St. Louis
1894
Dieser Mythos vom König Ludwig dem Frommen ist kein Drama, sondern mehr ein Weihespiel, geboren aus dem Geiste der Musik, eine Transposition der Wagnerischen Ideen, heimatliche Legende im Kunstwerk zu verklären. Ursprünglich von Rolland für Musik gedacht (er hat selbst eine Introduktion dazu komponiert, die er wie alle seine musikalischen Versuche nie veröffentlichte), löst sich später das musikalische Element in den Lyrismus des Worts. Von der Leidenschaftlichkeit Shakespearischer Szenen ist in diesem sanften Lebensbilde nichts mehr. Es ist eine heroische Heiligenlegende in Bühnenbildern, und man muß dabei an jenes Wort Flauberts im Julian dem Gastfreien denken: »geschrieben, wie sie auf den gemalten Kirchenfenstern unserer Heimat steht.« Es hat nur zarte Farben, die der Fresken Puvis de Chavannes im Pantheon, der auch eine französische Heilige, St. Geneviève, wie sie über Paris wacht, malt, und das milde Mondlicht über ihrer Gestalt ist das gleiche, das hier einen Heiligenschein von Güte um das Haupt des frömmsten Königs von Frankreich webt.
Parsifalmusik klingt leise durch das Werk und etwas von Parsifal ist selbst in diesem Herrscher, der nicht durch Mitleid, sondern durch Güte wissend wird und sich selbst zum Ruhme das schönste Wort sagt: »Pour comprendre les autres, il ne faut qu’aimer« – »Um die Menschen zu verstehen, muß man nur lieben können«. Er hat nichts als Milde, aber davon so viel, daß die Stärksten schwach werden vor ihm; er hat nichts als seinen Glauben, aber dieser Glaube baut Berge der Tat. Nicht zum Siege kann und will er sein Volk führen, aber er trägt es über sich selbst hinaus, über die eigene Schwere und das scheinbar sinnlose Abenteuer der Kreuzfahrt in den Glauben und schenkt damit der ganzen Nation jene Größe, die immer aus der Aufopferung erwächst. In »St. Louis« zeigt Rolland zum erstenmal seinen liebsten Typus: den besiegten Sieger. Nirgends erreicht er sein Ziel, aber »plus qu’il est écrasé par les choses, plus il semble les dominer davantage« – »je mehr er von den Dingen erdrückt ist, um so mehr scheint er sie zu beherrschen«. Und wenn er wie Moses das verheißene Land nicht mehr schauen darf und ihm das Schicksal auferlegt scheint »de mourir vaincu«, besiegt zu sterben, so jauchzen über seinem letzten Seufzer die Soldaten schon zur ersehnten Stadt. Er weiß es, daß im Kampf um das Aussichtslose die irdische Welt keine Siege gibt, aber »il est beau lutter pour l’impossible quand l’impossible est Dieu« – »es ist schön, um das Unmögliche zu ringen, wenn das Unmögliche Gott ist«. Dem Besiegten in solchem Kampf bleibt doch der höchste Triumph: er hat die schlaffen Seelen zu einer Tat erhoben, deren Glück ihm selbst versagt ist, aus seinem Glauben hat er die Gläubigkeit geschaffen, aus seinem Geiste den ewigen Geist.
Dieses erste öffentliche Werk Rollands atmet christlichen Geist. Monsalvatsch spannt seine rauschenden Hallen über einen frommen Choral. Daß die Demut die Kraft, der Glaube die Welt, die Güte den Haß besiegt, diesen ewigen Gedanken, der vom Urchristentum bis zum Meister von Jasnaja Poljana in unzähligen Worten und Werken sich vergeistigt hat, formt Rolland im ersten Werke noch in einer Heiligenlegende. Aber in den späteren zeigt er dann freier und befreit, daß die Kraft des Glaubens an kein oder an jedes Bekenntnis gebunden ist; die symbolische Welt, die hier noch romantisch den eigenen Idealismus umkleidet, wird unsere Stunde und unser Tag und reift die Erkenntnis, daß von Ludwig dem Frommen und der Kreuzzugzeit nur ein Schritt ist zu unserer eigenen Seele, »wenn sie groß sein will und die Größe auf Erden verteidigen«.
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Aërt
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