Die Halsbandaffäre


Was ist in Wirklichkeit geschehen? Das glaubhaft darzustellen, hält nicht leicht, denn so, wie sich die Halsbandaffäre tatsächlich ereignet hat, ist sie die unwahrscheinlichste aller Unwahrscheinlichkeiten, wie man sie einem Roman nicht glauben würde. Hat die Wirklichkeit aber einmal einen sublimen Einfall und zugleich einen dichterischen Tag, dann übertrifft sie an Phantasie, an Verwicklungskunst den erfindungsreichsten Poeten. Dann tun aber auch alle Dichter besser, die Hand von ihrem Spiel zu lassen und nicht ihre geniale Kombinationskunst noch überkombinieren zu wollen: selbst Goethe, der im »Großkophta« versucht, die Halsbandgeschichte zu dramatisieren, verhärtet zu einem ledernen Spaß, was in Wirklichkeit eine der frechsten, flirrendsten und erregendsten Farcen der Geschichte gewesen ist. In allen Komödien Molières zusammengenommen, findet man nicht ein so farbig und logisch-lustig verflochtenes Bukett von Gaunern, Schwindlern und Beschwindelten, von Narren und köstlich Genarrten wie in diesem muntern Ollapodrida, in dem eine diebische Elster, ein mit allen Salben der Scharlatanerie geschmierter Fuchs, ein plump gutgläubiger Bär die tollste Affenkomödie der Weltgeschichte zusammenbrauen.


Im Mittelpunkt einer echten und rechten Komödie steht immer eine Frau. Die in der Halsbandaffäre wächst als Tochter eines verkrachten Edelmanns und einer verlotterten Dienstmagd als schmutziges verwahrlostes Bettelkind auf, das sich barfuß Kartoffeln aus dem Felde stiehlt und für ein Stück Brot den Bauern die Kühe hütet. Nach dem Tod des Vaters legt sich die Mutter auf die Hurerei, die Kleine auf das Streunen; die Siebenjährige wäre verkommen ohne den Glückszufall, auf der Straße gerade die Marquise von Boulainvilliers mit dem verblüffenden Jammerruf anzubetteln: »Barmherzigkeit für eine arme Waise aus dem Blute der Valois! Wie? Ein solches verlaustes, halbverhungertes Kind Nachfahre königlichen Blutes? Des heiligen Bluts des frommen Ludwigs?« Unmöglich, denkt die Marquise. Aber immerhin, sie läßt ihre Karosse halten und fragt die kleine Bettlerin aus.


In der Halsbandaffäre muß man sich von Anfang an gewöhnen, das Unwahrscheinlichste als das Wahre zu nehmen; das Verblüffendste wird in ihr zur Tatsache. Diese Jeanne ist wirklich eine eheliche Tochter von Jacques de Saint-Rémy, seines Zeichens Wilddieb, Säufer und Bauernschreck, aber nichtsdestoweniger ein gerader und unmittelbarer Nachkomme der Valois, die den Bourbonen an Rang und Alter nichts nachgeben. Die Marquise Boulainvilliers, von solch phantastischem Sturz eines Königssprossen in solches Elend gerührt, nimmt sofort das Mädchen samt der jüngern Schwester mit und läßt beide auf ihre Kosten in einem Pensionat erziehen.


Vierzehnjährig kommt Jeanne zu einer Schneiderin in die Lehre, wird Wäscherin, Büglerin, Wasserträgerin, Weißnäherin und wird endlich in einem Kloster für adelige Mädchen untergebracht.


Aber zur Nonne, das wird sich bald erweisen, hat die kleine Jeanne wenig Talent. Das väterliche Vagantenblut brodelt in ihren Adern, mit zweiundzwanzig Jahren klettert sie mit ihrer Schwester entschlossen über den Klosterzaun. Ohne Geld in der Tasche, den Kopf voll Abenteuer tauchen sie in Bar-sur-Aube auf. Dort findet Jeanne, hübsch wie sie ist, einen kleinadeligen Gendarmerieoffizier, Nicolas de La Motte, der sie bald darauf heiratet, und zwar in zwölfter Stunde, denn der priesterliche Segen überholt nur um einen Monat ein bereits heranrückendes Zwillingspaar. Mit einem derart moralisch weitmaschigen Mann – er ist niemals eifersüchtig gewesen – könnte Madame La Motte eigentlich gemächlich ein bescheidenes Kleinbürgerleben führen. Aber »das Blut der Valois« heischt seine Rechte; von allem Anfang an kennt diese kleine Jeanne nur einen Gedanken: hinauf! gleichgültig wie und auf welchen Wegen. Zunächst rückt sie ihrer Wohltäterin, der Marquise von Boulainvilliers, auf den Hals und hat das Glück, von ihr gerade zu Zabern im Schloß des Kardinals Rohan empfangen zu werden. Hübsch und geschickt, wie sie ist, nützt sie sofort die liebenswürdige Schwäche des galanten und gutmütigen Kardinals aus. Durch seine Vermittlung erhält ihr Mann – wahrscheinlich um den Preis eines unsichtbaren Geweihs – sofort das Rittmeisterpatent in einem Dragonerregiment und die Bezahlung der bisher aufgelaufenen Schulden.


Wieder könnte Jeanne jetzt zufrieden sein. Aber auch diesen schönen Ruck nach oben betrachtet sie nur als Stufe. Ihr La Motte ist vom König zum Rittmeister ernannt, nun ernennt er sich noch aus eigener Machtvollkommenheit taxfrei zum Grafen. Soll man wirklich, wenn man sich mit einem derart sonoren Namen wie »Gräfin Valois de La Motte« aufplustern kann, in der Provinz verkommen, mit einer Gnadenpension und einem bescheidenen Offiziersgehalt? Unsinn! Ein solcher Name ist hunderttausend Livres im Jahre für eine hübsche, skrupellose Frau wert, die entschlossen ist, alle Eitlen und Dummköpfe gründlich zu rupfen. Zu diesem Zwecke mieten die beiden Spießgesellen sich in Paris ein ganzes Haus in der Rue Neuve-Saint-Gilles, schwatzen den Wucherern von riesigen Gütern, auf welche die Gräfin als Nachfahrin der Valois Ansprüche habe, und mit den geliehenen Sachen wird große Gesellschaft gespielt, – das Silbergeschirr ist immer nur für drei Stunden aus dem nahegelegenen Laden geborgt. Als dann endlich in Paris ihr die Gläubiger zu hart an den Hals rücken, erklärt die Gräfin Valois de La Motte, sie begebe sich nach Versailles, um dort bei Hof ihre Ansprüche zu stellen.


Selbstverständlich kennt sie bei Hof keinen Menschen, und sie könnte sich ihre hübschen Beine wochenlang müde stehen, ohne auch nur im Vorgemach der Königin empfangen zu werden. Aber die gerissene Hochstaplerin hat sich bereits ihren Coup ausgedacht. Sie stellt sich mit den andern Bittstellern im Vorzimmer der Madame Elisabeth auf und fällt plötzlich in Ohnmacht. Alles stürzt herbei, ihr Mann nennt den hochtrabenden Namen und erzählt mit Tränen in den Augen, jahrelanger Hunger und die daraus entstandene Entkräftung seien die Ursache der Ohnmacht. Voll Mitleid wird die höchst gesunde Kranke auf einer Bahre nach Hause gebracht, zweihundert Livres werden ihr nachgeschickt und die Pension von achthundert auf fünfzehnhundert Livres erhöht. Aber ist das nicht ein Bettel für eine Valois? Also kräftig weiter hineingeschlagen in die Kerbe: ein zweiter Ohnmachtsanfall im Vorzimmer der Gräfin Artois, ein dritter in der Spiegelgalerie, welche die Königin durchschreiten muß. Leider erfährt Marie Antoinette, auf deren Großmut die Gewaltbettlerin besonders gehofft hatte, nichts von diesem Vorfall, und eine vierte Ohnmacht in Versailles wäre verdächtig; so kehren die beiden nur mit geringer Beute nach Paris zurück. Sie haben lange nicht das erreicht, was sie wollten. Selbstverständlich hüten sie sich aber sehr, das auszuplaudern, im Gegenteil, sie blasen munter die Backen auf, wie gnädig, wie herzlich die Königin sie als liebe Verwandte empfangen habe. Und da es reichlich Leute gibt, denen eine in der Gesellschaft der Königin hoch geehrte Gräfin Valois als wichtige Bekanntschaft erscheint, kommen bald etliche fette Schafe zur Schur, der Kredit ist für einige Zeit wieder hergestellt. Die beiden verschuldeten Bettler schaffen sich – mundus vult decipi – einen ganzen Hofstaat an, geführt von einem sogenannten ersten Sekretär, der Rétaux de Villette heißt und in Wirklichkeit nicht nur die Gaunereien, sondern auch das Bett der edlen Gräfin unbedenklich teilt, ein zweiter Sekretär, Loth, ist sogar geistlichen Standes. Dazu werden Kutscher, Lakaien, Stubenkätzchen engagiert, bald geht es in der Rue Neuve-Saint-Gilles sehr vergnüglich zu. Es gibt dort amüsante Spielpartieen, wenig einträglich zwar für die Gimpel, die sich auf den Leim locken lassen, aber doch erheiternd durch zweideutige Damenwelt. Leider mengen sich neuerdings jene zudringlichen Leute ein, ihres Zeichens Gläubiger und Gerichtsvollzieher, und stellen den ungebührlichen Anspruch, nach Wochen und Monaten endlich einmal bezahlt zu werden. Abermals ist das ehrenwerte Paar zu Ende mit seinem Latein, die kleinen Künste verfangen nicht mehr. Es wird bald Zeit, zu einem großen Streich auszuholen.


Für einen Gaunerstreich von Format sind immer zwei Dinge notwendig: ein großer Gauner und ein großer Narr. Glücklicherweise ist dieser Narr schon zur Hand: und es ist kein anderer als das erlauchte Mitglied der französischen Akademie, Seine Eminenz der Bischof von Straßburg, der Großalmosenier von Frankreich, der Kardinal Rohan. Völlig Mann seiner Zeit, nicht klüger, nicht dümmer als die andern, leidet dieser äußerlich bezaubernde Kirchenfürst auch an der Krankheit seines Jahrhunderts, an der Leichtgläubigkeit. Die Menschheit vermag nie dauernd zu leben ohne einen Glauben; und da der Abgott des Jahrhunderts, Voltaire, den Kirchenglauben aus der Mode gebracht hat, schleicht sich an seiner Stelle der Aberglaube in die Salons des Dix-huitième ein. Für Alchimisten, Kabbalisten, Rosenkreuzer, Scharlatane, Nekromanten und Wunderärzte hebt ein goldenes Zeitalter an. Kein Mann von Adel, keine Dame von Welt wird versäumen, bei Cagliostro in seiner Loge, mit dem Grafen von Saint-Germain zu Tisch, bei Mesmers magnetischem Zuber gewesen zu sein. Gerade weil so hellgeistig, so witzig frivol, gerade weil die Generale ihren Dienst, die Königin ihre Würde, die Priester ihren Gott nicht mehr ernst nehmen, brauchen die »aufgeklärten« Lebeleute gegen ihre entsetzliche Leere irgendein Spiel mit dem Metaphysischen, Mystischen, Übersinnlichen und Unbegreiflichen und gehen trotz aller Wachheit, allen Witzes den plumpsten Betrügern auf die allerdümmste Art ins Garn. Unter diesen geistig Armen ist nun der allergutgläubigste, Seine Eminenz der Kardinal Rohan, just an den allergerissensten der Blendmeister, an den Papst aller Schwindler geraten, an den »göttlichen« Cagliostro. Der hat sich eingenistet im Zaberner Schloß und zaubert sich meisterlich Geld und Verstand seines Gastgebers in die Tasche. Nun erkennen Auguren und Gauner einander immer gleich beim ersten Augenwink, so hier Cagliostro und die La Motte; durch ihn, den Mitwisser aller Geheimwünsche des Kardinals, erfährt sie den allergeheimsten Wunsch Rohans, erster Minister von Frankreich zu werden, und sie kriegt auch das einzige Hemmnis heraus, das er fürchtet: die bekannte, aber ihm selber unerklärliche Abneigung der Königin Marie Antoinette gegen seine Person. Die Schwäche eines Mannes kennen, das heißt für eine gerissene Frau immer so viel, als ihn schon in Händen haben; flugs spinnt die Gaunerin ein Seil, um den bischöflichen Bären so lange tanzen zu lassen, bis er Gold schwitzt. Im April 1784 beginnt die La Motte ab und zu eine kleine Bemerkung einzustreuen, wie zärtlich ihre »liebe Freundin«, die Königin, sich ihr anvertraue; immer phantasievoller erfindet sie Episoden, die in dem arglosen Kardinal die Meinung erwecken, diese kleine hübsche Frau könnte eigentlich eine ideale Fürsprecherin für ihn bei der Königin werden. Jawohl, es kränke ihn, gibt er offen zu, daß seit Jahren Ihre Majestät ihn nicht eines Blickes würdige, da er doch kein höheres Glück kenne, als ihr ehrfürchtig dienen zu dürfen. Ach, wenn doch jemand endlich die Königin über seine wahre Gesinnung aufklären würde! Teilnehmend und gerührt verheißt die »intime« Freundin, zu seinen Gunsten bei Marie Antoinette zu sprechen, und welches Gewicht, Rohan staunt, muß ihre Fürsprache gehabt haben, denn im Mai kündigt sie ihm bereits an, die Königin sei umgestimmt und werde dem Kardinal demnächst ein diskretes Zeichen ihrer geänderten Gesinnung geben, allerdings noch kein offenbares: sie werde während der nächsten Hofcour ihm auf eine bestimmte Weise heimlich zunicken. Wenn man etwas glauben will, so glaubt man es gern. Wenn man etwas sehen will, so sieht man es leicht. Tatsächlich meint der gute Kardinal, bei der nächsten Vorstellung eine gewisse »Nuance« des Kopfnickens beim Empfang bemerkt zu haben, und zahlt der rührenden Vermittlerin gute Dukaten.


Aber der La Motte ist die goldene Ader lange nicht ausgiebig genug angeschlagen. Um den Kardinal noch fester einzunähen in den Narrensack, muß man ihm irgend etwas Handgreifliches königlicher Gunst vorzeigen. Wie wäre es wohl mit Briefen? Wozu hält man sich denn einen skrupellosen Sekretär in Haus und Bett? Rétaux fertigt tatsächlich ohne Zögern Briefe von der Hand Marie Antoinettes an ihre Freundin Valois an. Und da sie der Narr als echt bestaunt, warum nicht weiter einen Schritt tun auf dieser einträglichen Bahn? Warum nicht gleich einen geheimen Briefwechsel zwischen Rohan und der Königin inszenieren, damit man seiner Kasse bis auf den Grund komme? Auf den Rat der La Motte verfaßt der verblendete Kardinal eine ausführliche Rechtfertigung seines bisherigen Verhaltens, korrigiert Tage daran und übergibt endlich die Reinschrift dieser im wahrsten Sinne des Wortes unbezahlbaren Frau. Und siehe – ist sie nicht wirklich eine Zauberin und die vertrauteste Freundin der Königin? Wenige Tage später bringt die La Motte schon ein Brieflein kleinen Formats mit Goldschnitt auf weißem gerippten Papier, in einer Ecke die französische Lilie. Die sonst unzugängliche, abwehrende, die stolze Königin aus dem Hause Habsburg schreibt dem bisher Mißachteten: »Ich freue mich sehr, Sie nicht mehr als schuldig ansehen zu müssen; noch kann ich Ihnen die erbetene Audienz nicht bewilligen. Sobald die Verhältnisse eine solche gestatten, werde ich Sie benachrichtigen. Seien Sie verschwiegen!« Der Geprellte vermag sich vor Freude kaum zu fassen, er dankt, auf den Rat der La Motte, der Königin, empfängt abermals und schreibt abermals Briefe, und je mehr sich ihm das Herz mit Stolz und Sehnsucht füllt, bei Marie Antoinette in höchster Gunst zu stehen, um so mehr erleichtert ihm die La Motte die Taschen. Das verwegene Spiel ist in vollem Gange.


Schade nur, daß eine wichtige Person sich noch immer nicht bereit gefunden hat, in dieser Komödie wirklich mitzuspielen, und gerade die Hauptfigur: die Königin. Lange aber ist diese gefährliche Partie nicht zu halten ohne ihr Eingreifen, denn ewig kann man selbst dem Leichtgläubigsten nicht vorschwindeln, die Königin habe ihn gegrüßt, wenn sie in Wirklichkeit starr an dem verhaßten Mann vorbeiblickt und ihn niemals anspricht. Immer größer wird die Gefahr, daß der arme Narr endlich Lunte riecht. So muß ein ganz verwegener Schachzug ausgeklügelt werden. Da es selbstverständlich ausgeschlossen ist, daß die Königin jemals persönlich mit dem Kardinal sprechen werde – genügt es nicht, den Tölpel glauben zu lassen, er habe mit der Königin gesprochen? Wie wäre es, wenn man die Lieblingszeit aller Gaunerstreiche, das Dunkel, und den rechten Ort, irgendeine verschattete Allee im Park von Versailles, wählte und Rohan statt der Königin eine Doppelgängerin, der man ein paar Worte einlernt, brächte? In der Nacht sind alle Katzen grau, und aufgeregt und vernarrt, wie er ist, wird sich der gute Kardinal auf diese Weise nicht minder narren lassen als durch die Flunkereien Cagliostros und die Goldschnittbriefe von der Hand eines ungebildeten Schreibers.


Wo aber in aller Eile eine Figurantin, ein »Double«, wie man heute im Film sagt, finden? Nun dort, wo sehr gefällige Damen und Dämchen aller Sorten und Größe, schlanke und rundliche, schmale und feiste, blonde und brünette allstündlich zu Geschäftszwecken promenieren; im Garten des Palais Royal, dem Prostitutionsparadies von Paris. Der »Graf« de La Motte übernimmt die heikle Besorgung; er braucht nicht lange, und schon hat er die Doppelgängerin für die Königin ausfindig gemacht, eine junge Dame namens Nicole – später Baronin d’Oliva genannt – angeblich Modistin, in Wirklichkeit mehr mit Herrendienst beschäftigt als mit Damenkundschaft. Es kostet nicht viel Mühe, sie zu der leichten Rolle zu überreden, »denn«, so motiviert Frau de La Motte vor ihren Richtern, »sie war sehr dumm«. Am 11. August bringt man die willige Liebesdienerin nach Versailles in eine Mietwohnung, höchst eigenhändig kleidet sie die Gräfin Valois in eine weißgetupfte Musselinrobe, genau derjenigen nachgeahmt, welche die Königin auf dem Porträt der Madame Vigée-Lebrun trägt. Nun noch einen breitkrempigen Hut, der das Gesicht umschattet, ihr auf das sorgsam gepuderte Haar gedrückt, und dann flink und frech los mit der leicht verängstigten Kleinen, die für zehn Minuten die Königin von Frankreich vor dem Großalmosenier des Königtums spielen soll, in den abendlich dunklen Park! Das verwegenste Gaunerstück aller Zeiten ist im Gange.


Ganz leise schleicht das Paar mit seiner verkleideten Pseudokönigin über die Terrasse von Versailles. Der Himmel will ihnen, wie immer den Gaunern, wohl und strömt mondlose Dunkelheit nieder. Sie steigen hinab zum Venusboskett, das, dicht überschattet von Tannen, Zedern und Fichten, von einer Gestalt kaum mehr als den Umriß erkennen läßt, zauberisch geeignet also zum Liebes- und noch mehr für dieses phantastische Narrenspiel. Das arme kleine Hürchen beginnt zu zittern. In welches Abenteuer hat sie sich hier von fremden Leuten schleppen lassen? Am liebsten liefe sie weg. Voll Angst hält sie in ihrer Hand die Rose und das Billett, das sie vorschriftsmäßig einem vornehmen Herrn übergeben soll, der sie hier ansprechen wird. Da knirscht schon der Kies. Der Umriß eines Mannes taucht auf, es ist Rétaux, der Sekretär, der in der Rolle eines königlichen Dieners Rohan heranführt. Mit einmal fühlt sich Nicole energisch vorgestoßen – wie vom Dunkel weggeschwemmt, verschwinden die beiden Kuppler an ihrer Seite. Sie steht allein, oder vielmehr nicht mehr allein, denn hoch und schlank, den Hut tief in die Stirn gedrückt, kommt ihr jetzt ein fremder Mann entgegen: es ist der Kardinal.


Sonderbar, wie närrisch sich dieser Fremde benimmt. Er verneigt sich ehrfürchtig bis zur Erde, er küßt der kleinen Dirne den Saum ihres Gewands. Jetzt sollte Nicole ihm die Rose übergeben und den bereit gehaltenen Brief. Aber in ihrer Verwirrung läßt sie die Rose fallen und vergißt den Brief. So stammelt sie nur mit erstickter Stimme die paar Worte, die man ihr mühsam eingetrichtert hat. »Sie dürfen hoffen, daß alles Vergangene vergessen ist.« Und diese Worte scheinen den fremden Kavalier maßlos zu entzücken, abermals und abermals verneigt er sich, stottert in offensichtlicher Beglückung alleruntertänigsten Dank, sie weiß nicht wofür, die arme kleine Modistin. Sie hat nur Angst, tödliche Angst, irgend etwas zu sprechen und sich damit zu verraten. Aber Gott sei Dank, da knirscht neuerdings im Kies ein hastiger Schritt, jemand ruft leise und aufgeregt: »Schnell, schnell weg! Madame und die Gräfin von Artois sind ganz in der Nähe.« Das Stichwort wirkt, der Kardinal erschrickt und entfernt sich eiligst in Begleitung der La Motte, indes der edle Gatte die kleine Nicole zurückführt; mit pochendem Herzen schleicht die Pseudo-Königin dieser Komödie am Schlosse vorbei, wo hinter nachtschwarz verdunkelten Scheiben die wirkliche Königin ahnungslos schläft.


Der aristophanische Streich ist glorreich gelungen. Jetzt hat der arme Ochse, der Kardinal, einen Hieb auf dem Schädel, der ihm gänzlich alle Sinne raubt. Bisher mußte man sein Mißtrauen immer wieder chloroformieren, das vermeinte Kopfnicken war doch nur halber Beweis, ebenso die Briefe; nun aber, da der Geprellte leibhaftig mit der Königin gesprochen zu haben glaubt und aus ihrem Munde vernommen hat, daß sie ihm verziehen, wird für ihn jedes Wort der Gräfin de La Motte wahrhaftiger als das Evangelium. Jetzt geht er ihr am Gängelband, durch dick und dünn. An diesem Abend gibt es keinen glücklicheren Menschen in Frankreich. Schon sieht sich Rohan als ersten Minister, als Günstling der Königin.


Einige Tage später meldet die La Motte dem Kardinal bereits abermaligen Beweis der Gunst der Königin. Ihre Majestät – Rohan kenne ja ihr wohltätiges Herz – habe den Wunsch, einer in Not geratenen adeligen Familie fünfzigtausend Livres zukommen zu lassen, sei aber im Augenblick an der Zahlung behindert. Ob nicht der Kardinal diesen milden Dienst für sie übernehmen wolle. Rohan, hochbeglückt, wundert sich keinen Augenblick, daß die Königin trotz ihrer riesigen Einkünfte schwach bei Kasse sei. Ganz Paris weiß doch, sie steckt ständig in Schulden. Sofort läßt er einen elsässischen Juden namens Cerf-Beer kommen, borgt ihm die fünfzigtausend ab, zwei Tage später klirrt das Gold auf den Tisch der La Motte. Jetzt haben sie endlich den Faden in der Hand, um den Hampelmann springen zu lassen. Drei Monate später ziehen sie noch schärfer an; abermals wünscht die Königin Geld, und Rohan verpfändet beflissen Möbel und Silberzeug, nur um rasch und ausgiebig seiner Gönnerin gefällig zu sein.


Nun kommen für Graf und Gräfin de La Motte himmlische Zeiten. Der Kardinal sitzt weit im Elsaß, aber sein Geld klimpert lustig in ihren Taschen. Jetzt brauchen sie keine Sorgen mehr zu haben, ein Narr und Zahler ist gefunden. Man wird ihm von Zeit zu Zeit einen Brief schreiben im Namen der Königin, und er wird neue Dukaten schwitzen. Bis dahin herrlich und in Freuden darauf losgelebt und nicht an das Morgen gedacht! Nicht nur die Herrscher, die Fürsten, die Kardinäle sind in diesen lockern Zeiten leichtsinnig, sondern auch die Gauner. Ein Landhaus in Bar-sur-Aube mit einem prächtigen Garten und einem reichen Wirtschaftshof wird eiligst gekauft, auf goldenen Schüsseln gegessen, aus glitzerndem Kristall getrunken, man spielt und musiziert in diesem noblen Palais, die beste Gesellschaft drängt sich um die Ehre, bei der Gräfin Valois de La Motte verkehren zu dürfen. Wie schön ist die Welt, in der es solche Gimpel gibt!


Wer dreimal im Spiel die höchste Karte gezogen, wird unbedenklich auch zum viertenmal allerverwegensten Einsatz wagen. Ein unvermuteter Zufall schiebt der La Motte das Trumpfaß in die Hand. Bei einer ihrer Gesellschaften erzählt jemand, die armen Hofjuweliere Böhmer und Bassenge säßen in dicken Sorgen. Sie hätten ihr ganzes Kapital und ein gutes Stück Schulden in das herrlichste Diamantenhalsband gesteckt, das man auf Erden gesehen. Eigentlich sei es für die Dubarry bestimmt gewesen, die hätte es gewiß gekauft, wenn nicht unglücklicherweise die Blattern Ludwig XV. heimgeholt hätten; nachher hätten sie es dem spanischen Hof angeboten und dreimal der Königin Marie Antoinette, die doch in Schmuck vernarrt sei und sonst so locker kaufe, ohne viel nach dem Preis zu fragen. Aber Ludwig, der lästige Sparmeister, habe nicht mit der Million sechsmalhunderttausend Livres herausrücken wollen; jetzt stünde den Juwelieren das Wasser bis zum Hals, die Zinsen knabberten an den schönen Diamanten; wahrscheinlich müßten sie das wunderbare Kollier wieder zerkrümeln und damit ihr ganzes Geld. Ob nicht sie, die Gräfin Valois, die doch mit der Königin Marie Antoinette auf so vertrautem Fuß stünde, ihre königliche Freundin überreden könnte, das Schmuckstück zu kaufen, auf Raten natürlich, unter den besten Bedingungen – es sei dabei ein saftiger Happen Geld zu verdienen. Die La Motte, eifrig bedacht, die Legende ihres Einflusses in Schwung zu halten, sagt gütigst ihre Fürsprache zu, und am 29. Dezember bringen die beiden Juweliere den köstlichen Schrein zur Ansicht in die Rue Neuve-Saint-Gilles.


Welch ein Anblick! Der La Motte stockt der Herzschlag. Wie diese Diamanten im Sonnenlicht, so funkeln und flitzen ihr freche Gedanken durch den klugen Kopf: wie, wenn man den Erzesel von Kardinal auch dazu bringen könnte, heimlich das Halsband für die Königin zu kaufen. Kaum ist er aus dem Elsaß zurückgekehrt, so nimmt die La Motte ihn scharf in die Presse. Eine neue Gunst winke ihm. Die Königin wünsche, natürlich ohne Wissen ihres Gatten, einen kostbaren Schmuck zu kaufen, dazu brauche sie einen verschwiegenen Vermittler; diese heimliche und ehrenvolle Aufgabe habe sie Rohan als Zeichen ihres Vertrauens zugedacht. Tatsächlich, schon wenige Tage später kann die La Motte triumphierend dem beglückten Böhmer mitteilen, ein Käufer sei gefunden: der Kardinal von Rohan. Am 29. Januar wird im Palais des Kardinals, im Hotel de Strasbourg, der Kauf abgeschlossen: eine Million sechshunderttausend Livres, zahlbar innerhalb zweier Jahre in vier sechsmonatlichen Raten. Der Schmuck solle am 1. Februar geliefert werden, die erste Ratenzahlung am 1. August 1785 erfolgen. Der Kardinal paraphiert die Bedingungen mit eigener Hand und übergibt sie der La Motte, damit diese den Vertrag ihrer »Freundin«, der Königin, unterbreite; umgehend, am 30. Januar, bringt die Betrügerin die Antwort, Ihre Majestät sei mit allem einverstanden.


Aber – einen Schritt vor der Stalltür bockt der bisher so gutmütige Esel. Schließlich, es geht um eine Million sechsmalhunderttausend Livres, selbst für den verschwenderischsten Fürsten kein Pappenstiel! Bei einer so riesigen Bürgschaft muß man doch um Lebens oder Sterbens willen wenigstens etwas wie einen Schuldschein, ein von der Königin unterzeichnetes Dokument in Händen haben. Etwas Geschriebenes? Aber gern! Wozu hält man sich einen Sekretär? Am nächsten Tage bringt die La Motte neuerdings den Vertrag und siehe, bei jeder Klausel steht am Rande manu propria das Wort »Genehmigt!« und am Schluß des Vertrages die »eigenhändige« Unterschrift: »Marie Antoinette de France.« Mit etwas Grütze im Kopf müßte zwar ein Großalmosenier des Hofes, Mitglied der Akademie, ein ehemaliger Gesandter und in seinen Träumen schon zukünftiger Staatsminister sofort beanstanden, daß in Frankreich eine Königin ein Dokument nie anders als mit ihrem Vornamen unterzeichnet, daß also ein Signum: »Marie Antoinette de France« auf den ersten Blick nicht einmal einen geschickten, sondern einen sehr ungebildeten Fälscher letzter Klasse entlarvt. Aber wie zweifeln, da die Königin ihn persönlich im Venusboskett heimlich empfangen hat? Hoch und heilig schwört der Verblendete der Schwindlerin zu, niemals diesen Schuldschein aus den Händen zu lassen und ihn niemandem zu zeigen. Am nächsten Morgen, am 1. Februar, überbringt der Juwelier den Schmuck dem Kardinal, der ihn abends eigenhändig zur La Motte trägt, um sich persönlich zu überzeugen, daß er zu treuen Händen der Königin übernommen werde. Er braucht Rue Neuve-Saint-Gilles nicht lange zu warten, schon hört man die Treppe herauf einen männlichen Schritt kommen. Die La Motte ersucht den Kardinal, in ein Nebenzimmer einzutreten, von dem aus er durch die Glastür die ordnungsgemäße Übergabe beobachten und bestätigen könne. Tatsächlich, ein junger Mann, ganz in Schwarz gekleidet, ist erschienen, – natürlich wieder Rétaux, der wackere Sekretär – und meldet sich mit den Worten an: »Im Auftrage der Königin.« Welch wunderbare Frau, diese Gräfin de La Motte-Valois, muß der Kardinal denken, wie diskret und treu und geschickt sie alles ihrer Freundin vermittelt! Beruhigt übergibt er die Kassette der La Motte, diese händigt sie dem geheimnisvollen Boten ein; er verschwindet mit der guten Last rasch, wie er gekommen, und mit ihm das Kollier bis zum Jüngsten Gericht. Gerührt verabschiedet sich der Kardinal: jetzt, nach solchem Freundschaftsdienst, kann es nicht mehr lange währen, und er, der geheime Helfer der Königin, muß bald der erste Diener des Königs, der Staatsminister von Frankreich sein!


Wenige Tage später erscheint ein jüdischer Juwelier bei der Pariser Polizei, um sich im Namen seiner geschädigten Standesgenossen zu beschweren, ein gewisser Rétaux de Villette biete Diamanten kostbarster Art zu so niedrigen Preisen an, daß man auf Diebstahl schließen müsse. Der Polizeiminister holt sich Rétaux. Der erklärt, er habe die Diamanten von einer Verwandten des Königs, von der Gräfin de La Motte-Valois, zum Verkauf erhalten. Gräfin Valois, dieser noble Name, wirkt auf den Beamten sofort wie ein Laxativ, schleunigst läßt er den zu Tode erschrockenen Rétaux laufen. Aber immerhin: die Gräfin hat jetzt gemerkt, wie halsbrecherisch es wäre, weiterhin die einzeln herausgebrochenen Steine – sie haben sofort das kostbare, lang gejagte Wild ausgeweidet und zerstückelt – in Paris selbst loszuschlagen: so stopft sie dem wackern Gatten die Taschen mit Brillanten voll und schickt ihn nach London – die Juweliere von New Bond Street und Piccadilly haben bald über reichliches und billiges Angebot nicht zu klagen.


Hussah, jetzt ist mit einemmal Geld da, tausendmal mehr, als selbst diese allerkühnste Gaunerin zu träumen wagte. Schamlos verwegen, wie sie der tolle Erfolg gemacht hat, zögert sie nicht, diesen neuen Reichtum protzig zu zeigen. Wagen mit vier englischen Stuten werden angeschafft, Lakaien mit prachtvollen Uniformen, ein Neger; vom Scheitel bis zur Sohle in Silber galoniert, Teppiche, Gobelins, Bronzen und Federhüte, ein Bett aus scharlachrotem Samt. Als dann das würdige Paar in seine erlauchte Residenz nach Bar-sur-Aube übersiedelt, sind nicht weniger als zweiundvierzig Fuhren nötig, um die vielen rasch zusammengekauften Kostbarkeiten zu verfrachten. Bar-sur-Aube erlebt ein unvergeßliches Fest aus Tausendundeiner Nacht. Prunkvolle Kuriere reiten dem Zuge des neuen Großmoguls voran, dann kommt die englische, perlgrau lackierte Berline, mit weißem Tuch ausgeschlagen. Die Atlasdecken, die dem Paar die Beine wärmen (mit denen sie lieber rasch ins Ausland fliehen sollten), tragen das Wappen der Valois: »Rege ab avo sanguinem, nomen et lilia« – »Vom König, meinem Ahnherrn, habe ich das Blut, den Namen und die Lilien.« Der ehemalige Gendarmerieoffizier hat sich prächtig herausgeputzt: an sämtlichen Fingern trägt er Ringe, an den Schuhen diamantene Schnallen, drei oder vier Uhrketten glitzern von der Heldenbrust, und das Inventar seiner Garderobe – man kann es im späteren Gerichtsakt nachprüfen – verzeichnet nicht weniger als achtzehn seidene oder brokatene funkelnagelneue Anzüge, garniert mit Mechelner Spitzen, mit Knöpfen aus ziseliertem Gold und kostbarsten Verschnürungen. Die Gattin an seiner Seite gibt ihm an Luxus nichts nach; wie ein indisches Götzenbild blitzt und blinkt sie von Juwelen. Solcher Reichtum ward in dem kleinen Bar-sur-Aube noch nie gesehen, bald übt er seine magnetische Kraft. Der ganze Adel der Umgegend strömt ins Haus und letzt sich an lukullischen Festen, die hier gegeben werden, Scharen von Lakaien servieren auf kostbarem Silbergeschirr die erlesensten Speisen, Musikanten machen Tafelmusik, als neuer Krösus schreitet der Graf durch seine fürstlichen Räume und streut mit vollen Händen Geld unter die Leute.


Wiederum wird an diesem Punkt die Halsbandgeschichte so absurd und phantastisch, daß sie unwahrscheinlich wirkt. Muß denn nicht der Betrug in drei, in fünf, in acht, in zehn Wochen spätestens auffliegen? Wie können da – so fragt unwillkürlich die normale Vernunft – diese beiden Gauner so sorglos frech mit ihrem Reichtum prunken, als gäbe es keine Polizei? Aber die La Motte rechnet eigentlich vollkommen richtig, sie denkt: wenn wirklich ein böser Stoß kommen sollte, so haben wir einen guten Vordermann. Knallt die Sache auf, je nun, er wird sie schon ordnen, der Herr Kardinal von Rohan! Er wird sich hüten, eine Affäre hochsausen zu lassen, der Großalmosenier von Frankreich, die ihn unsterblich lächerlich macht. Lieber wird er ganz still, und ohne mit der Wimper zu zucken, das Halsband aus der eigenen Tasche bezahlen. Wozu also sich ängstigen: mit einem solchen Kompagnon im Geschäft kann man getrost in seinem damastenen Bette schlafen. Und sie sorgen sich wahrhaftig nicht, die wackere La Motte, ihr ehrenwerter Gemahl, der schreibgewandte Sekretär, sondern genießen mit vollen Zügen den Zins, den sie mit so geschickter Hand aus dem unerschöpflichen Kapital der menschlichen Dummheit gezogen haben. Eine Kleinigkeit wird unterdessen dem guten Kardinal Rohan doch merkwürdig. Er hat erwartet, beim nächsten offiziellen Empfang die Königin schon mit dem kostbaren Kollier geschmückt zu sehen, wahrscheinlich auch auf ein Wort oder ein vertrauliches Kopfnicken gehofft, auf eine für alle andern undurchsichtige und nur ihm verständliche Geste der Erkenntlichkeit. Aber nichts! Kühl wie immer sieht Marie Antoinette an ihm vorüber, das Kollier leuchtet nicht auf ihrem weißen Nacken. »Warum trägt die Königin meinen Schmuck nicht?« fragt er schließlich ganz verwundert die La Motte. Die Listige ist um eine Antwort niemals verlegen: es widerstrebe der Königin, das Halsband anzulegen, solange es nicht völlig bezahlt sei. Erst dann wolle sie ihren Gatten damit überraschen. Wieder steckt der geduldige Esel den Kopf in das Heu und gibt sich zufrieden. Aber aus April ist langsam Mai, aus Mai Juni geworden, immer näher rückt der 1. August, der verhängnisvolle Termin der ersten Vierhunderttausend. Um Aufschub zu erlangen, erfindet die Schwindlerin einen neuen Trick. Die Königin habe sich die Sache überlegt, erzählt sie, der Preis sei ihr doch zu hoch; wenn nicht die Juweliere einen Nachlaß von zweihunderttausend Livres gewähren wollten, sei sie entschlossen, den Schmuck zurückzuschicken. Die Verschlagene rechnet damit, die Juweliere würden sich aufs Parlamentieren legen, und damit würde Zeit vergehen. Aber sie irrt. Die Juweliere, die den Preis viel zu hoch angesetzt hatten und denen schon das Feuer auf den Nägeln brennt, erklären sich ohne weiteres einverstanden. Bassenge entwirft ein Schreiben, das der Königin ihre Zustimmung melden soll, und Böhmer übergibt es mit Rohans Bewilligung am 12. Juli, einem Tage, an dem er ohnehin Marie Antoinette ein anderes Schmuckstück einzuhändigen hat. Dieser Brief lautet: »Majestät, wir sind aufs höchste beglückt, annehmen zu dürfen, daß die letzten Zahlungsbedingungen, die uns vorgeschlagen wurden und denen wir uns mit aller Beflissenheit und Ehrerbietung unterwerfen, als ein neuer Beweis unserer Ergebenheit und unseres Gehorsams den Befehlen Eurer Majestät gegenüber angesehen werden. Es gereicht uns zur wahren Genugtuung, zu denken, daß der schönste Diamantschmuck, der existiert, der erhabensten und besten der Königinnen zu Diensten sein darf.«


Dieser Brief ist durch seine gewundene Form für eine Ahnungslose auf den ersten Blick unverständlich. Aber dennoch, wenn sie ihn aufmerksam lesen und ein wenig nachdenken würde, müßte die Königin erstaunt fragen: Welche Zahlungsbedingungen? Welcher Diamantschmuck? Aber man weiß es von hundert anderen Gelegenheiten: Marie Antoinette liest selten etwas Geschriebenes oder Gedrucktes aufmerksam zu Ende, es langweilt sie zu sehr; ernstliches Nachdenken war niemals ihre Sache. So öffnet sie den Brief überhaupt erst, als Böhmer sich bereits empfohlen hat. Da sie – gänzlich ahnungslos über die wirklichen Vorgänge – den Sinn dieser devot gewundenen Phrasen nicht versteht, befiehlt sie ihrer Kammerfrau, Böhmer zur Aufklärung zurückzuholen. Aber schade, der Juwelier hat bereits das Schloß verlassen. Nun, es wird sich schon klären, was dieser Narr von Böhmer meint! Das nächstemal also, denkt die Königin, und wirft das Billett sofort ins Feuer. Auch dies Vernichten des Briefes, dieses Nicht-weiter-Nachfragen seitens der Königin wirkt – wie alles in der Halsbandaffäre – auf den ersten Blick unwahrscheinlich, und selbst so redliche Geschichtsschreiber wie Louis Blanc haben in diesem raschen Beiseiteschaffen ein Verdachtsmoment sehen wollen, als ob die Königin doch irgend etwas von der trüben Sache gewußt hätte. In Wirklichkeit bedeutet dies hastige Verbrennen nichts Auffälliges bei einer Frau, die zeitlebens jede an sie gerichtete Zeile aus Angst vor ihrer eigenen Unachtsamkeit und der Spionage des Hofes immer sofort vernichtete: selbst nach dem Sturme auf die Tuilerien fand sich in ihrem Schreibtisch nicht ein einziges für sie bestimmtes Schriftstück. Nur – was sonst der Vorsicht diente, wurde in diesem Falle zur Unvorsichtigkeit.


Eine Kette von Zufällen mußte also zusammenlaufen, damit der Betrug nicht früher an den Tag kam. Aber jetzt hilft alle Taschenspielerei nicht mehr weiter, der 1. August rückt heran, und Böhmer will sein Geld. Noch einen letzten Abwehrstreich versucht die La Motte: sie deckt plötzlich vor den Juwelieren ihre Karten auf und erklärt frech: »Sie sind betrogen worden. Die Bürgschaft, die der Kardinal besitzt, trägt eine falsche Unterschrift. Aber der Prinz ist reich, er kann selber zahlen.« Damit hofft sie, den Hieb abzulenken, sie hofft – eigentlich ganz logisch rechnend –, die Juweliere würden jetzt zornig zum Kardinal stürzen, ihm alles berichten und er aus Furcht, sich vor dem ganzen Hof und der Gesellschaft unsterblich lächerlich zu machen, beschämt den Mund halten und lieber still eine Million sechsmalhunderttausend Livres berappen. Aber Böhmer und Bassenge denken nicht logisch und psychologisch, sie zittern einzig um ihr Geld. Sie wollen mit dem verschuldeten Kardinal nichts zu tun haben. Die Königin – noch sind sie beide der Meinung, Marie Antoinette sei mit im Spiel, sie hat ja stillgeschwiegen zu jenem Brief – stellt für sie einen zahlungskräftigeren Schuldner dar als dieser Windbeutel von Kardinal. Und dann: im schlimmsten Fall – so meinen sie abermals irrig – besitzt sie doch das Halsband, das kostbare Pfand.


Jetzt ist der Punkt erreicht, wo das Narrenseil nicht mehr straffer gespannt werden kann. Und mit einem einzigen schmetternden Ruck stürzt dieser babylonische Turmbau von Lügen und gegenseitiger Irreführung zusammen, als Böhmer nach Versailles kommt und Audienz bei der Königin verlangt. Nach einer Minute wissen die Juweliere und weiß die Königin, daß hier schändlich betrogen worden ist; wer aber der eigentliche Betrüger gewesen, soll nun der Prozeß erweisen.


Nach all den Akten und Aussagen, die über diesen verwickeltesten aller Prozesse vorliegen, ist heute eines unumstößlich gewiß: Marie Antoinette hat nicht die leiseste Ahnung gehabt von dem niederträchtigen Spiel, das mit ihrem Namen, ihrer Person, ihrer Ehre getrieben wurde. Sie war im juristischen Sinne so unschuldig wie nur denkbar, ausschließlich Opfer und nicht Mitwisserin, geschweige denn Mittäterin in diesem verwegensten Gaunerstreich der Weltgeschichte. Sie hat niemals den Kardinal empfangen, sie hat niemals die Schwindlerin La Motte gekannt, sie hat nie einen Stein des Halsbandes in Händen gehalten. Nur entschlossen böswillige Gehässigkeit, nur bewußte Verleumdung konnten Marie Antoinette ein Einverständnis mit dieser Hochstaplerin, mit diesem schwachköpfigen Kardinal unterschieben; nochmals und nochmals, die Königin ist völlig ahnungslos von einer Bande von Gaunern, Fälschern, Dieben und Narren in diese ehrabschneiderische Affäre hineingezogen worden.


Und trotzdem – im moralischen Sinne ist Marie Antoinette nicht völlig freizusprechen. Denn dieser ganze Betrug konnte nur angezettelt werden, weil ihr stadtbekannt schlechter Leumund den Betrügern Mut machte, weil den Betrogenen jedwede Unbesonnenheit auf seiten der Königin von vornherein glaubhaft war. Ohne die jahrelangen Leichtsinnigkeiten und Torheiten von Trianon hätte dieser Lügenkomödie jede Voraussetzung gefehlt. Kein Mensch mit geraden Sinnen hätte gewagt, einer Maria Theresia, einer wirklichen Monarchin, heimliche Korrespondenzen hinter dem Rücken ihres Mannes oder gar ein Stelldichein in dunklen Parkbosketten zuzumuten. Nie wäre ein Rohan, nie die beiden Juweliere auf den plumpen Schwindel hereingefallen, die Königin sei knapp bei Geld und wolle hinterrücks, ohne Wissen ihres Gemahls, kostbare Diamantengarnituren auf Raten und durch Zwischenleute kaufen, wäre nicht zuvor schon in ganz Versailles gemunkelt worden von nächtlichen Spaziergängen im Park, von zurückgetauschten Juwelen, von unbezahlten Schulden. Nie hätte die La Motte ein solches Lügengebäude aufrichten können, hätte der Leichtsinn der Königin nicht selbst den Grundstein gelegt und ihr schlechter Ruf dabei die Leiter gehalten. Nochmals und nochmals: an den ganzen phantastischen Schiebungen der Halsbandaffäre war Marie Antoinette so unschuldig wie nur denkbar; daß aber ein solcher Betrug unter ihrem Namen überhaupt gewagt und glaubhaft werden konnte, war und bleibt ihre historische Schuld.

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Prozess und Urteil

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Die hier vorzufindene Sammlung der gemeinfreien Werke Stefan Zweigs ist aus der Ausgabe des Null Papier Verlages übernommen. Zu dieser Ausgabe gelangen Sie durch einen Klick auf diesen Eintrag.