunken sind all deine Mauern,
Geborsten die Türme und schmählich zerstoßen
Das ewige Herz deines Heiligtums.


ZEDEKIA:


Du lügst, Verfluchter! Hoch und heil sind Jerusalems Mauern!


JEREMIAS (immer frenetischer):


Alles Haupt ist geschoren,
Aller Bart ist geschnitten,
In Säcken gehen die Mütter und reißen
Mit Nägeln sich rot das Fleisch von den Wangen:
Wo sind meine Söhne? Wo sind meine Töchter?
Doch wehe! Es liegen wie Kot in den Gassen
Die Leichen der Knaben, erwürgt von den Knechten,
Die Frauen, erdrosselt im Strang ihrer Haare,
Die Schwangern zerhaun mitsamt ihrer Frucht.
Schon ekeln die Raben sich vor ihrer Fülle,
Und die Schakale der Wüste sind satt.


ZEDEKIA:


Schweig still! Schweig still! Du lügst!


JEREMIAS:


Was hilft es zu flüchten in die Geklüfte,
In brennenden Steinriß, in tiefes Gestrüpp?
Sie jagen dir nach mit Rossen und Meuten,
Sie treiben dich aus mit Räuchern und Bränden,
Sie fassen dich an und fassen dich doch!
Sie treiben das Volk mit dem Stecken des Treibers,
Sie schwächen die Frauen, sie schlagen die Greise,
Die Tochter des Königs wird Magd seiner Mägde
Und Sklave der Sklaven der rechtliche Mann.


ZEDEKIA:


Kein Wort mehr, du Lügner, bei meinem Zorn!


JEREMIAS (aufklagend):


Oh, Jerusalem, Jungfrau und Gotteskind,
Geschmäht und geschwächt vom Hohne der Heiden,
Oh wehe, daß ich dich so schauen muß!
Alle deine Neider sind voll jetzt des Lachens,
Sie blecken die Zähne und lachen betulich:
»Ei, wie haben wir diese erniedrigt,
Wie ward willfährig die Stolze, die Schöne!
Das ist der Tag, des wir haben begehret,
Wir habens erlanget,
Wir habens erlebt!«


ZEDEKIA (zitternd vor Zorn auf ihn, mit geballten Fäusten):


Schweige, du Lügner! Ich kann es nicht hören! Du lügst! Du lügst!


JEREMIAS:


Oh, Jerusalem, heilige Gottesstadt,
Wiege der Völker und Kleinod der Welt.
Wer wird dich rühmen, wer findet dich?
Eine Sage der Zeiten bist du geworden,
Fabel und Sprichwort unter den Völkern,
Oh, ich sehe…


ZEDEKIA:


Nichts wirst du sehen, du Rasender du!


JEREMIAS:


Ich sehe dein Leid, ich seh deinen Tod,
Ich sehe…


ZEDEKIA (ihn wild anfassend und rüttelnd, in höchstem Zorn):


Nichts wirst du sehen! Ich lasse dich blenden!


JEREMIAS (wie in einem fürchterlichen Erwachen ihn anstarrend. Dann plötzlich grell auflachend, in vorbrechender Ekstase):


Mich?!
Du mich blenden, du Ruchloser!? Nein!
Anders hat Gottes Entschluß bestimmt!
Wohl wird einer geblendet sein,
Ehe der Tag noch sein Ende nimmt,
Doch jener, der längst schon verblendet war,
Als sein Auge noch blickte und sah: –
Höre mich, König Zedekia!


(ZEDEKIA hat ihn losgelassen und starrt ihn erschrocken an.)


JEREMIAS (mit beiden Fäusten auf ihn zu):


Dich
Werden sie fassen, des Königs Knechte
Im Hause Gottes, das du verstört,
Sie reißen die Rechte
Dir los vom Altar,
Daran sie zur Hilfe verklammert war!
Du willst dich wehren, sie brechen dein Schwert,
Umtun deine Arme mit eisernen Flechten
Und schleppen
Und schleifen dich über die Treppen,
Wie ein Opfertier mit Peitschen und Schlägen
Jenem entgegen,
Dessen Hand du verstoßen, dessen Joch du zerbrochen
Und der dir ein feuriges Urteil gesprochen!


(ZEDEKIA ist zurückgefahren und hebt wie abwehrend die Hände.)


JEREMIAS:


In die Knie
Knicken sie dich und stoßen dich sie,
Ein Feuer loht knisternd auf rundem Stein,
Vier Hände halten den Blendstahl hinein.
Heiß
Frißt die Hitze
Vom schwarzen Griff sich auf in die Spitze.
Sie glüht! Sie flammt! Sie wird rot! Sie wird weiß!
Und dann
Fassen dich rauh ihre Fäuste an,
Zischend und rauchend
Tauchen
Sie die Nacht dir in dein Auge hinein.


ZEDEKIA (aufschreiend und sich an die Augen greifend, wie ein Geblendeter):


Weh!


JEREMIAS:


Doch eh
Dir noch in einer brennenden Gischt
Von Blut und Tränen dein Blick verlischt,
Mußt du noch sehn
Deine Söhne, die drei, vor dem Henker stehn!
Doch dich halten die Knechte, dich halten die Ketten,
Du kannst sie nicht lösen, du kannst sie nicht retten,
Du kannst nur aufschrein, wie jetzt das Schwert
In den ersten! den zweiten! den letzten fährt!
Du siehst,
Wie ihr Blut, ihr junges, im Kote fließt,
Und siehst,
Eh der rote Stahl dich für immer blendet,
Wie Israels Stamm und Königtum endet.


ZEDEKIA (der, wie ein Blinder tappend, auf das Ruhebett gesunken ist, die Hände flehend aufhebend):


Erbarmen! Erbarmen!


JEREMIAS:


So wirst du ins ewige Dunkel schrein,
Doch dir wird kein Helfer im Himmel sein,
Denn Gott erhört
Nie den, der frevelnden Übermutes
Seine Stadt vertan und sein Haus zerstört.
Er wirft dich nieder zu den Würmern und Schlangen,
Die blind am Bauche der Erde hinlangen,
Er wirft dich zum Abhub, zu den Siechen, Verschwärten,
Den Unreinen, zu den Aussatzverzehrten,
Er wirft dich in Abseits, zu Räude und Grind,
Wo die Ausgestoßenen des Volkes sind.
Ein blinder Bettler, der Ärmste der Armen,
Durchstreifst du fremd dein eigenes Land,
Und tritt einer nah
Und sieht unter dem aschenwirrichten Haar
Das, was einstens König zu Zion war,
Dann hebt er die Hand
Und flucht dir, König Zedekia!


ZEDEKIA (ist wie zerschmettert von den Worten stöhnend auf dem Lager liegen geblieben. Jetzt richtet er sich langsam auf und sieht Jeremias mit einem wirren Blicke schauernd an):


Was für eine Macht ist dir gegeben, Jeremias! Die Kraft hast du gebrochen in meinen Gliedern, und das Mark steht starr mir im Leibe. Furchtbar sind deine Worte, Jeremias!


JEREMIAS (die Ekstase ist von ihm gefallen, der Glanz in seinen Augen erloschen):


Arm sind meine Worte, Zedekia, Ohnmacht meine Macht. Nur wissen kann ich und nicht wenden!


ZEDEKIA (erschüttert):


Warum bist du nicht früher vor mich getreten?


JEREMIAS:


Ich war immer zur Stelle. Doch du fandest mich nicht.


ZEDEKIA:


Es muß so Gottes Wille gewesen sein! (Schweigen. Dann steht Zedekia langsam auf und geht auf Jeremias zu): Jeremias, höre mich an – ich… glaube dir! Furchtbareres hast du gekündet, denn je gekündet ward einem König in Israel, und doch – ich glaube dir. Mit Schauer hast du mein Herz geschlagen, und doch, ich ward dir nicht gram. Es möge kein Streit mehr sein zwischen uns im Schatten des Todes. Geh hinab, woher du gekommen, nicht soll es dir fehlen an Zehrung, das letzte Brot meines Tisches will ich teilen mit dir. Und niemand wisse um unsere Zwiesprache denn Gott allein.


(JEREMIAS wendet sich zum Gehen.)


ZEDEKIA (gequält):


Jeremias! Muß es denn sein? Oh, Jerusalem, mein Jerusalem! Kannst du es nicht wenden?


JEREMIAS (düster):


Es muß sein! Nichts vermag ich zu wenden. Verkünden ist mein Amt. Wehe den Ohnmächtigen!


ZEDEKIA (schweigt, dann von innen):


Jeremias, ich habe es nicht gewollt! Ich mußte Krieg künden, aber ich liebte den Frieden. Und ich liebte dich, weil du ihn gekündet hast. Nicht leichten Herzens hab ich den Harnisch genommen, es war Krieg vor mir unter Gottes Angesicht und wird auch nachdem sein. Viel habe ich gelitten, sei dessen Zeuge zu seiner Zeit. Und sei bei mir, wenn dein Wort sich erfüllt.


JEREMIAS (ergriffen):


Ich werde bei dir sein, mein Bruder Zedekia!


(JEREMIAS wendet sich langsam, abgekehrten Gesichtes von ihm. Er ist schon bei der Türe, da ruft noch einmal:)


ZEDEKIA:


Jeremias!


(JEREMIAS wendet sich.)


ZEDEKIA:


Tod ist über mir, und ich sehe dich zum letztenmal. Du hast mir geflucht, Jeremias – nun segne mich auch, ehe wir scheiden.


JEREMIAS (zögert, dann schreitet er feierlich zurück und hebt die Hände über des Königs Stirn):


Der Herr segne dich und behüte dich auf allen deinen Wegen. Er lasse dir leuchten sein Angesicht und gebe dir den Frieden.


ZEDEKIA (träumerisch verworren nachsprechend):


Und… gebe… uns… den Frieden…

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VII. Die letzte Not

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Die hier vorzufindene Sammlung der gemeinfreien Werke Stefan Zweigs ist aus der Ausgabe des Null Papier Verlages übernommen. Zu dieser Ausgabe gelangen Sie durch einen Klick auf diesen Eintrag.