Gauloiserie


Als Intermezzo hatte sich Rolland den Colas Breugnon gedacht, als behagliche Arbeit, um gewissermaßen einmal das Vergnügen auszukosten, unverantwortlich zu schaffen. Aber es gibt kein Unverantwortliches in der Kunst. Was man schwer anfaßt, wird oft schlecht, und das Leichteste das Schönste.


Künstlerisch ist Colas Breugnon vielleicht Rollands gelungenstes Werk. Eben weil es aus einem Gusse ist und, hinfließend in einem einzigen Rhythmus, sich nirgends an Problemen staut. Der Johann Cristof war ein Buch der Verantwortung und des Gleichgewichtes. Jede Erscheinung der Zeit wollte darin besprochen werden, forderte von allen Seiten gesehen zu sein in Spiel und Widerspiel, jedes Land machte seinen Anspruch auf Gerechtigkeit. Das Enzyklopädische, das gewollt Vollständige des Weltbildes zwang notwendig manches gewaltsam hinein, was nicht musikalisch zu bewältigen war. Dieser Roman aber ist ganz auf einen Ton gestimmt, ganz aus einem einzigen Rhythmus gestaltet, wie eine Stimmgabel schwingt der erste Satz, und von ihm aus geht es durch das ganze Buch in der gleichen heiteren Melodie, für die der Dichter hier eine besonders glückliche Form gefunden hat, eine Prosa, die Dichtung ist, ohne zum Vers zu werden, die reimend ineinandergleitet ohne sich in Zeilen zu teilen. Von Paul Fort hat Rolland vielleicht den Grundton übernommen, aber was dort in den »französischen Balladen« rundreimhaft sich zu Kanzonen formt, ist hier durch ein ganzes Buch taktiert und sprachlich auf das glücklichste mit Altfranzösischem im Geiste Rabelais’ durchwürzt.


Hier, wo Rolland Franzose sein will, geht er gleich auf den Kern des Franzosentums, auf den gallischen Geist, auf die »Gauloiserie« und gewinnt ihr musikalisch diese neue Nuance ab, die unvergleichbar ist mit allen bekannten Formen. Zum erstenmal ist hier ein ganzer Roman so wie Balzacs »Contes drôlatiques« archaisierend erzählt, aber das Schnörkelige, Krause der Diktion immer musikalisch durchwebt: Der »Tod der Alten« oder »Das abgebrannte Haus« sind wie Balladen, so geschlossen und bildhaft. Ihre innige und beseelte Rhythmik löst die Heiterkeit der anderen Bilder ab, ohne sie aber innerlich zu brechen: leicht wie Wolken gleiten die Stimmungen vorüber, und der Horizont der Zeit lächelt selbst unter den finstersten dieser Wolken fruchtbar hell herein. Nie war Rolland dem reinen Dichter in sich näher als in diesem Werke, wo er ganz Franzose ist, und was ihm Spiel und Laune schien, zeigt am sinnlichsten den lebendigen Quell seiner Kraft: seinen französischen Geist gelöst in ewiges Element, in die Musik.

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Die hier vorzufindene Sammlung der gemeinfreien Werke Stefan Zweigs ist aus der Ausgabe des Null Papier Verlages übernommen. Zu dieser Ausgabe gelangen Sie durch einen Klick auf diesen Eintrag.