An Thomas Mann


The Wyndham Hotel, New York


17. Juli 1940


Verehrter Herr Professor, dies nur ein Gruß, der keine Antwort benötigt. Ich wollte Ihnen bloß sagen, wie sehr ich es bedaure, Sie versäumen zu müssen, aber meine Tage sind hier amtlich gezählt, und es war schon harte Arbeit, von England das Exit, von America das Transit für Vorträge in Südamerica zu bekommen. Aber ich habe in England doch zu sehr unter dem Gefühl der Macht- und Nutzlosigkeit gelitten. Nahe Freunde wie Robert Neumann wurden interniert, Verwandte mußten unser Haus verlassen, die Fifth-Column-Hysterie, erst gefördert von oben nur, dann in den breiten Massen zu einem wilden Mythos anschwellend, macht jemandem, der einen deutschen Namen hat, das Leben unbehaglich. Hoffentlich kann ich nach England rebus bene gestis zurückkehren und muß nicht die Schar der Umgeschüttelten und Heimatlosen und somit die Last für die anderen vermehren.


Ich tue dies alles, was in meinen kleinen Kräften steht, um Freunde (und auch meine frühere Frau) aus Frankreich zu retten, aber auch in gods country mahlen Gottes Mühlen grauenhaft langsam, und ich weiß, wie drüben die Menschen von Stunde zu Stunde, von Minute zu Minute warten, oft an unserem Eifer, unserer Hingabe im geheimen zweifelnd – wichtig wäre, daß jenes erlösende Telegramm von Washington mit den Visas für die wirklich Gefährdeten endlich abgeht. Ich weiß, Sie haben einen Sohn, einen Bruder dort und verstehen so vom eigenen Blut her unsere Sorge.


Der arme Otto Pick gründete knapp vor seinem Tod noch eine deutsche Zeitschrift in London. Ich weiß nicht, ob Sie meinen Aufsatz über Ihre herrliche »Lotte« noch erhielten, der dort erschien – ich konnte Ihnen selbst kein Exemplar schicken, weil ich deutschen Text nicht mehr versendete. So blieb auch das ganze fast vollendete Manuscript meiner großen Balzacbiographie, einer seit Jahren begonnenen Arbeit zurück, aber ist es nicht wichtiger sich die Arbeit zu retten, die man noch tun kann, statt die halb oder ganz getane?


In herzlicher Verehrung


Ihr Stefan Zweig


Alles Gute den Ihren!


***


An Thomas Mann


The Wyndham Hotel, New York


29. Juli 1940


Sehr verehrter lieber Herr Doktor, Ihr gütiger Brief erreichte mich noch hier, denn ich habe – aus der Sentimentalität Europa näherzubleiben – die Südreise noch um 10 Tage verschoben. Wie viel hätte ich Ihnen von England zu erzählen gehabt! Ich hatte in meiner amphibischen Situation mich vom ersten Kriegstage zurückgezogen, jedem Gespräche ausweichend, in eine absolut trappistische Clausur, aber mit Sorge beobachtete ich vom ersten Tage, wie die Engländer – von historischen Analogien verführt – den Krieg im Tempo und mit der Gelassenheit des Friedens führten, einzig darauf bedacht, das easy going des privaten Lebens möglichst wenig zu stören. Sie träumten von diesem Kriege als einer Blockade, setzten nicht rechtzeitig weder Menschen noch die letzte Energie ein – jetzt an die Wand gedrückt, entfalten sie erstaunliche Kräfte, aber was vermögen Nerven wider Tanks? Das werden die nächsten Wochen erweisen.


Schmerzlich ist mir, für America die gleiche selbstbewußt-passive Haltung zu sehen, dieselbe verhängnisvolle Politik, mit Worten und Tadel die Angreifer zu verärgern und sie gleichzeitig durch eine übertrieben-gerechte Neutralität erstarken zu lassen. Mit der englischen Flotte opfert America seine erste Verteidigungslinie auf, so wie England seinerzeit mit Österreich und den Czechen seinen sichersten Wall. Auch hier kein einheitlicher Plan für die nächsten Jahre; auch hier keine auf den kommenden wirtschaftlichen Conflict schon im voraus eingestellte Ökonomie, auch hier nur Abwartewehr. Inzwischen nähern sich schon Hitlereuropa und Japan, die Schneiden der Zange werden im stillen geschliffen, daß ein Angriff gegen die letzte Democratie in den Generalstäben bereits ausgearbeitet wird, ist für mich Axiom. Wir sind leider noch nicht am Ende. Aber so wie wir Emigranten in England die Gefahr deutlicher erkannten als die Engländer, so sehen wir Europäer die Notstunde Americas in seiner heutigen Prosperität bereits voraus, ungelöst dort wie hier.


Daß ein Mann wie Sie, der wie keiner Solidarität mit der Emigration bekundet, von Einzelnen angefeindet wird, überrascht mich und andererseits doch wieder nicht. Emigration bedingt eine Verschiebung des Gleichgewichts, sie ist eine Gleichgewichtsstörung, weil der einzelne plötzlich nicht mehr dasselbe Gewicht im Sinne der Geltung hat wie vordem; das führt dann epidemisch zu seelischen Verstörungen. Mir ist es nicht viel besser ergangen als Ihnen – der unselige Zarek schrieb mir plötzlich, ich »verhinderte«, daß die andern deutschen Schriftsteller, vor allem er, in englischer Sprache erschienen, und ähnliches pathologisches Zeug; nun, ich nehme es bedauernd als Verstörung, allerdings im Falle Ludwig die mildernden Gründe abziehend, denn wenn einer, so ist er durch internationale Geltung und Schweizer Paß seit Jahren all den Sorgen entgangen, die für uns verheerend, zerstörend, weil deconcentrierend waren.


Sie sind so gütig, mich nach meinem Wohin zu fragen. Ich weiß es nicht. Ich bin eigentlich entschlossen, nach England zurückzukehren, außer im Falle, daß Mosley dort Dictator wird. Ich habe einfach nicht mehr die Kraft, bei Consulaten, Ämtern um Erlaubnisse, Verlängerungen einzukommen. Ist es in England halbwegs möglich trotz deutscher Sprachzugehörigkeit und jüdischer Belastung zu leben in der Weise, wie ich immer lebte – nicht öffentlich, unsichtbar – so werde ich es tun. Kommt Mosley oder sonst eine Form des Fascismus, dann ist Amerika gleichfalls kein Hort für lange Dauer mehr. Ich suche zunächst, den ganzen Complex des »Wohin« möglichst abzublenden und lasse mich treiben. Einmal muß entweder der Sturm enden, oder man endet selbst. Inzwischen versuche ich zu arbeiten und in einer Art Selbstdarstellung die Zeiten zu schildern, durch die ich gegangen – wir sind schließlich Zeugen einer der größten Weltverwandlungen, und solange ich nicht dichterisch zeugen kann (im Sinne der Schöpfung), will ich wenigstens Zeugenschaft leisten im Dienst des Documentarischen. Mein Aufsatz – ich glaube der hymnischste, den ich je geschrieben – über »Lotte in Weimar« liegt in London, ich hatte nur ein gedrucktes Exemplar und wagte Deutsches nicht durch die Censur zu nehmen. Aber später – hoffen wir auf dies Später! – kann ich Ihnen dies kleine Zeichen großer Verehrung gerne übermitteln.


Ihr getreuer Stefan Zweig


Grüßen Sie, bitte, die Ihren!

vorheriges Kapitel

An Richard Beer-Hofmann

nachfolgendes Kapitel

Frühe Lyrik

lernzettel.org

Die hier vorzufindene Sammlung der gemeinfreien Werke Stefan Zweigs ist aus der Ausgabe des Null Papier Verlages übernommen. Zu dieser Ausgabe gelangen Sie durch einen Klick auf diesen Eintrag.