III. Das Gerücht


»Weil ihr solche Rede treibet, siehe, so will ich meine Worte in deinem Munde zu Feuer machen und dieses Volk zu Holz und sollen sie verbrennen.«


Jer. IV, 14.


Der gleiche Platz vor dem Tempel und dem Königspalast. Auf den Stufen sitzen und lagern lässige Bündel von Männern und Frauen. In den Straßen und in der Halle das gewohnt beständige Auf- und Niedergehen von Menschen in Geschäften und Gespräch.


EINER (in der großen Gruppe auf den Stufen): Und ich sage es euch, es ist gewiß: eine gewaltige Schlacht hat angehoben zwischen Nabukadnezar und Pharao.


EIN ANDERER:


Ja… auch ich habe es gehört… ein Bote ist gekommen…


EINE STIMME:


Unablässig kommen Boten in den Palast… das hat nichts zu bedeuten.


DER ZWEITE:


Aber ich habe ihn gesprochen, ich weiß es gewiß.


DIE STIMME:


Den Boten hast du gesprochen?


DER ZWEITE:


Nein… Aphitor, den Schreiber des Königs… auch er sagte, eine Schlacht habe begonnen… eine große Schlacht…


DER ERSTE:


Eine gewaltige Schlacht, wie nie eine war seit Menschengedenken, Ägypten gegen Nabukadnezar…


STIMMEN:


Möge der Himmel ihn zermalmen, den Verfluchten… Ägypten ist mächtig… auch von den Unsern sind Streiter zur Stelle… sie werden ihn strafen, den Hochmütigen…


EINER:


Er wird ihn zerbrechen, denn Gott ist mit uns.


EIN ANDERER:


Stark ist Ägypten, er wird ihm nicht obkommen.


EIN ANDERER:


Auch Nabukadnezar ist stark. Sie sagen…


EIN ANDERER:


Laß sie sagen, die Schwachmütigen! Laß sie sagen!


DER ERSTE:


Sie sagen, wie ein Heuschreckenschwarm seien seine Krieger!


EINER:


Krieger! Es sind keine Krieger! Klein sind sie von Wuchs wie die Knaben und unkund des Schwerts. Mein Schwestermann hat ihrer viel gesehen, in den Weiberhäusern sind sie Männer und nicht auf dem Feld.


EIN ANDERER:


Bei den Knaben liegen sie des Nachts und machen sie zu Weibern.


(EINIGE lachen.)


EINER:


Pharao wird sie vernichten.


STIMMEN:


Wie Spreu wird er sie fegen von der Tenne… lang lebe Pharao, unser Freund… es lebe Pharao, der Besieger… lang lebe Pharao… er kann nicht an wider ihn… es lebe Pharao…


ANDERE (von den Rufen hergelockt, die Gruppe vergrößernd):


Was sagt ihr vom Pharao… was ists mit Pharao Necho…


EINER:


Eine große Schlacht schlägt er wider Nabukadnezar…


STIMMEN:


Er wird sie besiegen… wie die Hunde mit geklemmten Schwänzen werden sie vor ihm laufen… ja, ich habe es gehört, ein gewaltig Ringen hat angehoben… er wird sie besiegen… er wird uns befreien… es lebe Pharao… ewigen Ruhm über Pharao… eine Tafel des Gedenkens möge man ihm graben aus Gold… es lebe Pharao, der Besieger Assurs.


NEUE NEUGIERIGE (herbeieilend):


Was ists… was ist geschehen…


EINER DER JÜNGSTGEKOMMENEN:


Pharao hat Nabukadnezar besiegt.


STIMMEN:


Heil Pharao Necho… ist es wahr… ich muß heim, meinem Weibe es künden… heil Pharao Necho…


EINER:


Aber noch ists nicht gewiß!


ANDERE:


Wieso ist es nicht gewiß… willst du zweifeln… wie kann Baal wider unsern Gott… Gott ist mit uns…


EINER:


Ich habe es immer gewußt, Gott wird mit unsern Waffen sein. Wo er streitet, ist Sieg… Keiner kann wider uns… keiner…


EIN ANDERER (wegeilend, andern entgegenrufend):


Wir haben gesiegt… Pharao hat Nabukadnezar geschlagen…


(DIE MÜSSIGEN des Platzes auf diesen Ruf zur Gruppe hineilend.)


STIMMEN:


Sie erzählen von Sieg… ist es wahr, daß Pharao Nabukadnezar geschlagen…


STIMMEN:


Ja, es ist wahr… noch nichts ist gewiß… ja, es ist gewiß… wer sagt es… alle sagen sie es… er hat es gehört… der Schreiber des Königs hat es gesagt… der König hat es gesagt… er hat es selbst gehört vom Könige… Pharao möge leben… es lebe unser Freund… ein Ende der Knechtschaft… es lebe Zedekia, der Erlöser des Tempels…


EINER:


Habe ich es nicht gesagt, eine Schmach war es, daß wir Tribut zahlten diesen Übermütigen!


STIMMEN:


Eine Schmach… nun sollen sie uns bezahlen… das Haus Jahves muß erneut werden… ein neues müssen wir ihm bauen… ja, ein neues… sie müssen es bezahlen zur Sühne… Salomos Palast muß erstehen… Salomos Haus…


EIN MANN:


Was ists? Was ist geschehen?


STIMMEN:


Wir haben gesiegt… Pharao hat Nabukadnezar geschlagen… Sieg… Sieg… wir haben gesiegt…


DER MANN:


Sieg, endlich Sieg, heil Pharao… ich muß es verkünden daheim… sie harren der Kunde… (wegeilend) Sieg… Sieg über Assur.


DIE MENGE (strömt jetzt rauschend zu, sich immer mehr begeisternd die Rufe werden lauter und lauter):


Gottes Gebot war es, daß wir diesen Krieg begannen… heil Zedekia… nun müssen wir sie alle besiegen… Israel muß über allen Völkern sein… ein Brandopfer auf dem Altar… danket dem Herrn, daß er unsere Feinde geworfen… ja… ja… danket dem Herrn, Halleluja… Sieg über Assur… zum Tempel… zum Könige… daß wir mehr doch wüßten, mein Herz verzehrt sich in Ungeduld… von Gott war diese Erleuchtung über Zedekia… Hananja hat es geweissagt… Ja, Hananja… Hananja… sein war der Ruf… nun müssen wir wider Babel… ja, zerbrechen wir seine Mauern… die goldenen Geräte muß man holen… Sklaven müssen sie werden, unsere Sklaven… mein Herz hat gedürstet nach dieser Stunde…


EINER:


Ein Bote kommt vom Tore…


ALLE (wild in die Richtung stürzend):


Ein Bote… ein Bote… wer hat es gesagt… vom Blachfeld kommt er… was ist es… was bringt er… er wird uns berichten… wo ist er… wo…


(EIN BOTE, schweißbedeckt, keuchend vom Lauf, ringt sich durch die Menge.)


STIMMEN:


Erzähle… er hat gesiegt… was ists mit Nabukadnezar… wieviel sind der Toten…


DER BOTE:


Los… laßt mich los… Raum… an den König geht meine Botschaft…


STIMMEN:


Sei nicht so grob… ein Wort nur… ein Wort… ist er geflohen… erzähle… laßt ihn frei… er muß zum Könige… ein Wort nur…


DER BOTE (sich ihnen entwindend):


Laßt mich frei!… laßt mich frei… ihr werdets bald erfahren… zum König… ich muß zum König… meine Botschaft ist eilig…


STIMMEN:


Was hat er gesagt… was ists… Die Botschaft sei eilig… was hat er gesagt…


EINER:


Er sagte, wir würden es bald erfahren, er eilte zum König.


EIN ANDERER:


Das ist gut.


EIN DRITTER:


Warum gut?


DER ZWEITE:


Hätte er nicht gute Botschaft, würde er so hastig sein?


STIMMEN:


Ja… das ist wahr… ja… ja… mit einem silbernen Schäkel zahlt ihm der König jedes Wort… ja… er eilt um den Botenlohn… er verkündet den Sieg… Sieg… Sieg… gute Nachricht… Sieg…


STIMMEN (von rückwärts, die den Boten nicht sehen konnten):


Sieg… er verkündet den Sieg… Der Bote hat den Sieg verkündet… zerschmettert ist Assur… Sieg… Sieg…


EINIGE LEUTE (neu herbeiströmend):


Was ist… was ists… was jauchzet ihr…


STIMMEN:


Sieg… Sieg… ein Bote ist gekommen… er hat Botschaft vom Siege gebracht… Nabukadnezar ist geschlagen… ein Sieg ist errungen… ein gewaltiger Sieg… danket Gott… Halleluja… nun ist es gewiß… Sieg… Sieg…


EINER:


Ein gewaltiger Sieg muß es sein.


EIN ZWEITER:


Sonst hätte er nicht so verborgen getan.


EIN DRITTER:


Man spart uns die Kunde.


STIMMEN:


Ja… ein gewaltiger Sieg… bald werden wir es hören… Tausende müssen gefallen sein… vielleicht Nabukadnezar selbst… Tausende… Zehntausende müssen es sein… ich habe es immer gesagt… heil Zedekia… ein weiser König ist er… Salomo…


EINER (sich durchdrängend):


Ist es wahr… Nabukadnezar ist gefallen… sie sagen es in allen Gassen…


STIMMEN:


Ja… tot ist der Bedrücker… nein… es ist noch nicht gewiß… ja… er hat es gesagt… der Bote… inmitten seines Zeltes haben sie ihn geschlagen… Zehntausende mit ihm… lobpreiset Gott… ja… ja… lobpreiset Gott… danket dem Herrn… der Bedrücker ist gefallen… Halleluja…


EIN ÄLTERER MANN:


Aber er sagte doch nur, der Bote…


STIMMEN:


Sieg hat er gekündet, was zweifelst du noch… ausrotten soll man diese Kleinmütigen… ich hab es gehört… ich auch… ich auch… er sagte, daß sie Nabukadnezar schlugen… inmitten seines Zeltes, sagte er… nein, das hat er nicht gesagt… ja… nein… aber Sieg hat er gekündet… frei ist Israel… frei…


DER ÄLTERE MANN:


Aber ich stand doch neben ihm und hörte…


STIMMEN:


Taub ist dein Herz und deine Ohren, totschlagen soll man diese Würger der Freude… kommt, legt Festkleider an… fort mit dir, du Schwätzer…


(EINE NEUE GRUPPE strömt aus der Gasse.)


STIMMEN:


Sieg… Sieg, Nabukadnezar ist gefallen… habt ihr es auch gehört… durch die ganze Stadt… ein Bote ist gekommen und hat es berichtet… ja, hier… hier hat er es erzählt… längst wissen wir es schon… länger als ihr… uns hat er es zuerst berichtet… nein… uns… uns… wir wußten es als erste!…


EINER:


Hananja hat es verkündet als erster, der Seher, der Profet. Oh, wie weise waren wir, daß wir auf ihn hörten und nicht die Verzagten, die flennten und greinten, der Tempel werde stürzen…


EIN ANDERER:


Assur würde Zion besiegen…


EIN DRITTER:


Unsere Jungfrauen geschwächt werden von den Chaldäern.


DER ERSTE:


Zum Tempel! Zum Tempel! Wir müssen Gott danken und Hananja, seinem Profeten!


STIMMEN:


Ja… ja… nein, wir wollen warten… Freude und Ungeduld zehrt unser Herz… der König wird erscheinen… ja… ja… wer hat es gesagt… immer erscheinen die Könige nach dem Siege… er wird in den Tempel gehen… er zuerst muß Dankopfer spenden, nicht uns ziemt es… ja… ja… bleiben wir… aber Zimbeln und Pauken laßt uns rüsten zum Siege… wie David hinter der Lade wollen wir tanzen… oh, Gott ward wieder gütig Jerusalem… den Reigen rüstet… den Reigen… die Frauen holt alle… die Bläser und die Lautenschläger… ja… ja… tuen wir also… allen erzählet vom Siege… ein Fest lasset uns rüsten, ein Fest dem König der Könige… ja, wir gehen… ich bleibe…


(DIE MENGE wogt freudig wie ein aufgeregter Strom hin und wider, Gruppen bilden und lösen sich in Erwartung und Ungeduld.)


(JEREMIAS und BARUCH kommen aus einer Nebenstraße gegangen, um ihren Weg weiter durch die Menge zu verfolgen.)


EINER (lachend):


Da… da kommt er… da seht hin… Jeremias…


ANDERE (übermütig):


Gegrüßt, du Verkünder!… der Profet kommt, lasset uns grüßen den Zerstörer Jerusalems… da ist er, der Schwätzer der Gasse… kommt… kommt mit…


(EINIGE DER LEUTE umringen Jeremias und Baruch, hindern sie, ihren Weg fortzusetzen, indem sie sich spöttisch vor ihnen verneigen.)


EINER (sich tief verneigend):


Gegrüßt du, Gesalbter des Herrn!


DIE ANDERN:


Gegrüßt du, Elia… heil dir, du Verkünder… Gruß dir, du Starkmutiger… heil Jeremias, dem Profeten!


JEREMIAS (stehen bleibend, finster):


Was heischt ihr von mir?


BARUCH (an ihm drängend):


Nicht sprich mit ihnen, nicht rede mit ihnen. Spott ist auf ihren Lippen und Verhöhnung in ihrem Blick.


EINER:


Weisheit wollen wir von dir und Verkündigung!


DER ZWEITE:


Wir wollen dich fragen, ob unsere Jungfrauen Jungfrauen bleiben dürfen.


DER DRITTE:


Wir wollen dich bitten, daß du dich geduldest und lassest weiter ragen die Mauern Jerusalems.


JEREMIAS (hart):


Was wollt ihr von mir! Nicht ists zu Scherzen Zeit, da Blut fließt und Krieg hängt über Israel.


DER ERSTE:


Vorbei ist der Krieg, nun dürfen wir wieder scherzen!


DER ZWEITE:


Und am Bart fassen die Weisen und an ihrer Torheit die Schwätzer.


DER DRITTE:


Wo ist er, dein König von Mitternacht, wo ist er, du Verkünder?


DER VIERTE:


Wo sind ihre Sklaven, wo sind ihre Rosse?


JEREMIAS:


Was wirrt euch die Sinne? Seid ihr rasend geworden? Wie sagt ihr? Vorbei schon der Krieg, kaum daß er begonnen?


BARUCH:


Nicht rede mit ihnen, nicht rede mit ihnen! Zum Spott wird, wer mit Rasenden spricht!


DER ERSTE:


Er weiß es noch nicht! Er weiß es noch nicht, der Profet!


DER ZWEITE:


Ei, seht! Er weiß nicht, was gestern war, und will künden, was morgen geschieht.


JEREMIAS:


Was weiß ich noch nicht? Was ists, das euch so froh macht, ihr Witzlinge! Ein Arges wohl muß es sein.


DER ERSTE:


Ein Arges nennt ers. Ein Arges fürwahr deinen Wünschen!


DER ZWEITE:


Dein König ist gefallen, erstickt ist er in seinem Blut!


JEREMIAS:


Nabukadnezar ist gefallen? Assur geschlagen?


DER ERSTE:


Ja, du Allweiser. Hananjas Wort hat sich bewährt.


DER ZWEITE:


Zerreiß dein Gewand und scher dir den Bart. Israel hat gesiegt.


DER DRITTE:


Grab dich ein, du Profet, und verschneide deine Zunge. Tot ist Nabukadnezar, ewig währet Jerusalem.


JEREMIAS (erschüttert):


Tot wäre Nabukadnezar? Ist es wahr, ist es gewiß auch? Sprecht… treibt nicht Scherz mit so Gewaltigem!


DER ERSTE:


Er zweifelt noch! Weine, weine, Profet!


DER ZWEITE:


Ja, ich gell dirs in deine Ohren, tot ist Nabukadnezar, zerschlagen seine Wagen, zerjagt seine Krieger. Gerettet, gerettet ist Israel!


JEREMIAS (ist einen Augenblick starr geblieben. Dann spreitet er die Arme wie in höchster Freude von seiner aufatmenden Brust. Plötzlich läßt er sie sinken, und es quillt ihm fast jubelnd von den Lippen):


Gebenedeit sei Gott! Oh, Dank, du Allgütiger, daß du zuschanden machtest meine Träume, daß du bewahrtest Jerusalem! Besser ich ein Narr meines Wahns, als die Stadt die Beute der Feinde! Gesegnet seiest du, Gott, gesegnet!


DER ERSTE:


Ja, du Allweiser, Gott ist milder als du, er liebt uns und erquickt unser Herz.


DER ZWEITE:


Was wirst du nun uns verkünden? In welchen Winkel wirst du kriechen, du Maulwurf? Wen wirst du jetzt noch verwirren, du Verwirrter?


DER DRITTE:


Wen nunab betrügen, du Betrüger?


DER VIERTE (mit gespielter Entrüstung):


Oh, wie sprecht ihr arg mit dem Boten des Herrn? Oh, lasset uns küssen sein Gewand, lasset uns ehren sein Geträume!


STIMMEN (durcheinander lachend):


Ja, erzähle uns, Elia… belehre uns wieder, du Allweiser… beglückt, der dir vertrauet… auch dein Knabe… beschläfst du ihn mit Weisheit… wo hast du dies Hühnchen gefunden, das gackert hinter dir… oh, erzähle uns, Jeremias… Unheil verkünde uns, viel Unheil, Jeremia… Berge von Unheil…


JEREMIAS (plötzlich ausbrechend):


Ein Wunder ist über dich gekommen, du feiles Volk von Jerusalem, ein Wunder, das dich erlöst vom Tode, und statt fürchtig zu werden daran, spottest du im Überwitz! Eine Stunde kaum ist es, und ihr waret im Rachen der Angst; noch wanken die Knie eurer Seelen, noch beben die Herzen eurer Herzen, und schon belfert wieder euer Mund. Weh euch, daß euer erster Schrei, seit der Strick riß eurer Kehle, Hohn war und Überheben!


BARUCH (sich an ihn drängend):


Nicht sprich zu ihnen. Töricht, wer zu Toren spricht!


EINER:


Ja, Spott werfe ich wie Kot auf dich, denn auf das Herz warfst du uns Angst, da wir uns aufrafften zum Kampfe.


DER ZWEITE:


Jetzt möchtest du, daß wir schwiegen, aber unser ist jetzt das Reden, an dir jetzt das Schweigen.


DER DRITTE:


Nicht hören willst du’s, aber mach dir taub wie die Eule dein Ohr, ich schrei dirs hinein aus meiner Freude: »Wir haben gesiegt, wir haben gesiegt!«


JEREMIAS (einen anfassend):


Wo hast du gesiegt, erzähle hier! Wen hast du geschlagen, du, der du dich brüstest? Ich seh kein Blut an deinem Schwert, und du, deine Narbe zeig her, die du empfingest im Streit! Auf dem Markte seid ihr gesessen allesamt und bei euren Weibern gelegen. Was hurt ihr mit der Ägypter Sieg, was buhlt ihr mit fremder Tat? Beugt die Knie und bläht eure Hälse nicht: denn nicht ihr habt gesiegt.


STIMMEN:


Ägyptens Sieg ist Israels Sieg… wir sind Israel… auch der Unsern waren dabei… wir haben gesiegt, weil Israel befreit ist… es ist das gleiche… er will uns nur höhnen… seine Wut seht, daß wir siegten…


JEREMIAS:


Aber nicht du und nicht du und nicht du, der jetzt die Backen bläht, nicht ihr, die ihr euch mästet mit fremder Tat! Sie haben gesiegt, die Krieger, nicht ihr! Demütig sind sie hingegangen, Tod zu senden und Tod zu leiden, mit krummen Rücken unter der Waffen Wucht sind sie gekeucht, und der Tod warf sich über sie und drückte ins Knie die Geschwächten. Wo sie ackerten mit ihrem nackten Gebein, wollt ihr Stolz ernten, aus ihrem Blute tränken euren Frechsinn, ihr verlassen Volk! Weh, daß sie siegten für euch und euren stinkenden Stolz!


STIMMEN:


Weh, daß sie siegten – habt ihr gehört?… er ist toll… Ihn lüstet nach Nabukadnezar… er trauert um Assur… weh, daß sie siegten… er heulet um Jerusalems Fall… Ohrenschmaus ist sein Zorn…


JEREMIAS:


Weh, daß sie siegten, sage ich, weh, daß sie siegten, denn zum Narren gemacht hat euch der Sieg, und den Narren ist böses Ende. Da Josuas Schwert die Feinde zerschlug, schwieg sein Mund, er brach hin vor dem Altar und dankete Gott. Hin beugte er sich in Stille, von Schweigen und Demut glänzte sein Herz, seine Seele tönte an Gott, und war doch ein Kriegsherr wie keiner der euren. Ihr aber, denen Sieg auf den Scheitel fiel wie Regen vom Himmel, wem habt ihr gedanket, wem geopfert aus des Herzens Stille? Mit Hochmut habt ihr euren Wanst gefüllt, mit Stolz habt ihr euch trunken gemacht, bis ihr taumelig wart; freche Worte rülpst ihr heraus und speit Unreines vor wie die Schlange ihr Gift. Wahrlich, wert seid ihr, gezüchtigt zu werden, und so groß Gottes Langmut ist, an eurer Hurenstirn muß sie zerbrechen!


STIMMEN:


Kommt… kommt her… hört den Profeten… zerreißt die Kleider, denn wir haben gesiegt… streut die Asche aufs Haupt, denn Nabukadnezar ist gefallen… heulet, heulet, ihr Kinder Israels, denn Zion ward erlöset… trauert, ihr Gerechten, denn Gott schenkte uns den Sieg… Oh, Weisheit, oh, Jeremias!


JEREMIAS (immer mehr entbrennend):


Wahrlich, du Volk, unter euch sein, ist unter Skorpionen sein; aber ich sage euch, ihr Frechen, euer Lachen wird kürzer dauern denn die Blüte des Weinstocks! Gott hat euch begnadet, er hat noch einmal errettet Jerusalem, aber nicht um eures Lachens, sondern um der Demut willen! Nicht wollet ihr seiner gewahr werden in der Güte, wohlan, ihr Verworfenen, bald werdet ihr ihn erkennen in seinem Zorne! Wie einen Vorhang wird er das Lachen zerreißen in eurem Gesicht, und wie Stein werden eure Augen dann starren im Schrecken! Rücklings wird fallen eure Freude, denn nahe ist die Stunde der Sühne dir, Jerusalem, Furchtbares ist dir bereitet…


STIMMEN:


Es werden stürzen die Mauern… es werden weinen die Jungfrauen… wir kennen es schon… Zion wird sinken… oh, Jeremias, du Weisheit des Narren… wie unsere Freude ihn brennet… hört ihr wanken die Mauern?…


JEREMIAS:


Höhnt ihr den Warner? So hat Sodom gelachet, wie ihr lachet, und Gomorra gespottet, denn auch Sodom hat Gott verschonet zu zweien Malen! Aber schon ist der Rächer gerüstet, der euren stinkenden Stolz wegfeget, schon das Schwert gezückt, das eure Frechheit zerhauet; der Bote, schon eilt er heran, euch Jammer zu bringen, er eilt, er eilt, schon hasten seine Schritte gen Jerusalem, daß sie euch verstören! Schon naht er, der Bote der Schrecknis, schon naht er, der Bote des Entsetzens, daß seine Worte wie Hämmer auf euch fallen, schon naht der Bote…


STIMMEN:


Geh heim, Jeremias… friß dich satt an deiner Galle und spei nicht auf unsere Freude… nein, hört ihn, er erheitert das Herz… sprich weiter… spei dich aus, du Verkünder…


EINE STIMME (von rückwärts):


Ein Bote… von Moria kommt er…


DIE MENGE (sich verlaufend, in die Richtung stürzend):


Ein Bote… wo ist er… er bringt Nachricht vom Siege… führt ihn her… vom Siege bringt er Kunde…


JEREMIAS (erbebend im Schrecken):


Der Bote… der Bote…


EINE STIMME:


Vom Tore kommt er gelaufen… wie ein Trunkener wankt er von seiner Schnelle…


STIMMEN:


Wo ist er… hieher… hieher… was ist… erzähle… wann fiel er… hieher… hieher…


(DIE MENGE umstürmt den Boten, der eilig vorwärts will und vor Erschöpfung keucht.)


STIMMEN:


Heil dir, Siegbringer… gegrüßt… gegrüßt… erzähle…


DER BOTE (mit letzter Stimme, sich fortkämpfend):


Den Weg frei… ich… zum König… ich… ich muß…


STIMMEN:


Ein Wort nur… wie fiel Nabukadnezar…


DER BOTE:


Ist Irrwitz unter euch gefahren… was ist so viel Jubel in Jerusalem… rüstet euch, rüstet euch… laßt mich… zum König…


STIMMEN:


Was ist geschehen… ist Nabukadnezar denn nicht tot… Pharao hat ihn zerschlagen… was sollen wir rüsten…


DER BOTE:


Mit seiner ganzen Macht zieht er heran… Nabukadnezar… kaum entkam ich seinen Reitern… rüstet… rüstet… Wächter an die Mauern… ich… ich muß…


STIMMEN:


Wie… was sagt er… wer ist geschlagen… wo ist Pharao… Du bist verwirrt… gebt ihm Wasser… er lebt… es ist nicht möglich… wo ist Ägypten…


DER BOTE:


Wasser… ich kann nicht mehr… Ägypten ist geschlagen… Necho hat Friede gemacht… Tribut… Tribut… nun zieht er heran… Nabukadnezar… führt mich… ich kann nicht mehr… hinter mir seine Reiter… zum Könige…


(EINIGE führen den Boten, der kaum vor Erregung gehen kann, zum Palast.)


STIMMEN (von rückwärts):


Was hat er gesagt… sind die Chaldäer geschlagen… was ist… warum schweigt ihr… was ist geschehen…?


DIE MENGE (wird allmählich von einer grauenhaften Angst befallen, der große, rauschende Tumult ist in ihr erloschen. Ein ungeheures Schweigen der Bestürzung geht allmählich über in die Stimmen, die zaghaft und erschreckt aus der Stille aufzucken):


Es ist nicht möglich… es darf nicht wahr sein… was… was hat er gesagt… ein Betrüger… er ist trunken… nein, er war erschöpft… die Reiter hinter ihm, hat er gesagt… es kann nicht sein… sie haben doch gesagt… er lügt… nein, nicht eines Lügners war sein Gebaren… was ist… was ist geschehen… was hat er gesagt… es kann nicht sein… Gott kann das nicht wollen…


EINE STIMME (laut):


Pharao hat uns verraten!


STIMMEN (plötzlich aufspringend im Zorn und raschen Anlaufs wachsend):


Ja… Pharao hat uns verraten… ja… ja… Fluch über Pharao… ein Bündnis geschlossen… Fluch Mizraim… Betrüger die Ägypter… sie haben uns verraten… Fluch Pharao…


EINE STIMME:


Immer habe ich gesagt: kein Bündnis mit Ägypten.


STIMMEN:


Ich auch… ich auch… ja… ich auch… ich auch… wir alle… ich auch… ein Rohrstab ist Ägypten… weh, daß der König ihnen traute… ich habe widerraten… ich auch… ich auch… wir alle… Fluch über Pharao… was wird nun aus uns… wehe über Israel… mein Weib, meine Kinder… ich habe gewarnt… ich auch…


EIN MANN (hereinstürzend):


Zu den Waffen! Zu den Waffen! Verschließet die Tore, Nabukadnezar zieht heran und seine Scharen. Schon bei Hebron sind seine Reiter…


STIMMEN:


Wehe… bei Hebron… in zwei Tagen umgürtet er die Stadt… wir sind verloren… nein… an die Mauern… wo ist der König… man schließe Friede… nein… es ist zu spät… sind wir besiegt denn… die Priester, wo sind sie… bei Hebron hat er gesagt… zu den Waffen… nein, Friede… Friede… zieht ihm entgegen… verloren sind wir… von je hab ich gewarnt…


EINER (plötzlich auf Jeremias hindeutend, der sich wie ein Trunkener an eine Säule stützt und sein Antlitz verhüllt):


Da… da seht hin…


STIMMEN:


Was ist… wer ist es… was habt ihr… was meinet er…


DER EINE:


Dort… dort sehet hin… von ihm geht es aus… er hat sie gerufen… er hat den Boten gekündet… er hat uns verflucht…


STIMMEN:


Wer… Jeremias… wer ist es… Jeremias, er hat uns verflucht… ja, er hat ihn gerufen… er hat gebetet um Nabukadnezars Sieg… ein Gekaufter ist er… zerreißet ihn… nein, nicht rührt ihn an… er hat es gekündet… ein Profet ist er… ein Gekaufter… seht, wie er brütet…


DER EINE:


Sein Lachen verbirgt er hinter dem Tuche. Aber zu frühe freuet er sich. Noch steht Jerusalem, ewig wird es bestehen.


STIMMEN:


Ja… ja… ewig währet Jerusalem… tretet ihn tot… nein, weichet von ihm… Macht ist in ihm… weh, daß er uns fluchte… er ist alles Unheils schuld… ausreißt ihm die Zunge… nein, laßt ab von ihm…


(EIN HEROLD tritt hastig aus des Königs Palast.)


STIMMEN:


Ein Herold… ein Bote des Königs… Botschaft des Königs… schweigt… schweiget… höret ihn an… ein Bote…


(DIE MENGE wird ganz still und sammelt sich um die Stufen.)


DER HEROLD:


Botschaft des Königs! Feind ziehet wider Jerusalem, Chaldäa ist auf wider uns. Jeder Mannbare greife zum Schwert, und die Weiber mögen Pfeile rüsten und Schleuder. Es schaffe aus der Stadt ein jeder seine Siechen und Unkräftigen, es tue jeglicher Zehrung in sein Haus, daß nicht Hunger uns zwinge. Denn wider Waffen stehen unsere Mauern, nichts vermag Baal wider Jahve, nichts Assur wider Jerusalem!


DIE MENGE:


Ja… Gott ist mit Israel… Wir werden uns rüsten… ja… Gott ist mit uns… auf… zu den Waffen…


DER HEROLD:


Keiner bleibe zurück, und keiner entbehre des Mutes. Wer in Zagen spricht, den sollt ihr schlagen mit dem Schwert, wer von Flucht redet, den sollt ihr jagen aus den Mauern. Ihr sollt euch nicht rotten auf den Gassen, jeder hüte sein Haus und rüste sich dem Feinde. Auf, Volk Israels, recke deine Kraft und zage nicht, denn ewig währet Jerusalem!


DIE MENGE (wieder ganz im Taumel):


Ewig währet Jerusalem… zu den Waffen… ich hole mein Schwert… auf wider Assur… lasset uns ermannen… auf… zu den Waffen… eilt, eilt… an die Wälle… in die Häuser… wir werden zerschellen ihre Macht… ewig währet Jerusalem!…


(DIE MENGE zerstreut sich in wildem Tumult nach allen Seiten, so daß der ganze Platz frei bleibt und mit einem Male die lärmende Erregung einer grauenhaften Stille weicht.)


(JEREMIAS ist langsam aufgestanden und schreitet mit verhülltem Antlitz die Stufen zum Tempel empor.)


BARUCH (ihm nach):


Wohin gehst du, Meister? Nicht lasse mich, den Getreuen!


JEREMIAS:


Allein muß ich… allein… zu ihm, daß er mich erleuchte… ein Zeichen ließ er mich tun vor dem Volke, und doch, ich glaube ihm nicht, denn, Baruch… ich will es nicht glauben, daß Gottes seien in mir die Gesichte, daß Gottes sei dieser schreckhafte Wahn… oh, daß es Gebrest nur wäre meines Hirns und nicht Botschaft seines Geistes… Denn wehe, wär ich erwählet als Künder und wahr meine Träume… wehe…


BARUCH:


Du bist erwählet, Meister, ich hab es erschauet in dieser Stunde. Ein Zeichen hat dich bezeugt, ein Zeichen von Gott! Der Geist der Profeten ist über dir und ihre Gewalt!


JEREMIAS (die Stufen empor, gleichsam fliehend vor ihm, mit abwehrenden Händen):


Nicht sage, daß ich erwählet sei, nicht versuche mein Herz! Es darf nicht wahr werden mein Wort, es darf nicht wahr werden um Israels, um Jerusalems willen. Oh, lieber der Verlachte und Verhöhnte sein des Volkes, denn der Erfüller solcher Schrecknis! Lieber Lügner und Narr, denn dieser Wahrheit Profet! Lieber ich, denn die Stadt dein Opfer, Herr! Möge ich stürzen ins Dunkel der Vergängnis, wenn nur leuchten deine Zinnen, Jerusalem! Mögen vergehen meine Worte wie Rauch, wenn du nur dauerst, du ewige Stadt, möge Gott meiner vergessen, wenn er nur deiner gedenket! Oh, ich will knien vor seinem Altare, daß er zerschlage das Wort in meinem Munde, ich will beten auf meines Herzens Knien, daß er verstoße meine Verkündung und, Baruch – bete, bete mit mir, daß ich als Lügner erfunden werde an Jerusalem!


(JEREMIAS steigt demütig die letzten Stufen empor und tritt mit gebeugtem Haupte in die Vorhalle des Tempels. Baruch verharrt regungslos und sieht ihm nach, bis er verschwindet.)

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