An Klaus Mann


Salzburg, Kapuzinerberg 5


am 15. Mai 1933


Lieber Klaus Mann!


Herzlich gern bin ich mit Ihnen, vorausgesetzt, daß die Zeitschrift nicht einen direkt aggressiven Charakter trägt. Wir sind durch unser Dasein und unser Außen- und Draußensein an sich schon Opposition und mit diesen Leuten ist nicht zu diskutieren. Wer einmal erklärt hat und erklärt, daß er nicht gerecht sein will und in jeder Hinsicht jede Idee dem Parteigedanken unterordnet, den soll man nicht bekehren. Es hat keinen Sinn zu jemand zu sprechen, der sich die Ohren verstopft.


Was ich jetzt arbeiten will, ist eine Studie über Erasmus von Rotterdam, den Humanisten auch des Herzens, der durch Luther die gleichen Niederlagen erlitten hat wie die humanen Deutschen heute durch Hitler. Ich will durch Analogie darstellen und auf unkonfiszierbare Weise mit höchster Gerechtigkeit an diesem Menschen unseren Typus entwickeln und den andern. Es wird hoffentlich ein Hymnus auf die Niederlage sein. Da gebe ich Ihnen dann gern einen in sich geschlossenen Abschnitt. Sie sehen, daß ich also bereits auf dem Wege bin, zu einer neuen tätigen Form zu kommen. So wie ich im Kriege durch den »Jeremias« eine jedermann verständliche Stellung nahm, ohne aktuell zu polemisieren, so versuche ich auch hier durch ein Symbol vieles Heutige deutlich und verständlich zu machen.


Das rein Aggressive liegt mir charaktermäßig nicht, weil ich an »Siege« nicht glaube, aber in unserem stillen, entschlossenen Beharren, in der künstlerischen Kundgabe liegt vielleicht die stärkere Kraft. Kämpfen können die andern auch, das haben sie bezeugt, so muß man sie auf dem andern Gebiet schlagen, wo sie inferior sind und dort wo sie ihre Schlageter und Horst Wessel kitschig aufmachen, in künstlerisch unwidersprechlicher Form die Bildnisse unserer geistigen Helden aufzeigen.


Von Herzen immer Ihr
Stefan Zweig


Viele Empfehlungen Ihrem verehrten Herrn Vater.


***


An Klaus Mann


Salzburg, Kapuzinerberg 5 am 19. Juni 1933


Lieber Klaus Mann!


Der Brief geht an Sie, und gleichzeitig an Ihre ganze Kolonie dort unten und ich bitte Sie, mir möglichst bald Antwort zukommen zu lassen. Es handelt sich um Folgendes: eine Reihe auswärtiger Verleger wendet sich jetzt von rechts und links an uns um deutsche Ausgaben, vier oder fünf große Zeitschriften sind geplant, auch Ihre darunter und ich sehe am Ende aller dieser lobenswerten Dinge eine große Gefahr: die der völligen Zersplitterung. Es werden zehn Zeitschriften entstehen und vergehen, fünfzehn Verleger anfangen mit deutschen Serien und wieder aufhören, eine Bemühung wird die andere konkurrenzieren – ich habe dasselbe seinerzeit 1918 erlebt, als 800 wirkungslose Friedensvereine und 200 Friedensblättchen in den verschiedensten Ländern gegründet wurden, statt einer schlagkräftigen Organisation.


Was not täte, wäre eine große Zeitschrift, eine Zusammenfassung aller Verlage in einen, denn zusammen stellen die abgetrennten Autoren eine Weltmacht dar, einzeln ist kaum einer imstande, einen wirklich großen Verlag zu tragen. Es entsteht nun die Gefahr, daß wir durch einzelne Abschlüsse und Bindungen eigentlich gegeneinander arbeiten, die wir durch gemeinsames Schicksal verbunden sind und daß wir der großartigen Geschlossenheit der Gleichschaltung, die verhängnisvolle Haltung der Auseinanderschaltung gegenüberstellen. Nun haben einige den Gedanken, daß es absolut notwendig wäre, sehr bald uns zu einer gemeinsamen Besprechung zusammenzufinden, in der nicht nur diese materiellen Dinge, sondern auch unsere gemeinsame moralische Haltung festzulegen wäre. In Briefform kommt man nicht weiter, ich glaube, um der historischen Bedeutung zur Zeit willen, hätten wir die Verpflichtung, jeder einmal zwei, drei Tage unsere Arbeit und Bequemlichkeit zu opfern und uns aus Frankreich, Czechoslovakei, Österreich und den andern Orten der Versprengung geeinigt in der Schweiz zu treffen, wo ja schon Döblin, Ludwig, Remarque, Bruno Frank sind. Ich bin der festen Überzeugung, daß eine solche gemeinsame Aussprache nicht nur für unsere eigene Haltung bestimmend sein würde, sondern daß wir, sei es zu einem Manifest, sei es zu einer kameradschaftlichen Vereinigung kämen. Ich gebe mich der Hoffnung hin, daß sowohl im Materiellen wie im Moralischen etwas sehr Wichtiges resultieren könnte, wenn wir einmal zusammen rund um einen Tisch sitzen, Plan gegen Plan besprechen, uns gegenseitig informieren und aufklären, vielleicht kleine Eifersüchteleien und Zwistigkeiten, die bewußt oder unbewußt zwischen uns bestehen, ausgleichen, kurzum, ich halte es für eine absolute Verpflichtung, die wir gegen die Zeit und die Zukunft haben, daß wir zwanzig oder fünfundzwanzig öffentlicher Menschen in einer solchen Schicksalsstunde einmal beisammen sind.


Nun, lieber Klaus Mann, übergebe ich Ihnen die Aufgabe, bei Ihrem verehrten Herrn Vater, bei Heinrich Mann und bei allen den andern Wesentlichen, die dort in Ihrem Winkel beisammen sind, anzufragen, wer von ihnen zuverlässig kommen würde oder sich durch einen Vertrauensmann vertreten lassen würde, und ob in Zürich oder Basel oder an irgend einem unauffälligen Ort eine solche Begegnung stattfinden könnte. Emil Ludwig meint, daß es sehr bald geschehen müßte, weil schon wieder eine neue Unternehmung im Werden ist und einige Autoren bereits vorschnell sich gebunden haben oder sich zu binden im Begriffe sind. Vergessen Sie nicht den mächtigen Machtzuwachs in der Welt, den eine Zeitschrift, ein Verlag oder jedes sonstige Unternehmen hätte, wenn wir alle einig sind.


Herzlichst
Ihr Stefan Zweig


***


An Klaus Mann


Salzburg, Kapuzinerberg 5


am 11. September 1933


Lieber Klaus Mann!


Ich habe das Heft »Die Sammlung« noch immer nicht bekommen, es hat mir nur ein paar gereizte Briefe von den andern auswärtigen Zeitschriften eingetragen, weil ich dort abgesagt hatte und bei Ihnen angekündigt wurde. Man kommt da nie zu einem Ende und so habe ich beschlossen, nirgendwo mitzuarbeiten, ehe wir nicht alle zu einer endgültigen und einheitlichen Haltung gekommen sind (im Sinne jener Zusammenkunft, auf die ich noch immer hoffe). Es entstehen wirklich dadurch nach außenhin Konflikte und der Verdacht eines Gegeneinanderarbeitens und einer sichtlichen Uneinigkeit, wenn an der einen Stelle der einzelne zusagt und an der andern Stelle wieder fehlt, mir scheint jene entscheidende freundschaftliche Annäherung und Einigung, die ich vom ersten Tage an – vergebens! – forderte, unbedingt nötiger als je. Alle diese Abstufungen müssen meinem Empfinden nach abgeschliffen werden zu Gunsten einer Einheitlichkeit. Ich bitte Sie darum, inzwischen meinen Namen von den Ankündigungen wegzulassen, denn heute erst mußte ich Willy Haas und vor einigen Tagen Wieland Herzfelde absagen und möchte nicht, daß Unstimmigkeiten oder scheinbare Bevorzugungen entstehen zwischen Menschen, die durch einheitliches Schicksal auch einheitlich verbunden sein sollten.


Ich werde im Oktober für ein paar Tage in Paris sein, wo ich Ihren verehrten Herrn Vater und einige andere zu sprechen hoffe, vielleicht, daß wir doch endlich die richtige Ebene und das klare Forum finden. Ich habe mich, bei Gott, unendlich um diese Bemühung herumgequält, mehr glaube ich als irgend ein anderer, jetzt muß ich versuchen, ob ich überhaupt noch konzentriert arbeiten kann, in den letzten Wochen und Monaten ist es mir nicht gelungen.


Mit den herzlichsten Grüßen
Ihr Stefan Zweig


***


An Klaus Mann


Salzburg, Kapuzinerberg 5


am 18. September 1933


Lieber Klaus Mann!


Ich bekam vor drei Tagen »Die Sammlung« und heute Ihren Brief; lassen Sie mich offen und in aller Herzlichkeit reden, ohne jeden Hinterhalt. Als Sie mir seinerzeit schrieben, Sie wollten mit Annemarie Schwarzenbach eine literarische, unpolitische Zeitung machen für diejenigen, die in Deutschland nicht zu Worte kommen können, war ich mit Freude einverstanden und sicherte Ihnen einen Beitrag zu. Aber Sie selbst sind es, lieber Klaus Mann, der diesem Plan ein anderes Gesicht gegeben hat und der Zeitschrift einen aggressiven Charakter: daher jetzt auch die verschiedenen Absagen. Ich hatte die Zeitschrift noch nicht gesehen, aber gerade aus jenen Reklamationen sah ich schon, daß sie eine politisch eingestellte sein müsse und war darum genötigt um der Gerechtigkeit willen zu sagen, daß ich zunächst nicht mittun kann. Wo es um Leistung geht, stelle ich mich weiß Gott, ohne Hochmut neben jeden, auch den Jüngsten und Unfähigsten, weil dort das Nichtkönnen einen Könnenden nicht belastet. Anders steht es im Politischen und Parteimäßigen, wo einer für Fehler und Übertreibungen des andern haftbar wird. Ich persönlich glaube, und wahrscheinlich auch Ihr Vater und Werfel und Bruno Walter, daß auf die Herabsetzung unserer Bemühungen die einzige Antwort Leistung ist. Ich bin keine polemische Natur, ich habe mein ganzes Leben lang immer nur für Dinge und für Menschen geschrieben und nie gegen eine Rasse, eine Klasse, eine Nation oder einen Menschen und ich bin der Überzeugung, daß Leute wie Kerr unserer Sache unendlichen Abbruch tun. Einer so ungeheuren Katastrophe muß man in großen Darstellungen entgegentreten, nicht mit kleinen Sticheleien. Ich war gewiß nicht dagegen und habe mich wochenlang bemüht, um ein großes gemeinsames Manifest von hoher Haltung zu schaffen, das ich nicht nur unterschreiben wollte, sondern dessen Entstehung ich sogar organisieren und mit meiner vollen Verantwortung decken wollte, ich bewahre entscheidenden Dingen gegenüber meinen Mut, aber, das gestehe ich offen, kleinliche impotente Angriffe halte ich für ein Ärgernis, für ein Unglück und möchte sichtbar zeigen, daß ich nichts mit diesem Kampf zu tun habe, der meiner Meinung nach unserer Sache nur schadet. Ich denke natürlich nicht an den deutschen Markt, der ist längst verloren, aber ich denke sehr an die Menschen, die in Deutschland sind und denen wir, statt zu helfen, heute nur schaden und ich erkläre ruhig, daß ich jeden Angriff für ein Unheil halte, der nicht große geistige Linie hat, der nur stichelt und nicht trifft. Wäre Ihre Zeitung, lieber Klaus Mann, wirklich nur eine Darstellung unserer Leistung, unseres Wirkens und Willens gewesen, ohne jede polemische Einbegleitung, ich hätte gern mitgetan. Aber ich habe sieben Monate oder länger, ebenso wie Ihr Vater, kein Wort in einer inländischen oder ausländischen Zeitung veröffentlicht, weil ich der Ansicht bin, daß dadurch, daß wir keinen Anlaß geben die Tatsachen umzudrehen, das Unrecht deutlicher und unwiderleglich würde und man nicht den Spieß umkehren könnte und sagen, wir hätten provoziert.


Ich weiß daß man in Deutschland über jeden Angriff von uns geradezu glücklich wäre, um sagen zu können: Seht ihr! Wie recht haben wir gehabt! – Darum hätte ich es so sehr gewünscht, daß unsere Demonstrationen zunächst einzig in Leistung bestanden hätten, in hoher und unwidersprechlicher Qualität und ich sehe, daß die Auffassung der andern da mit meiner vollkommen übereinstimmt. Es wäre so unendlich wichtig gewesen, neben den politisch aggressiven Blättern ein Blatt zu haben, das ausschließlich die künstlerische Leistung der »Ausgelöschten« zeigte, dadurch wäre den andern, den Kämpfern noch nicht das Wort abgeschnitten gewesen, denn sie hätten ihre Zeitschriften für sich gehabt.


Ich verstehe, lieber Klaus Mann, daß Sie durch diese Absagen bestürzt sind, aber Sie müssen auch uns verstehen, die wir uns verpflichtet fühlen durch Verantwortlichkeit gegenüber den in Deutschland zurückgebliebenen Freunden und daß insbesondere für einen Juden das Verantwortungsgefühl noch stärker gesteigert sein muß.


Jetzt wird es wohl schwer sein, die Zeitschrift zurückzuschrauben ins Unpolemische und rein Literarische, aber ich glaube noch immer, es wäre für die Sache ein großer Gewinn, wenn Sie schon im nächsten Heft das Aggressive zu Gunsten des Produktiven zurückstellten: es gibt jetzt politische Zeitungen genug, aber wir hätten notwendig eine, welche nur der Leistung dient. Ich komme vielleicht nächste Woche auf einen halben Tag nach Zürich. Ich besuche zuerst Rolland und fahre dann nach ein paar Tagen von Paris nach London, und hoffentlich können wir uns dann ausführlicher über alle diese Dinge aussprechen.


Herzlichst Ihr Stefan Zweig


***


An Klaus Mann


Dieser Brief ist an Sie privat, Sie können ihn jedem zeigen, aber ich möchte keinen Abdruck und keine öffentliche Discussion mehr.


18. Nov. 1933


Lieber Klaus Mann,


diese Sache hat mich krank gemacht. Sie können es sich nicht ausdenken – ich war unterwegs seit Wochen, hörte hier in London, es würden gegen mich Angriffe gerichtet wegen einer Erklärung, die ich im Buchhändlerbörsenblatt erlassen hätte. Ich eine Erklärung? Ich wußte von nichts, bis ich nach abermals einer Woche erfuhr, daß ein Brief, den ich dem Inselverlag zu seiner persönlichen Information auf seinen Wunsch geschrieben, ohne mich anzufragen oder auch nachträglich zu verständigen veröffentlicht worden war. Muß ich sagen, daß ich nie im Leben eine solche demonstrative Veröffentlichung gewünscht oder geahnt habe, die doch eine Art moralischen Selbstmords für mich wäre? Ich war sehr verärgert, daß Sie Ihre Zeitschrift gegen die seinerzeitige Ansage politisierten, das gestehe ich offen, weil es mir heute von äußerster Wichtigkeit schien, einen Zerfall der Literatur (so wie in Rußland) in eine Emigrantenliteratur und eine Staatsliteratur durch eine politisch neutrale und repräsentative Zeitschrift zu verhindern – diese große Gelegenheit haben Sie zerstört, und dies war ein Fehler, denn an Kampfzeitschriften fehlt es nicht, wohl an dieser repräsentativen und bindenden Zeitschrift. Aber selbstverständlich habe ich doch nie im Traum daran gedacht, durch eine öffentliche Desavouierung mich gegen Sie und viele alte Freunde zu stellen; meine Erklärung in der Jewish Telegrafic Agency, die ich sofort abgab, und die Sie geruhig abdrucken dürfen (Sie erweisen mir und der Sache sogar einen Dienst damit) legt meinen Standpunkt doch völlig klar. Selbstverständlich wird mein »Erasmus« nicht mehr bei der Insel erscheinen, so daß auch öffentlich dargetan ist, wie wenig ich daran dachte, mir irgend eine persönliche Bevorzugung in Deutschland zu sichern.


Bestens Ihr Stefan Zweig


***


An Klaus Mann


11 Portland Place London,


den 23. November 1933


Lieber Klaus Mann.


Ich sandte Ihnen heute das folgende Telegramm nach Bern. Da Sie aber vermutlich dort nicht lange bleiben, so geht dieser Brief nach Amsterdam. In den Neuen Deutschen Blättern wird, soviel mir die Leute berichten, die Sache ja in allergrößter Weise breitgetreten, auch die Privatkorrespondenz benützt, ohne daß man vorher bei mir angefragt hätte. Sie verstehen, daß ich also das Bedürfnis habe, nicht noch einmal bei Ihnen dasselbe zu wiederholen oder wiederholen zu lassen, meine persönlichen Entscheidungen sind ja inzwischen längst weitergereift. Sie tun unrecht, meine Situation mit jener der anderen Schriftsteller, die Sie nannten zu vergleichen. Die sind mit ihrem Verlag, also ihrer geistigen Habe, weitergewandert, während ich die meine erst auslösen muß und dies gern in Stille und Frieden getan hätte (woran ich gewaltsam gehindert wurde). Meine Beziehung zur Insel ist eine besondere. Wir sind in diesen 28 Jahren gewissermaßen zusammen aufgewachsen und auch neben meinen Büchern steckt (ohne daß ich je materiell beteiligt gewesen wäre) ein Teil meiner geistigen Arbeit in dem Verlag. Ich verlasse ihn schwerer als mein eigenes Haus, denn es ist ein Teil meines gelebten Lebens und kaum davon abzulösen. Nun wird es dennoch geschehen.


Ich weiß natürlich, daß Sie Recht haben, wenn Sie sagen, daß die Scheidung zwischen Staatsliteratur und Emigrantenliteratur ohne jeden Übergang und ohne jede neutrale Mitte vielleicht unvermeidlich ist, weil die Regierung keine geistig Ungebundenen dulden will. Ich glaube aber, daß man nie den Willen der Regierung einfach hinnehmen soll. Ich halte und hielt es für wichtiger, daß man offenkundig mit Gewalt von einer freien und unabhängigen Stellung abgedrängt wird, statt freiwillig zu gehen. Der äußere Anblick ist natürlich, das gebe ich zu, von der Gegenwart aus gesehen nicht heroisch. Aber es handelt sich da um ein Dokumentarisches. Denn damit ist vor der Welt bezeugt, daß in Deutschland nicht nur die Aggressiven unterdrückt wurden, sondern daß auch jene, die mit Politik sich nie befaßten und deren Wesen die Aggression nicht lag, Unabhängigkeit nicht bewahren durften. Und wenn die Aufgabe auch undankbar ist, es kann einmal wichtig sein, dafür ein Beispiel


gewesen zu sein: vielleicht haben wir, die Vielgeschmähten da gegen ihren Willen gedient als Zeugen.


Mit den besten Grüßen


Ihr Stefan Zweig


***


An Klaus Mann


Salzburg, Kapuzinerberg 5


am 13. XII. 1933


Lieber Klaus Mann,


der Volksmund hat wieder einmal kräftig übertrieben, ich war in Zürich gerade zwischen zwei Zügen zu einer Besprechung und sah von Freunden nur Joseph Roth auf eine halbe Stunde, mein Leben ist eine Hetzjagd. Und wie notwendig wäre es mir seelisch gewesen, Ihren Herrn Vater zu sehen, wie gerne hätte ich mit Ihnen gesprochen!


Über Holland bin ich leider völlig incompetent, ich war in meinem ganzen Leben drei Tage dort! Und ich muß bis Mitte Januar meinen Erasmus fertig haben gerade weil ich ihn deutsch zunächst nicht erscheinen lassen will sondern die Exemplare für England und Frankreich erst brauche – das fordert vor allem meine arg durchgerüttelten Kräfte. Die Idee ist an sich ausgezeichnet, nur sollten Sie bei der geistigen Rivalität alle neutralen Länder berücksichtigen, ich habe seinerzeit im Kriege den großen Hymnus an das Schweizer Rote Kreuz publiciert, um dieser Dankespflicht Genüge zu tun. Mitte Februar hoffe ich mit den Correcturen fertig zu sein und wieder freie Hand zu haben, vordem fehlt mir jede Viertelstunde und nur deshalb halte ich mich jetzt von allem zurück. Aber dann fahre ich wieder fort und will meine Freiheit mir zunutze machen, mich drückt dieses Buch, das ich alles Philologischen und Literarischen entweidet habe um es weltanschaulich zu gestalten, schon seit Monaten wie ein Alp auf dem Herzen. Dann hören Sie bald von Ihrem


Stefan Zweig


***


An Klaus Mann


11, Portland Place, London, W.1.


10. Mai 1934


Lieber Klaus Mann,


Ich danke Ihnen, daß Sie so milde über meinen scheinbaren Wortbruch denken. Aber wenn Sie über mein plötzliches Erscheinen in der »Pariser Zeitung« überrascht waren, so muß ich Ihnen sagen, daß jemand anderer davon noch überraschter war: nämlich ich selbst. Die P.Z. hatte diesen Absatz aus dem »Erasmus« einfach aus dem »Pester Lloyd« herausgeschnitten und – ob mit Absicht oder ohne Absicht mit Unterlassung der Quellenangabe so publiziert, als ob ich ihr den Abschnitt übergeben hätte, während sie sich in Wahrheit nicht einmal die Mühe genommen hat, bei mir anzufragen. Sie sehen also, daß von meiner Seite keine Inkorrektheit Ihnen gegenüber vorlag, sondern die Inkorrektheit gegen mich begangen worden ist, der ich übrigens verlernt habe, mich über derlei Dinge aufzuregen. Ich habe in den letzten Monaten einiges mitgemacht, worüber ich nicht sprechen mag, aber Sie dürfen mir glauben, daß ich bei weitem nicht so gleichgültig bin oder betrachtet werde als ich erscheine. Ich weiß genau und weiß es seit langem, daß Kompromisse nicht möglich sind. Aber ich habe es für richtig gehalten, einen abwartenden Standpunkt einzunehmen. Vielleicht ist es besser wenn sachlich einmal dargetan ist, daß selbst die von Natur zu Koncilianz und zur Bindung geneigten Charaktere ihrer inneren Natur und Neigung Absage leisten und nicht aus eigenem Willen, sondern zwanghafterweise Stellung beziehen mußten.


Mein Buch über »Erasmus« habe ich in Deutschland nicht mehr erscheinen lassen. Es kommt in Wien zunächst in einer kleinen Auflage bei Herbert Reichner heraus, damit niemand behaupten könne, ich habe es in deutscher Sprache versteckt, während es in fremden Ausgaben erscheint. Es ist eigentlich ein recht privates Buch und keineswegs für den Erfolg bestimmt. Ich habe mir nur selber geholfen, indem ich den heiligen Erasmus als Nothelfer anrief.


Über das »Maria Stuart«-Buch habe ich noch keine Entscheidung getroffen, aus dem abergläubigen Gefühl heraus nie über ein Buch zu verfügen, solange es nicht fertig ist. Ich muß mir die Möglichkeit vorbehalten, es wegzuwerfen oder in die Lade zu legen, für den Fall, daß es mir selber nicht gefällt. Aber in einem viertel Jahr dürfte es fertig sein, und dann tritt ja die große Entscheidung an mich heran, nicht nur, was mit diesem, sondern was mit allen meinen Büchern geschieht. Es ist dies eine Lebensentscheidung, und Sie werden verstehen, daß sie mir nicht leicht fällt. Alles, was man im Leben nur einmal tun kann und den furchtbaren Gedanken: ›unwiderruflich‹ in sich trägt, kann nicht aus leichter Hand getan werden. Ich habe diesen ganzen Komplex zunächst von mir gewissermaßen abgespalten, um nichts zu tun als meine Arbeit. Ist sie getan, so kommt die eigentliche Entscheidung.


Lieber Klaus Mann, ein Versprechen, das ich einmal gegeben habe, brauche ich nicht zu erneuern. Es ist für mich eine Ehrensache, Wort zu halten, und ich sage Ihnen nur nochmals, daß der erste Beitrag dann Ihnen gehört.


Ihr herzlich ergebener


Stefan Zweig


***


An Klaus Mann


11 Portland Place London


den 20. Juni 1934


Lieber Klaus Mann!


Schade, daß Sie nicht herüberkamen, ich hatte Sie schon sehr erwartet. Die Sache Rimbaud ist aussichtsreich und wieder nicht aussichtsreich. In den letzten zwei Jahren ist nämlich ungemein interessantes Material herausgekommen, vor allem die ganzen monströsen Prozeßakten in Brüssel mit phantastischen homosexuellen und auch pornographischen Details – sie wurden vor etwa zwei, drei Jahren in einer belgischen Revue veröffentlicht – dann gewisse Memoiren und Biographien Verlaines, die viel Licht auf Einzelheiten werfen. Man weiß also viel mehr und kann, besonders wenn man kühn ist und dem Physiologischen entschlossen auf den Grund geht, das persönliche Bild ganz neu aufbaun. Mit den äußeren Chancen dagegen scheint es mir schlechter zu stehen. Frankreich hat in den letzten zehn Jahren eine Rimbaudliteratur, daß man Zimmer damit ausfüllen kann. In England ist er Homo ignotissimus, erstens, weil man überhaupt über französische Lyrik wenig weiß, zweitens, weil man gerne an ihm vorbeischweigt so wie an Oscar Wilde. Sie blieben also da wahrscheinlich auf den dünnegewordenen deutschen Kreis extra muros Germaniae beschränkt, und ich weiß nicht, ob dies die ungemeine Arbeit lohnt, die ein solches Werk doch verursacht.


Feuchtwanger werde ich gewiß persönlich schreiben, aber öffentlich möchte ich jetzt überhaupt nichts von mir in Zeitungen geben, weder in Deutschland noch im Ausland, sondern nur meine Bücher schreiben, so gut oder so schlecht ich es kann.


Alles Herzliche Ihres


Stefan Zweig


***


An Klaus Mann


Nizza, den 7. Februar 1936


Lieber Klaus Mann!


Herzlichen Dank für Ihren Brief und auf Wiedersehen also in London. Ach, wie widerlich war dieses Gezänke um den Fischer Verlag. Immer die gleiche Situation, nämlich daß wir im Grunde in all diesen Angelegenheiten völlig gleicher Meinung sind. Nur der Ton macht die Musik und ich hasse diese jüdische Prophetenfanatik, wenn sie sich ins Journalistische übersetzt. Nein, Freunde, nicht diese Töne! Wie immer hat Ihr Vater mit seinem fehllosen Takt, mit seiner beispiellosen und beispielgebenden Noblesse wieder einmal die Situation gerettet. Seine Antwort an Korrodi will mir ein denkwürdiger Beitrag zur Zeitgeschichte erscheinen. Aber ließen nun endlich schon einmal die Herren in Paris von der Anmaßung ab, immer Zensuren schreiben zu sollen, daß sich ein Thomas Mann heute brav und morgen schlimm, heute richtig und morgen unrichtig benommen hat, statt ihn einfach zu ehren und zu achten und ihm dankbar zu bleiben für sein Mit-uns-sein.


Lassen Sie sich auch nicht über Jules Romains durch irgendwelche Alarmmeldungen von jener Seite täuschen, er ist nach Deutschland gegangen, so wie er nach Italien, Rußland und Argentinien geht. Aber er ist nicht der Mann, sich einfangen zu lassen und Sie haben doch wohl seinen Aufsatz gegen alle Faschismen in »Vendredi« gelesen, der an Klarheit und Entschiedenheit nichts zu wünschen übrig läßt.


Schickele erwidert sehr herzlich Ihre Grüße und ebenso Ihr


Stefan Zweig


Die Angelegenheit jenes deutschen »Candide« oder »Marianne« ist noch immer sehr in Discussion, ich glaube, wir sind um ein großes Stück weiter. Mehr als je brauchen wir ein gelesenes, ein ganz billiges Wochenblatt, das wie die französischen, wirklich die ganze Nation erreicht. Ich hatte viele Besprechungen und wir haben, wie gesagt, schon erhöhtere Chancen als vor einem halben Jahr.


***


An Klaus Mann


(undatiert; vermutlich Juli 1939)


Lieber Klaus Mann,


ich muß Ihnen doch so rasch als möglich sagen, welche außerordentliche Freude mir Ihr Roman bereitet hat; ich spürte so lange schon in Ihnen die wachsende Entschlossenheit, das männliche Sicherwerden, ich habe, Sie wissen es vielleicht, immer auf Sie »gesetzt«, aber dieses Buch übertrifft doch weit diese anspruchsvollen Erwartungen durch seine Fülle und geistige Überschau, seine strenge und bis ans Unerbittlich-Verzweifelte getriebene Gerechtigkeit. Ich denke jetzt nicht an einzelne Scenen (herrliche sind darunter, absolut unvergeßbare) sondern an die Verteilung von Farbe, Licht und Schatten in dem ausgespannten Rahmen und die Vehemenz der Pinselführung; mir war es so wichtig, daß Sie dieses Problem nicht flächig darstellten, Geschehnis neben Geschehnis mit Menschen, die als Statisten auftreten und sich wie Marionetten hölzern bis zum Schluß in ihren Scharnieren bewegen, sondern daß die Wandlung, die Verwandlung der Charactere durch die Emigration das eigentliche Thema wird, also durchaus das innere Schicksal als Reflex und Folgeerscheinung der organisch-atmosphärischen Veränderung.


Einwände habe ich keine, gewünscht hätte ich vielleicht noch etwas mehr Armut und Geldverzweiflung, wie ich sie oft, allzuoft sehe, den Untergang bloß aus dem nackten Faktum von fehlenden paar Mark – etwas mehr Kläglichkeit, Dreck, Düsterkeit also. Und dann hat natürlich der November 1938 noch manches übertroffen: Hitler schreibt Weltgeschichte mit teuflischerer Brutalität als wir sie zu erdichten vermögen. Er wird Ihnen, wenn nicht gepanzerte Engel niedersteigen, andere als Ihr Engel der Heimatlosen, noch einen zweiten Band schreiben.


Lieber Klaus Mann, ich habe noch ein persönliches Gefühl bei diesem Buch – als ob Sie sich dabei und dadurch selbst immunisiert und gerettet hätten. Lese ich richtig, so haben Sie es gegen ein früheres Selbst, gegen innere Unsicherheiten, Verzweiflungen, Gefährdungen geschrieben: so erklärt sich mir seine Gewalt. Es ist eben kein beobachtetes Buch (wie z.B. Feuchtwangers Fresco zu werden scheint) sondern ein erlittenes. Man spürt das.


Wo immer diese Zeilen Sie erreichen mögen, sollen sie Ihnen meinen Glückwunsch sagen. Ich habe mich herzlich an Ihnen gefreut und danke Ihnen, daß Sie mein jahrealtes Vertrauen in Sie so erfüllt und übertroffen haben. Von Herzen Ihr


Stefan Zweig


Eine Beckmesserei, aber nur als Zeichen, wie genau ich Ihr Buch las. Auf Majorca läßt Bernheim den Greco und Renoir zurück. Wieso hat er ihn wieder in Wien in seiner Villa? Ist das nicht eine Flüchtigkeit, die in der nächsten Auflage zu tilgen wäre.


***

vorheriges Kapitel

An Hans Carossa

nachfolgendes Kapitel

An Joseph Roth

lernzettel.org

Die hier vorzufindene Sammlung der gemeinfreien Werke Stefan Zweigs ist aus der Ausgabe des Null Papier Verlages übernommen. Zu dieser Ausgabe gelangen Sie durch einen Klick auf diesen Eintrag.