Der Dirigent


In Erinnerung an Gustav Mahler


Ein goldner Bienenkorb, in dessen Waben
Summend das Volk sich drängt, so scheint
Das Haus mit seinem hingeströmten Licht
Und der Erwartung vieler Menschen, die
In schwärmender Erregung sich versammeln.
Alle Gedanken tasten unablässig
Dort an die dunkle Wand, dahinter sich
In einer Wolke unbestimmter Ahnung
Die Träume bergen.


Unten schäumt der Kessel,
Darin sich die gefährliche Magie
Der Töne braut. Die bunten Stimmen brodeln
In erster Hitze, zucken, sieden, spritzen
Schon manchmal eine kleine Melodie
Wie Schaum herauf. Allein sie zittert schwank
Im hohen Raum und stürzt dann wie zerbrochen
Zurück ins Ungefähr der andern Stimmen.


Und plötzlich wo ein Klang: das Licht verlischt,
Der Ring des Raums zerrinnt ins Grenzenlose,
Nacht stürzt herab, und alles wird Musik.
(– Denn sie, im Unbegrenzten heimisch schweifend,
Gibt schamhaft ihre körperlose Seele
Den Blicken nicht und ausgereckten Händen:
Urschwesterlich sind Dunkel und Musik.)
Und was vordem im ausgesparten Raume
An zagen Stimmen suchend rang, was sich
Noch scheu und ganz vereinzelt erst versuchte,
Das greift jetzt ineinander, flutet über,
Meer wird es, Meer, das seine Wellen bald
Wie Knabenhaar verliebt und eitel kräuselt,
Bald sie wie Fäuste ballt, ein Meer,
Das auf zu Sternen will. Nun sprengt es hoch


Bis ans Gebälk die farblos heiße Gischt
Der Töne, wirft sie gegen unser Herz,
Das sich noch weigert (denn wer gibt sich gern
An ein gefährlich unbekannt Gefühl
Ganz ohne Zagen hin?). Allein es reißt
Gewaltsam mit in seine blinde Kraft,
Und Flut sind wir mit ihm, nur wesenlos
Verströmte Flut, die bald zum Wogenkamm
Des seligsten Entzückens hochgeschleudert
In weißen Schäumen funkelnd sich zersprüht,
Bald wie begraben in der jähen Trauer
Des Niederstürzens ins smaragdne Dunkel.
Wir alle, sonst vieltausendfach zerstückt
Durch Zufall, Schicksal und geheime Neigung,
Sind eine Welle zitternder Entzückung,
Drin unser eigen Leben unbewußt
Und ohne Atem, ohne Willen flutet,
Ertrunken in den Tönen.


Aber dort,
Hoch über diesem Meer, schwebt einer noch,
Wie eine schwarze Möwe mit den Schwingen
Hinreisend über das erregte Stürmen
Des namenlos beseelten Elements.
Er ringt damit, taucht bald hinab, als griff’
Er Perlen von dem Grund, bald schnellt er hoch
Wie ein Delphin sich aus dem wildgepeitschten
Gewirr der brennend lodernden Musik.
Ein Einziger, da wir schon hingerissen
Und schwank verströmt sind, selber Wind und Welle,
Kämpft er noch mit den losen Elementen,
Gebändigt halb und halb der Töne Meister. –
Der Stab in seiner Hand (ist er der gleiche,
Mit dem einst Prospero den grausen Sturm
Hinwetternd auf die reine Insel warf?)
Scheint, ein Magnet, das fließend Erz der Töne
Hinaufzuzwingen in die starke Hand,
Und all die Wellen, drin wir uns verbluten,
Strömen ihm zu, dem roten Herz, darin
Die Unruh Rhythmus wird, das wirre Leben
Der Elemente klare Melodie.


Wer ist der Zaubrer, wer? Mit einem Wink
Hat er des Vorhangs harte Nacht gespalten.
Sie rauscht hinweg. Und hinter ihr sind Träume
Mit blauem Himmel, aufgeblühten Sternen,
Mit Duft und Wind und Bildern wie von Menschen.
Nein, nein! Mit Menschen! Denn kaum hat er jetzt
Die Hand gehoben, so bricht diesem schon,
Den er bedeutet, Stimme aus der Wunde
Der aufgerißnen Brust, und jetzt den andern!
Sie atmen Leid und Lust. Und alles ist,
Wie er gebietet. Seht, die Sterne löschen
Jetzt mählich aus, die Wolkenzüge brennen
Vom Feuerhauch der neuen Dämmerung,
Und Sonne naht und mit ihr andre Träume.
Und über all dies schüttet er Musik,
Die er von unten aus dem unsichtbaren
Geström mit seinen losen Händen schöpft.
Tag wird aus Nacht. Womit hat er Gewalt,
Daß ihm die Töne dienen, Menschen sich
Ausbluten im Gesang und daß wir alle
Hier leise atmend wie im unruhvoll
Erregten Schlafe sind, vom süßen Gift
Des Klangs betäubt? Und daß ich immer
Das Zucken seiner Hand so spüren muß,
Als riss’ er eine angespannte Saite
In meiner Brust entzwei?


Wohin, wohin
Treibt er uns fort? Wir gleiten nur wie leise
Barken des Traums auf niegesehenen Wassern
Ins Dunkel weiter. Goldene Sirenen
Neigen sich manchmal über unsre Stirnen,
Doch er lenkt weiter, steil das Steuer in
Die feste Faust gepreßt. Wir gleiten, gleiten
Zu stillen Inseln, sturmzerrißnen Wäldern.
Wer weiß, wie lang? Sind’s Stunden, Tage,
Ist es ein Jahr?


Da sinkt der Vorhang zu.
Die Barke hält. Wir wachen wie verschreckt
In unsre Wirklichkeit. Doch er, wo ist
Er hin, in dessen Händen wir gewesen,


Der dorten stand, ein unbewegter Stern
Über dem Aufschwall geisternder Gewässer?
Hat ihn die Flut, die er bezwang, nun doch
Hinabgerissen in ihr Dunkel? – Nein!
Dort stiebt ein Schatten weg. Der heiße Blick
Greift rasch ihm nach. Doch ringsum schwillt
Schon Unruh und Geräusch, die Menge bricht
In tausend Stücke, einzelne Gesichter,
Zerrinnt in Worte, die sich laut verbreitern,
Der Jubel dröhnt! Aufflammen alle Lichter –
Wir sind am Strand, daran die Träume scheitern.

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