VIII. Die Umkehr
»Oh, daß Hiob versuchet würde bis ans Ende.«
Hiob XXXIV, 36.
Ein weitläufiges kellerartiges Gewölbe, dessen Läden verschlossen und dessen Türen verrammelt sind. Feuchtes Grau füllt die Tiefe des unterirdischen Raumes. Wie Gewürm, dunkel und verstrickt, kauern und liegen Flüchtlinge auf den Steinen, einige haben sich um einen Greis zusammengetan, der aus der Schrift mit zerbrochener Stimme halblaut liest; rückwärts liegt, von einer Frau behütet, ein Verwundeter.
Abgesondert von ihnen, auf einem Stein und selbst reglos wie er in Fels erstarrt, sitzt gebückt JEREMIAS, das Antlitz in den Händen vergraben. Er ist ganz teilnahmslos. Sein Schweigen liegt wie ein Block in dem wogenden Murmeln und Widerstreiten der andern.
Es ist der Tag nach Jerusalems Fall, die Stunde nach Sonnenuntergang.
DER ÄLTESTE (liest vor aus der Schrift, den Leib rhythmisch wiegend zu den Worten, die er leise und monoton spricht, nur manche Rufe der Verzweiflung und der Begeisterung ruft er vor, und die andern sprechen sie im murmelnden Chore mit):
Höre, oh höre, du Hirte Israels,
Der du Josefs hütest wie der Schafe,
Erscheine, der du sitzest über Cherubim,
Erscheine, erwecke deine Gewalt!
DIE ANDERN UM IHN (mitmurmelnd):
Erscheine, erscheine, Erwecke deine Gewalt!
DER ÄLTESTE:
Erscheine, du Hirte! Gott, tröste uns,
Laß leuchten dein Antlitz, auf daß wir genesen!
Wie lang willst du zürnen dem betenden Volke,
Mit Tränen sie speisen, mit Tränen sie tränken?
Herr, oh Herr, du Gott Zebaoth,
Laß leuchten dein Antlitz, auf daß wir genesen!
DIE ANDERN:
Laß leuchten dein Antlitz, auf daß wir genesen!
DER ÄLTESTE:
Du hast aus Mizraim den Weinstock geholet
Und eingepflanzt in der Heiden Land,
Du ließest die Wurzeln ihn mächtig ausgreifen,
Gehügel und Berge deckte sein Schatten
Und sprossende Reben die Zedern des Tals,
Doch wehe,
Die Fremden haben die Reben zerrissen,
Die wilden Tiere sein Wachsen verderbet,
Festiglich war er, und wüst ist er nun!
DIE ANDERN:
Herr, oh Herr, du Gott Zebaoth,
Laß leuchten dein Antlitz, auf daß wir genesen!
DER ÄLTESTE:
Nicht denke der Sünden, so wir begingen,
Erbarme dich unser, eh wir vergehn,
Denn dünn und schwank schon sind wir geworden,
Und der Sturm deines Ingrimms wirft uns zu Tod,
Nicht denke der Sünden, so wir begingen,
Gedenke des Bundes, gedenk deines Namens,
Erscheine, du Hirte! Führ heim deine Herde!
Erscheine! Erwecke deine Gewalt!
DIE ANDERN:
Erscheine! Erwecke deine Gewalt!
ANDERE (flehentlich):
Laß leuchten dein Antlitz, auf daß wir genesen!
DER VERWUNDETE (von rückwärts, der leise gestöhnt hat, jetzt laut aufschreiend):
Ah! Ah! Ah!… Ich verbrenne… Legt mir Wasser auf… ich verbrenne… ah… ah… ah… Wasser!
DIE FRAU (neben ihm):
Schweige, Guter, schweige um Gottes Gnade willen! Sie hören uns sonst.
DER ÄLTESTE:
Schweige! Sei stille! Verschließ dich! Du stürzt uns alle ins Verderben.
EIN ANDERER:
Sie töten uns, wenn sie uns entdecken!
DER VERWUNDETE:
Sie sollen mich töten… ah… ah… ich ertrage es nicht… es frißt mich das Feuer… ah… ah… Wasser… Wasser… gebt mir Wasser… ich verbrenne… Hilfe… Hilfe!…
EIN MANN:
Wir müssen ihn schweigen machen, er verrät uns.
DIE FRAU:
Nein… fort von ihm… mein Bruder ist er… von der Mauer habe ich ihn auf meinen Schultern getragen. (Sie kniet bei ihm nieder.) Lieber… Lieber… ich flehe dich an… versuche zu schweigen… ich hole dir Wasser… da, mein Tuch nimm und klemm es in die Zähne… so… so…
(DER VERWUNDETE hat das Tuch sich in den Mund geknebelt. Sein Schreien geht in ein dumpfes Wimmern über.)
(DIE ANDERN, die erregt aufgestanden waren, haben sich wieder niedergelassen.)
EINER:
Lies weiter, Pinehas! Es ist viel Tröstung im Wort.
EIN ANDERER:
Lies weiter! Von der Verheißung lies, von der Verheißung!
ANDERE:
Ja… vom Gottesknecht… vom Reis aus Isais Stamm… die Verkündigung… Oh, lies… sänftige mein Herz… vom Erlöser lies… unsere Herzen dürsten nach dem Tau des Worts…
(DER ÄLTESTE hat die Schrift wieder aufgenommen und will zu lesen beginnen. Es pocht von außen an eine Türe. Alle fahren zusammen.)
EINE FRAU (ängstlich):
Es hat gepocht!
EINE ANDERE (erregt):
Sie sind da! Sie haben uns ausgespürt!
EIN MANN:
Es ist nicht vom Tore her! Einer der unsern muß es sein. Nur sie kennen den Gang. Tut ihm auf!
DIE FRAU:
Nein! Nein! Es kann Verrat sein. Schächer sind unter dem Volke. Laßt zu!
DER ÄLTESTE:
Stille! (Er nähert sich vorsichtig der hinter Steinen verborgenen Türe). Wer ist es?
(EINE STIMME von außen antwortet.)
DER ÄLTESTE:
Zefanja ist es, der Sohn meines Schwähers, den wir auf Kundschaft gesandt. (Er schiebt den Riegel auf, ein Mann tritt ein, behelmt und wie ein Chaldäer gekleidet. Alle stürzen sich um ihn. Nur Jeremias bleibt, wie der Stein, auf dem er mit gestütztem Arm starrt, reglos und unbeteiligt.)
ALLE (wild durcheinander):
Was ist geschehen… Hast du Neter gesehen, meinen Sohn… Tebia, mein Weib… mein Haus, haben sie es verbrannt… Erzähle… sprich… Wo ist der König… Der Tempel… Erzähle, Zefanja… Mein Gatte, Ismael… wo ist er… Sprich… Wo ist der Priester… was geschieht mit uns… Erzähle…
DER ÄLTESTE:
Stille! Ihm lasset die Rede, denn seine Augen haben den Tag gesehen und die Stadt!
ZEFANJA:
Besser im Dunkel zu sitzen, anstatt solches zu schauen, besser als dieses noch, blind sich zu weinen, und am besten tief unten im Schwarzen zu schlafen zwischen den Wurzeln der Bäume und den Eingeweiden der Erde. Ein Acker der Toten ist Davids Stadt geworden, Schutt und Kehricht Salomos Burg.
ALLE:
Wehe… Jerusalem… wehe… wehe…
ZEFANJA:
Wie Kot liegen unserer Brüder Leichen auf den Gassen, und selbst den Toten noch rauben sie das Kleid. Aus den Gräbern haben sie das Gebein des Königs Judas gerissen und geworfelt um den Purpur Salomos aus seinem Sarge. Sie haben die Brote gegriffen vom heiligen Tisch und die Leuchter geraubt von den Wänden.
DER ÄLTESTE (sein Kleid zerreißend):
Ich will nicht mehr leben! Oh, könnt ich mein Innres zerreißen wie dies mein Gewand!
STIMMEN:
Wehe… wo ist Gottes Kraft… der Bund… die Verheißung… wo sind unsere Führer… Nachum… wo ist Jochan… verloren, verloren… Jerusalem… mein Gatte… wen sahest du…
ZEFANJA:
Um viele fraget ihr, und eine Antwort habe ich für alle. Es sieht keiner Gottes Morgen mehr von den Edlen der Stadt.
ALLE:
Wehe… Sie alle… es ist nicht möglich… Was ist mit Abodassar… Jojakim, auch er… Hedassar… Imre… mir sage, mir… Nachum…
ZEFANJA:
Nicht fraget mich… ihr Leiden ist gewesen und ihre Seelen bei Gott.
ALLE (durcheinander):
Und sage, auch Nachum… antworte… die Kinder des Königs… Absalon, mein Schwäher…
ZEFANJA:
Es ist keiner am Leben. Wer nicht fiel an der Mauer, den erwürgten Nabukadnezars Schlächter. Keiner lebet mehr, denn Zedekia.
STIMMEN:
Zedekia lebet… Warum ihn geschont… warum gerade ihn… Ein Verräter ist er… Warum Gnade ihm, wenn den andern Tod… warum ihm Schonung?
ZEFANJA:
Ehrfurcht vor dem Könige! Ehrfurcht vor seinem Leide.
STIMMEN:
Was ist mit ihm… ist er gefangen?…
ZEFANJA:
Zedekia brach durch mit sechzig der Tapfersten, daß sie sich sammelten im Gebirge und den Kampf erneuerten wider Assur. Aber jene jagten ihnen mit Wagen nach und faßten ihn und schleppten ihn vor Nabukadnezar.
STIMMEN:
Und er… was tat er?
ZEFANJA:
Ich kreuzte den Weg seines Leidens und stand auf dem Platze, da sie ihn in Ketten hielten. Und sie schlugen vor seinen Augen seine Kinder eines nach dem andern mit dem Schwert. Dann aber… als seine Augen voll waren mit Grauen und Tränen… dann ward der Gesalbte des Herrn, dann ward Zedekia geblendet…
JEREMIAS (plötzlich aus seiner ehernen Reglosigkeit auffahrend, in furchtbarstem Entsetzen):
Geblendet, sagst du… geblendet…
ZEFANJA:
Wer ist dieser?
STIMMEN:
Sprich nicht mit ihm… sieh ihn nicht an… Schweiget… nicht nennet den Namen des Verruchten… Fluch ist auf ihm… fort… Sprich nicht zu ihm…
ZEFANJA:
Wer ist, der da fragte? Ich kenne diese Stimme.
STIMMEN:
Nicht frage… Fluch über ihn… er gehört nicht zu uns… ein Ausgestoßener ist es des Herrn…
EINE FRAU:
Gottes Fluch ist er, über uns gesandt zu brennender Qual, Gottes Geißel und Galle – Jeremias, Jeremias!
ZEFANJA (mit einem gellen Aufschrei, beide Hände vor sich hinhaltend):
Jeremias!
JEREMIAS:
Was schrickst du so vor mir? Was fürchtest du dich? Ich bin nicht zu fürchten mehr. Wind ward mein Wort, und Kot ist meine Kraft. Spei mich an und geh deines Wegs!
ZEFANJA (schauernd):
Nicht fluche mir, du Furchtbarer, nicht fluche mir! Nein, nein, nein, ich tat dir nichts! Nicht fluche mir!
JEREMIAS:
Und wenn ich dir fluchte, was schädigte es dich, und wenn ich dich segnete, was förderte es dich? Was bin ich denn? Ein Hauch ohne Wort, ein Fluch ohne Kraft, ein Verkünder ohne Gott. Spei mich an, denn Aussatz war mein Wort und Lahmheit mein Wandel.
ZEFANJA (noch mehr schauernd):
Nicht fluche mir! Nicht fluche mir! Nie war ich dir feind! Oh, schützet mich! Verbergt mich vor ihm! Flehet ihn an, daß er mir nicht fluche! Ich kann sein Auge nicht schauen, ohne zu zittern, ich kann seinen Namen nicht hören, ohne zu schauern.
DER ÄLTESTE:
Ermanne dich! Was schauerst du vor ihm? Wind sind seine Worte und die Schmach seine Heimstatt.
ZEFANJA:
Nein… nein… furchtbar ist er… furchtbar… er hat es gewußt… er hat es gewußt voraus… er… er allein… und er hat ihn gerufen… der König… er… er…
DER ÄLTESTE:
Wer hat ihn gerufen?
ZEFANJA (ganz entgeistert):
Er… er hat ihn gerufen… der König. Gefaßt hatten sie ihn in seinen Ketten und wandten sein Antlitz, daß er schaue, wie man seine Kinder schlüge… er wehrte sich… aber sie zwangen ihn… Seine Lippen waren zwischen den Zähnen, er wollte schweigen… und er schwieg, wie sie den ersten faßten seiner Söhne… aber wie sie den zweiten griffen, da bebten sie… und da sie den dritten durchstießen, da sprangen sie auf, die Lippen, die verzerrten… aber nicht um Gnade schrie er… er schrie: »Jeremias! Jeremias!«
(ALLE schauern zurück.)
ZEFANJA:
Seinen Namen schrie er in der Qual. Und da der Brandstahl seine Augen zerstieß, da schrie er nochmals… Jeremias… Jeremias… Wo bist du, Verkünder… wo bist du… mein Bruder Jeremias… ihn… ihn hat er gerufen… Er hat es gewußt…
(ALLE weichen vor Jeremias, wie vor einem gefährlichen Tier.)
JEREMIAS (in wirrer Qual mit sich ringend):
Es ist nicht wahr… Ich habe es nicht gewollt… nichts, habe ich gewollt von dem allen… er darf mich nicht anklagen… er darf nicht… Das Wort ist in mich gefahren, wie das Feuer vom Steine fährt… er darf mich nicht anklagen… ich… ich wollte zu ihm… nicht ich… Gott hat mich zum Lügner gemacht… ich habe mich seiner erwehret… es ist nicht wahr… nicht ich habe es getan…
ZEFANJA:
Was redet er?
EIN WEIB:
Wahnsinn hat ihn befallen.
EIN ANDERER:
Ein Rasender ist er.
EIN MANN:
Nein… er hat es gesagt… er hat alles gewußt… ein Weiser ist er… ein Profet…
JEREMIAS:
Er darf nicht… er darf nicht… er darf mich nicht anklagen… mein Wort ist mein Wille nicht… Macht ist über mir… Er… Er… Der Furchtbare… Der Mitleidslose… Sein Werkzeug bin ich nur… sein Hauch… seiner Bosheit Knecht… Er hat mich beredet, und ich ließ mich bereden… denn übermächtig war er, und sein Knecht bin ich geworden… Fluch hat er in meinen Atem getan… Er… Er… der Furchtbare… die Galle in meine Rede… und das Bittere in meinen Speichel… Oh, wehe über die Gottesfaust… wen er faßt, der Furchtbare, den läßt er nicht wieder… oh, daß er mich freigäbe, den Verfluchten seines Worts… ich… ich… ich will nicht mehr reden seine Rede… schweigen will ich… schweigen… ich… ich… ich will nicht mehr, Gott… ich will nicht mehr… ich fluch deinem Fluche… laß deine Hand von mir, tu das Feuer von meinem Mund… ich… ich… ich kann nicht mehr… ich will nicht mehr…
DIE STIMMEN:
Tobsucht hat ihn überkommen… die Krämpfe… die Krämpfe… wie eine Gebärerin windet er sich… weichet von ihm… hört ihn nicht an… Gott hat ihn gestraft…
(JEREMIAS bricht wie zerschmettert in sich zusammen.)
DIE STIMMEN:
Sehet… seht… Die Hand des Herrn hat ihn getroffen… Wahnsinn hat ihn geschlagen… weichet von ihm… weichet von ihm…
(ALLE haben sich zusammengeschart und drängen sich von Jeremias fort, der auf der Erde liegt, wie ein gefällter Baum. Einige Augenblicke herrscht bestürztes, ratloses Schweigen. Dann plötzlich von außen ein Hörnerschall aus großer Ferne.)
ZEFANJA:
Wehe, sie nahen schon, die Verkünder, die Herolde des Unheils!
ALLE (um ihn):
Was ist… was ist geschehen… was bedeutet der Ruf… Lasset den Narren… Sprich, Zefanja… welche Botschaft…
ZEFANJA:
Botschaft Nabukadnezars an die Restlinge des Volkes.
STIMMEN:
Wehe… was haben sie vor… sollen wir gehen, sie zu hören… dürfen wirs wagen… sprich, Zefanja…
ZEFANJA:
Nicht eilet euch, böse Botschaft ist immer zu früh noch vernommen.
STIMMEN:
Nein… sprich… erzähle… sprich… was ist uns verhängt…
ZEFANJA:
Es ist Nabukadnezars Wille, daß die Stadt nicht mehr lebe auf Erden.
(STIMMEN in Schreckensschreien.)
ZEFANJA:
Zum Denkmal der Schrecknis hat der Verruchte Gottes Stadt bestimmt! Von der Erde reißt er uns weg, wandern müssen wir, Brüder, wie einst in die Knechtschaft. Eine Nacht nur wird uns Restlingen gegeben zur Rast, daß wir die Toten begraben, dann muß ein jeder, Greis und Kind, fort von hier in der Chaldäer Land. Fremden Acker sollen wir bauen, fremde Reben aufpflanzen und fremd uns selber werden und unserm Gott. Zum letzten Male halten wir Jerusalems Erde an unserm Fuß, zum letzten glänzt heimatlich Gestirn ob unsern Häupten. Das ist jener Botschaft. Weh, wen es lüstet, sie zu vernehmen!
(DER POSAUNENSCHALL tönt wieder von näher.)
STIMMEN:
Wir sollen hinaus… fort von Zion… fort von Jerusalem…
DER ÄLTESTE:
Ich gehe nicht… ich bleibe… ich bleibe…
ZEFANJA:
Wer sich weigert der Wandrung, den fällt das Schwert. Jeder soll sich rüsten zur Reise und sich sammeln auf dem Markte. Dreimal wird die Posaune tönen vor dem Morgenrot. Wer dann noch betroffen wird in der Mauern Geviert, der verfällt ihrem Schwert.
DER ÄLTESTE:
Möge es mich fällen, ich bleibe, ich bleibe! Ich will nicht leben ohne Jerusalem. Im Sarge lieber, denn in fremdem Geviert!
EIN WEIB:
Mein Bruder ist gefallen, meines Bruders Sohn und mein Gemahl. Gräber sind mein Erbe, ich will es behüten.
EIN MANN:
Ich bleibe! Ich bleibe! Hier ist meine Wurzel und meine Kraft. Lahm würde mein Arm, sollte ich den Pflug stoßen in fremde Erde, und blind meine Lider in fremder Welt.
STIMMEN (begeistert):
Wir bleiben… wir wollen sterben… lieber den Tod, als das Diensthaus… nicht in die Verbannung… sterben für Gott… sterben… lieber sterben…
DER KRANKE (von seinem Lager rückwärts sich fiebernd aufrichtend):
Nein… nein… ich will nicht sterben… nicht sterben… leben will ich, leben… ich will fort… fort… nur nicht sterben… wer wird mich tragen… verlaßt mich nicht… nicht… nicht sterben… leben, leben, leben!…
DIE FRAU (zu ihm hinstürzend):
Beruhige dich… ich trage dich.
DER KRANKE (fiebernd):
Ja… fort… fort von den Wahnwitzigen… nur nicht sterben… nur nicht sterben…
DER ÄLTESTE:
Er spricht wirr… sein Leib ist verbrannt, sein Arm zerschmettert… er weiß nicht, was er redet…
DER KRANKE (in fiebriger Wut):
Ich weiß… ich weiß… ich habe den Tod gespürt… nur nicht sterben… Lieber verbrennen, lieber leiden… aber doch Leben noch fühlen, Leben ist Hoffnung, und Totsein ist nichts… nur nicht sterben… leben… leben…
EINE JUNGE FRAU:
Ja, auch ich will leben… ich habe noch nichts geschaut, nichts gefühlt… meine Glieder blühn noch… ich spüre mich… ich will nicht ins Kalte… ich will nicht… ich gehe mit dir… überallhin… überallhin…
EIN ANDERES WEIB:
Metze du… Buhlerin… willst du Kebse werden der Fremden?
DIE JUNGE FRAU:
Alles… alles… nur leben, nur leben…
DER KRANKE:
Leben… alles leiden, alle Qualen… aber leben…
EIN MANN (wild):
Kein Leben ohne Gott… kein Leben ohne Jerusalem…
ANDERE STIMMEN (durcheinander):
Lieber sterben… lieber sterben… nur nicht zurück ins Diensthaus… nicht Sklave sein… nicht sterben, nur nicht sterben…
(DER POSAUNENRUF der Herolde tönt nun von ganz nahe.)
EINER:
Laßt sie rufen, ich höre sie nicht. Die Stimme des Todes tönt in mir stark wie Gotteswort! Sterben wir, sterben wir, lassen wir uns nicht locken! Sterben wir mit Jerusalem!
DER ÄLTESTE:
Ich halte dich, Jerusalem, heilige Stadt, mit meinen welken Händen klammre ich mich dir an, mein Leben warst du, so sei auch mein Tod! Wie könnte ich atmen ohne dich, wie auftun das Auge des Morgens, ohne zu schauen Salomos Haus und Gottes irdische Rast? Lieber in deine Erde versargt sein, als hingehen über andere Scholle, lieber ein Toter mit meinen Vätern, denn ein Knecht unter Fremden. Jerusalem, Jerusalem, Jerusalem, nimm mich in deine Erde, mein Leben warst du, sei auch mein Tod!
ZEFANJA:
Ich scheide mich von dir. Ich will nicht sterben! Zu viel der Toten habe ich gesehn in den Straßen, ihre Augen standen starr in den Himmel der Stadt, ihre Fäuste waren gekrampft in Israels Erde, aber es war kein Friede in ihrem Gesicht. Ich will leiden ohne Maß, aber ich will leben. Mögen sie mich hämmern in die Bergwerke von Tyr, wo das Wasser tropft, daß der Bart fault und die Augen blinden, mögen sie mich schmieden mit krummem Rücken in den Ring ihrer Ruderschiffe, mögen sie mich verschneiden ihren Göttern und verstümmeln, jedes Glied in mir schreit noch um Leben zu Gott. Jeden Tag will ich segnen aus Ketten und Qual, oh, nur nicht tot sein, nicht tot sein!
DER KRANKE (sich aufrichtend):
Ja, nur leben, nur ein Sandkorn Zeit noch zwischen den Fingern fühlen! Nur noch sehn die kleinen Blüten der Mandeln, die sich weiß auftun über Nacht, und den Mond, wie er schmilzt und sich rundet unter den Sternen. Oh, nichts genießen mehr, verkrümmt sein und vertaubt, aber noch schauen die seligen Dinge der Welt und die Luft einziehen im Munde. Nur sein eigen Herz spüren, wie es schlägt und die Ader warm läuft an den Händen! Leben, oh, leben, nur leben!
DER ÄLTESTE:
Schmach über euch, Weichlinge! Wollt ihr leben ohne Gott? Wollt ihr ihn rücklings lassen in Schutt und Schande?
EIN MANN:
Er geht mit uns, wie er ging durch die Wüste.
EINE FRAU:
Wir wollen seiner gedenken im Gebet.
DER ÄLTESTE:
Wo wollt ihr beten, wenn nicht an seinem Altar? Abtrünnige seid ihr und Verräter. Wollt ihr knien vor Bel und opfern vor Astaroth? Lebe, wer leben will ohne ihn. Ich bleibe ihm getreu.
EIN MANN:
Ein neues Haus wollen wir ihm bauen.
DER ÄLTESTE:
Dieses hat er gewählt. Hier ist er allein.
STIMMEN:
Er wandert mit uns… überall spricht er zu uns… auch aus dem Golus wird er uns hören… auch dort werden wir gläubig sein… unter allen Himmeln ist sein Wort, sein Antlitz überschattet alle Wege…
DER ÄLTESTE:
Nein, wer Jerusalem lässet, verläßt auch Gott. Hier ist Jahwes Haus, hier ist er allein. Götzendienst ist jedes Opfer als an seinem Altar.
STIMMEN (widerstreitend):
Nein… überall ist er… hier ist er allein… überall… allerorts ist er… er wird sich uns weisen an jeder Stätte… nur im Tempel ist sein Haus… überall ist er… überall… nur hier ist sein Antlitz…
JEREMIAS (plötzlich sich aufraffend, mit furchtbarem Ausbruch):
Nirgends ist er! Nirgends! Wer hat ihn gesehn von den Lebendigen, wer gehört seine Stimme? Nirgends ist er! Nirgends! Ins Leere starren, die ihn suchen, und die ihn bezeugten, sind Lügner geworden vor der Menschheit Gesicht. Nirgends ist Gott, in den Himmeln nicht und auf der Erde und in den Seelen der Menschen nicht! Nirgends, nirgends ist er!
DER ÄLTESTE (ganz erstarrt mit offenem Munde. Endlich mit den Händen aufzuckend zum Himmel fahrend):
Lästerung! Lästerung! Fahre nieder auf ihn mit deinen Blitzen!
JEREMIAS (immer heißer):
Wer hat ihn gelästert, wenn nicht er selbst? Zerbrochen hat er seinen Bund, verleugnet seine Schwüre, zerschmissen seine Mauern und verbrannt sein eigen Haus. Er selbst verneinet sich, er selbst ist Gottes Lästerer, er, nur er!
DER ÄLTESTE:
Hört nicht auf ihn! Hört nicht auf ihn! Ein Abgefallener ist er, ein Ausgestoßener, hört nicht auf ihn, ihr Diener des Allmächtigen!
JEREMIAS (immer mehr sich entzündend):
Wer hat ihm gedient wie ich in Israel, wer war sein Knecht so treuselig wie ich in Jerusalems Mauern? Ich habe mein Haus gelassen um seinetwillen im Hasse und meine Mutter im Tode, Freunde habe ich geopfert seiner Liebe und der Frauen Süße seiner Eifersucht! Seinem Willen habe ich mich aufgetan wie ein Weib dem Manne. Das Wort zwischen meinen Zähnen war sein, und das Blut in meinem Leibe, jeder Gedanke war seines Willens Kind und die Träume hinter meinem Schlaf. Ich habe meinen Rücken geboten, die mich schlugen, mein Angesicht verbarg ich nicht vor Hohn und Speichel. Und ich habe gedient, ich habe gedient, weil ich meinte, daß er wenden werde das Unheil durch mich; ich habe geflucht, weil ich meinte, er werde es zum Segen kehren; ich habe gekündet, weil ich meinte, er werde mich zum Lügner machen und werde retten Jerusalem! Aber Wahrheit habe ich gekündet, und nur er ward Lügner an seinem Wort. Wehe, wehe, daß ich so treu gedient dem Treulosen! Da meine Brüder lachten, hat er mich entsendet, daß ich speie auf ihre Freude, und nun, da sie sich ängstigen und sich winden im Krampf ihres Elends, will er, daß ich ihrer lache! Aber ich lache nicht, Gott! Ich lache nicht an meiner Brüder Qual, ich lache nicht! Nicht vermag ich mich zu freuen wie du an dem Jammer der Verschreckten, und der Erschlagenen Geruch duftet mir nicht! Deine Härte ist mir zu hart und zu schwer deine Hand! Ich diene nicht mehr deiner rasenden Rache, ich dien dir nicht mehr. Ich zerreiße den Bund zwischen dir und mir. Ich zerreiße ihn! Ich zerreiße ihn!
STIMMEN (durcheinander):
Er ist rasend… er lästert Gott… fort von ihm… Gott wütet in ihm… Irrwitz hat ihn befallen.
JEREMIAS (über sie hinweg, in wilder Ekstase ins Leere sprechend):
So sprich doch, du finsterer Schweiger, sprich!
Wie ich wider dich zeuge, zeug du wider mich!
Sag an,
Ob je ich meinem Gelöbnis mich wehrte,
Ob je ich gemüdet und aufbegehrte?
So sprich doch, du finsterer Schweiger, sprich,
Raff dich auf vor diesen und sprich wider mich!
Du hast mich gesucht und hast mich gefunden,
Mit Ahnung verschreckt und mit Träumen entzunden,
Und da meine Seele in Flammen stand,
Als Feuerbrand wider mein Volk entsandt;
Was wars, als dein rasender Wille nur,
Daß wie ein Feind ich wider sie fuhr?
Ich war die Drossel, die sie umkrampfte,
Der Huf, der ihren Frieden zerstampfte,
Ich war die Säge, die sie zerkreischte,
Der Stachel, der sie lebendig entfleischte,
Ich war die Schrecknis, die sie erschreckte,
Der Angsttraum, der sie allnächtens erweckte,
Der Brand, der an ihren Knochen fraß,
Der Dorn, der in ihrem Fleische saß,
Ich war der Zänker, der sie schmähte und schmälte,
Der Henker, der sie zerpfählte und quälte,
Und war noch der Hohn, der dann sie verlachte verlachte –
Oh, alles war ich, was dein Irrwitz mich machte,
Denn fühllos wie Feuer und dumpf wie ein Tier,
So diente ich dir! So diente ich dir!
Ich fühlte die Brüder, deren Seele mich suchte,
Und doch! Ich verschloß mich und fluchte und fluchte,
Und ob auch mein Herz sich bäumte und schrie,
Ich zäumte es nieder und züchtigte sie.
STIMMEN:
Im Fieber redet er… zu wem spricht er… er ist rasend… sein Hirn verbrennt… Irrwitz redet er…
JEREMIAS:
Aber ich sage mich los!
Ich tu nicht länger nach deinem Begehr,
Ich rechte nicht mehr und knechte nicht mehr!
Mein Herz ist nicht länger dir Heimstatt und Haus,
Ich stürz dich aus deinen Himmeln hinaus!
Wie du dein Volk, so hab ich dich verstoßen,
Den harten Hasser, den Mitleidslosen,
Denn ein Gott, der Hohn anstatt Hilfe gibt,
Ist nicht wert mehr, daß man ihn kündet und liebt!
Nur wer das Leiden wendet, ist Gott allein,
Nur wer Trost ausspendet, darf Allmacht sein!
Oh, ich weiß es, ich weiß es, nur der ist Profet,
Dessen Hand die ewige Liebe aussäet,
Dessen Seele Flut ist von großem Erbarmen,
Dessen Seele Glut ist von allem warmen
Strömenden Blut, das unschuldig versprengt ist,
Und dessen Herz von unendlicher Liebe versengt ist!
Oh, und ich fühl es, ich fühl es, ich kann einer sein,
Denn die Stimmen, die ungehört auf zu dir schrein,
Sie schlagen wie Flammen in mich hinein!
Mich ruft die Stadt, die du zürnend verbrannt hast,
Mich ruft dein Volk, das du hassend verbannt hast,
Mich rufen die Witwen, die du gezeugt hast,
Mich rufen die Mütter, die du gebeugt hast,
Mich ruft der König, den du geblendet,
Dein Altar, den du dir selber geschändet:
Aus Grüften und Lüften sind klingende Boten
Urmächtigen Leidens mir zugesendet,
Die Lebenden rufen, mich rufen die Toten,
Und mein Herz erhört sie – es hat sich gewendet:
Gewendet von dir, der du hassend und hart bist
Und zum Götzenstein deines Stolzes erstarrt bist,
Zu ihnen, den Schwestern, zu ihnen, den Brüdern,
Die Leiden umkleiden, die Qualen erniedern!
Nur ihnen, nur ihnen
Tut auf sich mein Herz, blühn auf meine Arme,
Und ich beug ihrem Leid mich, ihm beug ich die Knie –
Denn ich hasse dich, Gott, und ich liebe nur sie!
DER ÄLTESTE:
Er hat Gott verflucht… Schlagt ihn nieder…
STIMMEN:
Er rast… er ist toll… Irrwitz ist seine Rede… Wachen Auges träumt er… es ist Gefahr, ihn zu hören… bringt ihn zum Schweigen…
JEREMIAS (plötzlich in die Knie brechend, gegen die andern gewandt):
Oh, meine Brüder, verzeiht mir, verzeiht,
Verzeiht meiner ruchlosen Eitelkeit!
Er, er nur hat mich mit Träumen verblendet,
Mit Worten gelockt und mit Zeichen versucht,
Daß ich meinte im Trotz meiner Eigensucht,
Ich sei als ein Mahner gen euch gesendet.
Ich meinte, daß ich der Große bin,
Wenn seinen Namen ich wider euch reckte
Und die Zähne mit seinen Flüchen ausbleckte, –
Doch ich reiße mich los und verstoße ihn!
Und ob ich hoffärtig an euch getan,
Ihr Brüder, hört mich erbarmungsvoll an!
Weil ich euch fluchte, erbost euch nicht,
Weil er mich versuchte, verstoßt mich nicht,
Zu euren Füßen werf ich mich hin,
Fühlt, fühlt es, daß ich voll Buße bin!
(DIE MÄNNER UND FRAUEN weichen entsetzt zurück.)
JEREMIAS (ihnen nachkriechend auf den Knien):
Ihr Brüder, ihr Brüder, verzeiht mir, verzeiht,
Oh, wie fühl ichs jetzt, daß ihr mir Brüder seid
Und ich der jüngste, geringste von allen!
Oh, laßt mich, ihr Lieben, nun Liebe nur sprechen
Und selig das Brot eures Leidens mitbrechen,
Oh, laßt es, ihr Brüder, euch gütig gefallen,
Daß ich euch liebe, daß ich euch gehöre,
Nie soll mein Wort mehr, ich schwöre, ich schwöre,
Sich frech und mahnend wider euch kehren.
Das Letzte, das Niederste will ich euch tun,
Das ihr mir auflegt als Buße und Pein,
Den Staub will ich küssen von euren Schuhn
Und der klägliche Knecht eurer Knechte sein.
Oh, ihr Brüder im Dunkel, ihr Brüder im Leid,
Meine Reue fühlt, meine Demütigkeit,
Und vergebt mir, ihr Brüder, verzeiht mir, verzeiht!
DER ÄLTESTE:
Tod über den, der ihn berührt! Gott hat ihn gerichtet.
STIMMEN:
Gottverfluchter… fort mit dir… fort… weg von uns… weg aus unserer Mitte… verpeste uns nicht… Gottesleugner… fort… fort…
JEREMIAS (zurückgestoßen, mit einem dumpfen Aufschrei):
Aussatz über mich! Aussatz über mich und Tod! (Er bricht in sich zusammen.)
STIMMEN:
Man muß ihn hinausschaffen wie ein Aas… er verpestet mit seiner Nähe den Atem… Wahnsinn ist über ihm… hinaus mit ihm… tötet ihn… schlagt ihn nieder…
DER ÄLTESTE:
Rührt ihn nicht an! Gottes Hand ist über ihm, und sie ist stärker, denn die unsere.
(EIN POCHEN, heftig und herrisch, an der Türe.)
ALLE (durcheinander):
Die Herolde… die Chaldäer… es pocht wie die Hand eines Gebieters… es ist keiner der unsern…
(DAS POCHEN, heftiger und eiliger.)
ALLE (durcheinander):
Wie er drängt… er ist ungeduldig… man darf ihn nicht erzürnen… laßt verschlossen, Räuber sind es, Chaldäer… man muß auftun… er erzürnt sonst.
DER ÄLTESTE:
Ich tue ihm auf. Sind wir denn des Todes nicht zu jeder Stunde?
(DER ÄLTESTE öffnet zaghaft einen Spalt der großen Türe. Sie wird hastig aufgestoßen und herein stürzt)
BARUCH (verstörten Gesichts):
Brüder, ist Jeremias hier?
DER ÄLTESTE:
Nenn seinen Namen nicht, sprich ihn nicht aus!
BARUCH:
Ist er hier? Man hat mirs gesagt.
DER ÄLTESTE:
Daß er doch anderwärts wäre, im Schlund der Gehenna und zerrissenen Gebeins im Schlachthaus der Feinde! Hier liegt er, getroffen von Gottes Hand.
BARUCH (hinstürzend):
Jeremias! Jeremias!
JEREMIAS (sich aus seiner Hingesunkenheit langsam erhebend, ganz fremd ihn anstarrend):
Wer sucht mich noch, wer versucht mich noch?
BARUCH:
Meister, mein Meister, kennst du mein Antlitz nicht mehr, ward dir fremd meine Stimme?
JEREMIAS:
Ich will nichts schauen mehr und nichts hören. Weg du, der du noch Atem im Maule hast! Laß mich liegen und faulen!
BARUCH:
Jeremias, gütigster Meister du! Ich beschwöre dich, raffe dich auf, sie fahnden nach dir, sie sind nah, sie kommen!
JEREMIAS:
Wer sucht mich noch auf dieser Welt?
BARUCH:
Du bist verraten, man weiß deine Hausung. Nabukadnezar sandte Schergen nach dir, sie suchen dich, und rasch nur flog ich voraus.
JEREMIAS:
Mögen sie kommen. Selig die Schlächter, selig der Tod!
BARUCH:
Jeremias, fasse deine Sinne. Der Letzte bist du von den Edlen der Stadt; alle sind sie gefallen und geschlachtet, nur um dich fahnden sie noch, daß alles ausgerottet sei, was edel war in Israel.
JEREMIAS:
Mögen sie kommen! Selig die Schlächter, selig der Tod!
BARUCH (in Verzweiflung ihn aufrüttelnd):
Jeremias! Jeremias! Wach auf aus deinem Traum! Furchtbar ist Nabukadnezars Zorn und entsetzlich seine grausame Lust. Noch den Tod schärft er durch Qualen, und seine Knechte wissen zu martern wie keiner.
JEREMIAS:
Meinst du das, Knabe? Oh, du kennst Ihn nicht, den Fürchterlichen, der Qualen hat und Martern, die kein Irdischer weiß. Wes lebendige Seele in Gottes Marter gefallen, der fürchtet nicht mehr des Leibes Pein und die Schrecknis der Knechte. Mögen sie kommen, mögen sie kommen und sich versuchen an mir, dem Gott in die Eingeweide griff, und ich spotte ihrer. Denn ich habe die Gottesqual gekannt, und Seligkeit ist die Marter des Tods gegen die Marter des Lebens, eine Wollust der Menschen Qual wider die Gottesqual.
BARUCH:
Jeremias, Jeremias! Wenn du mich liebst, so entfliehe, ich lasse dein Leben nicht, ich lasse es nicht!
JEREMIAS:
Ich liebe nicht mehr! Keinen mehr liebe ich, keinen!
BARUCH (ihn umschlingend):
Nein, Meister, mein Blut eher, denn deines. Ich sterbe mit dir.
(HEFTIGE SCHLÄGE von ehernen Lanzen an der Tür.)
ALLE (stürzen in die Winkel):
Wehe… wehe… die Chaldäer… unsere Stunde ist gekommen… er hat das Unheil über uns gebracht… Wehe… er… er… liefern wir ihn aus…
BARUCH (entsetzt):
Es ist zu spät… sie sind da…
JEREMIAS:
Tu ihnen auf, Baruch!
(BARUCH zögert.)
JEREMIAS (aufstehend, stark, mit großer, klingender, fast jauchzender Stimme):
Tu ihnen auf, daß ich aufrecht sie empfange, denn dürstig ward meine Seele des Todes. Oh, erster Erfüller meines Wortes, sei gegrüßet, gegrüßet das Ende! Tu auf, Baruch! Tu ihm auf, dem Erlöser!
(BARUCH schreitet gegen die Tür, zögert wieder.)
(NEUE HEFTIGE SCHLÄGE von außen.)
JEREMIAS (mächtig):
Tu auf, Baruch, wenn du mich liebst. Ich befehle es dir. Tu ihm auf!
(BARUCH verhüllt sein Gesicht und schiebt den Riegel zur Seite.)
(DIE TÜRE wird mächtig mit ihren beiden Flügeln aufgestoßen, ein Schimmer vom letzten abendlichen Licht glüht in das verdunkelte Gemach herein. Die drei Abgesandten des Königs treten reich geschmückt herein, hinter ihnen steht feurige Helle des sinkenden Tages. Die Flüchtigen scheuen vor ihnen in die dämmerigen Winkel zurück, nur Jeremias bleibt aufrecht ihnen gegenüber.)
DER GESANDTE (den beiden andern voraustretend):
Ist unter euch der, den sie Jeremias nennen, den Sohn Hilkias von Anathoth?
JEREMIAS:
Ich bin, den du suchst. Tu an mir nach deinem Geheiß.
(DER GESANDTE wirft sich seiner ganzen Länge nach vor Jeremias nieder und berührt dreimal mit seinem Haupte die Erde. Die beiden anderen tun desgleichen.)
(JEREMIAS tritt erschreckt einen Schritt zurück.)
DER GESANDTE (sich aufrichtend):
Gruß und Ehrfurcht dem Deuter der Zeichen! Ehre und Ruhm dem Verkünder des Geschehens, dem Erschauer des Verhüllten! (Er neigt sich wieder dreimal zur Erde, dann steht er auf, die beiden andern folgen seinem Gehaben.)
(JEREMIAS hat sich wieder gefaßt und sieht ihn finster an.)
DER GESANDTE:
Auftrag ist dir und Botschaft gesandt durch meinen knechtischen Mund von Nabukadnezar, meinem Herrn, dem König der Könige, dem Umpflüger des Lands. Also ergeht an dich das Wort des Gewaltigen. Gekündet ward Nabukadnezarn, daß du der einzige warst deines Volkes, der Untergang kündete den Empörern und Schande den Schwätzern. Wie Blei sind geschmolzen die Worte der Priester, die wider seine Stärke sprachen, aber das deine der Warnung ward bewähret wie Gold. Nabukadnezar hat deinen Ruhm vernommen, sein Ohr hat deinen Namen getrunken, und nun dürstet sein Auge, dich zu schauen.
JEREMIAS:
Mögen die Feinde meine Weisheit rühmen, ich fluche meinem Wort!
DER GESANDTE:
Also aber ergehet des Allkönigs Ruf an dich: »Ich habe geblendet, die verblendet waren. Ich habe die Kinnbacken gebrochen den Empörern und die Zunge ausgerissen denen, die sprachen wider mich. Aber die meine Macht ehrten, die will ich ehren, und Macht geben, die meine zu fürchten gewußt.« Ein Gewand sendet er dir, wie es die Fürsten Chaldäas tragen, und du sollst der Oberste seiner Diener sein an seinem Tisch.
JEREMIAS:
Ich diene keinem mehr im Himmel und auf Erden, seit ich Gott gedient und müde ward an ihm. Ich weigere mich dem Dienst.
DER GESANDTE:
Falsch deutest du das Wort. Nicht zu geringem Dienste bist du begehrt, sondern über alle gestellt, die dem Könige dienen. Der Oberste sollst du seiner Magier werden, Schicksal sollst du ihm deuten und die Sterne zählen, die seine Jahre sind. Es soll keiner sein über dir, frei dein Ausgang und Eingang in seinem Palast.
JEREMIAS:
Ich höre dein Wort, ich höre des Königs Wort aus deinen Worten und wäge es flach in den Händen. Groß ist der Ruf, den Nabukadnezar mir sendet, doch größer des Volkes Not, dem ich zu eigen bin. Darum höre! Ich mag nicht eingehen in den Palast, des Stufen die Töchter meines Herren scheuern als Mägde. Ich mag nicht das Brot brechen bei Tische als jener Gesell, deren Hände den Vorhang von Gottes Verborgenheit rissen zu Zion. Ich mag Gunst nicht von dem Grausamen und die Gnade nicht von dem Gnadelosen, ich mag sie nicht.
DER GESANDTE:
Botschaft habe ich dir gebracht, du hast sie vernommen, und eines Königs Botschaft will Gehorsam.
JEREMIAS:
Klar ist deine Rede, klar sei auch die meine. Geh hin zu dem, von dem du gekommen, und sage ihm, wie ich dir sage: »Also spricht Jeremias zu Nabukadnezar. Meine Bitternis hat keine Süße für dich und meine Lippen keine Verheißung für deinen Stolz. Und wenn du riefest mit aller Engel Stimme, mein Herz wird dich nicht hören, und wägtest du alle Steine Jerusalems mir mit Gold, so spricht dir nicht zur Süße mein Mund. Ob du mich gleich ehrest, ich ehre dich nicht, und ob du mich suchest, ich will dich nicht finden.«
DER GESANDTE:
Besinne dich, der Könige König ist es, der dich vor sein Antlitz fordert!
JEREMIAS:
Ich weigere mich ihm! Ich weigere mich!
DER GESANDTE:
Noch nie ward Weigerung ihm geboten.
JEREMIAS:
Ich biete sie ihm, ich, der Letzte Israels. Wer ist er, daß ich ihn fürchten soll? Ein Strohhalm ist seine Macht und ein Windhauch sein Zorn.
DER GESANDTE:
Verwegener, wen lästerst du? Des Herren geheiligten Namen sprichst du liederlich aus. Hüte deine Zunge, hüte dein Leben!
JEREMIAS (entbrennend):
Wer ist er, daß ich ihn fürchten soll? Viele waren, die einst solch Stirnband trugen von Gold und sich Pharao nannten, und ist doch keiner mehr, der ihnen nachfragte und einen Stift faßt, ihr Gedächtnis zu schreiben in die Bücher der Zeit. Mächtigere waren denn er, und die Geschlechter der Erde vergaßen ihrer, ehe die Bäume morschten, die sie gepflanzt. Wer ist Nabukadnezar unter den Sternen, daß ich ihn fürchten soll? Ist er ein Menschwurm nicht und wartet nicht Tod hinter seinem Schlaf und Fäulnis in seinem Leibe? Ist er dem Wandel enteilt schon und dem Umschwung der Stunde? Meinst du, er halte schon, was er habe, und mag sich des Ausgangs berühmen inmitten des Wegs?
DER GESANDTE:
Ewig währet Nabukadnezars Macht, ewig hält er den Sieg.
JEREMIAS:
Hast du es gelesen im Buche des Schicksals, haben die Magier ihm die Siegel gelöst vom Zukünftigen und die Sterngucker es bedeutet? Weiß er seinen Ausgang schon, daß ihr ein Prahlen um ihn anhebt, und kennet er sein Los, daß er sich erfrechet? Ich aber, Jeremias, sage dir: gebrochen ist der Stab über Nabukadnezar und zerrissen das Kleid seiner Macht. Tief hat er Israel geknechtet, aber siebenmal tiefer wird er geknechtet werden. Schon keimet sein Sturz, und seine Stunde, sie ist nah, sie ist da, schon erstanden ist der Rächer für Israel, erstanden der Rächer für Jerusalem!
(DER GESANDTE schrickt zurück.)
DER ÄLTESTE (aus dem Dunkel ist plötzlich aufgestanden und schreit begeistert):
Erfülle, erfülle sein Wort! Erhöre es, Gott, erhöre es!
JEREMIAS (ganz in Glut):
Geh hin zum Könige, geh hin! Hat er doch gesendet um Botschaft und gefordert das Verhüllte, geh hin, geh hin, sage ihm Verkündigung, daß die Ohren ihm gellen, geh hin, du Gesandter, geh hin und sage, wie ich es ihm sage: »Weh dem Verstörer, denn er wird verstöret werden, und weh dem Räuber, denn er wird beraubet werden! Der Blut getrunken in Scheffeln, wird darin ersaufen; und der sich gemästet vom Fleische der Völker, bald wird er Fraß sein der Würmer! Horch! Ein scharfer Wind wacht auf wider Babel und ein Sturmwind gen Ninive! Gezählt sind die Tage Assurs und gezückt das Schwert – Schwert wider Babel, Schwert wider dich, Schwert über deine Männer, Schwert über Volk und Gefild! Gezückt, gezückt ist das Schwert, Blut will es trinken, es ist gezückt, es ist gezückt! Wisse es, du Neugieriger, erfahr es, du Vorwitziger, reif ist dein Assur zur Grube, voll sind die Kelter deiner Missetaten und die Kufen deines Frevels, Nabukadnezar.«
(DIE GESANDTEN haben sich scheu vor dem Ausbruch geflüchtet und halten die Hände abwehrend vor sich.)
DER ÄLTESTE (in Ekstase):
Erhöre ihn, Herr! Erhöre ihn! Mache wahr seine Rede, mache wahr seine Zunge! Sei du, der es sendet, sein Wort!
EINIGE DER FRAUEN UND MÄNNER (haben sich aus dem Dunkel gewagt und um ihn gesammelt. Flehentlich):
Erhöre ihn, erhöre ihn, Gott Zebaoth! Erhöre ihn!
JEREMIAS:
Schon ist er wach, der Rächer, er ist wach, denn der Herr des Tempels hat ihn erweckt und mit Stärke geschienet! Und er kommt, er naht, er ist da, gewaltig sind seine Fäuste, sie werden Babel zerdrücken wie ein Vogelnest und sein Volk jagen wie Spreu! Setze nur Wächter auf die Türme, daß sie warnen, rüste geharnischte Männer, daß sie ihm wehren, schärfe die Speere; doch so wenig du die Wolke kannst scheuchen am Himmel mit deinem Hauche, kannst du scheuchen seinen Sturm, denn als ein Rächer kommt er gefahren, und ein Segen ist auf seinem trunkenen Schwert.
DER ÄLTESTE (ekstatisch):
So lasse es geschehen, Gott! Lasse es geschehen!
DIE ANDERN (um ihn haben sich gesammelt, auch sie ergreift die Begeisterung):
Stürze nieder auf sie, wie er gesprochen… erfülle, erfülle sein Wort… oh, Verheißung… sende den Rächer… sende den Rächer… fälle Babel, wie er gekündet… erhöre ihn, Gott… erhöre ihn…
(DIE GESANDTEN weichen verstört zum Ausgange.)
JEREMIAS (in einem wilden Gemenge von Jubel und Ekstase):
Oh, du Irrwitziger der Irrwitzigen, hast du wahrhaft gemeint, uns zu knechten, hast du gemeint, Gott vergäße unser, Gott vergäße Jerusalem? Sind wir denn sein Kind nicht und seines Namens Vermächtnis, seine Erstgeburt und Erbe, ist sein Geist nicht auf uns und sein Segen auf Abrahams Scheitel? Er hat uns gezüchtigt in unsern Sünden, doch er wird unser sich erbarmen, er hat zerstört, doch er wird wieder aufbauen, er hat uns zerstreut, doch seine Liebe wird uns wieder sammeln, und wären wir zerstreut bis an die Enden der Erde. Was seine Linke genommen, wird die Rechte uns heimgeben tausendfach, denn, ihr Brüder, ihr Brüder, eher mögen Berge stürzen und aufwärts fließen die Flüsse und verdunkeln des Himmels Gezelt, als daß Gott vergäße seines Bundes, daß er vergäße Israel, daß er versäumte Jerusalem!
(DIE GESANDTEN sind mit ratlosen Gebärden entschwunden.)
DER ÄLTESTE UND DIE ANDERN (umdrängen Jeremias von nah und begleiten seine Rede mit hymnischem Zuruf):
Segen auf dein Wort… Segen über dein Haupt… Gott vergißt nicht Jerusalem… Oh, Verkündigung, selige Botschaft… Segen auf dein Wort… Segen über dich!
JEREMIAS (immer jauchzender, ohne ihrer zu achten):
Oh, wie dunkel doch waren die Tage der Erde, da dräuend die Brauen Gottes sich ballten und sein Antlitz sich hüllte seinem Kindern! In Finsternis waren wir zergangen, schon meinten wir zu ersterben in den Kerkern der Ängste. Aber, meine Brüder, seines Ingrimms Ende war seiner Liebe Anfang schon. Ein Wetter ist er hingefahren über unsern Häupten und hat uns zerschlagen, wie Rohr brach er die Kraft unseres Leibes, aber neu glänzt bald die Sonne seiner Gnade. Er wirft die Blitze aus den Händen, er heißt seine Donner schweigen, und im sanften Säuseln klingt seine Stimme. Oh, sie klingt, sie hebt an, süß zu vernehmen über Länder und Meere, mildiglich hebt sie an, und sie wird sprechen zu ihrer Stunde:
Stehe auf, Jerusalem,
Stehe auf, du Gekränkte,
Und fürchte dich nicht,
Denn ich erbarmte mich dein.
Ich habe dir gezürnet
Und dich einen kleinen Augenblick verlassen,
Aber nicht immerdar will ich mit dir hadern,
Und ich zürne nicht ewiglich.
Und darum, daß du die Verlassene gewesen bist
Und die Verstoßene einen Tag,
Sollst du die Prächtige sein für und für
Und die Erhobene in aller Ewigkeit.
Ich will dich schmücken mit meiner Liebe
Und gürten mit meinem Frieden,
Mein Antlitz hat sich dir zugewendet,
Und mein Segen ist deinem Scheitel gesenkt.
So stehe auf, Jerusalem,
Stehe auf,
Denn ich hab dich erlöset!
DER ÄLTESTE:
Segen über dein Wort und Erfüllung!
DIE ANDERN:
Erhöre ihn, Gott… tue nach seinen Worten… erhöre uns… erlöse Jerusalem… erlöse Jerusalem…
JEREMIAS:
Und siehe, sie ist aufgestanden, die Verstörte, da sie hörte den wonnigen Ruf, und es löset der Herr die Fesseln ihres Halses und das Joch ihrem Nacken. Er hebt auf die Geknickte von den Knien, er wischt ihr die Tränen von den Wangen, die Witwe und Waise erkürt er zur Braut. Und es lächelt die Gekränkte, es blüht die Verdorrte, es wird fruchtbar die Verschlossene und verlangt ihrer Söhne, daß sie möchten sie schauen in ihrem Glücke und frohlocken ihrer Erneuung. Aber schon haben Israels Kinder vernommen den Ruf des Herrn, und so weit sie verstoßen von den Enden der Erde und den Eilanden des Meeres, kommen sie heimgezogen gen Zion. Von Morgen und Mittag, von Abend und Mitternacht, selige Pilger kommen sie gezogen, über Gileads Gebirge eilen ihre Schritte, über Basan und Karmel ihre Ungeduld, daß sie schauen die Stadt unserer Liebe, die Stadt unseres Leidens, Zions heilige Burg. Und es glänzet Jerusalem, es jubelt Zions Tochter, da sie schauet ihre Kinder, zahllos gekommen aus den Kerkern der Verbannung, es blühet die Verdorrte, es glänzt die Verdunkelte, es jauchzt die Verstummte, auferstanden ist die Versargte, sie ist auferstanden! Und die Hügel winken ihr zu wie einst, und es schatten sie die Berge, und wie der Tau auf den Feldern, so glänzet der Friede über ihr, Friede des Herrn, Friede Israels, der Friede, Friede Jerusalems!
DIE ANDERN:
Oh, lasse es geschehen, wie er kündet, Herr… tue also, wie er gesagt… Friede über Israel… lasse auferstehen Jerusalem… laß uns auferstehen… laß uns auferstehen…
JEREMIAS:
Und des Tags, da wir wieder um Zion uns scharen,
Die wir so lange die klagenden Knechte
Im düsteren Zinshaus der Fremde waren,
Da werden wir gläubig zusammentreten,
Da werden wir sprechen, da werden wir beten:
»Gesegnet seist du, Herr Zebaoth,
Der du groß und gnädig an uns hast getan!
An den Wassern von Babel saßen wir bangend
Und brachen der Knechtschaft bitteres Brot,
Wir mengten mit Tränen den Wein in den Krügen,
Denn unsere Seele war heimverlangend
Und unsere Dienstschaft ein täglicher Tod.
Da riefen wir heiß, wir riefen aus Tiefen
Des brennenden Sehnens dich, Gütigen, an,
Wir riefen dich an, und es war nicht vergebens,
Denn du hast unsere Fesseln, die harten, gesprengt,
Mit dem Tau deiner Güte, mit den Wassern des Lebens
Den Brand unserer dürstigen Seelen getränkt,
Du hast unsere Hoffnung, die schon versiegte,
Mit dem heiligen Stab deines Namens berührt,
Du hast die Verirrten, du hast uns Besiegte
Aus der Tiefe geholt und uns heimgeführt.
Oh, seht
Es, ihr Berge, oh, seht es, ihr Lande,
Wir sind heimgekehrt, wir sind auferstanden!
Oh, beugt euch, ihr Berge, oh, beugt euch, ihr Hügel,
Oh, Ströme, rauscht auf in unser Gebet,
Umgrünt uns, ihr Felder, empfanget, ihr Gärten,
Mit Blütenfackeln die Heimgekehrten!
Bekränzt uns, ihr Wälder, mit jubelndem Ton,
Streu Rosen uns, Saron, zum andern Male,
Umschatte uns, Karmel und Libanon,
Wir sind heimgekehrt, wir sind heimgekehrt!
Und du,
Du selige Stadt, geliebt und verloren,
Im Wachen erträumt, in Träumen beschworen,
Du Braut unsrer Liebe, du Mutter uns allen,
Mit Zimbeln erfüll dich und Flötengetön,
Wach auf und laß deinen Jubel erschallen,
Denn heimgekehrt sind wir, Jerusalem!«
DIE ANDERN (ihn jauchzend umdrängend, zu seinen Füßen hinstürzend, seine Knie umfassend in wilder Hingerissenheit):
Heimgekehrt… auferstanden… oh, Verheißung… Jerusalem… Jerusalem…
BARUCH (zu seinen Knien):
Oh, mein Meister, mein Lehrer, wie ist deine Lehre süß meinem Herzen, wie selig deine Erleuchtung!
DER ÄLTESTE:
Gebenedeit sei, wer die Verheißung bringt in den Stunden der Not. Segen über deine Tröstung! Erfüllung, oh, Erfüllung!
EINE FRAU:
Sein Antlitz seht, wie es leuchtet! Wie zwei Sterne glühn die Augen ihm auf und hellen den Raum.
EINE ANDERE:
Gottes Geist hat sich auf ihn gesenkt!
DER KRANKE:
Aufgerichtet hat mich sein Wort… aufrecht bin ich… ich lebe, ich lebe wieder… oh, daß ich heimkehrte mit euch.
ZEFANJA:
Mein Herz ist erstanden und klingt dir zu, Jeremias.
JEREMIAS (ohne sie zu hören, ganz allmählich aus seiner Ekstase erwachend und erschreckt um sich blickend):
Wo sind sie hin, zu denen ich sprach? Wo sind sie hin?… Waren nicht Boten da des Königs Nabukadnezar? Habe ich geträumet… mir dünkte, drei Männer kamen und redeten… prächtig waren sie gewandet… wo sind sie hin…
DER ÄLTESTE:
Der Blitz deines Blickes hat sie gescheucht.
ANDERE:
Deine Worte haben sie gejagt… wie ein Schwert fuhr dein Zorn über sie.
JEREMIAS (immer verwirrter):
Was habe ich gesagt? Ein Dunkles liegt um mich, und doch glänzt michs von innen an… Was habe ich gesagt… Oh, und warum, warum blickt ihr mit einmal auf zu mir wie die Durstigen… was seid ihr geschart um mich… es war doch Dunkel auf euren Stirnen, und nun glänzt ihr mich an mit den Blicken… Was ist geschehen mit mir, was ist geschehen mit euch?
DER ÄLTESTE:
Du brennendes Herz der Herzen, in das Gott seine Flamme geworfen, von dir strahlt dieses Licht! Oh, welche Verheißung hast du uns gekündet, welche Verheißung!
EIN MANN:
Aufgetan hast du mir die Seele, du Guter!
EIN WEIB:
Mein Herz mir mit Manna gespeist.
STIMMEN:
Oh, wie süß waren deine Worte, du Lieber… genesen sind wir an deiner Verheißung… nun ist die Fremde nicht mehr Bitternis… heimkehren werden wir, oh, seliges Wort…
JEREMIAS (ergriffen):
Meine Brüder, meine Brüder, was ist mit mir geschehen? War nicht Groll zwischen uns und Fluch auf meinen Lippen, da ich redete zu euch? Ein Sturmwind hat mich gefaßt und getragen, wohin ich nicht weiß, und nun ich stürze, sehen eure Augen mich liebend an, ihr Brüder, eure Hand spüre ich an meinen Knien, und eure Seele zittert wie ein Falter mir zu! Was ist mir geschehen, was ist mir geschehen?
DER ÄLTESTE:
Oh, Jeremias, der du bitter warst unserer Freude, wie süß ist deine Rede nun unserm Leiden! Du hast uns getröstet, du hast uns erlöset wie keiner vordem!
EINER:
Aus der Nacht hast du meine Seele gehoben, beglückt hast du mich, Gebenedeiter!
EIN ANDERER:
Die Zweifel hast du gerodet aus meiner Brust und Gottes ewige Heimstatt bereitet.
EIN ANDERER:
Oh, du Tröster der Tröster! Möge nun Leid auf mich fallen, meine Seele wird ihm nicht mehr erliegen.
EINE FRAU:
Im Tode war mein Herz und ist auferstanden durch dich.
JEREMIAS:
Ihr Lieben, ihr Lieben, was ihr sprechet, ist es wahr? Von meiner Lippe, der fluchverbrannten, ist Tröstung gekommen, aus meiner Seele, der nächtigsten aller, ein liebendes Wort!
EIN WEIB:
Oh, wie es dir sagen? Meine Hände fühl an, die wie Früchte sich heben! Uns alle, uns alle sieh, du Gebenedeiter, Beseligte deines Worts!
DER KRANKE:
Seht her… seht her… ich schreite, ich gehe… ich spüre die Qualen nicht mehr… aus dem Tode hat dein Wort mich erweckt… wie Elia… ein Wunder hast du an mir getan.
DAS WEIB:
Seht ihn an… er lag, vom Fieber zerfressen… ich bezeuge es, ich bezeuge es… ein Wunder hat er an ihm getan…
STIMMEN (ekstatisch):
Ein Wunder… ein Wunder wie Elia… ein Wunder hat er getan… Erweckung… beugt euch dem Gottgesandten… ein Wunder… ein Wunder… beugt euch vor ihm, dem Wundertäter!…
JEREMIAS (hat sich aufgerichtet vor ihnen, ganz leise):
Schweiget, ihr Brüder… nicht rühmet mich… beschämet mich nicht… ich habe nicht Anteil daran. Wohl ist ein Wunder geschehen, doch nicht ich habe es vollbracht – an mir, ihr Brüder, ist es geschehen. Ihr Brüder, ihr Brüder, ich sage euch, ein Großes hat Gott in dieser Stunde an mir getan. Ich habe gefluchet meinem Gotte und ihn getötet in meiner Seele. Doch, meine Brüder, meine Brüder, ehe der Atem noch kalt war in meinem Munde, ist er mir auferstanden. Er riß mir das Herz aus dem Leibe, daß ich meinte zu vergehen vor seinem grimmigen Stoß, aber ein steinernes Herz war es, das er von mir riß, und ein fleischernes hat er mir nun eingetan, daß ich fühle alles Leiden und alles Leidens Sinn. Oh, ihr Brüder, ihr Brüder, schauet das Wunder, das an mir geschehen: ich habe Gott gefluchet, und er hat mich gesegnet, ich habe ihn geflohen, und er hat mich gefunden, ich wollte ihm entweichen, und er hat mich erreichet. Denn es ist kein Entweichen vor seiner Liebe und kein Obsiegen wider seine Kraft. Er hat mich besiegt, meine Brüder, und nichts ist süßer, als von ihm besiegt zu sein.
DER ÄLTESTE (ekstatisch):
Jeremias… oh, Jeremias… uns allen möge er tuen wie dir!
JEREMIAS:
Oh, daß ich so spät ihn erkannte, so spät euch fand, meine Brüder! Doch ich will nicht klagen mehr. Ich will nur mehr danken, ich will nicht fluchen mehr, ich will nur mehr segnen. Dunkel liegt vor uns die Stadt, dunkel unser Schicksal, aber, meine Brüder, vertrauen wir, denn wunderbar ist das Leben, heilig die irdische Erde. In Liebe will ich umfassen, die ich im Zorne getreten, und die ich bespien mit meinem Fluche, will ich tränken mit meinen Tränen. Nimm, Erde, du geschmähte, gütig meine demütigen Knie; nimm, Gott, du verkannter, gnädig mein gläubiges Wort!
(Er kniet nieder und spricht wie ein Gebet:)
Ich danke dir, Herr, daß du so lind mir begegnet,
Als ich mich wehrte und von dir gekehrt,
Ich hab dir geflucht, und du hast mich gesegnet,
So segn ich, solang mir mein Leben währt.
Ich segne dich, daß du das würzige Brot
Des Wortes in meine Lippen getan,
Damit ich dich preise in Leben und Tod,
Ich segne dich, daß du mir wecktest den Geist,
Der die Welten mit Liebe durchgütet und speist.
Ich segne dich, daß du so hart mich gefaßt
Und im Zorn vor dein Antlitz getrieben hast,
Und ich segne dich, Gottes Gabe, dich Leid,
Daß du läuternd die Seelen der Menschen durchdringst
Und flammend mit deiner Allfältigkeit
Ihre Einsamkeit einst, ihre Fremde bezwingst,
Und ich segne dich, Gott, der es im Sturm uns gesendet,
Der du mit Qualen beginnst und mit Seligkeit endest,
Der die Suchenden führt und die Fliehenden findet,
Dem jeder entweicht und dem sich keiner entwindet,
Der dem Niedersten sich als der Gnädigste gibt
Und den Sündigsten um seiner Sünden liebt,
Selig, der sich an dich verloren,
Selig, den du dir auserkoren,
Selig der Himmel, der dich rauschend umstellt,
Selig dein lauschender Spiegel, die Welt,
Selig die Sterne, die sie strahlend umschweben,
Selig der Tod und selig das Leben!
BARUCH (auf die Knie zu dem Knienden stürzend):
Jeremias, mein Meister, Jeremias! Nicht uns allein lasse leuchten dein Wort. Auf dem Markte harret das Volk, und sie vergehen in Ängsten, ihre Seele lischt in Zagen und Klagen. Sie wollen sterben und vergehen um Jerusalems willen. Meister, mein Meister, gib ihnen Leben, gib ihnen Gott zurück! Richte auf die Verzagten, und die Durstigen tränke mit den Wassern des Lebens!
DER ÄLTESTE:
Ja, richte auf der Wankenden Knie, belebe die zagenden Herzen! Gieß aus dein Wort über die Schmachtenden, gieß es aus!
STIMME:
Auf… zu den Brüdern… zu unsern Brüdern… erwecke sie… gib ihnen Trost, wie du uns gegeben… gib Verkündigung… gib Verheißung…
JEREMIAS (sich aufrichtend):
Wohlan, meine Brüder, führet mich zu ihnen! Der Getröstete Gottes bin ich gewesen, nunab will ich ein Tröster sein! Laßt uns gehen, meine Brüder, vielleicht ist der Verworfene gewählet, laßt uns gehen zu den Brüdern, den verzagten, daß wir den Tempel in ihren Herzen aufrichten, daß wir ihnen bauen das ewige Jerusalem!
(JEREMIAS geht mit starken Schritten gegen den Ausgang.)
DIE ANDERN (umringen ihn jauchzend, einige eilen voraus, ihre Stimmen klingen ekstatisch durcheinander):
Jerusalem… oh, das ewige Jerusalem… Verkündigung… Auf, Bauherr Gottes… Ewig währet Jerusalem…
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Die hier vorzufindene Sammlung der gemeinfreien Werke Stefan Zweigs ist aus der Ausgabe des Null Papier Verlages übernommen. Zu dieser Ausgabe gelangen Sie durch einen Klick auf diesen Eintrag.