Das singende Blut


Im flutenden Dunkel, halb erwacht
Und halb mit träumenden Sinnen,
Hör ich mein Blut durch die Mitternacht
Mit kristallenem Singen rinnen:


»Was bist du? Ein verdorrter Schaft,
Den ich mit Geist durchglute.
Mich zeugt der Erde tiefste Kraft,
Das Dunkel, dem ich mich entrafft,
Zu dem ich heimwärts flute.


Ein Lebenswille reißt mich los.
Durch schwindende Gestalten
Ström ich zurück zum Mutterschoß.
Mein Weg ist lang. Dich streift er bloß
Du kannst mich nicht behalten.


Der Becher, der dein Leben hält,
Ist ganz dem Dunkel zu eigen,
Mit jedem Atem, der zittert und wellt,
Löst sich ein Tropfen, splittert und fällt
Zurück in das ewige Schweigen.«


Das Blut erklingt, und die Stimme singt
Mich ein in purpurnen Traum,
Und die schwarze Welle des Schlafes trinkt
Sie auf in Dunkel und Raum.

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Die hier vorzufindene Sammlung der gemeinfreien Werke Stefan Zweigs ist aus der Ausgabe des Null Papier Verlages übernommen. Zu dieser Ausgabe gelangen Sie durch einen Klick auf diesen Eintrag.