Diotima
Die Schwächsten reißt das Schicksal
doch hinaus.
Frau von Staël schreibt in ihr Tagebuch: »Francfort est une très jolie ville; on y dîne parfaitement bien, tout le monde parle le Français et s’appelle Gontard.« Bei einer dieser Familien Gontard ist der gescheiterte Dichter als Magister, als Hauslehrer zum achtjährigen Knaben engagiert: hier wie in Waltershausen erscheinen seinem schwärmerischen, leicht entzündbaren Geist vorerst alle als »sehr gute und nach Verhältnis seltene Menschen«, er fühlt sich wohl, soviel auch von der ursprünglichen Triebkraft schon in ihm zerstört ist. »Ich bin ohnedies wie ein alter Blumenstock«, schreibt er elegisch an Neuffer, »der schon einmal mit Grund und Scherben auf die Straße gestürzt ist und seine Sprößlinge verloren und seine Wurzeln verletzt hat und nur mit Mühe in frischen Boden gesetzt und kaum durch ausgesuchte Pflege vom Verdorren gerettet.« Und er weiß selbst genau um diese »Zerstörbarkeit« – sein tiefstes Wesen kann nur in idealischer, in poetischer Luft atmen, in einem imaginären Griechenland. Nicht die eine oder die andere Wirklichkeit, nicht das eine oder das andere Haus, weder Waltershausen noch Frankfurt noch Hauptwyl waren sonderlich hart gegen ihn: es genügt, daß sie Wirklichkeitssphäre waren, um für ihn zur tragischen zu werden. »The world is too brutal for me«, sagt einmal sein Bruder Keats. Diese zarten Seelen vertrugen eben keine andere als eine dichterische Existenz.
So drängt sich das poetische Gefühl unweigerlich gegen die einzige Gestalt in diesem Kreis, die er bei aller Nähe doch idealisch traumhaft als Botin jener »andern Welt« zu empfinden vermag, die Mutter jenes Knaben, Susanne Gontard, seine Diotima. Wirklich glänzt vom marmornen Bilde, wie eine Büste es uns überliefert, griechische Linienreinheit in diesem deutschen Antlitz, und so sieht sie Hölderlin von der ersten Stunde. »Eine Griechin, nicht wahr«, flüstert er Hegel begeistert zu, als jener sie in ihrem Hause erblickt: sie stammt für ihn aus seiner eigenen, unirdischen Welt und ist, wie er, fremd und in schmerzlicher Heimsehnsucht unter die harten Menschen geraten,
Du schweigst und duldest, denn sie verstehn Dich nicht,
Du edles Leben! siehest zur Erd und schweigst
Am schönen Tag, denn ach! umsonst nur
Suchst Du die Deinen im Sonnlichte…
Die zärtlichgroßen Seelen, die nimmer sind.
Eine Botin, eine Schwester, eine aus seiner Welt Verirrte, so sieht Hölderlin, der heilige Schwärmer, seines Brotherrn Frau: kein sinnlicher Gedanke des Besitzes mengt sich diesem Verwandtschaftsgefühl. In seltsamem Parallelismus zu Goethes Versen an Charlotte von Stein:
Ach, Du warst in abgelebten Zeiten
Meine Schwester oder meine Frau,
grüßt er Diotima als Langgeahnte, als Schwester einer magischen Präexistenz:
Diotima! Edles Leben,
Schwester, heilig mir verwandt!
Eh ich Dir die Hand gegeben,
Hab ich ferne Dich gekannt.
Hier sieht sein trunkener Überschwang zum erstenmal in der zerstückten, verdorbenen Welt den gebundenen Menschen, das »Eins und alles« – »Lieblichkeit und Hoheit und Ruh und Leben und Geist und Gemüt und Gestalt ist Ein seliges Eins in diesem Wesen«, und zum erstenmal orgelt aus einem Briefe Hölderlins das Wort Glück mit unendlicher Seelengewalt empor. »Noch bin ich immer glücklich wie im ersten Moment. Es ist eine ewige fröhliche heilige Freundschaft mit einem Wesen, das sich recht in dies arme, geist- und ordnungslose Jahrhundert verirrt hat. Mein Schönheitssinn ist nun vor Störung sicher. Er orientiert sich ewig an diesem Madonnenkopfe. Mein Verstand geht in die Schule bei ihr, und mein uneinig Gemüt besänftigt, erheitert sich täglich in ihrem genügsamen Frieden.«
Das nun ist die ungeheure Gewalt, die Hölderlin an dieser Frau erfährt: Beruhigung. Ein Hölderlin, der Urekstatiker, braucht nicht Glut an einer Frau zu lernen – Glück für diesen ewig Feurigen ist Entspannung, die unendliche Wohltat des Ruhendürfens. Und das ist Diotimas Gnade an ihn: Mäßigung. Sie vermag, was Schiller, was der Mutter, was niemandem gelang, den »geheimnisvollen Geist der Unrast« durch Melodie zu zähmen. Man ahnt ihre sorglich gebreitete Hand, ihre mütterlich sorgende Zärtlichkeit aus den Zeiten des Hyperion, »wenn sie immer mit Rat und freundlichen Ermahnungen versucht, ein ordentlich und fröhlich Wesen aus mir zu machen, wenn sie die düsteren Locken und das alternde Gewand und die zernagten Nägel mir verwies«. Wie ein ungeduldiges Kind behütet sie ihn zärtlich, der ihre Kinder behüten soll, und diese Ruhe um ihn, diese Ruhe in ihm ist Hölderlins Seligkeit. »Du weißt ja, wie ich war«, schreibt er dem vertrauten Freunde, »weißt ja, wie ich ohne Glauben lebte, wie ich so karg geworden war mit meinem Herzen, und darum so elend; könnt ich werden, wie ich jetzt bin, froh wie ein Adler, wenn mir nicht dies, dies Eine erschienen wäre?« Reiner, geweihter erscheint ihm die Welt, seit sich seine ungeheure Einsamkeit in eine Harmonie gelöst hat.
Ist nicht heilig mein Herz, schöneren Lebens voll,
Seit ich liebe?
Für einen Lebensaugenblick weicht die Wolke der Schwermut von Hölderlins Stirn:
Und ausgeglichen
Ist eine Weile das Schicksal.
Ein einziges Mal, dieses einzige Mal erreicht sein Leben für eine flüchtige Spanne die Form seines Gedichtes: die selige Schwebe.
Aber der Dämon in ihm bleibt wach, die »fürchterliche Unrast«.
Seines Friedens
Blume, die zärtliche, blüht nicht lange.
Hölderlin ist aus dem Geschlecht derer, denen es nicht gestattet ist, an einer Stätte zu ruhn. Auch die Liebe »sänftigt ihn nur, um ihn wieder wilder zu machen«, wie Diotima von seinem Spiegelbruder Hyperion sagt, und er selbst, der Ahnendste aller, unwissend, aber vom Geist des Vorwissens magisch berührt, weiß wohl um das Unheil, das ihm von innen entwächst. Er weiß, sie dürfen nicht weilen, »zufriedengestellt wie die liebenden Schwäne« – und seines schwarz aufwölkenden, heimlichen Unmuts Geständnis ist offenkundig in seiner »Abbitte«:
Heilig Wesen! gestört hab ich die goldene
Götterruhe Dir oft, und der geheimeren,
Tiefern Schmerzen des Lebens
Hast Du manche gelernt von mir.
Das »wunderbare Sehnen dem Abgrund zu«, jenes geheimnisvolle Ziehen, das die eigene Tiefe sucht, hebt unmerklich an, und allmählich gerät er in ein leises Fieber noch unbewußter Unzufriedenheit. Immer rascher verdüstert sich die tägliche Umwelt vor seinem beleidigten Blick, und wie ein Blitz aus dem gestauten Gewölk fährt aus einem Brief das Wort auf: »Ich bin zerrissen von Liebe und Haß«. Seine Empfindlichkeit spürt aufgereizt den banalen Reichtum des Hauses, der auf die Menschen seiner Umgebung wirkt »wie bei den Bauern neuer Wein«, sein feindseliges Gefühl imaginiert sich Beleidigungen, bis es endlich (wie immer nachher) zu einem gefährlichen Ausbruch kommt. Was geschehen ist an jenem Tage: ob der Gatte, der ungern den schöngeistigen Umgang seiner Gattin geduldet, bloß eifersüchtig oder auch brutal geworden, bleibt Geheimnis. Offenbar ist nur, daß Hölderlins Seele gewaltsam verletzt, ja zerfetzt blieb von jener Stunde: wie vorbrechendes Blut stürzen die Strophen ihm zwischen verbissenen Zähnen heraus:
Wenn ich sterbe mit Schmach, wenn an dem Frechen nicht
Meine Seele sich rächt, wenn ich hinunter bin,
Von des Genius Feinden
Überwunden, ins feige Grab,
Dann vergiß mich, o dann rette vom Untergang
Meinen Namen auch Du, gütiges Herz! nicht mehr.
Aber er wehrt sich nicht, er rafft sich nicht mannhaft auf: wie ein ertappter Dieb läßt er sich aus dem Hause jagen, um dann nur noch an heimlich vereinbarten Tagen von Homburg aus wieder der treugebliebenen Geliebten zu nahen. Knabenhaft schwach, weibisch fast ist Hölderlins Haltung in dieser Entscheidungsstunde – er schreibt der Entrissenen schwärmerische Briefe, er dichtet sie zu Hyperions herrlicher Braut empor und schmückt sie auf beschriebenen Blättern mit allen Hyperbeln der Leidenschaft, aber er unterläßt jeden Versuch, die Lebendige, die Nahe, die Geliebte gewaltsam zu gewinnen. Nicht wie Schelling, wie Schlegel reißt er, gleichgültig gegen Geschwätz und Gefahr, die geliebte Frau aus verhaßtem Ehebund feurig hinüber in sein Leben: nie trotzt der ewig Unwehrhafte dem Schicksal, immer beugt, immer neigt er sich demütig der Übermacht, immer erklärt er sich von vornherein vom stärkeren Leben besiegt – »the world is too brutal for me«. Und man müßte diese Wehrlosigkeit feige nennen und schwächlich, wäre hinter dieser Demut nicht großer Stolz und eine stille Gewalt. Denn dieser Zerstörbarste aller fühlt tief in sich ein Unzerstörbares, eine Sphäre, die unberührbar, unbeschmutzbar bleibt von allem brutalen Zugriff der Welt. »Freiheit, wer das Wort versteht – es ist ein tiefes Wort. Ich bin so innig angefochten, bin so unerhört gekränkt, bin ohne Hoffnung, ohne Ziel, bin gänzlich ehrlos, und doch ist eine Macht in mir, ein Unbezwingliches, das mein Gebein mit süßen Schauern durchdringt, sooft es rege wird in mir.« Nur in diesem Wort, in diesem Wert ist Hölderlins Geheimnis: hinter der schwächlichen, zerbrechlichen, neurasthenischen Unkraft seines Leibes waltet eine höchste Sicherheit der Seele, die Unverletzlichkeit eines Gottes. Darum hat alles Irdische im letzten Sinne keine Macht über den Machtlosen, darum gehen alle Erlebnisse nur wie Wolken in Frühlicht oder Dämmerung über den untrübbaren Spiegel seiner Seele hin. Was immer Hölderlin begegnet, vermag ihn nicht ganz zu durchdringen, auch Susanne Gontard kommt nur traumhaft als griechische Madonna an seine Sinne und schwindet wieder hin wie ein Traum, dem er wehmütig nachsinnt. Besitz und Verlust rührt nicht an sein innerstes Leben, daher die Unverwundbarkeit des Genius bei äußerster Empfindlichkeit des Menschen. Dem, der alles zu verlieren vermag, wird alles Gewinn, und das Leiden läutert sich seiner Seele zu schöpferischer Macht, »je unergründlicher ein Mensch leidet, um so unergründlicher mächtig ist er«. Gerade da ihm »die ganze Seele beleidigt worden«, entfaltet der Gedemütigte seine höchste Kraft, den »Dichtermut«:
Sind denn Dir nicht verwandt alle Lebendigen,
Nährt die Parze denn nicht selber im Dienste Dich?
Drum, so wandle nur wehrlos
Fort durchs Leben, und fürchte nichts!
Was geschiehet, es sei alles gesegnet Dir.
Was von den Menschen kommt an Not und Unbill, vermag nichts wider den Menschen in Hölderlin. Was aber von den Göttern ihm an Schicksal gesendet wird, nimmt sein Genius groß in sein klingendes Herz.
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Die hier vorzufindene Sammlung der gemeinfreien Werke Stefan Zweigs ist aus der Ausgabe des Null Papier Verlages übernommen. Zu dieser Ausgabe gelangen Sie durch einen Klick auf diesen Eintrag.