Die Zwiesprache mit Gerhart Hauptmann


Romain Rolland war Gerhart Hauptmann nie persönlich begegnet. Er kannte seine Werke und liebte darin die leidenschaftliche Teilnahme an allem Menschlichen, die tiefe Güte, die jede einzelne Gestalt wissend durchdringt. Einmal in Berlin hatte er versucht ihn in seiner Wohnung aufzusuchen: Gerhart Hauptmann war damals abwesend. Auch im geschriebenen Wort waren sie einander fremd.


Doch wählt Rolland gerade Hauptmann zur Aussprache als den repräsentativen Dichter Deutschlands, als den Schöpfer der »Weber« und weil Hauptmann sich in einem Aufsatz mit seiner Verantwortung vor das kämpfende Deutschland gestellt hatte. Er schreibt ihm am 29. August 1914, dem Tage, da das stupide Telegramm des Wolff-Bureaus, eine tragische Wirklichkeit in lächerlicher Abschreckungsabsicht übertreibend, meldete: »Die an Kunstschätzen reiche Stadt Löwen ist vom Erdboden vernichtet.« Der Anlaß zu einem Ausbruch der Entrüstung war gewiß gegeben, aber Rolland sucht sich zu bezwingen; »Ich gehöre nicht, Gerhart Hauptmann«, hebt er an, »zu jenen Franzosen, die Deutschland als das Land der Barbaren betrachten. Ich kenne die geistige und moralische Größe Eurer kraftvollen Rasse. Ich weiß, was ich den Denkern des alten Deutschland schulde, und gedenke auch zu dieser Stunde des Wortes und Beispiels unseres Goethe – denn er gehört der ganzen Menschheit zu –, der allen Völkerhaß verabscheute und seine Seele in jenen Höhen hielt, wo man das Glück und Unglück anderer Völker wie sein eigenes empfindet.« Und er fährt fort mit einem Pathos des Selbstbewußtseins, das zum erstenmal nun aus dem Werk dieses Bescheidensten klingt und, seine Mission erkennend, die Stimme über die Zeit erhebt: »Ich habe mein ganzes Leben daran gearbeitet, den Geist unserer beiden Nationen einander nahe zu bringen und alle Gräuel dieses verruchten Krieges, der sie gegeneinander wirft, werden mich nie dazu bringen, meinen Geist von Haß beflecken zu lassen.«


Aber nun wird Rolland leidenschaftlicher. Er klagt nicht Deutschland des Krieges an – »der Krieg ist die Frucht der Schwachheit und Dummheit der Völker« –, er läßt die Politik beiseite, aber er protestiert gegen die Zerstörung der Kunstwerke. Vehement ruft er Hauptmann entgegen: »Seid Ihr die Enkel Goethes oder Attilas?«, um ihn dann wieder ruhiger zu beschwören, diesen Dingen keine geistige Rechtfertigung zu geben. »Im Namen unseres Europa, zu dessen erlauchtetsten Streitern Sie bis zu dieser Stunde gezählt haben, im Namen der Zivilisation, im Namen der Ehre des deutschen Volkes beschwöre ich Sie, Hauptmann, ich fordere Sie auf, Sie und die geistige Elite Deutschlands, unter der ich manchen Freund besitze, mit der äußersten Energie gegen ein Verbrechen zu protestieren, das sonst auf Euch zurückfiele.« Rolland will, daß, so wie er selbst, sich die Deutschen nicht mit den militärischen Tatsachen solidarisieren, nicht »den Krieg als ein Fatum hinnehmen«. Er hofft auf einen Protest der Deutschen – freilich ohne zu wissen, daß damals in Deutschland niemand eine Ahnung von den politischen Vorgängen hatte oder haben konnte, und daß ein solcher öffentlicher Protest öffentlich nicht möglich war.


Noch leidenschaftlicher aber antwortet Gerhart Hauptmann. Statt, wie Rolland ihn beschworen, der deutschen militärischen Abschreckungspolitik die Zustimmung zu verweigern, versucht er begeistert, sie moralisch zu rechtfertigen, und übersteigert sich gefährlich in diesem Enthusiasmus. Für ihn gilt die Maxime »Krieg ist Krieg« und, etwas voreilig, verteidigt er das Recht des Siegers. »Der zur Ohnmacht Verurteilte greift zu Beschimpfungen.« Damit weist er die Zerstörung Löwens als Unterstellung zurück und begründet »den friedlichen Durchzug« deutscher Truppen durch Belgien als eine Lebensfrage Deutschlands, verweist auf die Erklärungen des Generalstabes und als höchste Autorität der Wahrheit auf »den Kaiser selbst«.


Damit ist die Zwiesprache aus dem Geistigen ins Politische geglitten. Rolland weist nun seinerseits erbittert diese Auffassung Hauptmanns zurück, der die agressiven Theorien Schlieffens moralisch mit seiner Autorität stützt, und wirft ihm vor, sich »mit den Verbrechen der Machthaber zu solidarisieren«. Statt sie zu einigen, entzweit die Zwiesprache sie noch mehr. In Wirklichkeit sprechen sie beide aneinander vorbei, denn »le difficile est d’agir sans passion«, »es ist schwer ohne Leidenschaft zu handeln«. Die Stunde ist noch zu früh, in beiden noch die Leidenschaft zu groß, der Nerv des Zeitlichen zu überreizt, als daß sie sich zueinander finden könnten. Noch ist die Lüge stark in der Welt, zuviel Nebel zwischen den Grenzen. Noch steigt die Flut, die unendliche des Hasses und des Irrtums. Noch erkennen sich die Brüder im Dunkel nicht.

vorheriges Kapitel

Das Tribunal des Geistes

nachfolgendes Kapitel

Der Briefwechsel mit Verhaeren

lernzettel.org

Die hier vorzufindene Sammlung der gemeinfreien Werke Stefan Zweigs ist aus der Ausgabe des Null Papier Verlages übernommen. Zu dieser Ausgabe gelangen Sie durch einen Klick auf diesen Eintrag.