Trianon


Mit ihrer leichten, tändelnden Hand faßt Marie Antoinette die Krone als ein unvermutetes Geschenk; noch ist sie zu jung, um zu wissen, daß das Leben nichts umsonst gibt und allem, was man vom Schicksal empfängt, geheim ein Preis eingezeichnet ist. Diesen Preis denkt Marie Antoinette nicht zu bezahlen. Sie nimmt nur die Rechte der königlichen Stellung und bleibt die Pflichten schuldig. Sie möchte zwei Dinge vereinigen, die menschlich nicht zu verbinden sind: sie möchte herrschen und dabei genießen. Sie möchte als Königin, daß alles ihren Wünschen dient, und selbst jeder Laune unbehelligt nachgeben; sie will die Machtfülle der Herrscherin und die Freiheit der Frau, doppelt also, zwiefach gesteigert ihr junges stürmisches Leben genießen.


Aber in Versailles ist Freiheit nicht möglich. Zwischen diesen erhellten Spiegelgalerieen bleibt kein Schritt verborgen. Jede Bewegung wird reglementiert, jedes Wort von verräterischem Wind weitergetragen. Hier gibt es kein Alleinsein und kein Zuzweitsein, kein Ausruhen und kein Entspannen, der König ist Mittelpunkt einer riesigen Stundenuhr, die unerbittlich regelmäßig weiterschreitet, jeder einzelne Lebensakt von der Geburt bis zum Tod, vom Aufstehen bis zum Schlafengehen, die Liebesstunde selbst, verwandelt sich in einen Staatsakt. Der Herrscher, dem alles gehört, gehört hier allen und nicht sich selbst. Marie Antoinette aber haßt jede Kontrolle; so verlangt sie von ihrem immer willfährigen Gatten, kaum daß sie Königin wird, einen Schlupfwinkel, wo sie nicht Königin sein muß. Und Ludwig XVI., halb schwach, halb galant, schenkt ihr als Morgengabe das Sommerschlößchen Trianon, ein zweites winziges, aber ureigenes Reich zu dem mächtigen Reiche Frankreich.


An sich ist es kein großes Geschenk, das Marie Antoinette von ihrem Gatten mit Trianon empfängt, nur ein Spielzeug, das ihre Unbeschäftigtheit mehr als ein Jahrzehnt lang entzücken und festhalten soll. Von seinem Erbauer war dies kleine Schlößchen niemals als ständiger Aufenthaltsort für eine königliche Familie gedacht, sondern nur als maison de plaisir, als buen retiro, als Absteigequartier, und in diesem Sinne eines unbelauschten Liebesnestes hat es Ludwig XV. mit seiner Dubarry und andern Gelegenheitsdamen reichlich benützt. Ein tüchtiger Mechaniker hatte für die galanten Soupers einen versenkbaren Tisch erfunden, so daß die angerichteten Gedecke höchst diskret aus den unterirdischen Küchenräumen in den Speisesaal emporstiegen und kein Diener die Tafelszenen belauschen konnte: für diese Steigerung der erotischen Behaglichkeit erhielt der treffliche Leporello eine besondere Belohnung von zwölftausend Livres zu den siebenhundertsechsunddreißigtausend, die das ganze Lusthaus der Staatskasse gekostet hatte. Noch schwül von zärtlichen Szenen, wird dies abseitige Schlößchen im Park von Versailles von Marie Antoinette übernommen. Nun hat sie ihr Spielzeug, und zwar eines der bezauberndsten, das französischer Geschmack je erfunden hat, zart in den Linien, vollendet in den Maßen, ein rechtes Schmuckkästchen für eine elegante und junge Königin. In einfacher, leicht antikisierender Architektur gebaut, weiß leuchtend im holden Grün der Gärten, völlig abseits und Versailles doch nah, ist dieses Palais einer Favoritin und nun einer Königin nicht größer als ein Einfamilienhaus von heute und kaum bequemer oder luxuriöser: sieben oder acht Räume im ganzen, ein Vorzimmer, ein Speisezimmer, ein kleiner, ein großer Salon, ein Schlafzimmer, ein Bad, eine Miniaturbibliothek (lucus a non lucendo, denn nach einhelligem Zeugnis hat Marie Antoinette in ihrem ganzen Leben nie ein Buch aufgeschlagen, außer ein paar flüchtig angeblätterten Romanen). Innerhalb dieses kleinen Schlößchens verändert die Königin in all den Jahren nicht viel an der Einrichtung, sie bringt mit sicherm Geschmack nichts Prunkvolles, nichts Pompöses, nichts Grob-Kostbares in diese ganz auf intime Wirkung gestellten Räume; im Gegenteil, sie stellt alles auf das Zarte, Helle und Zurückhaltende ein, auf jenen neuen Stil, den man ebenso zu Unrecht Louis Seize nennt wie Amerika nach Amerigo Vespucci. Nach ihr, nach dieser zarten, beweglichen, eleganten Frau müßte er genannt werden, Stil Marie Antoinette, denn nichts an diesen fragil anmutigen Formen erinnert an den feisten massiven Mann, Ludwig XVI., und seinen groben Geschmack, sondern alles an die leichte, anmutige Frauengestalt, deren Bildnis noch heute diese Räume schmückt; einheitlich vom Bett bis zur Puderdose, vom Clavecin bis zum Elfenbeinfächer, von der Chaiselongue bis zur Miniatur, nur das erlesenste Material in den unauffälligsten Formen nutzend, scheinbar zerbrechlich und doch dauerhaft, antike Linien und französische Anmut vereinend, kündigt dieser uns heute noch verständliche Stil wie keiner vordem die sieghafte Herrschaft der Dame, der kultivierten, geschmackvollen Frau in Frankreich an und ersetzt das Dramatisch-Pompöse des Louis Quinze und Louis Quatorze durch Intimität und Musikalität. Der Salon, in dem man plaudert und sich lockerzärtlich unterhält, wird damit anstatt der hochmütig hallenden Repräsentationsräume Mittelpunkt des Hauses; geschnitzte und vergoldete Holzverkleidung ersetzt den schroffen Marmor, nachgiebig glitzernde Seide den drückenden Samt, den schweren Brokat. Die blassen und zärtlichen Farben, das matte Creme, das Pfirsichrosa, das Frühlingsblau treten ihre linde Herrschaft an: auf Frauen und Frühling ist diese Kunst gestellt, auf Fêtes galantes und sorgloses Sichzusammenfinden; nicht Großartigkeit ist hier herausfordernd angestrebt, nicht das theatralisch Imposante, sondern das Unaufdringliche und Gedämpfte, nicht die Macht der Königin soll hier betont, sondern die Anmut der jungen Frau von allen Gegenständen, die sie umgeben, zärtlich erwidert werden. Erst innerhalb dieses kostbaren und koketten Rahmens haben die zierlichen Statuetten Clodions, die Gemälde Watteaus und Paters, die silberne Musik Boccherinis und all die andern erlesenen Schöpfungen des Dix-huitième ihr wahres und richtiges Maß; diese unvergleichliche Spielkunst seliger Sorglosigkeit knapp vor der großen Sorge wirkt nirgends so berechtigt und echt. Für immer bleibt Trianon das feinste, zarteste und doch unzerbrechliche Gefäß dieser hochgezüchteten Blüte: hier hat sich die Kultur des raffinierten Genießens vollkommen als Kunst gebildet in einem Haus, einer Gestalt. Und Zenit und Nadir des Rokoko, gleichzeitig Blüte- und Sterbestunde, sie liest man noch heute am besten von der kleinen Pendeluhr auf dem Marmorkamin in den Räumen Marie Antoinettes ab.


Eine Miniatur- und Spielwelt, dieses Trianon: es wirkt symbolisch, daß man von seinen Fenstern keinen Blick ins Lebendige hinein hat, nicht auf die Stadt, nicht nach Paris, nicht in das Land. In zehn Minuten sind seine wenigen Klafter durchschritten, und doch war dieser winzige Raum Marie Antoinette wichtiger und lebensbedeutsamer als ganz Frankreich mit seinen zwanzig Millionen Untertanen. Denn hier fühlte sie sich niemandem verpflichtet, nicht der Zeremonie, der Etikette und kaum der Sitte. Um deutlich kundzutun, daß auf diesen wenigen Schollen Erde nur sie und niemand anders gebiete, erläßt sie, sehr zum Ärger des Hofs, der das Salische Gesetz streng achtet, statt im Namen ihres Gatten in ihrem eigenen, »de par la reine«, alle Verordnungen; die Bedienten tragen nicht die königliche Livree rot-weiß-blau, sondern die ihre, rot-silber. Sogar der eigene Gemahl erscheint hier nur als Gast – ein sehr taktvoller und bequemer übrigens, der nie ungeladen oder zu ungelegener Zeit erscheint, sondern streng das Hausrecht seiner Gattin achtet. Aber der einfache Mann kommt gern, weil es hier gemütlicher zugeht als im großen Schloß; »par ordre de la reine« ist hier jede Strenge und Gespreiztheit aufgehoben, man hält nicht Hof, sondern sitzt ohne Hut mit lockern leichten Kleidern im Grünen, die Rangordnungen verschwinden im fröhlichen Beisammensein, alle Steifheit, manchmal allerdings auch die Würde. Hier fühlt sich die Königin wohl, und bald hat sie sich derart an diese aufgelockerte Lebensform gewöhnt, daß es ihr abends immer schwer fällt, nach Versailles zurückzukehren. Immer fremder wird ihr, nachdem sie diese ländliche Freiheit einmal ausgeprobt, der Hof, immer langweiliger werden die Repräsentationspflichten und wahrscheinlich auch die ehelichen, immer häufiger zieht sie sich tagsüber in ihren lustigen Taubenschlag zurück. Am liebsten bliebe sie ständig in ihrem Trianon. Und da Marie Antoinette immer das tut, was sie will, übersiedelt sie tatsächlich ganz in ihr Sommerpalais. Ein Schlafzimmer wird eingerichtet, allerdings eines mit einem einschläfrigen Bett, in dem der umfängliche König kaum Platz gefunden hätte. Wie alles andere unterliegt von nun ab auch die eheliche Intimität nicht mehr dem Wunsch des Königs, sondern, wie die Königin von Saba Salomon, so besucht Marie Antoinette gerade nur, wenn es ihr beliebt (und die Mutter zu heftig gegen das »lit à part« zetert), den braven Gemahl. In ihrem Bette ist er nicht ein einzigesmal zu Gast, denn Trianon ist für Marie Antoinette das selig unberührte Reich, einzig Cytheren, einzig dem Vergnügen geweiht, und ihren Vergnügungen hat sie niemals die Pflichten, am wenigsten die ehelichen, beigezählt. Hier will sie unbehindert sich selber leben, nichts als die verwöhnte, verehrte und maßlose junge Frau sein, die über tausend müßigen Geschäftigkeiten alles vergißt, das Reich, den Gatten, den Hof, die Zeit und die Welt und manchmal, – es sind vielleicht die seligsten Minuten, – sogar sich selbst.


Mit Trianon hat diese unbeschäftigte Seele endlich eine Beschäftigung, ein immer wieder sich erneuerndes Spielzeug. Wie bei der Putzmacherin Kleid auf Kleid, wie beim Hofjuwelier immer andern Schmuck, so hat Marie Antoinette für den Aufputz ihres Reiches immer Neues zu bestellen; neben der Putzmacherin, neben dem Juwelier, dem Ballettmeister, dem Musiklehrer und Tanzmeister füllen jetzt der Architekt, der Gartenkünstler, der Maler, der Dekorateur, alle diese neuen Minister ihres Miniaturkönigreichs, ihr die lange, ach so schrecklich lange Zeit aus und leeren gleichzeitig aufs kräftigste den Säckel des Staates. Die Hauptsorge Marie Antoinettes gilt ihrem Garten, denn selbstverständlich darf er in nichts dem historischen von Versailles gleichen, er muß der modernste, der modischste, der eigenartigste, der koketteste der ganzen Zeit werden, ein echter und rechter Rokokogarten. Abermals folgt, bewußt oder unbewußt, Marie Antoinette mit diesem Wunsch dem veränderten Geschmacksgefühl ihrer Zeit. Denn man ist müde geworden der von dem Gartengeneral Lenôtre wie mit dem Lineal gezogenen Wiesenflächen, der wie mit dem Rasiermesser geschnittenen Hecken, seiner am Zeichentisch kalt errechneten Ornamente, die prahlerisch zeigen sollten, Ludwig der Sonnenkönig habe nicht nur das Reich, den Adel, die Stände, die Nation in eine von ihm angeforderte Form gezwungen, sondern auch die Landschaft Gottes. Man hat sich satt gesehen an dieser grünen Geometrie, man ist müde dieser »Massakrierung der Natur«; wie für das ganze kulturelle Mißbehagen der Zeit findet auch hier wieder der Außenseiter der »Gesellschaft«, Jean Jacques Rousseau, das erlösende Wort, indem er in seiner »Neuen Heloïse« einen »Naturpark« fordert.


Nun hat zweifellos Marie Antoinette nie die »Neue Heloïse« gelesen, Jean Jacques Rousseau kennt sie bestenfalls als Komponisten der musikalischen Bluette »Le devin du village«. Aber die Anschauungen Jean Jacques Rousseaus schweben damals in der Luft. Marquisen und Herzoge bekommen feuchte Augen, spricht man ihnen von diesem edlen Anwalt der Unschuld (im Privatleben homo perversissimus). Sie sind ihm dankbar, denn er hat ihnen nach allen den vielen aufpeitschenden Mitteln noch glücklich einen letzten Reiz erfunden: das Spiel mit der Naivität, die Perversion der Unschuld, das Maskenkleid der Natürlichkeit. Selbstverständlich will jetzt auch Marie Antoinette einen »natürlichen« Garten, eine unschuldige Landschaft, und zwar den natürlichsten aller neumodisch natürlichen Gärten. Und so ruft sie die besten, die raffiniertesten Künstler der Zeit zusammen, damit sie ihr auf die allerkünstlichste Weise den allernatürlichsten Garten ausklügeln.


Denn – Mode der Zeit! – man will in diesem »anglochinesischen Garten« nicht nur die Natur, sondern die ganze Natur darstellen, in dem Mikrokosmos von ein paar Quadratkilometern den kompletten Kosmos in spielzeughafter Verkürzung. Alles soll auf diesem winzigen Fleck beisammen sein, französische, indische, afrikanische Bäume, holländische Tulpen, südländische Magnolien, ein Teich und ein Flüßchen, ein Berg und eine Grotte, eine romantische Ruine und ländliche Häuser, griechische Tempel und orientalische Prospekte, holländische Windmühlen, Nord und Süd, West und Ost, das Natürlichste und das Absonderlichste, alles künstlich und alles denkbarst echt; sogar einen feuerspeienden Vulkan und eine chinesische Pagode will ursprünglich der Architekt in diese Handbreit Erde hineinstilisieren, glücklicherweise erweist sich sein Voranschlag als zu teuer. Von der Ungeduld der Königin getrieben, beginnen Hunderte von Arbeitern nach den Plänen der Baumeister und Maler, eine möglichst malerische, eine bewußt lockere und natürlich aufgemachte Landschaft in die wirkliche rasch hineinzuzaubern. Zunächst wird ein leise und lyrisch murmelndes Bächlein, unentbehrliches Zubehör jeder echten Schäferidylle, zwischen die Wiesen gelegt; zwar muß man das Wasser mit zweitausend Fuß langen Röhren von Marly herüberführen, und es rinnt gleichzeitig viel Geld in diesen Röhren mit, aber: Hauptsache, sein mäandrischer Lauf sieht lieblich und natürlich aus. Leise plätschernd mündet der Bach in den künstlichen Teich mit der künstlich erhobenen Insel, gefällig beugt er sich unter die zierlichen Brücken, anmutig trägt er den schimmernden Flaum der weißen Schwäne. Wie aus anakreontischen Versen stammt der Fels mit seinem künstlichen Moos, seiner künstlich verdeckten Liebesgrotte und dem romantischen Belvedere; nichts läßt ahnen, daß diese so rührend naive Landschaft auf zahllosen kolorierten Blättern vorgezeichnet war, daß von der ganzen Anlage zwanzig Gipsmodelle hergestellt wurden, in denen der Teich und das Bächlein durch ausgeschnittene Spiegelstücke, die Wiesen und Bäume wie im Krippenspielzeug durch gestopftes und bemaltes Moos ausgespart waren. Aber weiter und weiter! Jedes Jahr hat die Königin ein neues Gelüst, immer ausgesuchtere und natürlichere Anlagen sollen ihr Reich verschönern, sie will nicht warten, bis die alten Rechnungen bezahlt sind; jetzt hat sie ihr Spiel und will es weiter spielen. Wie zufällig hingestreut und doch genau vorausberechnet von ihrem romantischen Architekten, ordnen sich kleine Kostbarkeiten in den Garten ein, um seine Lieblichkeit zu mehren. Ein Tempelchen, dem Gotte jener Zeit geweiht, der Liebestempel, steigt auf einem kleinen Hügel empor, seine offene antike Rotunde zeigt eine der schönsten Plastiken Bouchardons, einen Amor, der aus der Keule des Herkules sich seinen weithintreffenden Bogen schnitzt. Eine Grotte, die Liebesgrotte, wird so geschickt in den Felsen gehauen, daß ein dort tändelndes Paar rechtzeitig die Nahenden bemerken und sich nicht bei seiner Zärtlichkeit ertappen lassen muß. Durch das Wäldchen werden verschlungene Wege geführt, die Wiesen mit seltenen Blumenarten durchstickt, bald leuchtet auch durch das hüllende Grün ein kleiner Musikpavillon, weißschimmerndes Oktogon, und all dies so geschmackvoll nebeneinander und ineinander sich lösend, daß man tatsächlich das künstlich Gewollte in dieser Anmut nicht mehr spürt.


Aber die Mode will noch mehr Echtheit. Um die Natur noch durchtriebener zu vernatürlichen, den Kulissen das Raffinierteste an Lebenswahrheit aufzuschminken, werden in diese kostspieligste Schäferkomödie aller Zeiten zur Erhöhung des Echtheitsschwindels richtige Figuranten herangeholt: echte Bauern und echte Bäuerinnen, echte Kuhmägde mit echten Kühen, Kälbern, Schweinen, Kaninchen und Schafen, echte Mäher, Schnitter und Schäfer, Jäger, Wäscher und Käser, damit sie mähen und waschen und düngen und melken, damit das Marionettenspiel sich unablässig munter bewege. Ein neuer, ein tieferer Griff in die Kasse, und auf Marie Antoinettes Befehl wird neben Trianon ein lebensgroßes Puppentheater für diese verspielten Kinder aus der Schachtel geholt, mit Ställen, Schobern und Scheunen, mit Taubenschlägen und Hühnersteigen, das berühmte Hameau. Der große Architekt Mique und der Maler Hubert Robert zeichnen, entwerfen, bauen acht genau den landläufigen nachgebildete Bauernhöfe mit strohgedeckten Dächern, mit Hühnerhof und Düngerhaufen. Damit diese funkelnagelneuen Attrappen inmitten dieser teuer aufgebauten Natur um Himmels willen doch nicht unecht wirken, ahmt man äußerlich sogar die Armut und die Verfallenheit wirklicher Elendshütten nach. Mit dem Hammer werden Sprünge in die Mauer geschlagen, man läßt den Kalk romantisch abbröckeln, reißt ein paar Schindeln wieder ab; Hubert Robert tüncht künstliche Risse in das Holz, damit alles morsch und uralt anmute, die Schornsteine werden schwarz angeraucht. Innen werden dafür manche der scheinbar verfallenen Häuschen mit aller Bequemlichkeit ausgerüstet, mit Spiegeln und Öfen, Billards und behaglichen Kanapees. Denn wenn die Königin sich einmal langweilt und Lust hat, Jean Jacques Rousseau zu spielen, etwa mit ihren Hofdamen eigenhändig Butter anzufertigen, so darf sie sich keinesfalls dabei die Finger beschmutzen. Wenn sie ihre Kühe Brunette und Blanchette im Stall besucht, wird selbstverständlich von unsichtbarer Hand zuvor der Fußboden wie ein Parkett geputzt, das Fell blütenweiß und mahagonibraun gestriegelt und nicht in groben Bauernkübeln, sondern in eigens von der Fabrik in Sèvres gefertigten und mit ihrem Monogramm versehenen Porzellanvasen die schäumende Milch serviert. Dieses Hameau, heute lieblich durch seinen Verfall, war für Marie Antoinette Theater am lichten Tag, eine leichte, gerade in ihrer Leichtfertigkeit fast aufreizende Comédie champêtre. Denn während in ganz Frankreich sich schon die Bauern zusammenrotten, während das wirkliche, von Steuern erdrückte Landvolk mit maßloser Erregung endlich Besserung der unhaltbaren Lage aufrührerisch verlangt, herrscht in diesem Potemkinschen Kulissendörfchen ein läppisches und lügnerisches Wohlbehagen. Am blauen Bändchen werden Schafe auf die Weide geführt, unter dem von der Hofdame getragenen Sonnenschirm schaut die Königin zu, wie an dem murmelnden Bach die Wäscherinnen das Linnen spülen: ach, sie ist so herrlich, diese Einfachheit, so moralisch und so bequem, alles sauber und reizend in dieser paradiesischen Welt, so hell und klar hier das Leben wie die Milch, die aus den Eutern der Kühe hervorsprudelt. Man zieht Kleider an aus dünnem Musselin, ländlich einfache (und läßt sich darin für ein paar tausend Livres malen); man ergibt sich unschuldigen Vergnügungen, man huldigt dem »goût de la nature« mit der ganzen Frivolität der Übersättigung. Man fischt, man pflückt Blumen, man promeniert – sehr selten allein – durch die verschlungenen Wege, man läuft über Wiesen, man sieht den braven Bauernstatisten bei der Arbeit zu, man spielt Fangball, man tanzt Menuett und Gavotte über Blumen statt auf den glatten Fliesen, man hängt Schaukeln zwischen die Bäume, man baut ein chinesisches Ringspiel auf, man verliert und man begegnet sich zwischen den Häuschen und Schattengängen, man reitet und amüsiert sich und läßt sich Theater vorspielen inmitten dieses natürlichen Theaters, und schließlich spielt man es den andern vor.


Diese Leidenschaft ist die zuletzt von der Königin Marie Antoinette entdeckte. Ursprünglich läßt sie sich ein kleines, heute noch erhaltenes und in seinen zierlichen Verhältnissen entzückendes Privattheaterchen bauen die Laune kostet nur 141.000 Livres – um darin die italienischen und französischen Komödianten auftreten zu lassen, dann aber tut sie plötzlich, kühn entschlossen, selbst den Sprung auf die Bühne. Das lustige Völkchen um sie begeistert sich gleichfalls für das Theaterspielen, ihr Schwager, der Graf von Artois, die Polignac und ihre Kavaliere machen gerne mit, ein paarmal kommt sogar der König herüber, um seine Frau als Actrice zu bewundern, und so dauert der fröhliche Karneval in Trianon das ganze Jahr. Feste gibt es bald zu Ehren des Gatten, des Bruders, bald für fremde fürstliche Gäste, denen Marie Antoinette ihr Zauberreich zeigen will, Feste, bei denen tausende kleine versteckte Lichtflammen von farbigen Gläsern gespiegelt wie Amethyste, Rubine und Topase aus dem Dunkel flimmern, indes prasselnde Feuergarben den Himmel durchschneiden und Musik von unsichtbarer Nähe sich süß vernehmbar macht. Bankette mit Hunderten von Gedecken werden aufgestellt, Jahrmarktsbuden zu Spaß und Tanz gebaut, die Unschuldslandschaft dient gehorsam dem Luxus als raffinierter Hintergrund. Nein, man langweilt sich nicht in der »Natur«. Marie Antoinette hat sich nicht nach Trianon zurückgezogen, um nachdenklich zu werden, sondern um besser und ungehemmter sich zu unterhalten.


Die abschließende Rechnung für Trianon ist erst am 31. August 1791 vorgelegt worden, sie betrug 1.649.529 Livres und in Wirklichkeit zusammen mit andern versteckten Einzelposten über zwei Millionen, – an sich freilich nur ein Tropfen im Danaidenfaß der königlichen Mißwirtschaft, aber doch eine übermäßige Ausgabe in Anbetracht der zerrütteten Finanzen und des allgemeinen Elends. Vor dem Revolutionstribunal wird die »Witwe Capet« selber zugeben müssen: »Es ist möglich, daß das kleine Trianon riesige Summen gekostet hat und vielleicht mehr, als ich selber wünschte. Man wurde nach und nach in die Ausgaben hineingezogen.« Aber auch im politischen Sinne ist der Königin ihre Laune teuer zu stehen gekommen. Denn indem sie die ganze Höflingskamarilla unbeschäftigt in Versailles zurückläßt, nimmt sie dem Hof seinen Lebenssinn. Die Dame, die ihr die Handschuhe zu reichen hat, jene, die ihr den Nachtstuhl ehrfürchtig hinschiebt, die Ehrendamen und Ehrenkavaliere, die tausend Garden, Diener und Schranzen, was sollen sie nun anfangen ohne ihr Amt? Unbeschäftigt sitzen sie tagsüber im Œil de Bœuf, und so wie eine Maschine, wenn sie nicht arbeitet, vom Rost angefressen wird, so durchsetzt sich dieser gleichgültig zurückgelassene Hof immer gefährlicher mit Galle und Gift. Bald kommt es so weit, daß die vornehme Gesellschaft in geheimem Einverständnis die Feste bei Hof meidet: möge sich die hochmütige »Österreicherin« in ihrem »petit Schönbrunn«, ihrem »petite Vienne« allein unterhalten; für bloß flüchtig-kühles Kopfnicken beim Empfang ist sich dieser Adel, der ebenso alt ist wie der habsburgische, doch zu gut. Immer offener wird die Fronde der französischen Hocharistokratie gegen die Königin, seit sie Versailles verlassen hat, und der Herzog von Lévis schildert sehr anschaulich die Situation: »In den Jahren der Unterhaltung und der Leichtfertigkeit, im Rausche der höchsten Macht liebte es die Königin nicht, sich Zwang anzutun. Die Etikette und die Zeremonieen waren für sie Anlaß zur Ungeduld und Langweile. Man bewies ihr, daß in einem so aufgeklärten Jahrhundert, da sich die Menschen von allen Vorurteilen befreiten, auch die Herrscher der unbequemen Fesseln entledigen sollten, die der Brauch ihnen auferlegte, kurz, daß es lächerlich sei zu denken, der Gehorsam der Völker hinge von der größeren oder geringeren Anzahl von Stunden ab, welche die königliche Familie im Kreise langweiliger und gelangweilter Höflinge verbrächte… Außer einigen Begünstigten, die der Laune oder einer Intrige ihre Wahl verdankten, wurde alle Welt vom Hofe ausgeschlossen. Rang, geleistete Dienste, Ansehen, hohe Geburt waren keine Rechtsgründe mehr, um in den vertraulichen Kreis der königlichen Familie einbezogen zu werden. Nur Sonntags konnten jene, die vorgestellt worden waren, die Fürstlichkeiten während einiger Augenblicke sehen. Aber die meisten unter ihnen verloren bald den Geschmack an dieser unnötigen Plage, für die man ihnen keinerlei Dank wußte; sie erkannten ihrerseits, daß es töricht war, von so weither zu kommen, um nicht besser aufgenommen zu werden, und gaben es auf… Versailles, der Schauplatz der Herrlichkeit Ludwigs XIV., wohin man aus allen Teilen Europas freudig gereist war, um verfeinerte Lebensform und Höflichkeit zu erlernen, war nichts mehr als eine kleine Provinzstadt, in die man sich nur noch mit Widerwillen begab und von der man sich so rasch als möglich wieder entfernte.«


Auch diese Gefahren hat Maria Theresia von ferne rechtzeitig vorausgesehen: »Ich kenne selbst die ganze Langeweile und Leere des Repräsentierens, aber glaube mir, wenn man es unterläßt, so ergeben sich daraus noch viel weiter reichende Unannehmlichkeiten als diese kleinen Lästigkeiten, insbesondere bei Euch, einer so lebhaften Nation.« Doch, wo Marie Antoinette nicht verstehen will, hat es keinen Sinn, mit ihr verständig zu sprechen. Was für Aufhebens wegen der halben Stunde, die sie von Versailles entfernt lebt! In Wirklichkeit aber hat sie durch diese zwei oder drei Meilen sich sowohl vom Hof wie vom Volke für Lebenszeit entfernt. Wäre Marie Antoinette in Versailles geblieben, inmitten des französischen Adels und der traditionellen Sitte, sie hätte in der Stunde der Gefahr die Prinzen, die Fürsten, die Adelsarmee an ihrer Seite gehabt. Hätte sie anderseits, wie ihr Bruder Joseph es versuchte, sich demokratisch dem Volke genähert, die Hunderttausende von Paris, die Millionen Frankreichs hätten sie vergöttert. Aber Marie Antoinette, absolute Individualistin, handelt weder den Aristokraten zu Gefallen noch dem Volke, sie denkt nur an sich, und durch diese eine Lieblingslaune Trianon wird sie gleich unbeliebt beim ersten, zweiten und dritten Stand; weil sie allzulange allein sein wollte in ihrem Glück, wird sie einsam sein in ihrem Unglück und ein kindisches Spielzeug mit einer Krone und einem Leben bezahlen müssen.

vorheriges Kapitel

Königin des Rokoko

nachfolgendes Kapitel

Die neue Gesellschaft

lernzettel.org

Die hier vorzufindene Sammlung der gemeinfreien Werke Stefan Zweigs ist aus der Ausgabe des Null Papier Verlages übernommen. Zu dieser Ausgabe gelangen Sie durch einen Klick auf diesen Eintrag.