IV. Die Wachen auf dem Walle


»Und des Herren Wort geschah zu mir und sprach: ›Wenn ich ein Schwert über das Land führen würde und das Volk im Lande nähme einen Mann unter sich und machete ihn zum Wächter, und er sähe das Schwert kommen und warnete nicht das Volk, und das Schwert käme und nähme etliche weg, deren Blut will ich von des Wächters Hand fordern.‹«


Hesekiel XXXIII, 1.


Auf der Umwallung Jerusalems. Die Mauern, breite, behauene Quadern, laufen als Straße rings um die Stadt. Rückwärts der sternenbesäete Himmel und dämmerig fern das Tal mit Lichtern und ungewissen Flächen. Strahlendes Mondlicht kleidet die Wälle wie blinkendes Erz.


Auf den Mauern schreiten zwei Krieger die Wache auf und ab. Ihre Gesichter sind verschattet von den Helmen, auf ihren Lanzen schimmert das Mondlicht.


Einige wenige Neugierige haben sich trotz der nahen Mitternachtsstunde auf die Mauer gewagt und spähen in die ungewisse Ferne.


 


EINE FRAU:


Es ist Schlafenszeit. Füll dir nicht das Herz mit Bangnis. Frühe genug siehst du sie morgen, die Verfluchten. Komm schlafen, es ist vielleicht das letzte Schlafen in Stille.


EIN MANN:


Wie schlafen können, wie schlafen, da sie wach sind, unsere Feinde, wider uns! Schwerer denn Blei ward mir das Herz, seit ich hier stehe, und kann doch nicht fort – wie in einen Abgrund muß ich starren in die Flut, die aufsteigt, uns zu schlingen! Von Mitternacht kamen die Reiter und dann von Abend her, immer meinte man, es müsse zu Ende sein, und immer zogen ihrer noch mehr, als wären Länder ausgeschüttet wie Korn und die Lanzen wie Halme gesäet.


EIN ANDERER:


Schon haben sie Zelte gespannt, ein weißer Wald ist aufgestanden im Tal.


EIN ANDERER:


Wehe, sie wollen verweilen.


EIN ANDERER:


Wie der Wind müssen sie gekommen sein. Gestern waren ihre Reiter noch in Bethul, und heute gürten sie Zion schon ein.


DER ERSTE:


Furchtbar ist Assur. Gott möge uns schützen.


DAS WEIB:


Das Lichte sieh drüben, wie eine Säule ist es, die zum Himmel fährt.


EINER:


Samaria ist dort!


EIN ANDERER:


Eine Feuersäule ist es, die gen Himmel fährt. Sie haben Samaria genommen!


STIMMEN:


Wehe!… es ist nicht möglich… eine Feste ist Samaria, dreifach gegürtet!… ein Rasender bist du… Samaria ist es… ich sehe es… wehe… es ist nicht möglich…


EINER:


Sie haben Widder, gewaltige Böcke von Holz, mit denen sie die Mauern berennen. Ich habe gehört von ihren Schleudern, die Türme zerschmeißen…


EIN ANDERER:


Wehe… Unsere Türme… Jerusalem… Jerusalem…


EIN ANDERER:


Dort drüben sieh… dort drüben… eine neue Säule, rot greift sie den Himmel hinan… Gilgal ist das…


EIN ANDERER:


Meine Heimat… meiner Kinder Haus…


EIN ANDERER:


Mordbrenner sind sie… Fluch über Assur…


DER ERSTE:


Mizpah haben sie vertilgt und Saron… wie ein Sturm sind sie über das Land gefahren… furchtbar ist Assur in seinem Zorne.


EIN ANDERER:


Nie hätten wir Streit beginnen sollen mit ihnen.


STIMMEN:


Wer hat ihn begonnen… nicht wir… ich nicht… der König… die Priester… wir wollten in Frieden leben mit ihnen…


EINER:


Ägypten hat uns verlockt und verraten.


STIMMEN:


Ja, Ägypten… der Pharao… Fluch Pharao… sie haben uns verkauft… verlassen haben sie unser Elend… wo sind sie, die fünfzigtausend Bogenschützen… allein sind wir nun… verloren…


EINER:


Wehe… Jerusalem, Jerusalem… Deinen Feinden bist du gegeben, und deine Neider blecken die Zähne…


DER ERSTE KRIEGER (zornig dreinfahrend):


Fort da! Was wärmt ihr die Mauer! Geht heim zu euern Weibern und schlaft. Wir wachen für euch!


EINER:


Wir wollen schauen, wie…


DER ERSTE KRIEGER:


Nichts zu schauen! Ihr habt geschrien um sie mit vollen Backen und Assur gefordert, nun ist Assur gekommen. Lasset den Kriegern, sie heimzujagen, ihr aber geht und schlaft oder betet, so ihr nicht schlafen könnt.


EINER:


Aber sage uns…


DER ERSTE KRIEGER:


Nichts zu sagen. Der Worte sind schon zu viel, jetzt haben die Fäuste ihr Maul. Fort… Herunter mit euch…


(DIE BEIDEN KRIEGER stoßen mit ziemlicher Gewalt die Neugierigen von der Mauer zurück. Die Fortgedrängten verschwinden im Dunkel der Stufen, die zum Walle emporsteigen und tief verschattet sind. Es ist jetzt ganz still oben. Die beiden Krieger stehen wie Erzgestalten im weißen Mondlicht.)


DER ERSTE KRIEGER:


Wie verzagt das Volk schon ist, kaum daß sie die ersten Lanzen erblickten. Man darf es nicht dulden, daß sie so reden.


DER ZWEITE KRIEGER:


Wenn man Angst hat und ihrer nicht Herr wird, muß man reden. Es hilft nicht und hilft doch.


DER ERSTE KRIEGER:


Sie sollen schlafen und nicht schwätzen.


DER ZWEITE KRIEGER:


Der Schlaf ist nicht der Menschen Knecht. Er läßt sich nicht befehlen an der Sorgen Bett. Viel offene Lider schauen heute den Mond.


DER ERSTE KRIEGER:


So sollen sie schweigen, die kein Schwert führen. Wir wachen für alle.


(DIE BEIDEN KRIEGER schweigen und gehen auf und ab. Ihre Schritte hallen dumpf, ihre Speere funkeln im Mondlicht.)


DER ZWEITE KRIEGER (bleibt stehen):


Hörst du?


DER ERSTE KRIEGER:


Was soll ich hören?


DER ZWEITE KRIEGER:


Es ist ganz still, und doch tönt es, wenn der Wind sich wider uns hebt. Als ich in Joppe war, hört ich zum erstenmal das Meer von fern in der Nacht. Solch Tönen ist nun im Tal von Tausender Gegenwart, leise sind alle, und doch rollet von Rädern und Waffen die Luft. Ein ganzes Volk muß es sein, das plötzlich über Israel fiel, wie ein Meer rauscht es dumpf an die Mauern.


DER ERSTE KRIEGER (hart):


Ich will nichts hören als den Wachtruf. Laß rollen, laß rauschen!


DER ZWEITE KRIEGER:


Warum wirft Gott die Völker gegeneinander? Es ist doch so viel Raum unter dem Himmel, daß einer nicht störte den andern. Viel Land noch harrt der Pflugschar, viele Wälder des Beiles, und doch schärfen sie Schwerter aus den Pflügen und schlagen in lebendiges Fleisch mit den Äxten. Ich verstehe es nicht, ich verstehe es nicht!


DER ERSTE KRIEGER:


Von jeher war es so.


DER ZWEITE KRIEGER:


Aber muß es so sein? Warum will Gott den Krieg zwischen den Völkern?


DER ERSTE KRIEGER:


Die Völker begehren seiner um seinetwillen.


DER ZWEITE KRIEGER:


Wer sind die Völker? Bist du nicht unsres Volkes einer, bin ich es nicht, und unsere Frauen, die meine und die deine, sind die nicht Volkes Teil, und haben wir dieses Krieges begehrt? Hier stehe ich und halte einen Speer, nicht weiß ich, wider wen ich ihn wende. Dort unten im Dunkel wartet unwissend der, dem er zugeschliffen ward, ich kenne ihn nicht, nie habe ich sein Antlitz gesehen und die Brust, die ich mit Tod ihm durchstoße. Und ein anderer wärmt dort unten vielleicht jetzt am Lagerfeuer die Hand, die meinen Kindern den Vater stößt, und hat mich nie geschaut und nie Kränkung gehabt von meinem Leben. Fremd sind wir einander wie die Bäume des Waldes, doch die wachsen still und blühen aus sich, wir aber wüten widereinander mit der Axt und dem Speer, bis das Harz unseres Blutes aus den Leibern quillt. Was ist dies, das Tod unter die Menschen stellt und den Haß säet zwischen sie, da dem Leben so viel Raum ist und der Liebe so lange Frist? Ich verstehe es nicht, ich verstehe es nicht!


DER ERSTE KRIEGER:


Von Gott muß es kommen; denn von jeher war es so! Ich frage nicht weiter.


DER ZWEITE KRIEGER:


Gott kann diesen Frevel nicht wollen. Er hat das Leben gegeben um des Lebens willen. Auf seinen Namen häufen die Menschen alles, was sie nicht verstehen. Nicht von Gott kommt der Krieg, woher mag er nun stammen?


DER ERSTE KRIEGER:


Was weiß ich, woher er stammt! Ich weiß, er ist da und will nicht beschwatzt sein. Ich tu mein Geheiß, ich schärf mir den Speer und nicht meine Zunge.


(EIN SCHWEIGEN entsteht zwischen beiden. Sie stehen lautlos in der weißen Stille und spähen hinaus. Von ferne tönt der Wachtruf »Simson über sie« ganz undeutlich zuerst, dann näher gesprochen von den unsichtbaren Wachen »Simson über sie« und nun ganz deutlich heran von den nächsten Posten. Auch die Krieger wiederholen laut den Ruf »Simson über sie«, und man hört ihn die unsichtbare Runde der Mauer weiterlaufen und vertönen. Es wird wieder ganz still, ehern stehen die Gestalten mit verschattetem Gesicht im blanken Mondglanz. Schweigen.)


DER ZWEITE KRIEGER:


Weißt du etwas von den Chaldäern?


DER ERSTE KRIEGER:


Unsere Feinde sind sie, das weiß ich, und wollen wider unsere Heimat.


DER ZWEITE KRIEGER:


Nicht dies meine ich. Ich frage dich, hast du ihrer je einen gesehn, kennst du ihre Sitten und Lande?


DER ERSTE KRIEGER:


Grausam sind sie wie wilde Katzen und heimtückisch wie die Schlangen, hat man mir gesagt, und sie werfen ihre Kinder in Götzensteine von Kupfer und Blei. Doch nie habe ich ihrer einen gesehen.


DER ZWEITE KRIEGER:


Ich auch nicht. Es türmen sich viel Hügel zwischen Babel und Jerusalem, Flüsse fahren dazwischen und mehr des Lands, als einer in Wochen durchschritte. Selbst die Sterne stehen anders über ihren Häupten und unsern, und doch sind sie wider uns und wir wider sie. Was begehren sie von uns? Wenn ich einen fragete von ihnen, er wüßte wohl nur zu sagen, daß ein Weib seiner wartet zu Hause und Kinder auf der Streu wie in meinem. Ich glaube, wenn ich redete mit einem, wir verstünden uns. Weißt du, manchmal lockt es mich, die Hand zu heben und einen zu rufen, daß wir redeten Herz zu Herz.


DER ERSTE KRIEGER:


Das darfst du nicht.


DER ZWEITE KRIEGER:


Warum darf ich das nicht?


DER ERSTE KRIEGER:


Sie sind unsere Feinde, wir müssen sie hassen.


DER ZWEITE KRIEGER:


Warum muß ich sie hassen, wenn mein Herz nicht weiß um diesen Haß?


DER ERSTE KRIEGER:


Sie haben den Krieg begonnen, in unsern Frieden sind sie gefahren.


DER ZWEITE KRIEGER:


Die in Jerusalem sagen das so. Doch vielleicht auch sagen sie das gleiche in Babel. Wenn man redete miteinander, man würde vielleicht klar.


DER ERSTE KRIEGER:


Du darfst nicht reden mit ihnen. Wir müssen sie schlagen, so ist uns befohlen, wir müssen gehorchen.


DER ZWEITE KRIEGER:


Ich weiß es mit meinen Sinnen, daß ich nicht darf, und fasse es doch nicht mit meiner Seele. Wem dienen wir mit ihrem Tod?


DER ERSTE KRIEGER:


Was fragst du, Einfältiger? Dem Könige dienen wir und unserm Gott.


DER ZWEITE KRIEGER:


Aber Gott hat gesagt und es stehet geschrieben: »Du sollst nicht töten.« Wer weiß, wenn ich mein Schwert nähme und würfe es fort, ich diente ihm wahrhafter denn mit der Feinde Blut.


DER ERSTE KRIEGER:


Aber es stehet auch in den Büchern: »Aug um Auge, Zahn um Zahn.«


DER ZWEITE KRIEGER (seufzend):


Viel steht in der Schrift. Wer mag alles verstehen?!


DER ERSTE KRIEGER:


Ein Grübler bist du. Um unsere Stadt drängen sie und wollen ihre Häuser brennen, und hier stehe ich mit Schwert und Speer, ihnen zu wehren. Mehr des Wissens ist ungut. Ich will nicht mehr wissen.


DER ZWEITE KRIEGER:


Aber ich frage…


DER ERSTE KRIEGER (hart):


Du sollst nicht so viel fragen. Krieger sind wir und müssen kämpfen, nicht fragen. Was grübelst du, statt dich zu härten?


DER ZWEITE KRIEGER:


Wie soll ich nicht fragen, wie soll mein Herz ohne Unruh sein in dieser Stunde? Weiß ich denn, wo ich stehe und wie lang ich noch wache? Dies Dunkle hier unter der Mauer, wo der Stein hinbröckelt und fällt, vielleicht ist es morgen mein Grab, und der Wind, der mir jetzt um die Wange fährt, vielleicht findet er mich morgen nicht mehr. Wie soll ich nicht fragen, da ich lebendig bin, um mein Leben? Die Flamme zuckt auf und windet sich, ehe der Docht lischt ins Dunkel, wie sollte das Leben sich nicht heben zur Frage, ehe es lischt in den Tod? Vielleicht ist es schon der Tod in mir, der so fraget und nicht das Leben mehr.


DER ERSTE KRIEGER:


Du grübelst zu viel. Nichts nützt es und quält nur.


DER ZWEITE KRIEGER:


Gott hat uns das Herz aufgetan, daß es sich quäle.


DER ERSTE KRIEGER:


Was hilft es dann zu reden? Wir haben Wache, mehr mag ich nicht wissen.


DER ZWEITE KRIEGER:


Das Reden hält wach, und es hörens nur die Sterne.


(EIN SCHWEIGEN wieder zwischen beiden.)


DER ZWEITE KRIEGER:


Was kommt da? Vom Dunkel schleicht es heran.


DER ERSTE KRIEGER:


Wieder Müßiggänger! Sie sollen schlafen des Nachts. Jag sie heim!


DER ZWEITE KRIEGER:


Nein! Laß sie reden und tritt ins Dunkel. Laß uns hören, was sie reden. Es scheucht den Schlaf von den Lidern, die Stimme der Menschen zu hören. Tritt zurück in den Schatten!


DER ERSTE KRIEGER:


Ein Sonderbarer bist du! Ich schreite die Runde!


(DIE BEIDEN KRIEGER treten zurück in den Schatten des Mauerturmes. Ihre Gestalten verschwinden in dem tiefen Dunkel, das mit scharfer Schattenschneide gegen die vom Mondlicht überflutete Mauer grenzt. Nur ihre Lanzen funkeln manchmal leise hervor.)


(JEREMIAS UND BARUCH steigen aus dem Dunkel der Tiefe zur Mauer empor, Jeremias hastig voran, Baruch mühsam seiner Erregung folgend. Der Krieger steht – von ihnen ungesehen – im Schatten wie aus Erz gegossen.)


BARUCH:


Wohin führst du mich, Meister? Wohin führst du mich?


JEREMIAS:


Empor, empor! Ich muß es schauen, das Fürchterliche, Blick in Blick.


(JEREMIAS ist auf der Höhe angelangt. Er starrt in das mondbeglänzte Tal hinab und verharrt regungslos, ohne zu sprechen.)


BARUCH (ängstlich):


Was starrst du so, was sprichst du nicht?


JEREMIAS (schauernd):


Der König… er ist gekommen… der König von Mitternacht (erregt nach Baruch fassend), Baruch, Baruch, tritt zu mir, tritt zu mir her! Rühr meine Hand, daß ich weiß, ob ich wach bin oder getaucht in Traum. Baruch, Baruch, sprich, meine Augen, sind sie aufgetan, ist eine Mauer dies aus Stein oder aus Tränen, ist Jerusalem dies Dunkle, das ahnungslos liegt, und wahrhaft Assur dies andere Dunkle dort und der Mond dies, fahl und fühllos wie Wasser zwischen beiden? Sag es mir, Baruch, sag es mir, und so ich nur träume, rüttle mich auf, daß ich des Irrwitzes lache, Zion sei umgürtet von Assur; denn nicht wahr ist dies vor Gott, es darf nicht wahr sein. Weck mich auf, Baruch, weck mich wach!


BARUCH:


Wie meinest du, Meister? Ich fasse dich nicht.


JEREMIAS:


Bin ich wach, Baruch, bin ich wach, sind meine Augen offen und wahr dies Unheil vor ihnen, ich flehe dich an.


BARUCH:


Ich fasse dich nicht… wie zweifeltest du…


JEREMIAS:


Oh, Fluch, so ist es wahr, wahr und wahrhaftig, ich träume nicht mehr! Meine Träume, sie sind wach geworden, sie haben Rosse geschirrt und Wagen gegürtet, Assur zieht an gegen Zion, es erfüllt sich, es erfüllt sich! Und all dies Unselige, aus mir quillt es vor, aus meiner Träume Schoß drängt sichs fort; in mir war es zuerst, ehe es war in der Welt, und ich, ich warf es im Wort über sie. Ich hab es gewußt, ich allein, eh Gott es getan! In mir hat es Anfang und mündet mir zu, und ich kanns doch nicht halten im Laufe, nicht fassen im Fluge, kein Schild ist mir dawider und kein Schwert – oh, Ohnmacht, Ohnmacht der Worte!


BARUCH:


Meister, was redest du… nicht fasse ich den Sinn… sprich zu mir, daß ichs glaube und begreife, was dich erfüllet.


JEREMIAS: Daß du es glaubest… Baruch, Baruch… wirst du wahrhaft glauben meinem Worte, das ich dir sage zu dieser Stunde unter den Sternen… wirst du es nicht leugnen und verlachen, so ichs beschwöre mit meiner Seele Siegel… denn wider allen Sinn ists, was ich dir künden will…


BARUCH:


Meister… der Glaube an dich ist mein Leben…


JEREMIAS:


So höre es, höre, was ich dir sage… (geheimnisvoll, leise) Dies alles, dies alles, was heute ist zum erstenmal, ich habe es geträumt vor Monden schon, ich habe es geträumet in meinen Nächten, ganz so geträumet. Nicht ein Stern steht da, den ich nicht sah, hier oben den Wall und Gottes weißragendes Haus und unten der Feinde Scharen, Zelt an Zelt, und meines eigenen Herzens eigenen Schauer und Blick, all, all dies hab ich geträumt… Hörst du mich, Baruch, hörst du mir zu…


BARUCH (schauernd):


Ich höre dich… ich höre dich…


JEREMIAS:


Warum mir, warum ward mir dies alles offenbar vor der Zeit? Es kann nicht sein wider Gottes Willen, daß er mir aufschließt seine Pläne und mir sichtig macht Bilder des Zukünftigen. Und es darf nicht sein, es darf nicht sein, daß ich dawider mich wehre, daß ich schweige, denn Baruch, Baruch: lang verbarg ich mein Herz der Berufung und verschlug mein Ohr seinem Rufe. Doch nun, da ich schaue lebendig, was in mir längst schauten die Träume, da wie ein Spiegel sichs aufrollt außen zum Innen, nun fühle ichs zum ersten Male, daß Gott in mir ist, und Baruch, ich sage dir: er hat mich gewählet. Weh mir, wenn ich verschwiege meine Angst vor dem Volke und meine Ahnung vor den Königen. Denn nur ein Anfang ist dies, und ich kenne, ich kenne das Ende…


BARUCH:


Künde es, du Geweihter… ausrufe dein Wort…


JEREMIAS:


Baruch, Baruch, siehst du Lager und Zelt, siehest du dies schlafende Meer wogen von Mitternacht her…


BARUCH (schauernd):


Ich sehe den Feind… ich sehe die Zelte…


JEREMIAS:


Die Nacht siehest du, den Schlaf und die falsche Stille der Rast. Aber in meinem Ohr gellen die Trompeten schon und klirren die Waffen, wenn sie aufstehen und stürmen wider uns! Die Mauer, darauf wir festen Fußes noch wuchten, schon krachet sie hin, und den Schrei der Gejagten, ich höre ihn, höre ihn schon. Sie kommen, weh, sie sind da, aufschäumt ihre erzene Flut! Baruch, Baruch, wehe, mein Wort stund auf über Israel, ich höre den Tod, wie er fährt über die Stadt und die Mauern, sie fallen und mit ihnen Jerusalem. Baruch, Baruch, ich sehe es wach; denn Gott hat ein Auge mir aufgerissen im Schwarzen meines Leibes, daß ichs schaue, und einen Schrei getan in meine Eingeweide, daß ich ihn stoße aus mir wie ein Horn. Was schlafen sie noch! Was schlafen sie noch! Oh, es ist Zeit, daß man sie wecke, es ist Zeit, denn sie schlafen in ihren Tod hinein und brüten in ihr Verderben. Es ist Zeit, daß man aufschreie Jerusalem, es ist Zeit, es ist Zeit!…


BARUCH (hingerissen):


Ja, erwecke sie, erwecke sie, Jeremias!


JEREMIAS (immer fanatischer):


Oh, das törige Volk, oh, die ratlose Stadt,
Wie kann sie vom Schlaf sich umfrieden lassen,
Da Tod ihnen unter die Lagerstatt
Sein eiskalt Linnen gebreitet hat.
Oh, das törige Volk, oh, die ratlose Stadt,
Wie können sie ruhen, den Donner zu Häupten!
Oh, wie können, wie können
Sie so hindämmern, in Träumen verloren,
Da donnernd wider die Tempel und Tore
Schon Assurs Widder hämmern und rennen;
Oh, wer weckt die Toren, wer weckt die Betäubten?
Wer schreckt sie auf, wer weckt sie empor,
Wer wirft einen Ruf in ihr ohnmächtig Ohr,
Oh, wer wird in den Tod dieser Stille hinein
Gottes Gebot und Wille hinschrein?


BARUCH (ekstatisch):


Du wecke sie auf! Erwecke sie! Meister, vom Tode reiß sie auf!


JEREMIAS:


Wacht auf! Wacht auf! Empor! Empor!
Brand ist im Land! Feind hat die Stadt!
Flüchtet, eh er euch ganz zernichtet,
Entflüchtet dem Schwert, entflüchtet den Flammen,
Laßt eure Habe, laßt euer Haus,
Die Frauen rafft, die Kinder zusammen,
Eh er euch faßt, flüchtet hinaus!
Auf! Empor!
Brand ist im Land! Feind hat die Stadt!
Empor! Empor!


DER ZWEITE KRIEGER (aus dem Dunkel tretend):


Wer lärmt? Er wird die Schlafenden erwecken.


JEREMIAS:


Daß ichs vermöchte, oh, daß ichs vermöchte! Auf! erwache, Jerusalem… Gottesstadt, errette dich…


DER ZWEITE KRIEGER:


Trunken bist du… fort mit dir… geh schlafen…


BARUCH (sich dazwischen werfend):


Ablasse von ihm!


JEREMIAS:


Ich darf nicht schlafen! Keiner darf schlafen mehr. Der Wächter bin ich, der Wächter! Weh, wer mirs wehrt!


DER ZWEITE KRIEGER (ihn anfassend):


Ein Mondkranker bist du, daß du dich Wächter nennst… ich selbst bin die Wache… fort mit dir…


BARUCH:


Nicht rühr ihn an… den Erwählten des Herrn… den Profeten…


DER ZWEITE KRIEGER (ablassend):


Bist du Hananja, der Gotteskünder?


BARUCH:


Jeremias ist es, der Profet!


DER ZWEITE KRIEGER:


Jeremias, der das Volk verwirrt, der hinschrie in den Gassen, Assur werde obsiegen? Bist du gekommen, dich deiner Verheißung zu weiden? Zu früh bist du gekommen, du Zagherz, und doch zurecht meinem Zorn! Gesegnet meine Faust, daß ich dich fasse, du Krämer des Unglücks… ich will dir Verkündigung geben…


BARUCH (mit ihm ringend):


Laß ab von ihm… laß ab…


DER ERSTE KRIEGER (herbeistürzend):


Der König kommt… der König macht die Runde… schaff weg das Volk…


JEREMIAS:


Der König!… Segnung des Herrn… oh, sichtliche Deutung… Gott stößt ihn mir in die Hände…


DER ERSTE KRIEGER:


Fort mit euch… fort, ihr Schwätzer…


DER ZWEITE KRIEGER:


Hinab mit dir… da… fort… Da krieche unter und rühr dich nicht, sonst mach ich dich kalt…


DER ERSTE KRIEGER:


Weg… fort… der König kommt…


(JEREMIAS UND BARUCH werden hastig die Mauer hinabgedrängt; sie verschwinden im dunklen Schatten, aus dem sie aufgestiegen. Die beiden Krieger treten an den Rand der Mauer, um dem König und seinem Gefolge Raum zu geben. Da Zedekia erscheint, klirren sie zum Gruße mit den Speeren an die Schilde und stehen dann wieder regungslos.)


(DER KÖNIG ZEDEKIA erscheint, begleitet von Abimelech und einigen seines Gefolges, auf seinem Rundweg um die Mauern. Er ist ungerüstet und barhäuptig, im weißen Mondlicht sieht sein Antlitz bleich und ernst aus. Er bleibt stehen und blickt lange auf das fahldämmernde Blachfeld hinaus.)


DER KÖNIG ZEDEKIA (zu Abimelech):


Auf wieviel schätzest du ihre Scharen, Abimelech?


ABIMELECH:


Zelt reiht sich an Zelt, schwer wie die Sterne sind sie zu zählen. Die Boten nannten ihrer hunderttausend, doch man soll den Worten nicht trauen.


ZEDEKIA:


Wahr sprichst du, Abimelech, allzu wahr. Man soll den Worten nicht trauen. Wo sind die Wahrsager, die mir rieten, wo Pharaos Heer und die Hilfe Mizraims! Nun sind wir allein wider die Heere Chaldäas.


ABIMELECH:


Zwiefach wird unsere Ehre darum sein, sie zu besiegen. Ewig währet Jerusalem!


ZEDEKIA:


Oh, daß dein Wort sich erfüllte! Doch mein Herz mißtraut schon den Worten…


ABIMELECH:


Ich schwöre auf Israels Sieg, mein König, und Tat bekräfte meinen Eid.


ZEDEKIA:


Auch ich habe einen Eid geschworen Nabukadnezarn, und man entwand mir das Wort. Das Schicksal zerbricht die Eide und Gott die Worte der Menschen. Dort unten im Dunkel ruht er, dem ich Friede zusprach, und nun ist Krieg und seine Lanzen gerüstet zur Rache. Fluch über sie alle, die an mir zerrten, daß ich diesen Weg ging wider ihn, und weh über mich, daß ich nicht stark ward, ihnen zu wehren! Nicht kannst du dies fassen vielleicht, Abimelech, denn ein Krieger bist du und spottest deines Lebens, doch auf mir lasten die Mauern und eines Volkes Geschick, tausend und abertausend Leben pochen laut durch mein Blut. Ich will beten zu Gott, daß er diese Zeit von uns nehme, denn mein Herz vermag nicht sie zu tragen und dürstet nach Frieden!


ABIMELECH:


Den Sieg erst, mein König, und dann den Frieden. Laß Nabukadnezarn die Stirn seines Zorns sich zerstoßen an diesen Mauern und die Widderböcke seines Ingrimms zerschellen an unsern Herzen. Ihr Blut erst, und dann den Frieden!


ZEDEKIA (sieht lange hinaus in die Ferne):


Wieweit hinein ins Land die Lagerfeuer dort brennen, es ist, als sei ein Himmel schwarz hingesunken auf die Erde und leuchtete nun Stern an Stern. Unendlich Volk fühl ich lagern um Israel, und jedes Speer ist gezückt, jede Hand gehoben, und im Schlafe noch träumen sie wider uns. Und morgen wird all dies aufstehen wie die Halme nach dem Regen und die Stille gellen von Schrei und Tod. Es ist die letzte Nacht des Friedens und des Schlafes vielleicht für immerdar.


ABIMELECH:


Laß dein Herz nicht verdüstern, mein König. Auf diesem steinernen Gelände, da du stehest in Sorge, stand Hosea, dein Oheim, einst, und auch seine Seele war Sorgen voll, denn unten wogten Salmanassars Scharen unendlich wie diese. Schon einmal umspülte Assurs Woge die heilige Stadt. Doch der Herr reckte aus seinen Arm wider sie, und die Pest fraß ihre Völker. Nie bricht diese Mauer! Ewig währet Jerusalem!


DIE ANDERN:


Ewig währet Jerusalem!


DIE STIMME JEREMIAS (aus dem Dunkel):


Wache auf, verlorene Stadt, daß du dich rettest! Wachet auf aus eurem harten Schlaf, ihr Arglosen, daß ihr nicht geschlachtet werdet im Schlummer, wachet auf, denn schon bröckelt die Mauer und will euch erschlagen, wachet auf, denn Assurs Schwert ist gezückt über euch…


ZEDEKIA (zusammenfahrend):


Wer spricht? Wer spricht?


STIMMEN:


Wer redet… wer spricht…


DIE STIMME JEREMIAS:


Der Zorn des Herrn ist gefallen über des Friedens Verstörer, und von Mitternacht den König hat er gen Israel gesandt, daß er ihm breche Türme und Trotz. Wachet auf, um zu fliehen, wachet auf, euch zu retten, denn er ist gekommen, der Würger eurer Söhne, der Schänder eurer Töchter, der Verwüster eurer Felder. Wachet auf! Wachet auf!


ZEDEKIA (zusammenschreckend und sich schließlich stark aufraffend):


Wer spricht da? Wer redet da?


DER ERSTE KRIEGER:


Ein Wahnwitziger ist es, Herr, der Mond hat ihn verwirrt.


STIMMEN:


Sperr ihm das Maul… fort mit ihm… fort… ein Toller…


ZEDEKIA:


Nein… bring ihn vor… ich will ihn sehen… ich will sehen, daß ein Lebendiger solches sprach… denn zu furchtbar klang diese Stimme… mir war, als schrien Klage die Steine Jerusalems, als entbebte der Mauer das Wort…


(DIE BEIDEN KRIEGER eilen hinab.)


ABIMELECH:


Nicht laß dich verwirren, Herr… viele sind gekauft in der Stadt von chaldäischem Gold…


ANDERE:


Nicht höre ihn an… laß von der Mauer ihn werfen… Nicht mit den Verängstigten sprich…


(JEREMIAS UND BARUCH werden von den beiden Kriegern heraufgeholt, Jeremias vor den König gestoßen.)


DER ZWEITE KRIEGER:


Dieser ist es, der so lästerlich redete. Schon vordem habe ich ihn belauscht.


ZEDEKIA:


Sie sagen von einem, der umginge in der Stadt und Unheil kündete vor den Leuten. Ist es dieser?


STIMMEN:


Er ist es… Jeremias… Fluch über ihn… Unheil sprengt er aus… er vergiftet die Herzen… ein Lügner ist er…


BARUCH:


Gottes Bote ist er, und Wahrheit kündet er, ich zeuge für ihn.


STIMMEN:


Wer bist du, daß du zeugest?… Du Knabe… nicht höre ihn… niederschlagen soll man solch Otterngezücht.


ZEDEKIA:


Schweiget… Weg mit diesem vorerst, ich bedarf eines Zeugen nicht…


(BARUCH wird zurückgestoßen in das Dunkel.)


ZEDEKIA:


Tritt heran zu mir, Jeremias… Bist du es, der Israel verwirrt?


JEREMIAS:


Von Israel geht Wirrnis aus und nicht von mir.


ZEDEKIA:


Ich kenne deine Stimme… ich muß sie gehört haben… aus meinem Herzen klingt etwas zurück, da du mir zusprichst, und doch blickte ich dich nie. Oder… Warst du es nicht, der damals um Friede schrie vor dem Palast…


JEREMIAS:


Ich war es, Herr!


ZEDEKIA:


Du warst es, Jeremias? Viele schrien um mich zu jener Stunde, doch als ich heimging des Nachts und ruhte ohne Schlaf auf meinem Lager, da war dein Ruf noch wach in meinem Herzen.


JEREMIAS:


Gott wollte, daß du ihn hörtest, und weh dir, daß du ihn wegwarfst, denn es wäre Schlaf jetzt auf deinen Lidern und ein Friede in Israel.


DIE ANDERN:


Nicht höre auf ihn, König… ein Gaukler ist er und frevelt mit Gottes Wort… sprich nicht mit ihm…


ABIMELECH:


Was schaffst du hier auf der Mauer des Nachts? Zu den Chaldäern willst du fallen? Nimm ihn fest, mein König, sein Wandel ist Gefahr!


EINER:


Seine Mutter ringt mit dem Tode, vergiftet hat sie sein Wort. Aber er meidet das Haus, sieh, des Nachts schweift er hier um und späht zu den Feinden…


JEREMIAS (erschreckt):


Meine Mutter, sagst du…


ANDERE:


Ein Verräter ist er… nicht höre ihn, mein König… nicht höre ihn… nimm ihn fest…


ZEDEKIA:


Ruhe um mich! Meine Seele ist so schwach nicht gemauert, daß ein Schwätzer sie werfe. Jeremias, tritt her zu mir und sei ohne Scheu. Ich habe das Wort vernommen, das du riefest am Tage des Ausgangs, und dies Wort klang mir zu, denn ein Gotteswort ist das Friedenswort. Doch vergangen ist das Vergangene. Nun brennt Krieg zwischen Assur und Israel. Nicht bändigt ihn mehr ein Wort, ich kann ihn nicht niedertreten mit dem Willen…


JEREMIAS:


Du kannst es, Herr!


ZEDEKIA (zornig):


Wie kann ich es noch? Siehst du den Feind nicht um die Mauern, hörst du seine Speere nicht klirren im Wind? Wie kann ich das wenden?


JEREMIAS:


Du kannst es, Herr, denn du bist der König.


ZEDEKIA:


Kann ich sie fortblasen mit meinem Hauch, kann ich austilgen das Vergangene? Zu spät ist es für den Frieden.


JEREMIAS:


Es ist nie zu spät.


ZEDEKIA (noch zorniger):


Wie ein Einfältiger redest du. Noch ward Assur nicht geschlagen von Israel und nicht Israel von Assur, noch ist Blut nicht geflossen. Wie kann ich enden, was nicht begonnen?


JEREMIAS:


Das Blut ist ein Graben zwischen den Völkern. So tiefer du ihn ziehest, so schwerer wirst du ihn dämmen. Darum laß sprechen die Worte vor dem Schwert, geh hin zum König oder sende ihm Botschaft!


ZEDEKIA:


Ich soll zu Nabukadnezar, meinem Feinde?


JEREMIAS:


Sende Boten an ihn, vielleicht, daß du noch rettest Jerusalem!


ABIMELECH:


Eine Schmach sind seine Worte, eine Schmach für Israel… fort mit dem Zagherzigen…


ZEDEKIA:


Warum soll ich senden zu ihm, warum ich als der erste? Bin ich sein Knecht denn, bin ich der Besiegte schon?


JEREMIAS:


Es muß einer den Frieden beginnen, wie einer den Krieg.


ZEDEKIA:


Warum soll ich es sein, der als der erste spricht, warum ich und nicht er? Soll er meinen, daß ich verzagte? Möge er senden zu mir, so will ich Zwiesprache halten und erwägen sein Wort. Doch warum ich als der erste?


JEREMIAS:


Selig, der als erster die Hand bietet für den Frieden, selig der König, der das Blut spart seines Volkes.


ZEDEKIA:


Und wenn ich die Hand böte, wenn ich mein Herz bezwänge, Jeremias, wenn ich so täte, wie du heischest, und er stößt sie zurück, meine Hand?


JEREMIAS:


Selig die Verstoßenen um der Gerechtigkeit willen, denn Gott nimmt sie auf an sein Herz.


ZEDEKIA:


Ich aber sage dir, die Kinder würden meiner spotten und die Weiber lachen meiner Schmach.


JEREMIAS:


Besser, der Narren Gelächter hinter dir, als der Witwen Klage. Nicht deiner gedenke jetzt, sondern des Volkes, dem du gesetzt bist von heiliger Hand. Laß dich verlachen von den Toren um der Gerechtigkeit willen, aber tu Gottes Tat! Tu auf die Tore, tu auf dein Herz, Zedekia, bedenke, du rettest Jerusalem! Du hast dich erhoben wider Assur, so beuge dich vor ihm!


ZEDEKIA:


Ich mich beugen?


JEREMIAS:


Beuge dich, beuge dich, Gesalbter des Herrn, um Jerusalems willen! Tu auf die Tore, tu auf ihm dein Herz! Du rettest, du rettest Jerusalem!


ZEDEKIA:


Mit dem Schwert will ich es retten und meines Lebens Preis, doch mit meiner Ehre nicht. Du weißt nicht, was du heischest von mir.


JEREMIAS:


Das Schwerste heische ich von dir, denn wem ziemt das Gewaltige denn den Gesalbten? Deines Herzens Kleinod, deinen Stolz opfre hin für die Stadt! Wirf dich hin vor jenen, wie ich mich hinwerfe vor dir, tu auf die Tore, tu auf dein Herz! Beuge dich, König Zedekia, denn besser, du beugest dich, denn daß Israel gebeuget werde.


ZEDEKIA:


In Spott willst du mich stoßen und dich weiden an meiner Schmach, du Rasender! Aber ich steh aufrecht und halte mein Erbe! Lieber sterben, als Gnade erbitten, lieber Vernichtung, denn diese Demut! Weg von mir, weg! Ich beuge mich nicht, keinem auf Erden beuge ich mich!


JEREMIAS (von den Knien sich gewaltig aufhebend):


Dann Fluch dem Öl, das dir salbte die Stirn, und Fluch der Krone, die dir die Stirne gürtet; Fluch dir, Davids Sohn, daß du nur deinen Hochmut schützest, dein irdisch Teil, statt daß du wahrest Jerusalem, dein Gottesteil. Aber höre mich…


ZEDEKIA:


Nichts will ich mehr hören, du Narr, du böser Narr Gottes…


JEREMIAS:


Stoße es nur fort mein Wort mit dem Fuße, du Taumelnder, nicht kannst du zertreten ein Gotteswort. Spei es aus, du Trunkener, aber wisse es bis in deine Eingeweide: nahe ist die Stunde, Zedekia, da du schreien wirst nach meinem Troste, wie die Gebärerin schreit! Doch dann wird kein Rat mehr sein, denn wer weiß Rat wider den Tod und hat ein Retten vor Gottes Gericht. Gedenke der Mauer hier, gedenke der Stunde! Rechtzeit habe ich dich gewarnt, aber ein Prellbock starret dein Herz und von Eisen deine Stirne, und wie ich dir darob fluche aus dieser Stunde, werden fluchen Geschlechter und Geschlechter deinem Namen. In deine Hände war Zion gegeben, und du ließest es fallen, dir war es vertraut, und du hast es verschleudert! Mögest du darum vergessen werden von Gottes Gnade, wie du vergaßest Jerusalem! Fluch über dich, du Vollstrecker Babels, du Würger Zions, du Mörder, du Mörder von Israel!


ABIMELECH:


Die Mauer hinab! Zerbrecht ihm den Nacken!


DIE ANDERN:


Er hat den König gelästert… sperrt ihm das Schandmaul… die Mauer hinab… nicht fürchte des Rasenden Wort… Schaum steht um seine Lippe… ein Kranker ist er… hinab mit ihm.


(DIE BEGLEITER des Königs dringen gewaltsam auf Jeremias ein.)


ZEDEKIA (der wie vor unsichtbarem Anprall zurückgefahren ist, die Hand am Herzen, sich wieder ermannend):


Ablaßt von ihm! Meint ihr, eines Narren Fluch machte mich blassen, ein frech Wort knickte schon meine Kraft? (Nach einer Pause): Aber dies sehe ich: wahr ist, was sie sagten im Volke: gefährlich ist dieses Menschen Wort. Wie ein Sturmbock stößt er wider die Herzen. Es geht nicht an, daß solch ein Gottesleugner länger frei rede im Volke und seine Angst auf die Krieger falle.


ABIMELECH:


Töten muß man ihn. Wer nicht Gott vertraut, ist unwert des Lebens.


STIMMEN:


Man steinige ihn… ein Söldling ist er… er will die Stadt den Chaldäern preisgeben… laß ihn töten… er betet um unser Verderben…


ZEDEKIA:


Soll ich töten den, der mich schmähte, daß man meine, ich fürchte sein Wort? Nicht so! Tritt her, Jeremias! Wind ist mir dein Wort, doch noch einmal frage ich dich um deinetwillen: Sagt dir untrüglich dein Herz, daß Tod sei über Zion und allen in Zions Mauern? Ich frage dich! Antworte mir frei!


JEREMIAS:


Tod steht über Jerusalem, Tod über uns allen. Nur Ergebung kann uns erretten.


ZEDEKIA:


Dann geh und ergib dich! Als einziger aller rette dein Leben!


(JEREMIAS starrt ihn an, ohne ihn zu verstehen.)


ZEDEKIA:


Wer zehrt an unserem Brote, soll nicht auch zehren an unserer Kraft. Fürchtest du für Zion, so fliehe von Zion! Ich schenk dir dein Leben! Die Mauer hier, klimm sie hinab, zu Nabukadnezar geh und birg deinen Leib. Und so dein Wort sich erfüllet, bläh auf deine Backen und lache der Brüder, die starben für Jerusalem.


ABIMELECH:


Zu milde bist du, König, mit dem Lästerer.


(JEREMIAS unbeweglich, ringt um ein Wort.)


ZEDEKIA:


So geh doch, flieh fort, Abtrünniger des Glaubens, geh zu Nabukadnezar, des Sieg du gekündet, und küsse seinen Fuß! Ich aber bleibe in meines Volkes Mitte und in meiner Väter Heimat, denn ich glaube bis zum letzten Atem meines Leibes: Lüge ist dieses Mannes Rede und ewig währet Jerusalem!


DIE ANDERN (jauchzend):


Ewig währet Jerusalem! Nie vergehet Gottes Haus!


ZEDEKIA:


So eile! Lauf über zu Assur, ich hab dirs gewährt! Laß uns unsern Tod und kriech in dein Leben!


JEREMIAS (sich fassend):


Ich lasse nicht Jerusalem!


ZEDEKIA:


Hast du nicht eben gekündet uns allen, Tod stünde über Jerusalem? So flieh, daß du ihm entweichest!


JEREMIAS:


Nicht meines Lebens trage ich Bangen, sondern für die Tausendmaltausend schreiet mein Herz. Ich weiche nicht! Mögen fallen seine Mauern, ich stürze mit dem letzten seiner Steine.


STIMMEN:


Nicht dulde ihn bei den Kriegern… ein Verräter ist er… Verwirrung sprengt er unter die Krieger… jage ihn fort… nicht habe er länger Gemeinschaft mit uns…


ZEDEKIA:


Zum letztenmal, Jeremias! Aufgetan ist dir der Weg!


JEREMIAS:


Ich bleibe in Gottes Stadt, bis daß sie vergehet, bis daß ich vergehe!


ZEDEKIA:


Dann aber wisse dieses zur Warnung: Schwert liegt fortab auf deinem Wort! So du noch einmal hebst die Stimme zu harter Verkündung, so du noch einmal ausschreiest Untergang in diesen Mauern, ist dein Leben verfallen.


JEREMIAS:


Nicht ich hebe die Stimme, Gott wirft sie aus mir. Wie die Luft fährt durch die Posaune, daß sie erklinge, so tönet sein Wille durch mich. In seine Hände habe ich mich gegeben.


ZEDEKIA:


Ich habe dich gewarnet, Jeremias, wie du mich gewarnet. Selbst schützest du fortan dein Leben. (Zu den andern): Keiner rühre ihn feindlich an, solange er sich zähmet. Doch schreit er noch einmal Schrecknis über die andern, so fasset ihn, und er büße nach euerm Spruch. (Zu Jeremias): Hüte dich, hüte deine Lippe, daß dein Blut nicht springe über sie! Uns aber möge Gott schonen, wie ich heute deiner geschonet.


JEREMIAS (reglos, mit unsicherer Stimme):


Nicht mich hüte ich… ich hüte Jerusalem…


ZEDEKIA (wieder an den Rand der Mauer tretend):


Noch immer ziehen sie her, und wie von Wettern rollts von ihren Wagen und Rossen, es ist kein Ende abzusehen, kein Ende. Wahrlich, furchtbar ist er, der König von Mitternacht, furchtbar wird es sein, ihm zu begegnen! Gott schütze Jerusalem! (Tief atmend): Gott schütze Jerusalem!


(ZEDEKIA wendet sich langsam zum Gehen und schreitet die Runde weiter; Abimelech, die anderen sowie die beiden Krieger folgen dem sinnend Hinschreitenden langsam nach.)


BARUCH (aus dem Dunkel vorstürzend):


Rasch… eile ihm nach, noch einmal fasse deine Kraft… Gottes Sendung ist über dir… eile, daß du ihn zwingest.


JEREMIAS (erwachend aus seiner Dumpfheit):


Wen… wen soll ich zwingen?


BARUCH:


Den König… eile ihm nach… entbrenne dein Wort, rette, rette Jerusalem!


JEREMIAS:


Den König! (In heißem Erschrecken um sich auf die leere Mauer starrend): Oh, fort… fort… versäumt… verloren die heilige Stunde… von Gott war er mir gesandt, in meine Hände geworfen, daß ich knetete seinen Willen, und ich ließ ihn entgleiten… Blick in Blick war mir der Schwanke gegeben, und doch: wie Asche zerstäubte an seiner Stirne mein Wort… Oh, Schmach über mich, daß so dürr war meine Rede, so laulich mein Atem… Mit Fluch fiel ich ihn an, und mit Güte hat er mich geschlagen… wer bin ich, daß man mir diente, wenn ich nicht diene dem Wort… Oh, Fluch der Nessel meiner Rede… Fluch der Distel meines Munds…


BARUCH:


Noch einmal versuch es, und du zwingest ihn. Schon erschwankte sein Wille!


JEREMIAS:


Zu spät, zu spät, verloren ist die Stunde, die Gott mir erkor! Doch was wählete er auch mich, den Schwächling, was rief er Unkraft zu so gewaltig Beginnen! Warum tat er nur Galle des Fluches in meinen Mund und des Wortes bittern Wermut, warum die läutrige Flamme nicht, die entbrennet die Herzen der Menschen! Wer bin ich denn, Nichtiger, daß ich mich erfreche, seines Wortes Profeten mich zu nennen, Bruder der Erlauchten, wenn ich nicht Erbe bin ihrer Stärke? Königen umtaten sie den Zaum ihres Willens und beugeten der Völker Stirn, Feuer des Herrn fuhr voran ihrer Rede, doch ich, ich Dorn im Fleisch ihrer Qual, nicht ein Blatt vermag ich zu wenden mit meiner Seele Odem… ein Speichelspeier nur bin ich, ein Tönen von Wirrsal und Wind…


BARUCH:


Nicht quäle dich, Meister… der Schmerz verwirret dich.


JEREMIAS:


So sage doch, zeuge, künde mir, daß ichs gewahr sei… was hab ich vermocht? Eine Stadt hängt am Tode, und ihre Not verzehret mich… von Träumen bin ich allnächtens umtan und schmerzhaft trächtig des Worts… so sag, was vermocht ich wider den Herren der Stunde… meine Warnung, wen warnete sie… nicht daß er einen Boten sendete von Zelt zu Zelt… nicht daß ein Mensch seine Schritte aufhübe als Bote des Friedens… Oh, die Luft frißt meine Schreie, und das Gelächter der Menschen schluckt meine Schreie, zur Schande bin ich gezeugt und zur Plage geboren! Wem hab ich Freude geschenket? Ein Greuel bin ich den Gerechten und meiner Mutter Kümmernis. Kein Weib trägt ein Kind mir im Schoß, und kein Lebendiger glaubet meiner Rede!


BARUCH:


Ich glaube dir, ich laß dich nicht.


JEREMIAS:


Du glaubest mir… noch immer… dann hör mein Wort… So du mir glaubest, verlaß mich! Denn du verderbest dich. Geh zu den andern, die Süße predigen und triefen von Verheißung, geh zu Hananja, der Sieg sagt, und nicht spotte ihrer mehr, denn wisse, sie sind besser denn ich. Ihre Lüge, sie zeuget noch Kühnheit, doch schlaff sind die Lenden meines Worts, sie wecken keinen Samen des Sieges. Ohnmacht nur zeugt meine Ohnmacht. Oh und sage, wer ist unnützer, denn der Friede schreit zwischen den Schwertern, wer törichter als der Weisheit Verkünder in der Trunkenen Mitte? Ist denn nicht Freude der Menschen Brot und die Hoffnung ihre Speise? Gesegnet, wer tröstet, verflucht, wer nur fluchet… daß ihm darre die Zunge… daß auslösche, der Anstoß ist und Ärgernis…


BARUCH:


Nein, ich weiche nicht von dir… Du bist der Große… Dich hab ich erwählt um deines Leidens willen.


JEREMIAS:


Nicht lobe mich, nicht lobe mich… mich verbrennet die Scham… was hab ich denn Jerusalem zum Heile getan… hab ich gebeugt des Königs Starrnis, hab ich zum Rechten geführt das irrend Volk, hab ich erweckt den Boten des Friedens mit meiner Rede Stachel? Nur geschrien habe ich und gefluchet, doch mein Geschrei war ein Blitz, der in Wasser fährt, und mein Fluch ein Wind, der nicht wehet… wo ist meine Tat… wem brachte ich Segen… wo schuf ich den Frieden… wo weckte ich den Boten zum Wege, da ich selber gestrauchelt…


BARUCH:


Wie sagtest du… einen Boten müßtest du schaffen, daß er gehe von Nabukadnezar zum Könige?


JEREMIAS:


Will er denn als erster sprechen zum andern. Wie die Knaben warten die Könige, daß einer anhübe mit dem Wort.


BARUCH (heiß):


Aus deinem Atem, sagtest du, müßtest du einen Boten erschaffen… aus deinem Atem… siehe, Jeremias, wisse… du heilig Verzagter… nicht dürr und fruchtlos ist dein Wort… fruchtend ist es mir in die Seele gefallen… in mir nun keimet Gottes Geheiß… ich danke dir, Meister, Erwecker… aus dem Dunkel hast du mich gehoben… meine Tat mir gewiesen… oh, Jeremias, der du Kraft zeugest aus deinem Schmerze… ich danke dir… ich danke dir.


JEREMIAS:


Was erglühest du so… Ich fasse dich nicht…


BARUCH:


Meine Tat… Sie ist es, die mir entglüht… Du hast mich befeuert… ich weiß den Weg, nachbarlich geht er dem Tode wie der deine… doch ich will ihn gehen für Jerusalem… lebe wohl, Meister… ich will würdig sein deines Rufes, lebe wohl.


JEREMIAS:


Wohin willst du?


BARUCH:


Lebe wohl, Meister… lebe wohl und segne mich, wenn ichs vollbringe, und fluche mir nicht, so ichs versäume… lebe wohl… lebe wohl… es gilt Jerusalem…


(BARUCH schwingt sich zur Mauer und beginnt hinabzuklettern.)


JEREMIAS:


Was willst du an der Mauer… Baruch… wohin…


BARUCH:


Deinen Weg… lebe wohl… lebe wohl…


(BARUCH verschwindet jenseits der Mauer.)


JEREMIAS (sich über die Mauer beugend):


Baruch, wohin gehest du… halt ein… sie werden dich fassen… die Späher Chaldäas sind schon rege um die Wege… Baruch… Baruch… Was fliehst du von mir… Was lässest du mich allein… Baruch… Baruch… bleib bei mir in dieser Stunde…


DER ERSTE KRIEGER (ist herbeigeeilt):


Was rufst du da… was schreist du in die Nacht…


JEREMIAS (sich aufrichtend):


Ich rufe… ich rufe, und doch hört keiner auf mich…


DER ERSTE KRIEGER:


Was geht hier vor? Was treibst du noch da? Mir war, als glitte ein Schatten die Mauer hinab. Ist einer mit dir?


JEREMIAS:


Keiner ist mit mir… keiner ist mehr mit mir…


(JEREMIAS geht langsam, mit schwerem Schritt, von der Mauer stadtwärts hinab. Der Krieger sieht ihm starr nach, bis er im Schatten der Mauer verschwindet, dann rafft er sich auf und schreitet im harten Mondlicht schweigend auf und ab. Es ist ganz still, nur sein schwerer Schritt hallt über die mondblanken Quadern, und von ferne tönt aus dem Unsichtbaren heranklingend wieder der Wachtruf: »Simson über sie«… »Simson über sie« durch die weiße Nacht…)

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III. Das Gerücht

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V. Die Prüfung des Profeten

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