Ein Neugeborener
An Hippolyte
Nun bist du da, mein Kind, mein junger Gast!
Seit einer Stunde da! Oh, wie erwartet,
Dein Leben wie erkauft! Kannst du dafür?
Nein, nein! Mein Schrei barg keinen Zorn zu dir.
Du, trugst du nicht schon Weh, bevor zum Tag
Du aufgewacht, und halfst du nicht dazu,
Daß wir uns endlich sehn? Mein Schatten du,
Du Kind aus meinem Sein geboren, das
In diesem Sein mich übermächtig hält,
Auch dir ward Schmerz in deiner engen Welt.
Des Tages trank mein Blick für dich die Sonne,
Ich ging des Nachts in deinen Kerker ein.
Aus meiner armen Seele suchte ich
Dir deinen Himmel aufzubaun und mied
Erinnerung an Böses wie ein Gift;
Ich wollte Gott erschaun, dich schön zu machen,
Dein Herz mit seiner Güte zu durchtränken,
Dem blinden Geist von seinem Licht zu schenken!
Vergiß das nicht: ich sprach zu dir von Gott;
Ich schuf dich aus Gebet, aus süßen Tränen,
Dein Ohr aus Echolaut der heiligen Stätte;
Vor unsrer Unrast barg ich dich lebendig,
Und trug mein Weinen hin zur Abendsonne,
Damit du rein und lieblich würdest, wie
Die Blumen sind, und schritt gedankenvoll
In grünes Schilf, um mit lebendigen Quellen
Dir Trank zu geben, die sich kühl ergossen
Und unser beider Fieberglut umschlossen.
Weißt du, wie oft, allein in hoher Kirche,
Wie lang die hellen Engel uns besahn?
Bedächtig schreitend trug ich dich dahin,
Dich Unsichtbaren, ihre schönen Züge
In deine unbestimmte Form zu meißeln.
Ich habe recht getan! Kein Kind hat je
Vom Himmel so viel Himmel mitgenommen
In seinem tiefen Blick, und keine Stirn
Erstrahlte je so lebensvoll und licht.
Was solch ein kleines Antlitz Bilder birgt!
Von allem, was ich liebte, zeigst du mir
Die lieben Züge, und entschwundne Engel
Wie viele lächeln mir nicht wieder zu
In deinem jungen Lächeln, Engel du!
Du warst das All! Ich hielt den Blick gesenkt,
Bedeckt von meiner Hand, und rief nach keinem,
Nach keinem in der grausam kalten Welt,
Mir Ruh zu geben, meinen Kopf zu stützen
Und meine Frucht vor Sturmeswut zu schützen.
Doch als ich meinen Blick in deinem Namen
Zum Himmel hob, da stahl dein Lächeln sich
In meine Tränen; in der bittern Woge
Erschien mir Gott und ließ in meiner Armut
Mich Mutter sein, und seligen Dank zu Gott
Barg nun des Weibes süßer Weheruf –
Des Weibes, dem Er einen Sohn erschuf.
Die Wiege, leer noch, gab den Stunden Leben;
Ein Engel atmete in mir durch Tag
Und Nacht; ich hegte sein Geschick, ich war
Sein gutes Haus, ich hielt ihn froh geborgen!…
Wer könnte sterben, so voll Stolz und Sorgen?
Auch brach ich arm in meine Kniee nieder,
Als man mich hob – allein und allzu leicht –
Und suchte nach der lieben kleinen Last;
Denn ob du noch so nah mir bist, nun trennt,
Die gestern eins wir waren – doch die Luft,
Und ich muß weinen und – verzeih, mein Leben!
Du, dieser Welt durch mich, für mich, gegeben!
Leb wohl! Ich bin nicht mehr die frohe Larve,
Darin die Seele meiner Seele lag
Neun Monde lang; doch wenn ich deiner Blüte,
Der zarten, Schutz gewesen bin, so kehre
Als Mann zuweilen heim in meine Hut.
Ich bin die Mutter: ein Band hielt uns beide,
Die Liebe wird die Liebe suchen gehn.
Trennt je die Erde, was der Himmel bindet?
Im Leben oder Tod – er hilft, daß eins zum andern findet.
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