Elegie


Ich war wohl dein von allem Anbeginn,
Mein Leben, kaum bewußt, dir schon verkettet!
Dein Name sagte mir’s, der meinen Sinn
Verwirrend überfiel, in den gebettet
Dein Herz sich barg, das meine zu verlocken.
Ich hörte ihn – und er verführte tief;
Ich lauschte lange, bebend und erschrocken:
Da war’s, daß deine Seele nach mir rief!
Hast du’s gewußt, daß du, mir unbekannt,
Schon mein Geliebter warst für alle Zeiten,
Daß ich ein lang Gefundnes wiederfand,
Als du dann kamst, mein Leben zu begleiten?
Du sprachst – und unsre Seelen küßten sich,
Ich wurde bleich und schlug die Augen nieder;
Aus deinen Blicken rief dein Name mich,
Und Antwort gab mein Herz: »Da ist er wieder!«


Von neuem nahm sein Zauber mich gefangen;
Wie süßes Schicksal klang er meinem Ohr,
Ich sprach ihn immer, und ich sah voll Bangen,
Wie Glut und Hoffen sich an ihn verlor.
Ich las ihn überall, las ihn im meinen,
Ich gab ihm Tränen, gab ihm nie genug;
Oft wollt es meinem Blick, geblendet, scheinen.
Als ob er eine Krone trug.
Ich schrieb ihn nieder – doch verlor den Mut
Und wagte mehr nicht, als ihn stumm zu lächeln;
Er trug des Nachts in meinen Schlaf die Glut,
Und morgens weckte mich sein sanftes Fächeln.
Er lebt in mir, mein Seufzer schließt ihn ein,
Ich atme, und sein Hauch durchschwillt mein Herz:
Geliebter Name, meine Welt ist dein,
Wie ewige Inschrift und wie Erz in Erz!
Du gabst mir Leben, und du wirst im Sterben
Mit letztem Kuß mein letztes Sein erwerben.

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