Sechstes Kapitel – Großer politischer Heiratsmarkt


1563–1565


Zwei junge Frauen sind in diesem Augenblick die umworbensten der Welt: Elisabeth von England und Maria von Schottland. Wer irgend in Europa Kronrecht hat und keine Gattin, der sendet jetzt seine Werber, Habsburg und Bourbon, Philipp II. von Spanien und sein Sohn Don Carlos, der Erzherzog von Österreich, die Könige von Schweden und Dänemark, Greise und Knaben, Männer und Jünglinge: schon lange war der politische Heiratsmarkt nicht so reichlich beschickt. Denn noch immer stellt Vermählung mit einer Fürstin die bequemste Form für einen Herrscher dar, seine Macht zu erweitern. Nicht durch Krieg, sondern durch Heirat sind in den Zeiten des Absolutismus die großen Erbrechte aufgebaut worden, das geeinte Frankreich, das weltumfassende Spanien und die Hausmacht Habsburgs. Jetzt aber locken unvermuteterweise noch die letzten kostbaren Kronjuwele Europas. Elisabeth oder Maria Stuart, England oder Schottland, wer das eine Land oder das andere durch Ehe gewinnt, der hat auch im Weltspiel gewonnen, und gleichzeitig mit dem nationalen Wettlauf entscheidet sich ein anderer, ein geistig-geistlicher Krieg. Denn fällt durch die Heirat mit einer der beiden Herrscherinnen die britannische Insel einem katholischen Mitkönig zu, so hat das Zünglein an der Waage im Kampf zwischen Katholizismus und Protestantismus endgültig zugunsten Roms ausgeschlagen, die ecclesia universalis ist wieder sieghaft auf Erden. Darum bedeutet diese hitzige Brautjagd unermeßlich viel mehr als eine familiäre Angelegenheit; in ihr versinnbildlicht sich eine Weltentscheidung.


Eine Weltentscheidung, aber für diese beiden Frauen, für diese beiden Königinnen auch eine Lebensentscheidung. Denn unlösbar sind ihre Schicksalslinien verstrickt. Wird eine der beiden Rivalinnen durch eine Heirat erhöht, so gerät der andere Thron unaufhaltsam ins Wanken, steigt die eine Schale, so muß die andere sinken. Die Schwebe der Scheinfreundschaft zwischen Maria Stuart und Elisabeth kann nur insolange dauern, als beide unvermählt bleiben, bloß Königin von England die eine, bloß Königin von Schottland die andere; verschieben sich die Gewichte, so muß eine die mächtigere werden, die Siegerin. Aber entschlossen steht Stolz gegen Stolz, keine will und wird der andern weichen. Nur Kampf auf Leben und Tod kann diese furchtbare Verstrickung lösen.


Für das prachtvoll gestufte Schauspiel dieses Schwesternkampfes hat die Geschichte zwei Gegenspielerinnen größten Formats gewählt. Beide, Maria Stuart und Elisabeth, sind Begabungen besonderer und unvergleichlicher Art. Neben ihren energischen Erscheinungen wirken die andern Monarchen der Zeit, der mönchisch starre Philipp II. von Spanien, der knabenhaft launische Karl IX. von Frankreich, der unbedeutende Ferdinand von Österreich, wie flache Nebenrollenspieler; keiner von ihnen erreicht auch nur annähernd die hohe geistige Ebene, auf der diese außerordentlichen Frauen einander entgegentreten. Beide klug – und in ihrer Klugheit nur oft durch weibliche Launen und Leidenschaften gehemmt –, beide ehrgeizig bis zur Unbändigkeit, haben von frühester Jugend an sich für ihren hohen Rang besonders vorbereitet. Beider Haltung im Sinne der äußeren Repräsentation musterhaft, beider Kultur auf der vollen Höhe der humanistischen Zeit. Fließend spricht jede neben ihrer Muttersprache Latein, Französisch, Italienisch, Elisabeth überdies noch Griechisch, und beider Briefe übertreffen an plastischer Ausdruckskraft weitaus diejenigen ihrer besten Minister, die Elisabeths ungleich farbiger, bildlicher als jene ihres klugen Staatssekretärs Cecil, die Maria Stuarts geschliffener und eigenartiger als die glatt diplomatischen eines Maitland und Moray. Beider Intelligenz, ihr Kunstsinn, ihre fürstliche Art der Lebenshaltung kann vor den strengsten Richtern bestehen, und wenn Elisabeth einem Shakespeare und Ben Jonson, so wird Maria Stuart einem Ronsard und Du Bellay Bewunderung abnötigen. Aber mit dieser gemeinsamen Höhe des kulturellen Niveaus ist auch alle Ähnlichkeit zwischen diesen Frauen erschöpft; um so schärfer prägt sich der innere Gegensatz aus, den die Dichter von Anbeginn schon als typisch dramatischen empfunden und gestaltet haben.


Dieser Gegensatz ist derart vollständig, daß schon die Lebenslinien ihn geradezu geometrisch-anschaulich ausdrücken. Entscheidender Unterschied: Elisabeth hat es im Anfang schwer und Maria Stuart am Ende. Maria Stuarts Glück und Macht steigen leicht, hell und schnell auf wie ein Morgenstern am klaren Himmel; als Königin geboren, wird sie noch als Kind zum zweitenmal zur Königin gesalbt. Aber ebenso steil und jäh vollzieht sich ihr Sturz. In drei oder vier einzelnen Katastrophen ist ihr Schicksal konzentriert, also typisch dramatisch geformt – weshalb sie auch immer wieder als Heldin von Tragödien gewählt wird –, während Elisabeths Aufstieg langsam und beharrlich sich vollzieht (und darum vermag ihr eigentlich nur eine episch breite Darstellung gerecht zu werden). Ihr ist nichts geschenkt und mit leichter Hand von Gott gegeben. Als Kind zum Bastard erklärt, von der eigenen Schwester in den Tower geworfen, mit tödlichem Gerichtsspruch bedroht, hat sie sich mit List und frühreifer Diplomatie erst das nackte Dasein und Geduldetsein erobern müssen. Maria Stuart war durch Erbe von Anbeginn die Würde zuteil, Elisabeth hat sie sich mit dem eigenen Leibe und dem eigenen Leben geschaffen.


Zwei derart verschiedene Lebenslinien müssen notwendigerweise auseinanderstreben. Sie können sich gelegentlich kreuzen und überschneiden, niemals aber wirklich binden. Denn bis tief hinein in jede Schwingung und Tönung des Charakters muß sich der fundamentale Unterschied auswirken, daß die eine mit der Krone geboren ist wie mit dem eigenen Haar, während die andere sich ihre Stellung erkämpft, erlistet, erobert hat, daß die eine von Anfang an legitime Königin gewesen und die andere eine angezweifelte. Jede dieser beiden Frauen entwickelt aus dieser besonderen Schicksalsform eine andere Kraft. Bei Maria Stuart erzeugt die Leichtigkeit, die Mühelosigkeit, mit der sie alles – zu früh! – zugeteilt bekam, eine ganz ungewöhnliche Leichtfertigkeit und Selbstsicherheit, sie schenkt ihr jenen verwegenen Wagemut, der ihre Größe ist und ihr Verhängnis. Gott hat ihr die Krone gegeben, niemand kann sie ihr nehmen. Sie hat zu gebieten, die andern zu gehorchen, und zweifelte auch die ganze Welt an ihrem Recht, sie fühlt ihr Herrentum heiß in ihrem Blut. Leicht und ohne zu prüfen läßt sie sich begeistern, rasch und hitzig wie einen Schwertgriff faßt sie ihre Entschlüsse, und so, wie sie als verwegene Reiterin mit einem Riß am Zügel, einem Ruck, einem Schwung über Hürden und Hindernisse hinwegsetzt, meint sie auch, über alle Schwierigkeiten und Fährnisse der Politik mit dem bloßen beschwingten Mut hinüberstürmen zu können. Bedeutet für Elisabeth Herrschen ein Schachspiel, ein Denkspiel, eine stete gespannte Anstrengung, so für Maria Stuart nur ein starkes Genießen, eine Steigerung der Daseinslust, ein Kampfspiel ritterlicher Art. Sie hat, wie einmal der Papst von ihr sagt, »das Herz eines Mannes im Körper einer Frau«, und gerade dies leichtsinnig Wagende, dies egoistisch Souveräne, das sie für das Gedicht, die Ballade, die Tragödie so anziehend macht, verschuldet ihren frühen Untergang.


Denn Elisabeth, eine durchaus realistische Natur, eine beinahe geniale Kennerin der Wirklichkeit, gewinnt ihren Sieg eigentlich nur durch das kluge Ausnützen der Unüberlegtheiten und Torheiten ihrer ritterlichen Gegnerin. Mit ihren klaren, scharfen Vogelaugen – man blicke in ihr Bildnis – sieht sie mißtrauisch in die Welt, deren Gefahren sie frühzeitig zu fürchten gelernt hat. Schon als Kind hat sie Gelegenheit gehabt, zu beobachten, wie rasch die Kugel der Fortuna auf und nieder rollt und daß es nur ein Schritt weit ist vom Königsthron zum Schafott und ein Schritt wiederum aus dem Tower, diesem Vorhof des Todes, nach Westminster. Ewig wird sie darum Macht als etwas Fließendes empfinden und alles Sichere als gefährdet; vorsichtig und ängstlich, als wären sie aus Glas und könnten jeden Augenblick ihren Händen entgleiten, hält Elisabeth Krone und Zepter fest; eigentlich verbringt sie ihr ganzes Leben in Sorge und Unentschlossenheit. Alle Porträts ergänzen hier überzeugend die überlieferten Schilderungen ihres Wesens: auf keinem blickt sie klar, frei und stolz wie eine wahrhafte Gebieterin, immer ist ihr nervöses Gesicht furchtsam und unruhig angespannt, als lauschte, als wartete sie auf etwas, nie glänzt das Lächeln der Selbstgewißheit froh um ihren Mund. Scheu und eitel zugleich hebt sie ihr blasses Antlitz aus dem pompösen Putz der juwelenüberglitzerten Roben, gleichsam frierend unter dieser überladenen Pracht. Und man fühlt: kaum mit sich allein, kaum ist das Staatskleid von ihren knochigen Schultern abgeglitten, kaum weicht die Schminke von den schmalen Wangen, so fällt auch die Hoheit von ihr ab, und es bleibt eine arme, verstörte, frühgealterte Frau, ein einsamer Mensch zurück, der kaum seine eigene Not und um wieviel weniger eine Welt zu beherrschen weiß. Eine solche zaghafte Haltung mag bei einer Königin nicht sehr heroisch wirken und dies ewige Zaudern und Zögern und Sich-nicht-entschließen-Können gewiß nicht majestätisch; aber Elisabeths staatsmännische Größe lag auf einer anderen Ebene als der romantischen. Ihre Kraft offenbarte sich nicht in verwegenen Plänen und Entschlüssen, sondern in einer zähen und sorgsamen Dauerarbeit des Mehrens und Sicherns, des Sparens und Zusammenraffens, in eigentlich bürgerlichen und haushälterischen Tugenden: gerade ihre Fehler, ihre Ängstlichkeit, ihre Vorsichtigkeit sind im staatsmännischen Sinne produktiv geworden. Denn wenn Maria Stuart nur sich selbst, so lebt Elisabeth ihrem Lande, sie nimmt als Realistin ihr Herrschertum pflichthaft als einen Beruf, Maria Stuart dagegen, die Romantikerin, ihr Königtum als völlig unverpflichtende Berufung. Jede ist stark, jede schwach in einem andern Sinne. Wird Maria Stuart ihre heldisch-törichte Verwegenheit zum Verhängnis, so Elisabeth ihr Zaudern und Zögern schließlich zum Gewinn. Denn immer siegt in der Politik die langsame Zähigkeit über die unbeherrschte Kraft, der durchgearbeitete Plan über den improvisierten Elan, der Realismus über die Romantik.


Aber in diesem Schwesternkampf reicht der Gegensatz noch tiefer. Nicht nur als Königinnen, sondern auch als Frauen stellen Elisabeth und Maria Stuart völlig polare Typen dar, gleichsam als hätte es der Natur gefallen, einmal eine große welthistorische Antithese in zwei großen Gestalten bis in die letzte Einzelheit kontrapunktisch durchzuführen.


Maria Stuart ist als Frau ganz Frau, in erster und letzter Linie Frau, und gerade die wichtigsten Entschließungen ihres Lebens kamen aus dieser untersten Quelle ihres Geschlechts. Nicht daß sie eine ständig leidenschaftliche, eine einzig von ihren Trieben beherrschte Natur gewesen wäre – im Gegenteil, was zuerst an Maria Stuart charakterologisch auffällt, ist ihre lange weibliche Zurückhaltung. Jahre und Jahre hat es gedauert, ehe das Gefühlsleben in ihr überhaupt erwachte. Lange sieht man nur (und die Bilder bestätigen es) eine freundliche, weiche, milde, lässige Frau, ein leichtes Schmachten im Auge, ein fast kindliches Lächeln um den Mund, ein unentschiedenes, unaktives Wesen, eine Mädchenfrau. Sie ist auffallend sensitiv (wie jede wahrhaft weibliche Natur), ihr Gemüt gerät leicht in Schwingung, sie kann beim leichtesten Anlaß erröten, erblassen, und rasch und locker sitzt ihr die Träne. Aber diese eiligen, oberflächlichen Wellen ihres Bluts rühren lange Jahre nicht ihre Tiefe auf; und gerade weil sie eine vollkommen normale, eine echte, eine wirkliche Frau ist, entdeckt Maria Stuart ihre eigentliche, ihre wahre Kraft erst an einer Leidenschaft – im ganzen nur einmal in ihrem Leben. Da aber spürt man, wie ungemein stark sie Frau ist, wie sehr triebhaftes und instinkthaftes Wesen, wie willenlos gekettet an ihr Geschlecht. Denn in diesem großen Moment ihrer Ekstase schwinden plötzlich wie weggerissen die oberen, die kulturellen Kräfte in der bislang kühlen und gemessenen Frau dahin, alle Dämme von Wohlerzogenheit, von Sitte und Würde brechen ein, und vor die Wahl gestellt zwischen ihrer Ehre und ihrer Leidenschaft, bekennt sich Maria Stuart als wirkliche Frau nicht zu ihrem Königtum, sondern zu ihrem Frauentum. Jäh fällt der Kronmantel ab, sie fühlt nur nackt und heiß als eine der Unzähligen, die Liebe nehmen und Liebe geben wollen, und nichts schenkt ihrer Gestalt eine solche Großzügigkeit, als daß sie um einzelner volldurchlebter Daseinsaugenblicke willen Reich und Macht und Würde geradezu verächtlich hingeworfen hat.


Elisabeth dagegen war einer völligen Selbsthingabe solcher Art niemals fähig, und dies aus einem geheimnisvollen Grunde. Denn sie war – wie es Maria Stuart in ihrem berühmten Haßbrief formulierte – körperlich »nicht wie alle andern Frauen«. Nicht nur die Mutterschaft war ihr versagt, sondern wahrscheinlich auch die natürliche Form der vollen weiblichen Preisgabe. Nicht so freiwillig, wie sie vortäuschte, ist sie zeitlebens »virgin Queen«, die jungfräuliche Königin, und wenn auch gewisse gleichzeitige Nachrichten (wie jene von Ben Jonson überlieferten) über Elisabeths physische Mißbildung anzweifelbar sind, dies bleibt gewiß, daß eine körperliche oder seelische Hemmung sie in den geheimsten Zonen ihres Frauentums verstört hat. Ein solches Mißgeschick muß das Wesen einer Frau entscheidend bestimmen, und in diesem Geheimnis sind alle andern Geheimnisse ihres Charakters gleichsam im Kern enthalten. Jenes Schillernde, Schwankende, Fahrige, Wetterwendische ihrer Nerven, das ihr Wesen ständig in ein zuckendes Licht von Hysterie taucht, das Ungleichgewichtige, Unberechenbare ihrer Entschlüsse, dieses ewige Umschalten von heiß auf kalt, von ja auf nein, all das Komödiantische, das Raffinierte, das Hinterhältige und nicht zumindest jene Koketterie, die ihrer staatsmännischen Würde die schlimmsten Streiche spielte, stammten aus dieser innern Unsicherheit. Eindeutig und natürlich zu fühlen, zu denken, zu handeln war dieser im tiefsten verwundeten Frau versagt, niemand konnte auf sie zählen, und am wenigsten war sie ihrer selbst sicher. Aber wenn auch verstümmelt in ihren geheimsten Bezirken, wenn auch hin und her gerissen in ihren Nerven, wenn auch gefährlich in ihrer Intrigantenklugheit, so war Elisabeth doch niemals grausam, unmenschlich, kalt und hart. Nichts ist falscher, oberflächlicher und banaler erfunden als die schon schematisch gewordene Auffassung (wie sie Schiller in seine Tragödie übernommen hat), als hätte Elisabeth wie eine tückische Katze mit einer sanften und wehrlosen Maria Stuart gespielt. Wer tiefer blickt, spürt in dieser Frau, die einsam friert inmitten ihrer Macht, die sich mit ihren Halbliebhabern immer nur hysterisch quält, weil sie sich keinem ganz und eindeutig hingeben kann, eine verborgene, verschlagene Wärme und hinter all ihren Schrullen und Heftigkeiten einen ehrlichen Willen, großmütig und gütig zu sein. Ihrer ängstlichen Natur entsprach nicht die Gewalt, sie flüchtete lieber in die kleinen, nervenprickelnden Künste der Diplomatie, das unverantwortliche Hintergrundspiel; bei jeder Kriegserklärung aber zauderte und schauerte sie, jedes Todesurteil lastete wie ein Stein auf ihrem Gewissen, und um ihrem Lande Frieden zu bewahren, setzte sie ihre beste Kraft ein. Wenn sie Maria Stuart bekämpfte, so war es einzig, weil sie sich (nicht mit Unrecht) von ihr bedroht fühlte, und doch wäre sie dem offenen Kampfe lieber ausgewichen, weil sie ihrer Natur nach nur Spielerin und Falschspielerin, nicht aber Kämpferin war. Beide, Maria Stuart aus Lässigkeit, Elisabeth aus Ängstlichkeit, hätten lieber halben und falschen Frieden gehalten. Aber die Konstellation der Stunde erlaubte kein Nebeneinandersein. Gleichgültig gegen den innersten Willen des einzelnen stößt oft der stärkere Wille der Geschichte Menschen und Mächte in ihr mörderisches Spiel.


Denn hinter der inneren Verschiedenheit der Persönlichkeiten erheben sich gebieterisch wie riesenhafte Schatten die großen Gegensätze der Zeit. Man nenne es nicht Zufall, daß Maria Stuart die Vorkämpferin der alten, der katholischen Religion gewesen und Elisabeth Schirmherrin der neuen, der reformatorischen; diese Parteinahme versinnbildlicht nur symbolisch, daß jede dieser beiden Königinnen eine andere Weltanschauung verkörperte, Maria Stuart die absterbende, die mittelalterlich-ritterliche Welt, Elisabeth die werdende, die neuzeitliche. Eine ganze Zeitwende kämpft sich in ihrem Widerstreit zu Ende.


Maria Stuart – und dies macht ihre Figur so romantisch – steht und fällt für eine vergangene, für eine überholte Sache als ein letzter kühner Paladin. Sie gehorcht nur dem gestaltenden Willen der Geschichte, wenn sie, die Rückwärtsgewandte, sich politisch jenen Mächten verbindet, die den Zenit bereits überschritten haben, Spanien und dem Papsttum, während Elisabeth klarsichtig in die fernsten Länder, nach Rußland und Persien, ihre Gesandten schickt und in vorausschauendem Gefühl die Energie ihres Volkes gegen die Ozeane wendet, als ahnte sie, daß in den neuen Kontinenten die Pfeiler des zukünftigen Weltreiches aufgerichtet werden müßten. Maria Stuart beharrt starr im Übernommenen, sie kommt über die dynastische Auffassung des Königtums nicht hinaus. Das Land ist nach ihrer Meinung an den Herrscher gebunden, nicht aber der Herrscher an sein Land; eigentlich ist Maria Stuart all diese Jahre nur Königin über Schottland gewesen und niemals eine Königin für Schottland. Die hundert Briefe, die sie geschrieben, gelten alle nur der Befestigung, der Erweiterung ihres persönlichen Rechtes, aber völlig vermißt man einen einzigen, der sich mit dem Volkswohl, mit der Förderung von Handel, Schiffahrt oder Kriegsmacht befaßte. Wie ihre Sprache in Dichtung und Konversation zeitlebens die französische blieb, so ist auch ihr Denken, ihr Fühlen nie ein schottisches, ein nationales geworden; nicht für Schottland hat sie gelebt und ist sie gestorben, sondern einzig um Königin von Schottland zu bleiben. Im letzten hat Maria Stuart ihrem Lande nichts Schöpferisches gegeben als die Legende ihres Lebens.


Dieses Über-allem-Stehen Maria Stuarts mußte notwendigerweise zu einem Alleinstehen werden. An Mut und Entschlossenheit war sie persönlich Elisabeth unermeßlich überlegen. Aber Elisabeth kämpfte nicht allein gegen sie. Aus dem Gefühl ihrer Unsicherheit hatte sie rechtzeitig verstanden, ihre Position zu stärken, indem sie sich mit ruhigen und klarsehenden Leuten umgab; um sie stand ein ganzer Generalstab in diesem Kriege, lehrte sie Taktik und Praktik und schützte sie bei großen Entscheidungen vor der Sprunghaftigkeit und Fahrigkeit ihres Temperamentes. Elisabeth wußte eine derart vollendete Organisation um sich zu schaffen, daß es heute, nach Jahrhunderten, fast unmöglich ist, ihre persönliche Leistung aus der Kollektivleistung der elisabethanischen Epoche herauszuschälen, und der unermeßliche Ruhm, der sich an ihren Namen bindet, schließt die anonyme Leistung ihrer ausgezeichneten Berater in sich. Während Maria Stuart nur Maria Stuart ist, stellt Elisabeth eigentlich immer Elisabeth plus Cecil, plus Leicester, plus Walsingham, plus die Energie ihres ganzen Volkes dar, und man kann kaum unterscheiden, wer der Genius jenes shakespearischen Jahrhunderts gewesen, England oder Elisabeth, so sehr sind sie zusammengeschmolzen in eine herrliche Einheit. Nichts hat Elisabeth einen solchen Rang unter den Monarchen jener Epoche gegeben, als daß sie nicht Herrin über England sein wollte, sondern bloß Verwalterin des englischen Volkswillens, Dienerin einer nationalen Mission; sie hat den Zug der Zeit verstanden, der vom Autokratischen ins Konstitutionelle führt. Freiwillig erkennt sie die neuen Kräfte an, die aus der Umformung der Stände, aus der Weltraumerweiterung durch die Entdeckungen sich entwickeln, sie fördert alles Neue, die Gilden, die Kaufleute, die Geldleute und selbst die Piraten, weil sie England, ihrem England, die Vorherrschaft über die Meere anbahnen. Unzählige Male bringt sie (was Maria Stuart niemals tut) ihre persönlichen Wünsche dem allgemeinen, dem nationalen Wohl zum Opfer. Denn immer ist es beste Rettung aus innerer Not, wenn sie sich ins Schöpferische wendet; aus ihrem Unglück als Frau hat Elisabeth das Glück ihres Landes gestaltet. Ihren ganzen Egoismus, ihre ganze Machtleidenschaft hat die Kinderlose, die Männerlose ins Nationale umgestaltet; groß vor der Nachwelt zu sein durch Englands Größe war die edelste ihrer Eitelkeiten, und nur diesem kommenden größeren England hat sie wahrhaft gelebt. Keine andere Krone konnte sie locken (während Maria Stuart begeistert die ihre gegen jede bessere tauschen würde), und indes jene in der Gegenwart, in der Stunde großartig aufglühte, hat sie, die Sparsame, die Weitblickende, ihre ganze Kraft der Zukunft ihrer Nation geweiht.


Es war kein Zufall darum, daß sich der Kampf zwischen Maria Stuart und Elisabeth zugunsten der fortschrittlichen und weltgewandten und nicht der rückgewandten und ritterlichen Königin entschied; mit Elisabeth siegte der Wille der Geschichte, der vorwärts drängt, der die abgelebten Formen wie leere Schalen hinter sich schleudert und seine Kraft in immer anderen schöpferisch versucht. In ihrem Leben verkörpert sich die Energie einer Nation, die ihre Stelle im Weltall erobern will, in Maria Stuarts Ende stirbt nur prächtig und heldisch eine ritterliche Vergangenheit. Aber dennoch erfüllt jede in diesem Kampfe vollendet ihren Sinn: Elisabeth, die Realistin, siegt in der Geschichte, Maria Stuart, die Romantikerin, in Dichtung und Legende.


Großartig ist dieser Gegensatz in Raum, Zeit und seinen Gestalten: wäre doch nur die Art nicht so erbärmlich kleinlich, in der er durchfochten wird! Denn trotz ihrem überragenden Format bleiben diese beiden Frauen immerhin Frauen, sie können die Schwäche ihres Geschlechts nicht überwinden, Feindschaften, statt aufrichtig, immer nur mesquin und hinterhältig auszutragen. Ständen statt Maria Stuart und Elisabeth zwei Männer, zwei Könige einander gegenüber, es käme sofort zu scharfer Auseinandersetzung, zu klarem Krieg. Anspruch stellte sich schroff gegen Anspruch, Mut gegen Mut. Der Konflikt Maria Stuarts und Elisabeths dagegen entbehrt dieser hellen männlichen Aufrichtigkeit, er ist ein Katzenkampf, ein Sich-Umschleichen und Belauern mit verdeckten Krallen, ein hinterhältiges und durchaus unredliches Spiel. Durch ein Vierteljahrhundert haben diese Frauen einander unablässig belogen und betrogen (ohne sich aber nur eine Sekunde lang tatsächlich zu täuschen). Nie blicken sie einander frei und gerade ins Auge, nie wird ihr Haß offen, wahr und klar; mit Lächeln und Schmeicheln und Heucheln begrüßen und beschenken und beglückwünschen sie einander, während jede heimlich das Messer hinter dem Rücken hält. Nein, die Chronik des Krieges zwischen Elisabeth und Maria Stuart zeitigt keine iliadischen Schlachten, keine ruhmreichen Situationen, sie ist kein Heldenlied, sondern ein perfides Kapitel aus Machiavelli, psychologisch zwar ungemein erregend, aber moralisch abstoßend, weil eine zwanzigjährige Intrige und nie ein ehrlicher, klingender Kampf.


Dieses unehrliche Spiel setzt sofort mit den Heiratsverhandlungen Maria Stuarts ein, und fürstliche Bewerber sind auf den Plan getreten. Maria Stuart wäre mit jedem einverstanden, denn die Frau in ihr ist noch nicht wach und mengt sich nicht in die Wahl. Sie würde willig den fünfzehnjährigen Knaben Don Carlos nehmen, obwohl das Gerücht ihn als bösartigen, tollwütigen Jungen schildert, und ebenso gern das unmündige Kind Karl IX. Jung, alt, widerwärtig oder anziehend, das ist ihrem Ehrgeiz völlig gleichgültig, sofern die Heirat sie nur über die verhaßte Rivalin erhebt. Persönlich beinahe uninteressiert, überläßt sie die Verhandlungen ihrem Stiefbruder Moray, der sie mit äußerst egoistischem Eifer führt, denn wenn seine Schwester in Paris oder Wien oder Madrid eine Krone trägt, wäre er ihrer ledig und wieder ungekrönter König von Schottland. Sehr bald aber erfährt Elisabeth, durch ihre schottischen Spione tadellos bedient, von diesen überseeischen Freiten und legt sofort ein kräftiges Veto ein. Ganz klar droht sie dem schottischen Gesandten, falls Maria Stuart eine fürstliche Werbung aus Österreich, Frankreich oder Spanien annähme, würde sie dies als feindseligen Akt betrachten, was sie aber keineswegs hindert, gleichzeitig die zärtlichsten Mahnungen an ihre teure Base zu schreiben, sie möchte einzig auf sie vertrauen, »welche Berge von Glückseligkeit und irdischer Pracht ihr auch die andern versprächen«. Oh, sie habe nicht das mindeste einzuwenden gegen einen protestantischen Prinzen, gegen den König von Dänemark oder den Herzog von Ferrara – deutsch übersetzt: gegen ungefährliche, unwertige Werber – am besten aber wäre, Maria Stuart würde »daheim« heiraten, irgendeinen schottischen oder englischen Adeligen. In diesem Falle könne sie ihrer schwesterlichen Liebe, ihrer Hilfe ewig gewiß sein.


Diese Haltung Elisabeths ist selbstverständlich ein klares »foul play«, und jeder durchschaut ihre Absicht: die unfreiwillige »virgin Queen« will nichts anderes als ihrer Rivalin jede gute Chance verderben. Aber mit ebenso wendiger Hand wirft Maria Stuart den Ball zurück. Sie denkt selbstverständlich nicht einen Augenblick daran, Elisabeth eine »overlordship«, ein Einspruchsrecht, in ihren Heiratsangelegenheiten zuzuerkennen. Aber noch ist das große Geschäft nicht abgeschlossen, noch zögert Don Carlos, der Hauptkandidat. So heuchelt Maria Stuart zunächst innigen Dank für das sorgsame Interesse Elisabeths. Sie versichert, nicht »for all uncles of the world« würde sie die kostbare Freundschaft mit der englischen Königin durch eigenwilliges Verhalten in Frage stellen, o nein, oh, keineswegs! – sie sei aufrichtigen Herzens bereit, allen ihren Vorschlägen treulich zu folgen, und Elisabeth möge ihr nur mitteilen, welche Werber als »allowed« zu gelten hätten und welche nicht. Rührend ist diese Gefügigkeit; aber mitten hinein streut Maria Stuart die schüchterne Zwischenfrage, auf welche Art Elisabeth sie dann für ihre Gefügigkeit entschädigen wolle. Gut, sagt sie gewissermaßen, ich gehe auf Deine Wünsche ein, ich heirate keinen Mann so hohen Ranges, daß er Deine Stellung, Du vielgeliebte Schwester, überhöht. Aber nun gib auch Du mir Sicherheit und werde gütigst deutlich: wie steht es mit meinem Nachfolgerecht?


Damit ist der Konflikt glücklich wieder auf dem alten toten Punkte. Sobald Elisabeth ein deutliches Wort über die Nachfolge sagen soll, wird kein Gott ihr eine klare Äußerung abzwingen. Höchst umwegig stammelt sie hin und her, »da ihre eigene Neigung ganz den Interessen ihrer Schwester gehöre«, wolle sie für Maria Stuart sorgen wie für eine eigene Tochter; seitenlang strömen die süßesten Worte, aber das eine, das verpflichtende, das entscheidende, wird nicht ausgesprochen. Wie zwei Levantiner Kaufleute wollen beide das Geschäft nur Zug um Zug machen, keiner öffnet zuerst die Hand. Heirate, den ich Dir vorschlage, sagt Elisabeth, und ich ernenne Dich zu meiner Nachfolgerin. Ernenne mich zu Deiner Nachfolgerin, und ich heirate, wen Du mir vorschlägst, antwortet Maria Stuart. Aber keine traut der anderen, weil jede die andere betrügen will.


Durch zwei Jahre schleppen sich diese Verhandlungen über die Heirat, die Werber, das Nachfolgerecht. Sonderbarerweise aber arbeiten die beiden Falschspielerinnen dabei einander unbewußt in die Hände. Elisabeth will Maria Stuart nur hinhalten, und Maria Stuart hat unglücklicherweise mit dem langsamsten aller Monarchen, dem Cunctator Philipp II., zu tun. Erst als die Verhandlungen mit Spanien auf Sand geraten und eine andere Entscheidung ins Auge gefaßt werden muß, hält es Maria Stuart für nötig, dem Schielen und Vorbeischauen ein Ende zu machen und der lieben Schwester die Pistole auf die Brust zu setzen. So läßt sie klar und deutlich anfragen, wen denn eigentlich Elisabeth ihr als standesgemäßen Gatten vorschlage.


Nichts Unlieberes kann Elisabeth geschehen, als wenn man von ihr bündige Auskunft fordert, besonders in diesem Falle. Denn längst hat sie durch die Blume zu verstehen gegeben, wen sie für Maria Stuart in Aussicht genommen. Sie hat vieldeutig gemurmelt, sie »wolle ihr jemanden geben, von dem niemand glauben würde, daß sie sich dazu entschließen könnte«. Aber der schottische Hof tut so, als ob er nicht verstünde, und verlangt einen positiven Vorschlag, einen Namen. An die Wand gedrückt, kann Elisabeth nicht mehr weiter hinter Andeutungen zurückweichen. Endlich preßt sie den Namen des Auserkorenen durch die Zähne: Robert Dudley.


Jetzt droht die diplomatische Komödie für einen Augenblick zur Posse zu werden. Denn dieser Vorschlag Elisabeths ist entweder eine ungeheuerliche Beleidigung oder ein ungeheuerlicher Bluff. Schon dies, einer Königin von Schottland, einer Königswitwe von Frankreich zuzumuten, ein »subject«, einen Untertanen ihrer Schwesterkönigin, einen kleinen Adeligen ohne Tropfen ebenbürtigen Blutes zu ehelichen, bedeutet ja nach den Begriffen der damaligen Zeit beinahe Beschimpfung. Aber sie wird noch impertinenter durch die Wahl der vorgeschlagenen Person; in ganz Europa weiß man, daß Robert Dudley seit Jahren der erotische Spielkamerad Elisabeths ist und demnach also die Königin von England wie einen abgetragenen Rock der Königin von Schottland gerade den Mann überlassen will, den sie selber für eine Ehe zu gering erachtet. Allerdings, vor einigen Jahren hat die ewig Unschlüssige noch mit dem Gedanken gespielt, ihn zu heiraten. (Immer spielt sie bloß mit diesem Gedanken). Erst als Dudleys Frau, Amy Robsart, unter sehr merkwürdigen Umständen ermordet aufgefunden wurde, war sie eiligst zurückgetreten, um jeden Verdacht der Mitschuld zu meiden. Diesen Mann nun, der zweimal vor der Welt kompromittiert ist, einmal durch jene dunkle Angelegenheit und dann durch seine erotische Beziehung, jetzt Maria Stuart als Gatten anzubieten war unter den vielen brüsken und verblüffenden Gesten ihrer Regierungszeit vielleicht die verblüffendste.


Was Elisabeth innerlich mit diesem abstrusen Vorschlag bezweckte, wird nie völlig zu ergründen sein: wer kann sich erkühnen, die wirren Wunschgedanken einer hysterischen Natur logisch zu formulieren! Wollte sie als ehrlich Liebende dem Geliebten, den sie selbst nicht zu heiraten wagte, mit der Erbfolge das Kostbarste übermachen, was sie besaß: ihr Königreich? Oder wollte sie sich bloß eines langweilig gewordenen Cicisbeo entledigen? Hoffte sie, mit dem Mann ihres Vertrauens die ehrgeizige Rivalin besser in Schranken zu halten? Wollte sie nur die Treue Dudleys auf die Probe stellen? Träumte sie von einer partie à trois, einem gemeinschaftlichen Liebeshaushalt? Oder erfand sie diesen unsinnigen Vorschlag überhaupt nur, um Maria Stuart mit der selbstverständlichen Ablehnung ins Unrecht zu setzen? Alle diese Möglichkeiten sind gegeben, die nächstliegende aber, daß die launische Frau innerlich selber gar nicht wußte, was sie wollte: sie hat wahrscheinlich nur mit dem Gedanken gespielt, wie sie allezeit mit Menschen und Entschlüssen zu spielen liebte. Niemand kann ausdenken, was geschehen wäre, wenn Maria Stuart ernstlich auf die Zumutung, Elisabeths abgelegten Liebhaber zu nehmen, eingegangen wäre. Vielleicht hätte Elisabeth dann in rascher Umschaltung ihrem Dudley die Heirat verboten und zu dem Hohn des Antrages noch die Schande der Abweisung auf ihre Rivalin gehäuft.


Maria Stuart empfindet Elisabeths Vorschlag, sie solle jemanden ehelichen, dem nicht königliches Blut in den Adern rollt, wie eine Gotteslästerung. Höhnisch fragt sie den Gesandten im ersten frischen Zorne, ob seine Herrin diesen Vorschlag wahrhaft im Ernst meine, daß sie, eine gesalbte Königin, einen bloßen »Lord Robert« heiraten solle. Aber rasch bemäntelt sie ihren Verdruß und macht freundliche Augen; eine so gefährliche Gegnerin darf nicht vorzeitig durch eine schroffe Ablehnung furios gemacht werden. Hat man einmal den spanischen, den französischen Thronfolger zum Gatten, so wird man gründlich für diese Beleidigung abrechnen. Immer antwortet in diesem Schwesterkampf eine Unehrlichkeit der andern, auf ein tückisches Angebot Elisabeths folgt sofort eine ebenso verlogene Freundlichkeit Maria Stuarts. Keineswegs wird also Dudley als Werber in Edinburgh sofort abgelehnt, nein, o nein, die Königin tut so, als ob sie auf die Posse ernst einginge, und das schafft ihr einen vorzüglichen zweiten Akt. In offiziellem Auftrag wird Sir James Melville nach London gesendet, angeblich um die Verhandlungen wegen Dudley zu eröffnen, in Wirklichkeit aber, um diesen Knäuel von Lüge und Verstellung nur noch gründlicher zu verwickeln.


Melville, der getreueste unter Maria Stuarts Edelleuten, hat eine geschickte diplomatische Hand, die außerdem noch gut zu schreiben und zu beschreiben weiß, und dafür wollen wir ihm besonders dankbar sein. Denn sein Besuch beschenkt die Welt mit der plastischesten und eindruckvollsten Schilderung der privaten Persönlichkeit Elisabeths und gleichzeitig mit einem vortrefflichen historischen Lustspielakt. Elisabeth weiß genau, daß dieser kultivierte Mann lange am französischen und am deutschen Hof gelebt hat; so setzt sie alles daran, gerade ihm als Frau zu imponieren, ahnungslos, daß er mit grausamer Gedächtniskraft jede ihrer Schwächen und Koketterien der Geschichte überliefern wird. Denn weibliche Eitelkeit spielt ihrer königlichen Würde oftmals einen schlimmen Streich: auch diesmal sucht die kokette Frau, statt den Botschafter der Königin von Schottland politisch zu überzeugen, zunächst dem Manne mit ihren privaten Vorzügen zu imponieren. Ein Pfauenrad schlägt sie nach dem andern. Sie wählt aus ihrer riesigen Garderobe – man hat dreitausend Kleider nach ihrem Tode gezählt – die kostbarsten Toiletten, sie zeigt sich bald nach englischer, bald nach italienischer, bald nach französischer Art gekleidet, offenbart großmütig ein ziemlich aufschlußreiches Dekolleté, dazwischen prunkt sie mit ihrem Latein, ihrem Französisch und Italienisch und sammelt mit unersättlichem Eifer die scheinbar maßlose Bewunderung des Gesandten ein. Aber alle Superlative, wie schön, wie klug, wie gebildet sie sei, genügen ihr nicht: sie will durchaus – »Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?« – gerade dem Gesandten der Königin von Schottland eine Äußerung abzwingen, daß er sie als Frau mehr bewundere als seine eigene Herrin. Sie will hören, daß sie entweder schöner oder klüger oder gebildeter sei als Maria Stuart. Sie zeigt ihm also ihre wunderbar gewellten rotblonden Haare und fragt, ob das Haar Maria Stuarts schöner wäre – peinliche Frage für den Gesandten einer Königin! Melville zieht sich geschickt aus der Affäre, indem er salomonisch erwidert, in England gäbe es keine Frau, die sich Elisabeth vergleichen ließe, und in Schottland keine, die Maria Stuart überträfe. Aber ein solches Halb und Halb genügt der närrisch Eitlen nicht; abermals und abermals paradiert sie mit ihren Reizen, sie spielt auf dem Clavecin und singt zur Laute: schließlich läßt sich Melville, wohlbewußt des Auftrags, sie politisch einzubalbieren, zum Zugeständnis herbei, daß Elisabeths Teint weißer sei, daß sie besser Clavecin spiele und mit mehr Haltung tanze als Maria Stuart. Über dieser eifrigen Selbstausstellung hat Elisabeth zunächst das eigentliche Geschäft vergessen, und als Melville endlich das heikle Thema berührt, holt sie, nun schon ins Komödiantische verstrickt, vorerst ein Miniaturporträt Maria Stuarts aus der Lade und küßt es mit Zärtlichkeit. Mit schwingender Stimme erzählt sie sodann, wie gerne sie Maria Stuart, ihre geliebte Schwester, persönlich kennenlernen möchte (nachdem sie in Wahrheit alles Erdenkliche getan, um eine solche Begegnung immer wieder zu vereiteln), und wer dieser verwegenen Schauspielerin glaubte, müßte überzeugt sein, für Elisabeth gäbe es auf Erden nichts Wichtigeres, als ihre Nachbarkönigin glücklich zu wissen. Aber Melville hat einen kühlen Kopf und einen klaren Blick. Er läßt sich von all den Spiegelfechtereien nicht täuschen, er wird zusammenfassend nach Edinburgh melden, Elisabeth habe weder aufrichtig gesprochen noch gehandelt und nur große Verstellung, Erregung und Furcht gezeigt. Als Elisabeth ihrerseits mit der Frage herausrückt, was Maria Stuart von jener Heirat mit Dudley denke, vermeidet der geübte Diplomat ebenso ein krasses Nein wie ein deutliches Ja. Er redet ausweichend herum, Maria Stuart habe diese Möglichkeit noch nicht recht ins Auge gefaßt. Aber je mehr er zurückweicht, desto schärfer drängt Elisabeth nach. »Lord Robert«, sagt sie, »ist mein bester Freund. Ich liebe ihn wie einen Bruder und würde niemals jemanden andern geheiratet haben, wenn ich mich überhaupt hätte entschließen können, mich zu vermählen. Da ich mich aber in dieser Hinsicht nicht überwinden kann, wünsche ich, daß wenigstens meine Schwester ihn wähle, denn ich weiß niemanden, von dem ich eher wollte, daß sie meine Nachfolge mit ihm teile. Damit ihn meine Schwester nicht geringschätze, werde ich ihn in einigen Tagen zur Würde eines Grafen von Leicester und Barons von Denbigh erheben.«


Tatsächlich, einige Tage später – dritter Akt der Komödie – vollzieht sich mit prunkvollstem Aufgebot die angekündigte Zeremonie. Lord Robert Dudley kniet angesichts des ganzen Adels nieder vor seiner Fürstin und Herzensfreundin, um sich als Graf Leicester zu erheben. Aber wieder hat die Frau in Elisabeth in diesem pathetischen Augenblick der Königin einen törichten Streich gespielt. Denn während die Herrin dem getreuen Diener die Grafenkrone auf das Haupt drückt, kann sich zärtlicherweise die Liebhaberin nicht enthalten, die Haare ihres Freundes vertraulich zu krauen; aus der pathetischen Zeremonie ist eine Farce geworden, und still kann Melville in seinen Bart lächeln: er wird seiner Herrin in Edinburgh fröhlichen Bericht heimzusenden haben.


Aber Melville ist keineswegs bloß nach London gekommen, um sich als Chronist an einer königlichen Komödie zu erlustigen, er hat selbst eine Sonderrolle in diesem Quidproquo. Seine diplomatische Aktentasche verbirgt einige Geheimfächer, die er Elisabeth durchaus nicht aufzuschließen gedenkt, und das höfische Geplauder über den Grafen Leicester ist nur ein Scheinmanöver, um seine eigentlichen Aufträge in London zu decken. Vor allem soll er energisch bei dem spanischen Gesandten anklopfen, ob Don Carlos endgültig absage oder zusage, Maria Stuart wollte nicht länger mehr warten. Außerdem aber soll er noch diskrete Fühlung nehmen mit einem Kandidaten zweiter Klasse, mit Henry Darnley.


Dieser Henry Darnley steht vorläufig auf einem Nebengeleise; ihn hält sich Maria Stuart in Reserve für den äußersten Fall, daß alle besseren Heiraten sich zerschlagen sollten. Denn Henry Darnley ist weder König noch Fürst und sein Vater, der Earl of Lennox, als Feind der Stuarts aus Schottland verbannt und seiner Güter verlustig erklärt. Aber von mütterlicher Seite her hat dieser achtzehnjährige Junge gutes gültiges Blut, Königsblut, Tudorblut, in den Adern; als Urenkel Heinrichs VII. ist er der erste »Prince de sang« am englischen Königshofe und kann deshalb als ehewürdig für jede Monarchin gelten; außerdem hat er noch den Vorzug, katholisch zu sein. Als drittes, viertes oder fünftes Eisen im Feuer käme also dieser junge Darnley immerhin in Frage, und Melville führt allerhand unverpflichtende Gespräche mit Margarete Lennox, der ehrgeizigen Mutter dieses Notfallskandidaten.


Nun gehört es zum Wesen jeder echten, rechten Komödie, daß sich in ihr alle Mitspieler zwar gegenseitig betrügen, aber doch nie so vollkommen, daß nicht ab und zu einer dem andern für einen Augenblick ein wenig in die Karten schielte. Elisabeth ist nicht so einfältig zu glauben, Melville sei eigens und einzig nach London gekommen, um ihr Komplimente über ihr Haar und ihr Clavecinspiel zu machen: sie weiß, daß der Vorschlag, ihren abgelegten Busenfreund zu wählen, Maria Stuart nicht sonderlich begeistern kann, sie kennt auch den Ehrgeiz und die Geschäftigkeit ihrer lieben Verwandten, der Lady Lennox. Einiges dürften überdies ihre Spione ausgekundschaftet haben. Und als bei der Zeremonie des Ritterschlags Henry Darnley als erster Prinz des Hofes ihr das königliche Schwert voranträgt, wendet sich die Verschlagene mit einem plötzlichen Ausbruch von Aufrichtigkeit zu Melville und sagt ihm glatt ins Gesicht: »Ich weiß genau, dieser junge Fant gefällt Euch besser.« Aber Melville verliert bei diesem brüsken Griff in seine Geheimtasche keineswegs die Kaltblütigkeit. Er wäre ein übler Diplomat, verstünde er nicht die Kunst, in heiklen Augenblicken frech zu lügen. So zieht er nur eine verächtliche Falte in sein kluges Gesicht und antwortet, geringschätzig auf ebendenselben Darnley blickend, dessentwegen er noch gestern hitzig verhandelt hatte: »Eine Frau von Geist wird niemals einen solchen Fant wählen, der so hübsch, schlank und bartlos ist und mehr einer Frau als einem Manne gleicht.«


Läßt Elisabeth sich wirklich durch diese gespielte Geringschätzung täuschen? Hat die geschickte Parade des Diplomaten tatsächlich ihr Mißtrauen eingeschläfert? Oder spielt sie in der ganzen Sache ein noch undurchdringlicheres Doppelspiel? Jedenfalls, das Unwahrscheinliche geschieht; zuerst erhält Lord Lennox, Darnleys Vater, die Erlaubnis, sich wieder nach Schottland zu begeben, und im Januar 1565 sogar Darnley selbst. Elisabeth schickt also – nie wird man wissen, aus welcher Laune oder List – gerade den gefährlichsten Kandidaten Maria Stuart ins Haus. Merkwürdigerweise ist der Fürsprecher dieser Erlaubnis kein anderer als Graf Leicester, der wieder seinerseits ein Doppelspiel treibt, um sich unmerklich aus der Hochzeitsschlinge zu ziehen, die ihm seine Herrin geflochten. Nun könnte der vierte Akt der Farce munter in Schottland weitergehen, aber da überspielt plötzlich der Zufall alle Mitglieder. Mit einmal reißt dieser Faden der künstlichen Verwirrung ab, und die Komödie der Werbungen kommt zu einem verblüffenden und von keinem der Teilnehmer geahnten Ende.


Denn die Politik, diese irdische und künstliche Macht, ist an jenem winterlichen Tag einer ewigen und elementaren begegnet: der Werber, der gekommen, Maria Stuart zu besuchen, er findet unvermuteterweise in der Königin eine Frau. Nach Jahren und Jahren geduldigen, gleichmütigen Wartens ist sie endlich zu sich erwacht. Bisher war sie nur Königstochter, Königsbraut, Königin und Königswitwe gewesen, Spielball fremden Willens, gehorsames Geschöpf der Diplomatie. Jetzt aber bricht zum erstenmal wirkliches Gefühl aus ihr vor, mit einem Ruck wirft sie ihren Ehrgeiz ab wie ein lastendes Kleid, um völlig frei über ihren jungen Leib, über ihr Leben zu verfügen. Zum erstenmal hört sie nicht auf andere mehr, sondern bloß auf das Pulsen ihres Blutes, auf den Wunsch und Willen ihrer Sinne. Und damit beginnt die Geschichte ihres innern Lebens.

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Die hier vorzufindene Sammlung der gemeinfreien Werke Stefan Zweigs ist aus der Ausgabe des Null Papier Verlages übernommen. Zu dieser Ausgabe gelangen Sie durch einen Klick auf diesen Eintrag.