Viertes Kapitel – Minister des Direktoriums und des Konsulats
1799 – 1802
Hat schon jemand den Hymnus des Exils gedichtet, dieser schicksalsschöpferischen Macht, die im Sturz den Menschen erhöht, im harten Zwange der Einsamkeit neu und in anderer Ordnung die erschütterten Kräfte der Seele sammelt? Immer haben die Künstler das Exil nur angeklagt als scheinbare Störung des Aufstiegs, als nutzloses Intervall, als grausame Unterbrechung. Aber der Rhythmus der Natur will solche gewaltsame Zäsuren. Denn nur wer um die Tiefe weiß, kennt das ganze Leben. Erst der Rückschlag gibt dem Menschen seine volle vorstoßende Kraft.
Der schöpferische Genius, er vor allem braucht diese zeitweilig erzwungene Einsamkeit, um von der Tiefe der Verzweiflung, von der Ferne des Ausgestoßenseins den Horizont und die Höhe seiner wahren Aufgabe zu ermessen. Die bedeutsamsten Botschaften der Menschheit, sie sind aus dem Exil gekommen, die Schöpfer der großen Religionen, Moses, Christus, Mohammed, Buddha, alle mußten sie erst eingehen in das Schweigen der Wüste, in das Nicht-unter-Menschen-Sein, ehe sie entscheidendes Wort erheben konnten. Miltons Blindheit, Beethovens Taubheit, das Zuchthaus Dostojewskis, der Kerker Cervantes’, die Einschließung Luthers auf der Wartburg, das Exil Dantes und Nietzsches selbstwillige Einbannung in die eisigen Zonen des Engadins, alle waren sie gegen den wachen Willen des Menschen geheim gewollte Forderung des eigenen Genius.
Aber auch in der niedern, in der irdischeren, in der politischen Welt schenkt ein zeitweiliges Außensein dem Staatsmann neue Frische des Blicks, ein besseres Überdenken und Berechnen des politischen Kräftespiels. Nichts Glücklicheres kann darum einer Laufbahn geschehen als ihre zeitweilige Unterbrechung, denn wer die Welt einzig immer nur von oben sieht, aus der Kaiserwolke, von der Höhe des elfenbeinernen Turmes und der Macht, der kennt nur das Lächeln der Unterwürfigen und ihr gefährliches Bereitsein: wer immer selbst das Maß in Händen hält, verlernt sein wahres Gewicht. Nichts schwächt den Künstler, den Feldherrn, den Machtmenschen mehr als das unablässige Gelingen nach Willen und Wunsch; erst im Mißerfolg lernt der Künstler seine wahre Beziehung zum Werk, erst an der Niederlage der Feldherr seine Fehler, erst an der Ungnade der Staatsmann die wahre politische Übersicht. Immerwährender Reichtum verweichlicht, immerwährender Beifall macht stumpf; nur die Unterbrechung schafft dem leerlaufenden Rhythmus neue Spannung und schöpferische Elastizität. Nur das Unglück gibt Tiefblick und Weitblick in die Wirklichkeit der Welt. Harte Lehre, aber Lehre und Lernen ist jedes Exil: dem Weichlichen knetet es den Willen neu zusammen, den Zögernden macht es entschlossen, den Harten noch härter. Immer ist dem wahrhaft Starken das Exil keine Minderung, sondern nur Kräftigung seiner Kraft.
Das Exil Joseph Fouchés dauerte mehr als drei Jahre, und die einsame, unwirtliche Insel, auf die er verschickt wird, heißt: Armut. Gestern noch Prokonsul und Mitgestalter des Schicksals der Revolution, stürzt er von den höchsten Stufen der Macht in ein solches Dunkel, in solchen Schmutz und Schlamm hinab, daß man seine Spuren nicht mehr findet. Der einzige, der ihn damals gesehen, Barras, gibt ein erschütterndes Bild von der jämmerlichen Dachkammer, jener Höhle knapp unter dem Himmel, wo Fouché haust mit seiner häßlichen Frau und zwei kleinen ungesunden, rothaarigen Kindern, Albinos von seltener Häßlichkeit. Fünf Treppen hoch, in einem unsaubern, dumpfigen, von der Sonne bebrüteten Raum, versteckt sich der Gestürzte, vor dessen Worten Zehntausende gezittert und der in ein paar Jahren wieder als Herzog von Otranto am Steuer europäischen Geschickes stehen wird, nun aber nicht weiß, von welchem Gelde am nächsten Tag den Kindern Milch kaufen, die erbärmliche Miete bezahlen und gleichzeitig noch dies jämmerliche Leben verteidigen vor unsichtbar-unzählbaren Feinden, vor den Rächern Lyons.
Niemand, selbst sein getreuester, genauester Biograph Madelin, weiß erschöpfend anzugeben, wovon Joseph Fouché während dieser Elendsjahre sein Dasein gefristet hat. Er bezieht kein Gehalt mehr als Deputierter, sein Familienvermögen hat er verloren beim Aufstand von San Domingo, keiner wagt den ›Mitrailleur de Lyon‹ öffentlich anzustellen oder zu beschäftigen, alle Freunde haben ihn verlassen, jeder weicht ihm aus. Die seltsamsten, dunkelsten Geschäfte soll er betrieben haben – wahrhaftig, es ist keine Fabel, der spätere Herzog von Otranto befaßt sich damals mit der Mästung von Schweinen. Aber bald wählt er ein noch unsaubereres Geschäft, nämlich das eines Spiones für Barras, den einzigen von den neuen Machthabern, der mit einem merkwürdigen Mitleid den Gestürzten noch immer empfängt. Freilich nicht im Audienzzimmer des Ministeriums, sondern irgendwo im Dunkeln; dort wirft er ihm, dem unermüdlichen Bettler, ab und zu ein kleines schmieriges Geschäftchen hin, eine Armeeschiebung, eine Inspektionsreise, immer so eine winzige Einträglichkeit, die den Lästigen wieder für vierzehn Tage über Wasser hält. Aber bei diesen vielfachen Versuchen entdeckt sich das eigentliche Talent Fouchés. Denn Barras hat schon damals allerhand politische Pläne, er mißtraut seinen Kollegen und kann dazu einen Privatspitzel gut brauchen, einen unterirdischen Zubringer und Ausflüsterer, der nicht zur offiziellen Polizei gehört, eine Art Privatdetektiv. Dazu eignet sich Fouché vorzüglich. Er lauscht und belauscht, dringt auf Hintertreppen in die Häuser, lockt allen Bekannten den Schwatz des Tages eifrig heraus und trägt diesen schmutzigen Schleim der Öffentlichkeit heimlich Barras zu. Und je ehrgeiziger Barras wird, je gieriger seine Pläne einen Staatsstreich visieren, um so notwendiger braucht er Fouché. Längst stören ihn im Direktorium (dem Rate der Fünf, der jetzt Frankreich beherrscht) die zwei anständigen Leute, Carnot vor allem, der geradeste Mann der Französischen Revolution, und er sinnt, sich ihrer zu entledigen. Wer aber einen Staatsstreich plant und Verschwörungen anzettelt, braucht vor allem skrupellose Hin- und Herläufer, Männer à tout faire, Bravos und Bulos, wie sie die Italiener nennen, Menschen, einerseits charakterlos und doch in dieser Charakterlosigkeit verläßlich, dazu eignet sich Fouché wie kein zweiter. Das Exil wird seine Schule für die Karriere, und in ihr entfaltet er sein zukünftiges Talent des Meisters der Polizei.
Endlich, endlich, nach langer, langer Nacht in Lebensfrost, in Armutsdunkel, wittert Fouché Morgenluft. Ein neuer Herr ist im Lande, eine neue Macht im Entstehen, und er beschließt, ihr zu dienen. Diese neue Macht ist das Geld. Kaum liegen Robespierre und die Seinen auf dem harten Holzbrett, da ist es auferstanden, das allmächtige Geld, und hat wieder tausend Schranzen und Knechte. Equipagen mit schön gestriegelten, neubezäumten Pferden fahren wieder durch die Straßen, und innen sitzen, halbnackt wie griechische Göttinnen, bezaubernde Frauen in kostbarem Taft und Musselin. Im Bois reitet die Jeunesse dorée aus in straffen weißen Nankinghosen, gelben, braunen, roten Fräcken. In der beringten Hand tragen sie elegante Reitpeitschen mit goldenen Griffen, die sie gern auch gegen die einstigen Terroristen anwenden; man macht gute Geschäfte in den Parfümerieläden und bei den Juwelieren, fünfhundert, sechshundert, tausend Tanzbuden, Kaffeehäuser tauchen plötzlich auf, man baut Villen und kauft Häuser, man geht ins Theater, man spekuliert und wettet, kauft und verkauft und spielt um Tausende hinter den damastenen Vorhängen des Palais Royal. Das Geld ist wieder da, selbstherrlich, frech und verwegen.
Aber wo war es gewesen, das Geld, zwischen 1791 und 1795, in Frankreich? Es war immer da, es hat sich nur versteckt. Genau wie in Deutschland und Österreich zur Zeit der Kommunistenangst, 1919, haben sich plötzlich die reichen Leute scheintot gestellt und in abgerissenen Kleidern geklagt, denn wer unter Robespierre nur den geringsten Luxus um sich duldete, ja wer sich nur ihm näherte, galt als »mauvais riche« (um mit Fouché zu reden), galt als verdächtig: es wurde unbehaglich, als reich zu gelten. Heute wieder gilt nur, wer reich ist. Und glücklicherweise kommt jetzt eine herrliche Zeit (wie immer im Chaos), sich Geld zu machen. Denn die Vermögen schichten sich um; Güter werden verkauft: man verdient daran. Emigrantenbesitz wird versteigert: man verdient daran. Den Verurteilten werden ihre Vermögen konfisziert: man verdient daran. Die Assignaten sinken von Tag zu Tag im Kurs, ein wildes Inflationsfieber schüttelt das Land: man verdient daran. An allem kann man verdienen, wenn man nur flinke, freche Hände und Verbindungen zur Regierung hat. Aber unvergleichlich herrlich strömt eine Quelle vor allem: der Krieg. Schon 1791, gleich zu Anfang hatten ein paar einzelne (genau wie ein paar einzelne 1914) die Entdeckung gemacht, daß man an dem menschenfressenden, wertzerstörenden Krieg auch Profit machen könnte, aber damals waren Robespierre und Saint-Just, die Unbestechlichen, grimmig den »accapareurs« an die Gurgel gesprungen. Jetzt aber, nachdem diese Catos Gott sei Dank! erledigt sind und die Guillotine im Speicher rostet, spüren die Schieber und Armeelieferanten goldene Zeit. Jetzt darf man getrost schlechte Schuhe liefern für gutes Geld, an Vorschüssen und Requisitionen sich ausgiebig die Taschen füllen. Voraussetzung freilich, daß man Lieferungen zugewiesen bekommt. Deshalb erfordern solche Geschäftchen immer einen richtigen Mittler, einen wohlakkreditierten und doch empfänglichen Schrittmacher, der den Spekulanten die Stalltür von rückwärts zur reichlichen Krippe des Staates und des Krieges aufklinkt. Für solche schmutzige Geschäfte ist Joseph Fouché jetzt der ideale Mann. Das Elend hat ihm sein republikanisches Gewissen gründlich weggeputzt, er hat den Geldhaß ruhig in den Rauchfang gehängt, man kann den Halbverhungerten billig kaufen. Und andererseits hat er die besten »Beziehungen«, geht er doch (als Spion) im Vorzimmer Barras’, des Präsidenten des Direktoriums, aus und ein. So wird über Nacht der Radikalkommunist von 1793, der durchaus das »Brot der Gleichheit« backen lassen wollte, Intimus der neugebackenen republikanischen Bankiers und besorgt gegen gute Prozente alle ihre Wünsche und Geschäfte. Zum Beispiel steht der Schieber Hinguerlot, einer der frechsten und skrupellosesten Geldmacher der Republik (Napoleon hat ihn erbittert gehaßt), gerade vor einer lästigen Anklage: er hat ein wenig zu frech geschoben und bei Lieferungen sich zu liebevoll die Tasche beliefert. Nun hängt ihm ein Prozeß im Nacken, der viel Geld und vielleicht den Kopf kosten kann. Was tut man in solchen Situationen (damals wie heute)? Man wendet sich an irgendeinen Mann, der gute Verbindungen nach »oben«, der politischen oder privaten Einfluß hat und die ärgerliche Affäre »richten« kann. Man wendet sich also an Fouché, den Zuträger Barras’, der sofort seine Sohlen schmiert und zum Allmächtigen läuft (der Brief ist gedruckt in dessen Memoiren), und tatsächlich, die unsaubere Affäre wird still und schmerzlos erstickt. Dafür nimmt ihn nun Hinguerlot mit bei Armeelieferungen, Börsengeschäften, und »l’appétit vient en mangeant«. Fouché entdeckt 1797, daß Geld bedeutend besser riecht als das Blut von 1793, und gründet dank seiner neuen »Beziehungen« einerseits zur neuen Großfinanz, anderseits zur korrupten Regierung eine neue Belieferungskompagnie für die Armee Scherer. Die Soldaten des braven Generals werden schlechte Stiefel kriegen und in ihren dünnen Mänteln frieren, sie werden geschlagen werden auf den Ebenen von Italien, aber das Wichtigste: die Kompagnie Fouché-Hinguerlot und wahrscheinlich auch Barras selbst ziehen festen Profit. Verschwunden der Abscheu vor dem »verächtlichen und verderberischen Metall«, den der Ultrajakobiner und Suprakommunist Fouché noch vor drei Jahren so beredt ausposaunte, vergessen auch die Haßausbrüche gegen die »bösen Reichen«, vergessen, daß »der gute Republikaner nichts braucht als Brot und Eisen und vierzig Écus pro Tag«: jetzt heißt es, endlich einmal selber reich werden. Denn im Exil hat Fouche die Macht des Geldes erkannt und dient ihr wie jeder Macht. Zu lange Zeit, zu schmerzhaft hat er das Unten erlitten, das gräßliche Untensein im Schmutz der Verachtung und Entbehrung – nun spannt er alle seine Kräfte, um nach Oben zu kommen, hinauf in jene Welt, wo man für Geld Macht kauft und aus Macht wieder Geld prägt. Der erste Stollen ist gegraben in dieses ergiebigste aller Bergwerke, der erste Schritt getan auf dem phantastischen Weg von einer Dachkammer des fünften Stockwerkes zu einem Herzogssitz, aus dem Nichts zu einem Vermögen von zwanzig Millionen Franken.
Nun Fouché den unangenehmen Ballast der revolutionären Prinzipien gründlich vom Rücken geworfen, ist er beweglich geworden: und über Nacht hat er den Fuß wieder im Steigbügel. Sein Freund Barras macht nicht nur dunkle Geldtransaktionen, sondern auch schmierige politische Geschäfte. Er will in aller Stille die Republik an Ludwig XVIII. gegen einen Herzogstitel und eine dicke Stange Geld verkaufen. Dabei stört ihn einzig die Gegenwart anständiger, republikanisch gesinnter Kollegen, wie Carnot, die noch immer an die Republik glauben und nicht verstehen wollen, daß Ideale doch nur da sind, um an ihnen zu verdienen. Und bei Barras’ Staatsstreich vom achtzehnten Fructidor, der ihn dieser lästigen Wächter entledigt, hat zweifellos Fouché durch Unterminierungen reichlich seinem Geschäftskumpan geholfen, denn kaum ist sein Protektor Barras nun unbeschränkter Herr des Fünferrats, des erneuerten Direktoriums, so drängt der Lichtscheue schon stürmisch vor und fordert seinen Preis. Barras soll ihn beschäftigen, in der Politik, bei der Armee, an irgendeiner Stelle, in irgendeiner Mission, wo man sich die Taschen vollsacken und von den Jahren des Elends erholen kann. Barras, der diesen Menschen braucht, kann dem Diener seiner dunklen Geschäfte kaum nein sagen, aber immerhin, der Name Fouchés, des Mitrailleurs von Lyon, stinkt noch zu sehr nach vergossenem Blut, als daß man in den Flitterwochen der Reaktion sich in Paris offen mit ihm kompromittiere. So wird er von Barras als Vertreter der Regierung zunächst nach Italien zur Armee und dann zur batavischen Republik nach Holland geschickt, um geheime Verhandlungen zu führen. Denn daß er Meister ist im unterirdischen Intrigenspiel, das weiß Barras nun schon aus Erfahrung: er wird es bald am eigenen Leibe noch gründlicher erfahren.
1798 ist Fouche also Gesandter der Französischen Republik: er hat den Fuß wieder im Steigbügel. Genau wie einst in seiner blutigen Mission, entwickelt er nun in der diplomatischen die gleiche kalte Energie; besonders in Holland erzielt er blitzschnell Erfolge. An tragischen Erfahrungen gealtert, von stürmischen Zeiten gereift, in der harten Esse des Elends geschmeidigt, bewährt Fouché seine alte Tatkraft, mit einer neuen Vorsicht gepaart. Bald erkennen sie oben, die neuen Herren: das ist ein Mann, der sich brauchen läßt, der nach dem Winde tanzt und mit dem Gelde springt, gefällig nach oben, rücksichtslos gegen unten, der rechte und geschickte Seemann bei hohem Wellengang. Und da das Schiff der Regierung immer gefährlicher schwankt und bei seinem unsichern Kurse jeden Augenblick zu scheitern droht, faßt das Direktorium am 3. Thermidor 1799 einen unerwarteten Entschluß: Joseph Fouché, in geheimer Mission in Holland, wird plötzlich über Nacht zum Polizeiminister der Französischen Republik ernannt.
Joseph Fouché Minister! Paris schrickt auf wie von einem Kanonenschuß. Beginnt noch einmal der Terror, daß sie diesen Bluthund von der Kette lassen, den Mitrailleur von Lyon, den Hostienschänder und Kirchenplünderer, den Freund des Anarchisten Baboeuf? Wird man – Gott behüte! –jetzt auch Collot d’Herbois und Billaud von den Fieberinseln von Guayana zurückholen und die Guillotine wieder auf den Republikplatz stellen? Wird man am Ende wieder das »Brot der Gleichheit« backen, die philanthropischen Komitees einführen, die den reichen Leuten ihr Geld abknöpfen? Paris, das längst beruhigte, mit seinen eintausendfünfhundert Tanzlokalen, seinen blendenden Läden, seiner Jeunesse dorée, entsetzt sich, – die Reichen und die Bürger zittern wieder wie Anno 1792. Nur die Jakobiner sind zufrieden, die letzten Republikaner. Endlich, nach furchtbaren Verfolgungen, ist wieder einer der ihren an der Macht, der kühnste, der radikalste, der unbeugsamste; nun wird endlich der Reaktion Schach geboten werden, die Republik gesäubert von den Royalisten und Verschwörern!
Aber sonderbar, beide, die einen und die andern, fragen sich nach wenigen Tagen: Heißt dieser Polizeiminister wirklich Joseph Fouché? Wieder einmal hat sich das weise Wort Mirabeaus bewährt (heute noch gültig für Sozialisten), daß Jakobiner als Minister nicht mehr jakobinische Minister sind: denn siehe, die Lippen, die früher von Blut troffen, fließen jetzt über vom Öl der Versöhnungsworte. Ordnung, Ruhe, Sicherheit, diese Phrasen kehren unablässig wieder in den Polizeiproklamationen des Exterroristen, und Bekämpfung der Anarchie ist seine erste Devise. Die Freiheit der Presse muß eingeschränkt, den ewigen Hetzreden ein Ende gemacht werden. Ordnung, Ordnung, Ruhe und Sicherheit–kein Metternich, kein Seldnitzki, kein Erzreaktionär des österreichischen Kaiserreiches verfaßt konservativere Dekrete als Joseph Fouché, der »Mitrailleur de Lyon«.
Die Bürger atmen auf: Welch ein Paulus ist aus diesem Saulus geworden! Aber die wahrhaften Republikaner toben vor Entrüstung in ihren Versammlungssälen. Sie haben wenig gelernt in diesen Jahren, noch immer halten sie ingrimmige Reden, Reden und Reden, sie bedrohen das Direktorium, die Minister und die Verfassung mit Zitaten aus dem Plutarch. Sie tun so wild, als lebten noch Danton und Marat, als könnten noch wie damals die Sturmglocken Hunderttausende aus den Vorstädten zusammenrotten. Immerhin: ihre lästigen Quengeleien machen schließlich das Direktorium unruhig. Was soll man dagegen tun? bestürmen die Kollegen den neugewählten Polizeiminister.
»Den Klub schließen«, antwortet der Unerschütterliche. Ungläubig sehen ihn die andern an und fragen, wann er zu dieser verwegenen Maßnahme schreiten würde. »Morgen«, antwortet gemächlich Fouche. Und tatsächlich, am nächsten Abend begibt sich Fouché, der ehemalige Präsident der Jakobiner, in den radikalen Klub der Rue du Bac. In diesem Kreis hat all diese Jahre das Herz der Revolution geschlagen. Es sind dieselben Männer, vor denen Robespierre, Danton und Marat, vor denen er selbst leidenschaftliche Reden gehalten: nach dem Sturz Robespierres, nach der Niederlage Baboeufs lebt einzig im Klub de Manège noch die Erinnerung an die Sturmtage der Revolution.
Aber Sentimentalität ist nicht Fouchés Sache, er kann, wenn er will, auf unheimlich rasche Weise seine Vergangenheit vergessen. Der einstige Mathematikprofessor aus dem Oratorium mißt immer nur das Parallelogramm der realen Kräfte. Er weiß den republikanischen Gedanken erledigt, die besten Führer, die Männer der Tat, unter der Erde: so sind alle die Klubs längst herabgesunken zu geselligen Schwatzbuden, wo einer dem andern die Phrasen aus dem Munde holt. Anno 1799 sind die Zitate aus dem Plutarch und die patriotischen Worte mit den Assignaten im Kurs gefallen: man hat zu viele Phrasen gedroschen und zu viele Banknoten gedruckt. Frankreich ist (wer weiß es besser als der Polizeiminister, der die öffentliche Meinung kontrolliert!) müde der Advokaten und Redner und Neuerer, müde der Dekrete und Gesetze, es will nur noch Ruhe, Ordnung, Frieden und klare Finanzen; wie nach ein paar Jahren Krieg, kommt auch nach ein paar Jahren Revolution, nach jeder Gemeinsamkeitsekstase, immer der unaufhaltsame Egoismus des einzelnen, der Familie wieder zum Recht. Gerade hält einer der Republikaner, einer der längst ausgewerteten, eine hitzige Rede, da wird die Türe aufgestoßen, und in der Uniform des Ministers tritt Fouché herein, von Gendarmen begleitet. Mit einem kalten Blick mißt er erstaunt die aufspringende Versammlung: was für erbärmliche Gegner! Längst sind die Tatmenschen, die Geistmenschen der Revolution, ihre Helden und Desperados dahin: nur die Schwätzer sind geblieben, und gegen die Schwätzer genügt eine entschlossene Geste. Ohne zu zögern, steigt er die Tribüne hinauf, zum erstenmal nach sechs Jahren hören die Jakobiner wieder seine eisige, nüchterne Stimme, aber nicht, um wie früher zur Freiheit aufzurufen und zum Haß gegen die Despoten, sondern ruhig erklärt der hagere Mann klipp und klar den Klub für geschlossen. Die Überraschung ist so groß, daß niemand Widerstand leistet. Sie toben nicht, sie stürzen nicht, wie sie es immer geschworen, mit Dolchen gegen den Vernichter der Freiheit. Sie stammeln nur, sie schleichen zurück und verlassen bestürzt den Raum. Fouché hat richtig gerechnet: gegen Männer muß man kämpfen, Schwätzer schlägt man mit einer Geste nieder.
Nun der Saal geräumt ist, schreitet er gemächlich zur Tür, schließt sie ab und steckt den Schlüssel in die Tasche. Und mit dieser Schlüsseldrehung ist eigentlich die Französische Revolution zu Ende.
Ein Amt ist immer nur das, was ein Mann aus ihm macht. Als Joseph Fouché das Ministerium der Polizei übernimmt, bekommt er damit eine durchaus subalterne Funktion, eine Art Unterpräfektur des Ministeriums des Innern. Er soll überwachen und informieren, als Kärrner das Material zusammenschaffen für die innere und äußere Politik, mit dem dann die Herren des Direktoriums wie die Könige bauen. Aber kaum hat Fouché drei Monate lang die Macht in Händen, so merken seine Gönner erschreckt, erstaunt und schon wehrlos, daß er nicht nur nach Unten überwacht, sondern auch nach Oben, daß der Polizeiminister die anderen Minister, das Direktorium, die Generale, die ganze Politik kontrolliert. Sein Netz überzieht alle Ämter und Obliegenheiten, in seine Hände münden alle Nachrichten, er macht Politik neben der Politik, Krieg neben dem Krieg, überallhin schiebt er die Grenzen seiner Befugnisse vor, bis schließlich Talleyrand ärgerlich die Stellung des Polizeiministers neu definieren muß: »Der Polizeiminister ist ein Mann, der sich zunächst um alle Dinge kümmert, die ihn angehen; und sodann in zweiter Linie um alle, die ihn nichts angehen.«
Großartig ist diese komplizierte Maschine, dieser Universalkontrollapparat eines ganzen Landes aufgebaut. Tausend Nachrichten münden jeden Tag in das Haus am Quai Voltaire, denn nach ein paar Monaten hat dieser Meister das ganze Land mit Spionen, Geheimagenten und Zuträgern durchsetzt. Aber man stelle sich diese seine Spitzel nicht bloß als die üblichen plumpen Kleinbürgerdetektive vor, die bei den Hausmeistern und im Weinhaus, in Bordellen und Kirchen den Tagesschwatz belauschen: Fouchés Agenten tragen auch goldene Tressen und Diplomatenröcke und zarte Spitzenroben, sie plaudern in den Salons des Faubourg Saint-Germain und schleichen sich anderseits wieder, patriotisch verkleidet, in die Geheimsitzungen der Jakobiner. In der Liste seiner Söldlinge finden sich Marquis und Herzoginnen mit den klingendsten Namen Frankreichs, ja, er darf sich rühmen (phantastisches Faktum!), die höchste Frau des Reiches, Josephine Bonaparte, die spätere Kaiserin, in seinen Diensten zu haben. Im Bureau seines späteren Herrn und Kaisers ist der Sekretär an ihn verkauft, in Hartwell in England der Koch des Königs Ludwig XVIII. von ihm bestochen. Jeder Schwatz wird gemeldet, jeder Brief wird geöffnet. Bei der Armee, bei den Kaufleuten, bei den Deputierten, in der Weinstube und Versammlung horcht der Polizeiminister unsichtbar mit, und alle diese tausend Nachrichten laufen täglich in der Richtung seines Schreibtisches zusammen. Dort werden die teilweise richtigen und wichtigen, teils bloß schwatzhaften Denunziationen geprüft, gesiebt und verglichen, bis sich aus tausend Chiffren klare Nachricht ergibt.
Denn Nachricht ist alles; im Krieg wie im Frieden, in der Politik wie in der Finanz. Nicht mehr der Terror, sondern nur das Wissen ist 1799 die Macht in Frankreich. Das Wissen um jeden dieser traurigen Thermidoristen, wieviel Geld er nimmt, von wem er bestochen wird, für wieviel er käuflich ist, um ihn in Schach zu halten und so den Übergeordneten zum Untertanen zu machen; das Wissen um die Verschwörungen, teils um sie niederzuschlagen, teils um sie zu fördern und so in der Politik immer nach der rechten Seite zu lavieren; das Vorauswissen der Nachrichten vom Kriegsschauplatz und den Friedensverhandlungen, um mit gefälligen Finanzleuten an der Börse zu operieren und sich endlich einmal an ein Vermögen festzuankern. So schafft diese Nachrichtenmaschine in Fouchés Händen ständig Geld, und Geld wiederum dient als Öl, das sie geräuschlos im Rollen hält. Aus den Spielhäusern, den Bordellen, aus den Bankhäusern fließen diskrete Abgaben in Millionenbeträgen in seine Hand, um sich dort in Bestechung umzusetzen, die Bestechung wiederum bringt Informationen: so stockt und versagt niemals diese ungeheure, raffinierte Maschinerie der Polizei, die ein einzelner Mensch aus dem Nichts innerhalb weniger Monate dank seiner ungeheuren Arbeitskraft und seines psychologischen Genies erschafft.
Aber das Genialste an dieser unvergleichlichen Maschinerie Fouchés ist dies: sie funktioniert nur in einer und einer einzigen Hand. Irgendwo hat sie eine eingebaute Schraube: nimmt man diese heraus, so stockt sofort der sausende Umschwung. Fouché sorgt von dem ersten Augenblick an für den Fall einer Ungnade. Er weiß, wenn man ihn verabschiedet, genügt ein Handgriff, um die von ihm konstruierte Maschine sofort außer Gang zu setzen. Denn nicht für den Staat, nicht für das Direktorium, nicht für Napoleon schafft dieser Machtmensch sein Werk, sondern einzig für sich selbst. Nicht etwa, daß er daran dächte, das Destillat aller Nachrichten, das chemisch in seiner Retorte gewonnen wird, pflichtgemäß seinen Vorgesetzten zu übermitteln; er gibt rücksichtslos egoistisch nur das weiter, was er weitergeben will; wozu die Tölpel im Direktorium klüger machen und sie in seine Karten sehen lassen? Ausschließlich, was ihm nützt, was unbedingt notwendig ist für seinen eigenen Vorteil, läßt er aus seinem Laboratorium heraus, alle andern Pfeile und Gifte verwahrt er sorgfältig in seinem Privatarsenal für persönliche Rache und politischen Meuchelmord. Immer weiß Fouché mehr, als man im Direktorium weiß, daß er weiß, und dadurch wird er für jeden gefährlich und unentbehrlich zugleich. Er weiß von den Verhandlungen Barras’ mit den Royalisten, von dem Kronprätendententum Bonapartes, von den Treibereien bald der Jakobiner, bald der Reaktionäre, aber niemals enthüllt er diese Geheimnisse, sobald er sie erfährt, sondern immer erst im Augenblick, wenn ihm die Enthüllung vorteilhaft erscheint. Manchmal fördert er die Verschwörungen, manchmal hemmt er sie, manchmal stiftet er sie künstlich an, manchmal deckt er sie geräuschvoll auf (und mahnt gleichzeitig die Beteiligten, sich rechtzeitig in Sicherheit zu bringen); immer spielt er doppeltes, dreifaches, vierfaches Spiel, und das Täuschen und Narren nach allen Seiten, an allen Tischen wird allmählich seine Leidenschaft. Dazu gehört freilich voller Einsatz an Kraft und Zeit: damit spart Fouché, der Zehnstundenarbeiter, nicht. Lieber, als einem Zweiten Einblick in Polizeigeheimnisse zu gewähren, sitzt er von morgens bis abends in seinem Bureau, überprüft alle Papiere persönlich und erledigt jeden einzelnen Akt. Jeden wichtigen Angeklagten verhört er allein bei geschlossenen Türen in seinem Kabinett, damit er, nur er und nicht einmal seine Unterbeamten, die entscheidenden Einzelheiten erfahre, und so hat er allmählich als ein unbestallter Beichtiger des ganzen Landes die Geheimnisse aller Menschen in seiner Hand. Wiederum herrscht er durch Terror wie einst in Lyon, nur ist es nicht mehr das plumpe, tödlich niederknirschende Beil, sondern das seelische Gift der Angst, des Schuldbewußtseins, des Sich-belauscht-Fühlens und Sich-entdeckt-Wissens, mit dem er Tausenden den Atem auspreßt. Die Maschine von 1792, die Guillotine, erfunden, um jeden Widerstand gegen den Staat niederzuhalten, ist ein plumpes Werkzeug, verglichen mit der raffinierten und aus geistiger Überlegenheit kombinierten Polizeimaschinerie Joseph Fouchés von 1799.
Auf diesem Instrument, das er sich selbst in die Hand gebaut, spielt Fouché als vollendeter Künstler. Er kennt das höchste Geheimnis der Macht: sie heimlich zu genießen, sie sparsam zu nützen. Vorbei die Zeiten von Lyon, wo grimmige Revolutionsgarden mit gezücktem Bajonett Zutritt wehrten zu des Allmächtigsten Gemach. Jetzt drängen sich in seinem Vorzimmer die Damen des Faubourg Saint-Germain und werden gern vorgelassen. Er weiß, was sie wollen. Die eine bittet um die Streichung eines Verwandten von der Emigriertenliste, die andere möchte einem Vetter gute Stellung vermitteln, die dritte peinlichen Prozeß niederschlagen. Zu allen gibt sich Fouché gleich liebenswürdig. Warum sich unbeliebt machen bei irgendeiner Partei, bei den Jakobinern oder Royalisten, bei den Gemäßigten oder Bonapartisten, solange man noch nicht weiß, welche morgen ans Ruder kommen? So spielt der einst gefürchtete Terrorist den Mann bezaubernder Konzilianz; öffentlich, in seinen Reden und Proklamationen, donnert er zwar mächtig gegen Royalisten und Anarchisten, aber heimlich, unter der Hand, warnt er oder besticht er sie. Er vermeidet laute Prozesse, grimmige Bluturteile: ihm genügt die Geste der Gewalt statt der Gewalt, die wirkliche unterirdische Macht im Staate statt einer leeren Attrappe, wie sie Barras und seine Kollegen auf ihren Federhüten tragen.
So geschiehts, daß in wenigen Monaten aus dem Gottseibeiuns Fouché der Liebling aller geworden ist, denn welcher Minister und Staatsmann wird allzeit und allorts beliebter, als der mit sich reden läßt, der gemächlich zuschaut oder gar mithilft, Geld zu verdienen, Ämterchen zu erlangen, der jedem Konzessionen macht und die strengen Augen freundlich niederschlägt, sofern man nur die Nase nicht zu tief in die Politik steckt oder ihn bei seinen eigenen Plänen hindert? Ist es nicht besser, den Leuten ihre Überzeugungen abzukaufen und abzuschmeicheln, statt Kanonen auffahren zu lassen? Genügt es nicht, unruhige Köpfe ins Geheimkabinett zu rufen und ihnen dort ihr Todesurteil ausgefertigt in einer Lade zu zeigen, statt es wirklich durchzuführen? Freilich, wo sich wirklicher Aufruhr regt, da greift die alte harte Hand unbarmherzig zu. Aber wer stille hält und nicht gegen den Stachel leckt, gegen den entwickelt der alte Terrorist seine noch ältere priesterliche Duldung. Er kennt die Schwäche der Menschheit für das Geld, für den Luxus, für die kleinen Laster, für die privaten Pläsiere – gut, habeant! Nur sich ruhig verhalten! Die großen Bankiers, unter der Republik bisher mit allen Hunden gehetzt, können jetzt geruhig schieben und verdienen, Fouché steckt ihnen Nachrichten zu und sie ihm dafür Anteil an den Gewinnen. Die Presse, unter Marat und Desmoulins ein bissiger blutgieriger Köter, ei, wie gefällig wedelt sie ihm um die Beine, auch sie nimmt lieber Zuckerbrot als die Peitsche. Nach ganz kurzer Zeit ist das Gelärme der privilegierten Patrioten einer schmatzenden Stille gewichen, Fouché hat jedem einen Knochen hingeworfen oder sie mit ein paar festen Hieben in die Ecke gescheucht. Und schon wissen seine Kollegen, wissen alle Parteien, daß es ebenso angenehm und einträglich ist, Fouché zum Freunde zu haben, als unbehaglich, ihm die Krallen aus den Samtpfoten herauszuärgern; so hat plötzlich dieser Verachtetste aller, weil er alles weiß und jeden durch sein Schweigen verpflichtet, eine Unzahl guter Freunde. Noch ist die zersprengte Stadt an der Rhone nicht aufgebaut, und schon sind die Mitrailladen von Lyon vergessen, schon ist Joseph Fouché beliebt.
Über alles, was im Reiche vorgeht, hat Joseph Fouché die ersten, die besten Nachrichten: niemand sieht so genau, dank einer tausendköpfigen, tausendohrigen Wachsamkeit in alle Falten der Geschehnisse hinein, keiner weiß besser um die Stärke oder Schwäche der Parteien und der Menschen als dieser kaltnervige, rechnerische Beobachter an seinem Registrierapparat, der die kleinsten Schwingungen der Politik verzeichnet. So dauert es nur ein paar Wochen, ein paar Monate, und Joseph Fouché erkennt klar: das Direktorium ist verloren. Die fünf Männer sind untereinander uneinig, einer spielt dem andern in den Rücken und wartet nur die Sekunde ab, ihn zur Seite zu puffen. Die Armeen geschlagen, die Finanzen durcheinander, das Land unruhig – so geht es nicht weiter. Fouché wittert ein baldiges Umspringen des Winds. Agenten informieren ihn, daß Barras schon heimlich mit Ludwig XVIII. verhandelt, um für eine Herzogskrone die Republik an die bourbonische Dynastie zu verschachern. Seine Kollegen wiederum liebäugeln mit dem Herzog von Orleans oder träumen von der Wiederherstellung des Konvents. Aber alle, alle wissen sie: so geht es nicht weiter. Denn die Nation ist von inneren Aufständen geschüttelt, die Assignaten zerblättern zu wertlosem Papier, die Soldaten versagen bereits; ballt nicht eine neue Kraft die zerstreuten Kräfte zusammen, so stürzt die Republik.
Ein Diktator allein kann helfen, und alle Blicke greifen ins Leere, um einen zu finden. »Wir brauchen einen Kopf und einen Säbel«, äußert Barras zu Fouché, heimlich sich selber für den Kopf haltend, und auf der Suche nach dem richtigen Säbel. Aber Hoche und Joubert, die siegreichen, sind sehr zur Unzeit für ihre Karriere gestorben, Bernadotte gebärdet sich noch zu jakobinisch, und der einzige, von dem alle wissen, daß er beides in einem wäre, der Säbel und der Kopf, Bonaparte, der Held von Arcole und Rivoli, den haben sie sich aus Angst weit weg vom Hals geschafft, der manövriert jetzt im ägyptischen Wüstensand zwecklos herum. Auf ihn, den meilenfernen, meinen sie, sei nicht zu zählen. Von allen Ministern weiß nur Fouché damals schon, daß dieser General Bonaparte, den die andern noch im Schatten der Pyramiden vermuten, gar nicht so meilenfern ist und demnächst in Frankreich landen wird. Sie haben ihn weggeschickt, den allzu ehrgeizigen, den allzu populären, befehlshaberischen Mann, ein paar tausend Meilen weit von Paris; sie haben vielleicht sogar heimlich aufgeatmet, als Nelson bei Abukir die Flotte vernichtete, denn was liegt Intriganten und Politikern an ein paar tausend Toten, sofern nur ein Konkurrent beseitigt ist. Nun schlafen sie beruhigt, sie wissen ihn festgenagelt an die Armee und hüten sich wohl, ihn zurückzurufen. Nicht einen Augenblick wagen sie zu vermuten, er könne die Kühnheit haben, eigenmächtig das Kommando einem anderen General zu übertragen und sie von ihren Polstern aufzustören: mit allen Möglichkeiten rechnen sie, nur mit Bonaparte nicht.
Fouché aber weiß mehr, und zwar aus bester Quelle. Denn die ihm alles verrät, jeden Brief, jede Maßnahme zubringt, dieser beste, informierteste, treueste seiner bezahlten Spione ist niemand anderes als – Bonapartes eigene Frau, Josephine Beauharnais. Diese leichtfertige Kreolin zu korrumpieren, bedeutete an sich keine große Leistung, denn, tolle Verschwenderin, steckt sie ständig in Geldnöten, und ob ihr auch freigebigst Napoleon Hunderttausende aus den Staatskassen zuweist, sie versickern wie Tropfen bei einer Frau, die sich dreihundert Hüte und siebenhundert Kleider im Jahre anschafft, die nicht zu sparen weiß, weder mit Geld noch mit ihrem Körper noch mit ihrem guten Ruf, und der außerdem im Augenblick nicht sonderlich wohl zumute ist. Mein Gott, sie hat, während der kleine heißblütige General im Felde steht, der sie durchaus in das langweilige Mamluckenland mithaben wollte, mit einem netten hübschen Charles geschlafen und vielleicht mit ein paar andern auch, wahrscheinlich sogar wieder mit ihrem alten Geliebten, Barras. Das haben ihr die dummen Intrigantenbrüder Joseph und Lucien übelgenommen und brühwarm ihrem hitzigen und wie ein Türke eifersüchtigen Gemahl berichtet. So braucht sie jemand, der ihr hilft und die brüderlichen Spione bespitzelt, der alle Korrespondenzen überwacht. Deshalb und außerdem für ein paar Rollen Dukaten – er selbst in den Memoiren sagt glatt: tausend Louisdors – liefert die zukünftige Kaiserin Fouché alle Geheimnisse aus und vor allem das wichtigste und allergefährlichste von Bonapartes bevorstehender Rückkehr.
Fouché genügt es, informiert zu sein. Selbstverständlich denkt der Bürger Polizeiminister nicht daran, seine Vorgesetzten zu informieren. Zunächst verdichtet er nur seine Freundschaft mit der Gattin des Prätendenten, nützt die Nachrichten im stillen und sieht, wie immer wohlvorbereitet, der Entscheidung entgegen, die, wie er nun weiß, nicht lange auf sich warten lassen wird.
Am 11. Oktober 1799 läßt das Direktorium hastig Fouché rufen. Unglaubliche Nachricht meldet der Spiegeltelegraph: Bonaparte ist aus Ägypten zurück und in Fréjus gelandet, eigenmächtig, ohne zurückberufen zu sein. Was nun tun? Den General, der ohne Befehl, als Deserteur, seine Armee verließ, sofort verhaften oder ihn höflich empfangen? Fouché, der sich noch überraschter stellt, als die andern es in Wahrheit sind, rät zur Nachgiebigkeit. Abwarten! Abwarten! Denn er hat sich noch nicht entschlossen, ob er für oder gegen Bonaparte sein wird, er will erst die Ereignisse ruhig auslaufen lassen. Aber während die fünf kopflosen Köpfe im Direktorium noch emsig diskutieren, ob man Bonaparte trotz seiner Fahnenflucht begnadigen oder festnehmen solle, hat die Stimme des Volkes längst gesprochen. Avignon, Lyon, Paris empfangen ihn als Triumphator, alle Städte sind illuminiert auf seinem Wege, von der Bühne der Theater wird die Nachricht den aufjubelnden Zuhörern verkündet: nicht ein Untergebener kehrt zurück, sondern ein Herr, eine Großmacht. Kaum ist er in Paris in seiner Wohnung, Rue Chantereine (bald wird sie ihm zu Ehren Rue Victoire heißen), so drängen sich alle seine Freunde heran und auch jene, die es für nützlich halten, baldigst als solche zu gelten. Generale, Deputierte, Minister, sogar Talleyrand erweisen dem Mann des Säbels ihre gehorsame Reverenz, und so dauert es nicht lange, und auch der Polizeiminister macht sich höchst persönlich auf die Beine. Er fährt in die Rue Chantereine und läßt sich bei Bonaparte melden. Aber dem scheint dieser Herr Fouché ein ziemlich gleichgültiger und unbedeutender Besuch. So läßt er ihn eine gute geschlagene Stunde im Vorzimmer warten wie einen lästigen Bittsteller. Fouché, dieser Name sagt ihm nicht viel: persönlich kennt er ihn nicht, er erinnert sich nur vielleicht, daß ein Mann dieses Namens eine ziemlich traurige Rolle in den Jahren des Schreckens in Lyon gespielt, vielleicht ist ihm auch ein kleiner Polizeispitzel, abgerissen und heruntergekommen, im Vorzimmer seines Freundes Barras begegnet. Jedenfalls: kein Mann von Belang, irgendein kleiner Geschäftemacher, der sich jetzt ein kleines Ministerium herausgeschlichen. So einen läßt man antichambrieren. Und wirklich, Joseph Fouché wartet geduldig eine geschlagene Stunde im Vorzimmer des Generals und würde vielleicht noch eine zweite und dritte dort auf dem Sessel sitzen, den ihm ein Diener mitleidig hingeschoben, wenn nicht zufällig Real, einer der Mitverschworenen Bonapartes für den zukünftigen Staatsstreich, den Allgewaltigen, zu dem ganz Paris in Audienz läuft, in so kümmerlicher Lage bemerkt hätte. Erschrocken über den unglückseligen Verstoß, stürzt er zum General ins Zimmer, erklärt ihm aufgeregt den ungeheuren Fehler, gerade diesen Mann so beleidigend warten zu lassen, der mit einem Druck seiner Hand die ganze Anzettelung aufspringen lassen kann wie eine Bombe. Und sofort eilt Bonaparte hinaus, bittet sehr höflich und eindringlich Fouché zu sich, entschuldigt sich und unterhält sich mit ihm zwei Stunden lang ohne Zeugen.
Zum erstenmal stehen sich die beiden gegenüber: sorgfältig prüft und mißt einer den andern, ob er ihm zu seinen persönlichen Zwecken tauglich sei. Und immer erkennen sich Überlegenheiten im Fluge. Sofort erkennt Fouché an der unerhörten Dynamik dieses Machtmenschen den unbezwinglichen Genius der Herrschaft, sofort erkennt mit seinem scharf zustoßenden Raubtierblick Bonaparte in Fouché den brauchbaren, zu allem verwendbaren, den alles rapid begreifenden und energisch in die Tat umsetzenden Helfer. Niemand habe ihm damals – erzählt er auf Sankt Helena – so knapp und übersichtlich die ganze Situation Frankreichs und des Direktoriums dargestellt wie Fouché in diesem ersten zweistündigen Gespräch. Und daß Fouché, unter dessen Tugenden Offenherzigkeit sonst nicht glänzt, dem Kronprätendenten sofort die Wahrheit sagt, zeigt, daß auch er entschlossen war, sich ihm zur Verfügung zu stellen. Gleich in der ersten Stunde sind die Rollen ausgeteilt, Herr und Diener, Weltgestalter und Zeitpolitiker: nun kann ihr Zusammenspiel beginnen.
Fouché vertraut sich Bonaparte mit ungewöhnlicher Bereitwilligkeit gleich bei der ersten Begegnung an. Aber doch: er gibt sich ihm nicht in die Hand. Er nimmt an der Verschwörung, die das Direktorium stürzen und Bonaparte zum Alleinherrscher machen soll, nicht öffentlich teil: dazu ist er zu vorsichtig. Dazu hält er zu streng, zu getreu an seinem Lebensgrundsatz: niemals sich endgültig entscheiden, solange der Sieg nicht entschieden ist. Nur etwas Seltsames geschieht–in den nächsten Wochen befällt den sonst so feinhörigen, sonst so scharfsichtigen Polizeiminister von Frankreich ein peinliches Gebrest: er wird nämlich plötzlich blind und taub. Er hört nichts von all den Gerüchten, die in der Stadt von einem bevorstehenden Staatsstreich flüstern, er sieht nichts von Briefen, die man ihm in die Hände schiebt. Alle seine sonst tadellos verläßlichen Informationen scheinen auf magische Weise zu versagen, und während von den fünf Mitgliedern des Direktoriums zwei schon im Komplott sind und der dritte zur Hälfte gewonnen, ahnt der Polizeiminister nicht das mindeste von einer bestehenden Militärverschwörung – oder vielmehr, er stellt sich, als ob er nichts ahne. Seine täglichen Berichte an das Direktorium enthalten keine Zeile über den General Bonaparte und die schon ungeduldig mit dem Säbel rasselnde Clique; aber freilich auch nach der andern Seite, Bonaparte gegenüber, gibt er keine Zeile, kein geschriebenes Wort aus der Hand. Nur mit Schweigen verrät er das Direktorium, nur mit Schweigen verpflichtet er sich Bonaparte und wartet, wartet, wartet ab. In solchen Augenblicken der Spannung, zwei Minuten vor der Entscheidung, fühlt seine amphibische Natur sich am wohlsten. Von zwei Parteien gefürchtet, von zwei Parteien umworben zu sein und dabei in der eigenen Hand das Zünglein der Wage zittern zu fühlen, das wird diesem passionierten Intriganten immer Lust aller Lüste. Wunderbarstes aller Spiele, unvergleichlich an Spannung mit dem des grünen Tisches oder des Eros, diese Sekunden, wo das Weltspiel Entscheidungen zurollt! Zu wissen in solchen Minuten, daß man die Ereignisse beschleunigen kann oder sie hemmen, und doch eben aus diesem Wissen sich beherrschen und, sosehr die Hände brennen, sich einzumengen, nichts tun, nichts als zusehen mit der aufgeprickelten, genießenden, mit der geradezu lasterhaften Neugier des Psychologen – diese Lust allein befeuert diesen kalten Geist, nur sie erregt dieses trübe, dünne, beinahe wässerige Blut. Nur diese Art psychologisch perverser, geistig lüsterner Lust kann den nüchternen, nervenlosen Mann Joseph Fouché berauschen. Und in solchen scharf gespannten Sekunden vor dem entscheidenden Schuß beflügelt seinen sonst mürrischen Ernst immer eine Art grausamer, zynischer Heiterkeit. Denn geistige Lust, wie anders kann sie sich entspannen als in Heiterkeit, in einer guten oder grimmigen Spaßfreude. Und so spaßt Fouché gerade dann, wenn andere in höchster Gefahr sind, er spaßt wie der Untersuchungsrichter im »Raskolnikow« auf allergeistreichste und auf wahrhaft diabolische Art, gerade wenn dem Schuldigen der Schauer schon über den Rücken läuft. Gerade in solchen Sekunden liebt er zu mystifizieren, und so arrangiert er auch diesmal gerade im allergefährlichsten Moment eine artige Komödie, deren Bretter gewissermaßen auf das Pulverfaß gelegt sind. Wenige Tage vor dem Losschlagen zum Staatsstreich (natürlich kennt er den Termin) gibt er eine kleine Gesellschaft. Bonaparte, Real und die andern Verschwörer sind eingeladen zu dieser intimen Soirée, und plötzlich, während sie bei Tisch sitzen, bemerken sie, daß ihre ganze Liste komplett ist, daß also der Polizeiminister des Direktoriums die ganze Kamarilla, die gegen das Direktorium konspiriert, wohlgezählt zu sich ins Haus gebeten. Was bedeutet das? Unruhig sehen Bonaparte und die Seinen einander an. Stehen etwa schon Gendarmen vor der Tür, um auf einen Sitz das ganze Nest des Staatsstreiches auszuheben? Vielleicht erinnert sich einer oder der andere aus der Weltgeschichte an die verhängnisvolle Mahlzeit, die Peter der Große den Strelitzen gab, und wo der Henker als Dessert ihre Köpfe servierte. Aber nichts von derlei grausamen Dingen geschieht bei einem Fouché, – im Gegenteil, als zur allgemeinen Überraschung der Mitverschworenen schließlich noch ein Gast eintritt, und zwar (der Spaß ist wirklich diabolisch ersonnen!) gerade jener Präsident Gohier, gegen den sich ihre Verschwörung richtet, da werden sie Zeugen eines erstaunlichen Dialogs. Der Präsident fragt den Polizeiminister nach den neuesten Geschehnissen: »Ach, immer dasselbe«, antwortet, lässig die Lider hebend, ohne irgendeinen Bestimmten anzuschauen, Fouché. »Immer wieder das Gerede von Verschwörungen. Aber ich weiß schon, was ich davon zu halten habe. Wenn es wirklich eine gibt, so hätten wir den Beweis bald auf dem Revolutionsplatz.«
Diese zarte Andeutung auf die Guillotine fährt den erschrockenen Verschwörern wie ein kaltes Messer über den Rücken. Sie wissen nicht: Spaßt er mit ihnen, spaßt er mit jenem? Narrt er sie oder den Präsidenten des Direktoriums? Sie wissen es nicht, und wahrscheinlich weiß es Fouché selber nicht, denn er genießt nur immer eins auf Erden: die Lust an der Zwiefalt, den brennenden Reiz und die prickelnde Gefahr des Doppelspiels.
Nach diesem muntern Späßchen fällt der Polizeiminister wieder bis zur Stunde des Losschlagens in seine merkwürdige Lethargie zurück, bleibt blind und taub, während schon die Hälfte des Senats bestochen, die Armee gewonnen ist. Und sonderbar – bekannt sonst als Frühaufsteher, als Erster in seinem Amt, hat Joseph Fouché gerade am 18. Brumaire, gerade am Tage des Napoleonischen Staatsstreichs, einen bewundernswert guten, einen sacktiefen Morgenschlaf. Am liebste möchte er den ganzen Tag über schlafen, aber zwei Boten des Direktoriums rütteln ihn aus dem Bett und machen dem erstaunlich Erstaunten Mitteilung von den sonderbaren Vorgängen im Senat, von der Ansammlung der Truppen und dem schon offenbaren Staatsstreich. Joseph Fouché reibt sich die Augen und ist pflichtschuldigst überrascht (obwohl er noch am Abend vorher lange mit Bonaparte konferierte). Aber nun kann man leider nicht mehr schlafen oder sich schlafend stellen. Der Polizeiminister muß sich ankleiden und ins Direktorium, wo ihn der Präsident Gohier brüsk empfängt, ohne sich die Komödie der Überraschung weiter vorspielen zu lassen. »Sie haben die Pflicht gehabt«, herrscht er ihn an, »uns eine solche Verschwörung zu melden, und zweifellos hätte Ihre Polizei davon erfahren können.« Fouché steckt die Grobheit ruhig ein und erkundigt sich nach seinen Befehlen, als wäre er der getreueste Diener. Aber Gohier lehnt scharf ab: wenn das Direktorium Befehle habe, so werde es sie denen übermitteln, die seines Vertrauens würdig sind. Fouché lächelt innerlich: dieser Narr, der noch nicht weiß, daß sein Direktorium längst nichts mehr zu befehlen hat, daß zwei von den fünfen bereits abgefallen und der dritte verkauft ist! Aber wozu Narren belehren? Er verbeugt sich kühl und geht an seinen Posten.
Wo dieser Posten eigentlich ist, weiß Fouché allerdings noch nicht genau, Polizeiminister entweder der alten oder der neuen Regierung, je nach dem Sieg der einen oder der andern. Erst die nächsten vierundzwanzig Stunden werden zwischen dem Direktorium und Bonaparte entscheiden. Der erste Tag zwar hat sich gut angelassen für Bonaparte: der Senat, scharf mit Versprechungen angekurbelt und noch besser mit Geld geschmiert, erfüllt alle Wünsche Bonapartes, macht ihn zum Befehlshaber der Truppen und verlegt die Sitzung des Unterhauses, des Rats der Fünfhundert, nach Saint-Cloud, wo es keine Arbeiterbataillone, keine öffentliche Meinung, kein »Volk« gibt, sondern nur einen schönen Park, den man mit zwei Kompagnieen Grenadieren hermetisch absperren kann. Aber damit ist die Partie noch nicht gewonnen, denn unter diesen Fünfhundert stecken noch ein paar Dutzend lästige Burschen, die sich nicht bestechen und nicht einschüchtern lassen, vielleicht sogar einer, wer weiß es, der die Republik mit Dolch oder Pistole gegen den Kronprätendenten verteidigen wird. Da heißt es, seine Nerven behalten, sich nicht hinreißen lassen durch Sympathieen einerseits und durch eine solche Kleinigkeit wie einen Treueid anderseits, sondern stillhalten, abwarten, auf der Hut sein, bis die Entscheidungen gefallen sind.
Und Fouché behält seine Nerven. Kaum ist Bonaparte an der Spitze seiner Reiterei nach Saint-Cloud ausgerückt, kaum sind ihm in Karossen die großen Mitverschworenen Talleyrand, Sieyès und ein paar Dutzend andere gefolgt, da sausen plötzlich auf Befehl des Polizeiministers die Schlagbäume an der Pariser Grenze nieder. Niemand darf die Stadt verlassen, niemand in die Stadt herein außer den Boten des Polizeiministers. Niemand von den achthunderttausend Menschen darf also wissen, ob der Coup gelingt oder mißlingt, als dieser eine entschlossene Mann. Jede halbe Stunde berichtet ihm ein Bote über die Vorgänge während des Staatsstreiches, und noch immer trifft er keine Entscheidung. Wird Bonaparte sich durchsetzen, so ist selbstverständlich heute abend Fouché sein Minister und getreuer Diener; wird er versagen, so bleibt er der getreue Diener des Direktoriums, gern und kühl bereit, den »Rebellen« zu verhaften. Die Nachrichten, die er bekommt, lauten ziemlich widersprechend, denn während Fouché herrlich seine Nerven behält, verliert der größere Bonaparte vollkommen die seinen: dieser 18. Brumaire, der Bonaparte die Alleinherrschaft in Europa schenkt, bleibt ironischerweise vielleicht der schwächste Tag im persönlichen Leben dieses großen Mannes. Entschlossen gegenüber Kanonen, wird Bonaparte immer verwirrt, wenn er Menschen durch Worte für sich gewinnen soll: seit Jahren gewöhnt, zu kommandieren, hat er verlernt, zu werben. Er kann eine Fahne fassen und seinen Grenadieren vorausreiten, er kann Armeen zertrümmern. Aber von einer Tribüne ein paar republikanische Advokaten einzuschüchtern, das gelingt diesem stählernen Soldaten nicht. Oft ist die Szene geschildert worden, wie der unbezwingbare Feldherr, nervös gemacht von den niederprasselnden Gegenrufen der Deputierten, einfältige und hohle Phrasen stammelt, wie »Der Gott der Schlachten ist mit mir…«, und so kläglich sich verstammelt, daß ihn seine Freunde schleunigst von der Tribüne holen müssen. Nur die Bajonette seiner Soldaten retten den Helden von Arcole und Rivoli vor einer schmählichen Niederlage durch ein paar lärmende Advokaten. Erst, als er wieder zu Pferde sitzt, Herr und Diktator, und seinen Soldaten befiehlt, im Sturm den Saal zu räumen, strömt wieder vom Säbelgriff Kraft in seinen erschütterten Sinn.
Um sieben Uhr abends ist alles entschieden, Bonaparte Konsul und Alleinherrscher Frankreichs. Wäre er besiegt oder überstimmt worden – sofort hätte Fouché eine pathetische Proklamation an allen Mauern von Paris ankleben lassen: »Eine niederträchtige Verschwörung ist entlarvt« usw. So aber, da Bonaparte siegte, reißt er rasch den Sieg an sich. Und nicht durch Bonaparte, sondern durch den Herrn Polizeiminister Fouché, erfährt am nächsten Tage Paris das eigentliche Ende der Republik, den Beginn der Napoleonischen Diktatur. »Der Minister der Polizei verständigt seine Mitbürger«, heißt es in dieser lügnerischen Darstellung, »daß der Rat in Saint-Cloud versammelt war, um die Interessen der Republik zu beraten, als beinahe der General Bonaparte, der zum Rat der Fünfhundert erschienen war, um die revolutionären Machenschaften aufzudecken, das Opfer eines Mörders geworden wäre. Aber der Genius der Republik hat den General gerettet. Alle Republikaner mögen sich beruhigen…, denn ihre Wünsche werden nun erfüllt werden… die Schwachen mögen sich beruhigen, sie sind mit den Starken… und nur jene haben zu fürchten, die Unruhe stiften, die öffentliche Meinung verwirren und die Unordnung vorbereiten. Alle Maßnahmen sind getroffen, um diese niederzuhalten.«
Wieder einmal hat Fouché auf das glücklichste den Mantel nach dem Winde gehängt. Und so frech, so unverhohlen am sonnenklaren Tage vollzieht sich sein Übergang zum Sieger, daß man allmählich schon in weitesten Kreisen beginnt, Fouché zu kennen. Ein paar Wochen später erscheint in einem Vorstadttheater von Paris eine muntere Komödie »Die Wetterfahne von Saint-Cloud«, von allen verstanden, von allen bejubelt, in der mit wenig veränderten Namen sein wetterwendisches und doch vorsichtiges Verhalten auf das lustigste parodiert wird. Fouché hätte als Zensor natürlich die Möglichkeit gehabt, eine solche Persiflage seiner Person zu verbieten, er besaß aber glücklicherweise auch Geist genug, nichts dergleichen zu tun. Er verbirgt gar nicht seinen Charakter oder vielmehr, daß er keinen hat; im Gegenteil, er affichiert sogar seine Unbeständigkeit und Unberechenbarkeit, weil sie ihm einen besonderen Nimbus schafft. Man möge nur lachen über ihn, vorausgesetzt, daß man ihm gehorcht, vorausgesetzt, daß man ihn fürchtet.
Bonaparte ist der Sieger des Tages, Fouché der heimliche Helfer und Überläufer – das eigentliche Opfer Barras, der Gebieter des Direktoriums. Ihm gibt dieser Tag eine geradezu welthistorische Lektion über Undankbarkeit. Denn diese beiden Männer, die ihn gemeinsam umlegen und ihn mit einem Millionentrinkgeld wie einen lästigen Bettler wegschicken, waren doch vor zwei Jahren seine Kreaturen, seine dankpflichtigen Geschöpfe, die er aus dem Nichts geholt. Gutmütig, leichtfertig, ein genießerischer bon homme, der gern jedem sein Teil läßt, hat er diesen kleinen olivenfarbigen, weggejagten und beinahe verbannten Artillerieoffizier Napoleon Bonaparte im wahrsten Sinn des Wortes von der Straße heraufgeholt, ihm auf den geflickten und noch unbezahlten Militärmantel Generalstressen geheftet; er hat ihn über die Köpfe aller andern hinweg über Nacht zum Kommandanten von Paris gemacht, ihm seine eigene Geliebte zugeschoben, die Taschen mit Geld gefüllt, das Oberkommando der italienischen Armee erzwungen, also die Brücke zur Unsterblichkeit geschlagen. Und ebenso hat er Fouché aus seiner schmierigen Mansarde im fünften Stock herausgeholt, ihm den Kopf vor der Guillotine gerettet, ihn als einziger in der Zeit, da alle sich von ihm abwandten, vor dem Hunger geholfen, schließlich gleichfalls in den Sattel gesetzt und ihm alle Taschen mit Gold beschwert. Und diese beiden, an ihn mit dem Leben Verschuldeten, tun sich zwei Jahre später zusammen und werfen ihn in denselben Dreck, aus dem er sie heraufgeholt – wirklich, die Weltgeschichte, durchaus doch kein moralischer Kodex, kennt kaum ein krasseres Beispiel vollendeter Undankbarkeit als das Verhalten Napoleons und Fouchés gegen Barras am 18. Brumaire.
Aber die Undankbarkeit Napoleons gegen seinen Protektor hat wenigstens die Rechtfertigung des Genies. Seine Stärke gibt ihm besonderes Recht, denn der Weg des Genies, zu den Sternen zielend, darf nötigenfalls auch über Menschen hinweg gehen, darf die kleinen ephemeren Erscheinungen mißbrauchen, um dem tieferen Sinn, dem unsichtbaren Gebot der Geschichte Genüge zu tun. Die Undankbarkeit Fouchés ist dagegen nichts als jene ungleich häufigere des absoluten Amoralisten, der ganz naiv nur sich und den eigenen Vorteil fühlt. Fouché kann, wenn er will, alle seine Vergangenheiten auf eine verblüffende und unheimlich geschwinde Art vergessen, und von dieser besonderen Meisterschaft wird seine weitere Karriere immer erstaunlichere Proben geben. Vierzehn Tage später schickt er an Barras, den Mann, der ihn vor der trockenen Guillotine bewahrt und vor dem Exil gerettet, bereits selber den formellen Befehl ins Exil und läßt ihm alle Papiere wegnehmen: wahrscheinlich waren seine eigenen Bettelbriefe und Spitzelberichte darunter.
Barras, der tödlich Gekränkte, beißt die Zähne zusammen; man hört sie heute noch knirschen in seinen Memoiren, wenn er die Namen Bonapartes und Fouchés nennt. Und nur eins tröstet ihn, daß Bonaparte Fouché zu sich nimmt. Prophetisch fühlt er voraus: einer wird ihn am andern rächen. Sie werden nicht lange Freunde sein.
Zunächst freilich, in den ersten Monaten ihres Zusammenwirkens, stellt sich der Bürger Polizeiminister auf das hingebungsvollste in den Dienst des Bürgers Konsul. Denn »Bürger«, so schreibt man damals auf den Amtsdokumenten noch immer; noch genügt es dem Ehrgeiz Bonapartes, der erste Bürger einer Republik zu sein. Vor eine ungeheure Aufgabe gestellt, die jedes anderen Kräfte übersteigen würde, offenbart er in jenen Jahren die ganze Fülle und Vielseitigkeit seines jugendlichen Genies; niemals erscheint Bonapartes Gestalt großartiger, schöpferischer und humaner als in jener Epoche der Neuordnung. Die Revolution in Satzung zu verwandeln, ihre Leistungen zu bewahren und gleichzeitig ihren Überschwang zu lindern, den Krieg zu beenden durch Sieg und diesem Sieg dann seinen wahren Sinn zu geben durch einen kraftvoll ehrlichen Frieden – das ist die erhabene Idee, der sich der neue Heros hingibt, gleichzeitig mit der Weitsicht durchdringenden Geistes und der zähen, fleißigen Energie eines leidenschaftlichen Zehnstundenarbeiters. Nicht jene Jahre, welche die Legende immer feiert, sie, die stets nur Kavallerieattacken als Taten und eroberte Länder als Leistungen nimmt, nicht also Austerlitz und Eylau und Valladolid bedeuten die Herkulestaten Napoleon Bonapartes, sondern die Jahre, in denen das zerrüttete, von Parteien zerrissene Frankreich sich wieder zum lebenskräftigen Staate formt, die wertlosen Assignaten einer wirklichen Währung weichen und der neugeschaffene Code Napoléon Recht und Sitte in eherne und doch menschliche Formen gießt, da dieses hohe staatsmännische Genie mit gleicher Vollendung auf allen Gebieten der Verwaltung den Staat gesundet und Europa befriedet. Diese Jahre, nicht die militärischen, sind seine wahrhaft schöpferischen, und niemals haben seine Minister redlicher, tatkräftiger und treuer an seiner Seite gewirkt als innerhalb dieser Epoche. Auch in Fouché findet er einen vollkommenen Diener, ganz einig mit ihm in der Überzeugung, lieber durch Verhandlungen und Nachgiebigkeit als durch gewaltsame Exekutionen und Hinrichtungen den Bürgerkrieg zu beenden. In wenigen Monaten stellt Fouché im Land volle Ruhe her, er räumt die letzten Nester sowohl der Terroristen als der Royalisten aus, säubert die Straßen von den Überfällen, und seine im kleinen und einzelnen präzis wirkende bureaukratische Energie ordnet sich den großen staatsmännischen Plänen Bonapartes bereitwillig unter. Immer binden große und heilsame Werke die Menschen zusammen; der Diener hat seinen Herrn gefunden und der Herr seinen rechten Diener.
Wann das erste Mißtrauen Bonapartes gegen Fouché einsetzt, läßt sich seltsamerweise bis auf den Tag, bis auf die Stunde deutlich feststellen, obwohl jene Episode inmitten der Geschehnisfülle jener überdrängten Jahre fast immer verborgen blieb; nur der psychologische Falkenblick Balzacs, geübt, im Unscheinbaren das Wesenhafte, im »petit detail« den fortwirkenden Anstoß zu erkennen, hat sie herausgeholt (freilich sofort etwas dichterisch ausgeschmückt). Die kleine Szene spielt während des italienischen Feldzuges, der zwischen Österreich und Frankreich entscheiden soll. Am 20. Januar 1800 sitzen in Paris die Minister und entscheidenden Räte in merkwürdiger Stimmung beisammen. Ein Bote vom Schlachtfeld von Marengo ist mit schlechten Nachrichten eingetroffen; er meldet, Bonaparte sei vernichtend geschlagen, die französische Armee in vollem Rückzug. Jeder der Versammelten denkt im geheimen sofort dasselbe: unmöglich, einen geschlagenen General als Ersten Konsul zu behalten, alle denken sie sofort an einen Nachfolger. Wie deutlich einzelne diese Notwendigkeit verlauten ließen, ist nie bekannt geworden, aber Vorbereitungen zu einem Umsturz wurden zweifellos leise beredet, und Napoleons Brüder haben es bemerkt. Am weitesten hat sich wohl Carnot vorgewagt, der schleunigst das alte Sicherheitskomitee erneuern will; und von Fouché ist zumindest charaktergemäß wahrscheinlich, daß er, statt treu den angeblich besiegten Konsul zu stützen, vorsichtig stumm geblieben ist, um nötigenfalls mit dem alten Herrn, gegebenenfalls mit dem neuen sich zu verhalten. Aber am nächsten Tage trifft schon eine zweite Stafette ein; sie meldet genau das Gegenteil, den glänzenden Sieg bei Marengo: in letzter Stunde ist General Desaix mit der Genialität der militärischen Intuition Bonaparte zu Hilfe gekommen und hat die Niederlage in einen Triumph verwandelt. Hundertmal stärker, als er ausgezogen, nun seiner Macht ganz sicher, kehrt Bonaparte, der Erste Konsul, in den nächsten Tagen zurück. Zweifellos hat er sofort erfahren, daß alle seine Minister und Vertrauten ihn bei der ersten Nachricht von einer Niederlage sofort über Bord geworfen, und als erstes Opfer büßt Carnot, der sich zu weit vorgewagt hat: er verliert das Ministerium. Die andern, auch Fouché, bleiben in ihren Stellungen: Untreue ist dem Allzuvorsichtigen nicht nachzuweisen, freilich ebensowenig Treue. Er hat sich nicht kompromittiert, aber auch nicht bewährt, also wiederum erwiesen, als der er immer war: verläßlich im Glück, unverläßlich im Unglück. Bonaparte entläßt ihn nicht, er tadelt ihn nicht, er straft ihn nicht. Aber von diesem Tage an vertraut er ihm nicht mehr. Diese kleine, in der Zeitgeschichte beinahe vollkommen verschattete Episode zeitigt auch sonst psychologische Auswirkungen. Denn sie erinnert äußerst deutlich daran, daß eine nur auf den Säbel und den Sieg gegründete Regierung immer mit der ersten Niederlage fällt, und daß jeder Herrscher, dem die natürliche Legitimität des Blutes und der Ahnen abgeht, sich unbedingt und rechtzeitig eine neue schaffen müsse. Bonaparte selbst, im Bewußtsein seiner Kraft, erfüllt von jenem unbeugsamen Optimismus, der genialen Naturen in ihrem Aufstieg immer innewohnt, mag geneigt sein, eine solche leise Mahnung zu vergessen; nicht aber seine Brüder. Denn – zu oft übersehen dies alle Darstellungen – Napoleon ist nicht allein nach Frankreich gekommen, sondern umringt von einem hungrigen, machtgierigen Familienclan. Erst hätte es der Mutter, den vier postenlosen Brüdern noch genügt, daß ihr Schrittmacher, ihr Napolione, um den Schwestern ein paar Kleider zu verschaffen, eine reiche Fabrikantentochter heiratet. Nun er aber so unerwartet hoch an die Macht gelangt ist, krallen sie sich alle hastig an, damit er die ganze Familie mit sich hinaufziehe; sie wollen auch empor in die Herrlichkeit, wollen ganz Frankreich und später die ganze Welt zu einem Familienfideikommiß der Bonaparte machen ; und ihre unsaubere, unersättliche und durch keinen Schimmer von Genie entschuldigte grobe Freibeuterei drängt mächtig auf den Bruder ein, er solle Vorkehrungen treffen, seine von der Volksgunst abhängige Macht in eine unabhängige und dauernde, in ein Erbkönigtum zu verwandeln. Sie fordern, daß er für sie alle eine Herrschaft begründe, König werde oder Kaiser; sie wollen, daß er sich von Josephine scheiden lasse, um eine badische Prinzessin zu heiraten – noch wagt niemand, an die Schwester des Zaren oder an eine Tochter des Habsburgers zu denken! Und mit ihren beständigen Intrigen drängen sie ihn immer mehr ab von seinen alten Gefährten, von seinen alten Ideen, von der Republik hinüber in die Reaktion, von der Freiheit zum Despotismus.
Gegen diesen beständig wühlenden, unersättlichen, unsympathischen Clan steht allein und recht hilflos Josephine, die Gattin des Konsuls. Sie weiß, daß jeder Schritt zur Höhe, zur Alleinherrschaft, Bonaparte von ihr entfernt, weil sie dem König oder Kaiser nicht zu geben vermag, was der dynastische Gedanke als erste und einzige Leistung fordert: den Thronerben und damit Beständigkeit der Herrschaft. Nur wenige von den Beratern Bonapartes sind auf ihrer Seite (denn sie hat kein Geld zu vergeben, sondern steckt immer in Schulden), und der zur Zeit treueste ist Fouché. Mit Mißtrauen beobachtet er schon lange, wie an den ungeahnten Erfolgen auch der Ehrgeiz Bonapartes ins Ungeahnte wächst, wie beharrlich er jeden aufrechten, republikanisch Gesinnten als Anarchisten und Terroristen abtut und verfolgt wissen will. Er sieht mit seinem scharfen, mißtrauischen Blick, daß, um Victor Hugos Wort zu gebrauchen: »Déjà Napoleon perçait sous Bonaparte«, daß der Kaiser hinter dem General, der cäsarische Herrscher unter dem Bürger gefährlich vorkommt. Er selbst aber, durch sein Votum gegen den König an die Republik auf Gedeih und Verderb gekettet, hat alles Interesse am Bestand der Republik und einer republikanischen Staatsform. Darum fürchtet er alles Monarchische, darum kämpft er heimlich und offen an Josephinens Seite. Das verzeiht ihm der Clan nicht. Und mit korsischem Haß bespähen sie jeden seiner Schritte, um den Unbequemen, der ihnen die Geschäfte stört, beim ersten Straucheln sofort in den Graben zu werfen.
Sie warten lange und ungeduldig. Plötzlich gibt sich Gelegenheit, Fouché ein Bein zu stellen. Am 24. Dezember 1800 fährt Bonaparte in die Oper, um der Pariser Erstaufführung von Haydns »Schöpfung« beizuwohnen, da springt in der engen Rue Nicaise, knapp hinter seinem Wagen, ein Geiser von Sprengstücken, Pulver und kleingehackten Kugeln so furchtbar auf, daß durch die Explosion Trümmer über ganze Häuser hinweggeschleudert werden: ein Attentat, die berüchtigte Höllenmaschine. Nur die rasende Geschwindigkeit seines angeblich betrunkenen Kutschers hat den Ersten Konsul gerettet, aber vierzig Menschen liegen mit zerschmettertem Leib blutend in der Gasse, und die Kutsche bäumt sich wie ein getroffenes Tier, vom Luftdruck hochgeschleudert. Blaß, mit marmornem Gesicht, fährt Bonaparte in die Oper weiter, um seine Kaltblütigkeit dem enthusiastischen Publikum zu zeigen. Mit einer gleichmütigen, starren Miene hört er, während Josephine an seiner Seite, von einem Nervenkrampf geschüttelt, ihre Tränen nicht verbergen kann, den zarten Melodieen Vater Haydns zu und dankt mit gezwungener Gleichmütigkeit für die brausenden Jubelrufe. Aber wie sehr diese Kaltblütigkeit eine gespielte Rampenszene war, bekommen seine Minister und Staatsräte in den Tuilerien bald zu spüren, als er von der Oper zurückkehrt. Gegen Fouché vor allem entlädt sich sein Zorn; wie ein Rasender fährt er auf den bleichen, reglosen Mann los: er als Polizeiminister hätte einem solchen Komplott längst auf die Spur kommen müssen, aber er schone ja mit einer verbrecherischen Nachsicht seine Freunde, seine ehemaligen Mitschuldigen, die Jakobiner. Ruhig äußert Fouché seine Gegenmeinung, bisher sei durchaus nicht erwiesen, daß dieses Attentat von Jakobinern herrühre, und er persönlich sei überzeugt, hier spielten royalistische Verschwörer und englisches Geld die Hauptrolle. Aber diese Ruhe des Widerspruches erbittert den Ersten Konsul noch mehr: »Die Jakobiner sind es, die Terroristen, diese Schurken in permanentem Aufruhr, in geschlossener Masse gegen alle Regierungen. Es sind die gleichen Bösewichter, die, um mich zu ermorden, keinen Anstand nahmen, Tausende von Opfern zu schlachten. Aber ich will eine Gerechtigkeit an ihnen üben, die weithin sichtbar sein soll.« Fouché wagt noch ein zweites Mal seine Zweifel zu äußern. Da wirft sich der heißblütige Korse beinahe körperlich gegen den Minister, so daß Josephine sich einmengen und ihren Gatten beruhigend am Arm fassen muß. Aber Bonaparte reißt sich los, und in flutender Rede hält er Fouché alle Morde und Verbrechen der Jakobiner vor, die Dezembertage in Paris, die republikanischen Hochzeiten zu Nantes, die Niederschlachtung der Gefangenen zu Versailles, – ein deutlicher Hinweis auf den Mitrailleur von Lyon, daß er sich sehr wohl auch dessen eigener Vergangenheit erinnere. Je mehr aber Bonaparte schreit, um so hartnäckiger schweigt Fouché. Kein Muskel zuckt in seiner ehernen Maske, während die Beschuldigungen niederprasseln, während Napoleons Brüder und die Höflinge mit höhnischen Blicken den Polizeiminister beblinzeln, der sich endlich eine Blöße gegeben. Steinkalt weist er alle Verdächtigungen zurück, steinkalt verläßt er die Tuilerien.
Sein Sturz scheint unvermeidlich, denn Napoleon verschließt sich jedem Zuspruch Josephinens zugunsten Fouchés. »War er denn nicht selber einer ihrer Führer? Weiß ich denn nicht, was er in Lyon und an der Loire getan hat? Nur Lyon und die Loire erklären mir das Verhalten Fouchés«, schreit er erbittert. Schon beginnt ein Rätselraten um den Namen des neuen Polizeiministers, schon beginnen dem in Ungnade Gefallenen die Höflinge die kalte Schulter zu zeigen, schon scheint (wie so oft) Joseph Fouché endgültig erledigt.
In den nächsten Tagen wird die Situation nicht besser. Bonaparte läßt sich von seiner Meinung nicht abbringen, Jakobiner hätten dieses Attentat in Szene gesetzt, er verlangt Maßregeln, strenge Bestrafungen. Und wenn Fouché ihm und den andern gegenüber andeutet, er verfolge andere Spuren, so wird er mit Hohn und Verachtung behandelt. Alle Dummköpfe lachen und höhnen über den einfältigen Polizeiminister, der diese offene Sache nicht aufdecken wolle; alle seine Feinde triumphieren, weil er so hartnäckig bei seinem Irrtum bleibt. Fouché antwortet keinem. Er streitet nicht, er schweigt. Er schweigt während dieser vierzehn Tage, er schweigt und gehorcht ohne Widerspruch, auch als man ihm befiehlt, ein Verzeichnis von hundertdreißig Radikalen und früheren Jakobinern anzulegen, die zur Verschickung nach Guayana, also unter die »trockene Guillotine«, bestimmt sind. Ohne mit der Wimper zu zucken, fertigt er das Dekret aus, das den letzten »Montagnards«, den letzten vom »Berge«, den Jüngern seines Freundes Baboeuf, den Prozeß macht, Topino und Arena, den beiden, die kein anderes Verbrechen begingen, als daß sie öffentlich sagten, Napoleon habe in Italien ein paar Millionen zusammengestohlen und wolle sich damit die Alleinherrschaft kaufen. Gegen seine Überzeugung sieht er zu, wie die einen deportiert, die andern hingerichtet werden; er schweigt wie ein Priester, der, durch das Beichtgeheimnis gebunden, der Verurteilung eines Unschuldigen mit versiegelter Lippe zusieht. Denn längst ist Fouché schon auf der Spur, und während die anderen ihn höhnen, während Bonaparte selbst ihm täglich ironisch seine törichte Hartnäckigkeit vorhält, sammeln sich in seinem unzugänglichen Kabinett endgültig abschließende Beweise, daß tatsächlich von Chouans, von der Königspartei, das Attentat vorbereitet war. Und indes er im Staatsrat und in den Vorzimmern der Tuilerien kalte, nachlässige Gleichgültigkeit gegen alle Anwürfe zur Schau trägt, arbeitet er in seinem Geheimraum fieberhaft mit den besten Agenten. Geld wird massenhaft als Prämie ausgeboten, alle Spione und Spitzel Frankreichs werden auf die Beine gebracht, die ganze Stadt wird zur Zeugenschaft herangezogen. Schon ist die in hundert Stücke zerrissene Stute, die vor die Höllenmaschine gespannt war, agnosziert und ihr einstiger Besitzer festgestellt, schon sind die Männer genau beschrieben, die sie gekauft haben, schon, dank jener meisterhaft angelegten »biographie chouannique« (jenem von Fouché erfundenen Lexikon aller Personenbeschreibungen der Emigranten und Royalisten, aller »Chouans«), die Namen der Attentäter festgestellt – und noch immer schweigt Fouché. Noch immer läßt er heroisch sich höhnen, und seine Feinde triumphieren. Immer geschwinder weben sich die letzten Fäden zu einem unzerreißbaren Netz zusammen; nur ein paar Tage noch, und die Giftspinne wird darin gefangen sein. Nur noch ein paar Tage! Denn Fouché, in seinem Ehrgeiz gereizt, in seinem Stolze gedemütigt, will keinen kleinen und mittleren Sieg über Bonaparte und alle jene, die ihm Uninformiertheit vorwerfen – auch er will ein Marengo, einen restlosen, zerschmetternden Triumph.
Und plötzlich, vierzehn Tage später, schlägt er zu. Das Komplott ist restlos aufgedeckt, alle Spuren sind offen klargelegt. Ganz wie Fouché vorausgesagt, war der gefürchtetste aller Chouans, Cadoudal, der Führer gewesen, und geschworene Royalisten, von englischem Gelde gekauft, waren seine Handlanger. Wie ein Donnerschlag fällt diese Mitteilung auf seine Feinde. Denn sie sehen: umsonst und ungerecht hat man hundertdreißig Menschen verurteilt, zu früh, zu frech diesen Undurchdringlichen gehöhnt; stärker, geachteter, gefürchteter als je steht der unfehlbare Polizeiminister vor der Öffentlichkeit. Mit einem Gemisch von Zorn und Bewunderung blickt Bonaparte auf den eisernen Rechner, der wieder einmal mit seinen kaltblütigen Kalkulationen recht behalten hat. Wider Willen muß er zugeben: »Fouché hat besser geurteilt als viele andere. Er hat recht. Man muß offene Augen haben für die zurückgekehrten Emigranten, für die Chouans und alle Leute dieser Partei.« Aber nur an Ansehen gewinnt Fouché durch diese Affäre bei Bonaparte, nicht an Liebe. Denn nie sind Autokraten einem Menschen dankbar, der sie auf einen Fehler, ein Unrecht aufmerksam gemacht, und unsterblich bleibt die Geschichte Plutarchs von dem Soldaten, der dem bedrohten König in der Schlacht das Leben gerettet und statt, wie ihm ein Weiser richtig geraten, sofort zu fliehen, auf des Königs Dankbarkeit hofft und dabei den Kopf verliert. Könige lieben die Menschen nicht, die sie in einem Augenblick der Schwäche gesehen, und despotische Naturen nicht die Berater, wenn diese auch nur ein einziges Mal sich klüger als sie selber gezeigt.
In so engem Kreise wie jenem der Polizei, hat Fouché nun den größtmöglichen Triumph errungen. Aber wie klein ist er im Vergleich zu den Triumphen Bonapartes in den letzten zwei Jahren des Konsulats! Eine Reihe von Siegen hat der Diktator durch den schönsten gekrönt, durch den endgültigen Frieden mit England, durch das Konkordat mit der Kirche: die beiden mächtigsten Mächte der Welt sind dank seiner Tatkraft, seiner planenden, schöpferischen Überlegenheit nicht mehr Frankreichs Feinde. Beruhigt das Land, geordnet die Finanzen, geendet die Parteiungen, entspannt die Gegensätze: Reichtum fängt wieder an zu blühen, die Industrie neu sich zu entwickeln, die Künste sich zu regen, ein augusteisches Zeitalter ist angebrochen und die Stunde nicht mehr fern, da Augustus sich Cäsar nennen darf. Fouché, der jeden Nerv und jeden Gedanken Bonapartes kennt, merkt genau, wohin der Ehrgeiz des Korsen spielt: daß ihm die erste Rolle in der Republik nicht mehr genügt, sondern er auf Lebenszeit und Ewigkeit dieses von ihm gerettete Land als sein und seiner Familie Eigentum an sich ziehen will. Öffentlich freilich spricht er, der Konsul der Republik, so unrepublikanischen Ehrgeiz nie aus, aber unter der Hand läßt er seinen Vertrauten gegenüber durchblicken, der Senat möchte ihm durch einen besonderen Vertrauensakt, durch ein »témoignage éclatant« seine Dankbarkeit ausdrücken. Im innersten Herzen ersehnt er sich einen Marc Anton, einen verläßlichen, getreuen Diener, der die Kaiserkrone für ihn fordert, und Fouché, der listenreiche und biegsame, könnte sich jetzt Dank für immer sichern.
Aber Fouche weigert sich dieser Rolle – oder vielmehr er weigert sich nicht offen. Sondern vom Dunkel her, mit einer Scheingefälligkeit sucht er diese Absichten zu durchkreuzen. Er steht gegen die Brüder, gegen den Clan der Bonapartes und auf der Seite Josephinens, die mit Angst und Besorgnis vor diesem letzten Schritt ihres Gatten zur Monarchie zittert, denn sie weiß: nicht lange wird sie dann mehr seine Gattin sein. Fouché warnt sie vor offenem Widerstand: »Verhalten Sie sich ruhig«, sagt er ihr, »Sie treten unnützerweise Ihrem Gemahl in den Weg. Ihre Besorgnisse langweilen ihn, meine Ratschläge würden ihn verletzen.« Er versucht also, getreu seiner Art, lieber unterirdisch die ehrgeizigen Wünsche zu vereiteln, und als Bonaparte in falscher Bescheidenheit noch immer nicht mit der Sprache herausrückt und anderseits der Senat doch ein ›temoignage èclatant‹ vorschlagen will, gehört er zu denen, die den Senatoren zuflüstern, der große Mann wünsche als getreuer Republikaner nichts anderes, als daß man ihm die Stellung des Ersten Konsuls auf zehn Jahre verlängere. Die Senatoren, überzeugt, Bonaparte damit zu ehren und zu erfreuen, fassen feierlich diesen Beschluß. Aber Bonaparte, das Intrigenspiel durchschauend und die Drahtzieher wohl erkennend, schäumt vor Wut, als man ihm dieses unerwünschte Bettelgeschenk überbringt. Mit kalten Worten schickt er die Gesandtschaft heim. Wenn man eine Kaiserkrone schon golden um die Schläfen frösteln fühlt, sind zehn läppische Jahre eine leere Nuß, die man verächtlich mit dem Fuße zertritt.
Nun wirft Bonaparte die Maske der Bescheidenheit endlich weg und läßt klar und deutlich seinen Willen wissen: Konsulat auf Lebenszeit! Und unter der dünnen Hülle dieses Wortes schimmert schon, jedem Einsichtigen erkennbar, die zukünftige Kaiserkrone. Und so stark ist damals Bonaparte schon geworden, daß mit Millionenmajorität das Volk seinen Wunsch zum Gesetz macht und ihn zum Herrscher (wie sie und er meinen) auf Dauer seines Lebens kürt. Die Republik ist zu Ende, die Monarchie hat begonnen.
Daß Joseph Fouché dem ungeduldigen Kronprätendenten bei seinem entscheidenden Wunsch solche Fußangeln in den Weg gelegt hat, das vergißt ihm der Klüngel der Brüder und Schwestern, das vergißt ihm der korsische Familienclan nicht. Und so drängen sie ungeduldig Bonaparte: wozu jetzt, da er so eisern im Sattel sitzt, noch den lästigen Steigbügelhalter bewahren? Wozu noch, da das Land einhellig sein Einverständnis mit dem lebenslänglichen Konsulat bekundet hat, da die Gegensätze glücklich gelöst, die Zwistigkeiten beseitigt sind, einen so übereifrigen Wächter, der ebenso wie das Land ihre eigenen dunklen Schliche bewacht? Weg also mit ihm! Ihn erledigen, ihn absetzen, diesen ewigen Ränkespinner und Schwierigkeitsmacher! Unablässig, ungeduldig, zäh und beharrlich reden sie auf den noch schwankenden Bruder ein.
Bonaparte teilt im Grunde ihre Meinung. Auch ihn stört dieser zuviel wissende und immer noch mehr wissen wollende Mann, dieser graue Schleicherschatten hinter seinem Licht. Aber gerade den Minister entlassen, der sich so besonders verdient gemacht hat, der im Land unumschränkte Achtung genießt, dazu bedürfte es eines Vorwandes. Und dann, dieser Mann ist mit ihm stark geworden: besser deshalb, ihn nicht zum offenen Gegner zu machen. In alle Geheimnisse hat er seine Hände geschoben, mit allen nicht sehr reinlichen Intimitäten des korsischen Clans ist er auf eine unheimliche Weise vertraut, darum geht es nicht an, ihn brüsk zu beleidigen. So erfindet man einen geschickten, schonenden Ausweg, der vor der Welt die Verabschiedung Fouchés nicht als Ungunst erscheinen läßt: man schickt nämlich nicht den Minister Joseph Fouché weg, sondern erklärt, er habe so vollendet, so meisterhaft seines Amtes gewaltet, daß nun ein Überwachungsamt der Bürger, ein Polizeiministerium, völlig überflüssig geworden sei. Man kündigt also nicht dem Minister auf, sondern entledigt sich des Polizeiministeriums, seines Amtes und damit auf unauffällige Weise seiner selbst.
Um dem Empfindlichen den harten Stoß zu ersparen, mit dem man ihm den Stuhl vor die Türe setzt, wird die Verabschiedung sorgfältig in Watte gewickelt. Für den Verlust seiner Stellung wird er mit einem Sitz im Senat entschädigt, und in einem Brief, mit dem Bonaparte diese Rangerhöhung des Verabschiedeten ankündigt, heißt es wörtlich: ›Der Bürger Fouché, Polizeiminister unter den schwierigsten Verhältnissen, hat durch sein Talent und seine Tatkraft, durch seine Anhänglichkeit zur Regierung immer allen Anforderungen entsprochen, welche die Geschehnisse erforderten. Und indem sie ihm eine Stellung im Senat gibt, weiß die Regierung, daß, wenn andere Zeiten wieder einen Polizeiminister erfordern sollten, sie keinen andern finden würde, der ihres Vertrauens würdiger wäre.‹ Außerdem baut ihm Bonaparte, der bemerkt hat, wie gründlich der ehemalige Kommunist sich mit seinem alten Feind, dem Gelde, ausgesöhnt hat, eine großartige goldene Brücke in den Ruhestand. Als der Minister bei der Abrechnung ihm zwei Millionen und vierhunderttausend Franken als Rest des liquidierten Vermögensstandes der Polizei übergibt, schenkt ihm Bonaparte glattweg die Hälfte, also eine Million zweihunderttausend Franken. Außerdem bekommt der bekehrte Verächter des Geldes, der vor einem Jahrzehnt noch tollwütig gegen das »schmutzige und korrumpierende Metall« gewettert, zu seinem Senatstitel noch die Senatsschaft von Aix, einem kleinen Fürstentum, das von Marseille bis Toulon reicht und dessen Wert auf zehn Millionen Franken geschätzt wird. Bonaparte kennt ihn; er weiß, Fouché hat unruhige, spielsüchtige Intrigantenhände; da man sie ihm nicht zu binden vermag, beschwert man sie lieber mit Gold. Darum ist selten im Lauf der Geschichte ein Minister ehrenvoller und vor allem vorsichtiger verabschiedet worden als Joseph Fouché.
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