Die Ausfahrt
20. September 1519
Am 10. August 1519, ein Jahr und fünf Monate, nachdem Karl, der künftige Herr beider Welten, die Capitulacion unterschrieben, verlassen endlich die fünf Schiffe die Reede von Sevilla, um stromabwärts nach San Lucar de Barrameda zu fahren, wo der Guadalquivir in das offene Meer mündet; hier soll die letzte Überprüfung und Verproviantierung der Flotte erfolgen. Aber der eigentliche Abschied ist schon genommen; in der Kirche Santa Maria de la Victoria hat Magellan, nachdem er mit gebeugtem Knie den Eid der Treue geschworen, vor der ganzen versammelten Mannschaft und einer ehrfürchtig aufblickenden Menge die königliche Standarte von dem Corregidor Sancho Martinez de Leyva empfangen. Vielleicht besinnt er sich in diesem Augenblick, daß er vor seiner ersten Indienfahrt gleichfalls in einer Kathedrale gekniet und den Eid der Treue geschworen. Es war eine andere Flagge, die portugiesische, der er damals Treue gelobte, ein anderer König, Manoel von Portugal, und nicht Carlos von Spanien, dem er damals sein Blut verpflichtete. Aber ebenso ehrfurchtsvoll, wie damals der junge Sobresaliente zu dem Admiral Almeida emporgeblickt, da jener das seidene Banner entrollte und über die Häupter der Hingeknieten erhob, sehen jetzt die zweihundertfünfundsechzig Männer auf ihn als den Herrn und Führer ihres Schicksals.
In diesem Hafen von San Lucar, gegenüber dem Schlosse des Herzogs von Medina Sidonia, hält Magellan nun die letzte Musterung vor seiner Ausreise ins Unbekannte. Mit der sorglichen und furchtsamen Liebe wie ein Künstler sein Instrument prüft und überprüft er noch einmal seine Flotte vor der Fahrt. Zwar kennt er diese fünf Schiffe schon so genau wie den eigenen Leib. Ach, wie arg war er damals erschrocken, da er die in aller Eile zusammengekauften zum erstenmal erblickte, jämmerlich, alt, verwahrlost und ausgefahren! Aber seitdem ist gute Arbeit geleistet worden; von Grund auf hat man jede der alten Galeonen erneuert, die morschen Rippen durch neue ersetzt, vom Kiel bis zur Mastspitze hinauf sie gepecht und gebohnt, kalfatert und gescheuert. Jede Planke, jedes Brett hat Magellan eigenhändig abgeklopft, ob das Holz nicht verfault sei oder wurmstichig, jedes Tau hat er geprüft, jede Schraube, jeden Nagel. Aus starker Leinwand und frisch bemalt sind die Segel, die das Kreuz des spanischen Schutzheiligen Sanjago tragen, erneuert die Gewinde, blank die Metalle, jedes Ding sauber und ordentlich an seiner richtigen Stelle; kein Spion und kein Neider würde jetzt mehr wagen, die völlig aufgefrischten und verjüngten Galeonen zu verspotten. Schnellfahrer sind sie freilich trotzdem nicht geworden und wenig zu einer Regatta geeignet, diese vollbäuchigen, rundlichen Kutter, aber dank ihrer soliden Breite und ihrem Tiefgang gewähren sie viel Raum für Ladung und eine gewisse Sicherheit bei wildem Seegang: gerade durch ihre Schwerfälligkeit können sie aller irdischen Voraussicht nach die härtesten Stürme bestehen. Der größte innerhalb dieser geschwisterlich versammelten Schiffsfamilie ist der »San Antonio« mit hundertzwanzig Tonnen. Aber aus irgendeinem Grunde, den wir nicht kennen, überläßt ihn Magellan Juan de Cartagena zum Kommando und nimmt sich die »Trinidad«, obzwar sie zehn Tonnen weniger hält, als »capitana«, als Flaggschiff. Der Größe nach folgen dann die »Concepcion« mit neunzig Tonnen, für die Gaspar Quesada als Kommandant ernannt ist, die »Victoria« (sie wird ihrem Namen Ehre machen) unter Luis de Mendoza mit fünfundachtzig Tonnen, die »Santiago« unter dem Kommando João Serrãos mit fünfundsiebzig; ausdrücklich hat Magellan diese Verschiedenheit der Schiffstypen gewünscht, weil er die kleineren um ihres geringeren Tiefgangs willen zu Rekognoszierungen und gleichsam als Vorposten benötigt; aber es wird anderseits besondere seemännische Kunst erfordern, ein Geschwader von dermaßen ungleichen Geschwistern auf offener See ständig beisammenzuhalten.
Magellan geht von Schiff zu Schiff, um vor allem die Fracht und Ladung zu prüfen. Wie oft zwar ist er jede Leiter schon hinauf- und hinabgeklettert, immer und immer wieder hat er das Inventar genauest aufgenommen, und noch heute können wir dank der erhaltenen Archivdokumente uns von der Peinlichkeit und Präzision überzeugen, mit der hier eines der phantastischesten Abenteuer der Weltgeschichte im winzigsten Detail berechnet und durchgerechnet war. Bis auf einen halben Maravedi ist in den umfangreichen Akten verzeichnet, was jeder Hammer, jedes Seil, jedes Säckchen Salz, jedes Ries Papier gekostet hat, und diese kalten, korrekten, von irgendeiner gleichgültigen Schreiberhand hingeschriebenen Zahlenkolonnen mit allen ihren Spezifizierungen und Bruchteilen bekunden vielleicht noch überzeugender als alle pathetischen Worte das Geduldgenie dieses Mannes. Magellan wußte als erprobter Seemann um die ungeheure Verantwortlichkeit einer Reise ins völlig Unbekannte. Er wußte, daß auch das winzigste Objekt, das bei der Abfahrt durch Leichtsinn oder Gedankenlosigkeit vergessen würde, unwiderruflich für die ganze Dauer der Reise vergessen blieb; in diesem besonderen Fall gab es für ein einmal gemachtes Versehen oder Übersehen keine Korrektur mehr, keinen Ersatz, keine Sühne. Jeder einzelne Nagel, jeder Ballen Werg, jedes Stück Blei, jeder Tropfen Öl, jedes Blatt Papier stellt in jenen unbekannten Zonen, denen er zustrebt, einen Wert dar, der mit keiner Summe Geldes und nicht mit dem eigenen Blut mehr zu erkaufen wäre: an einem einzigen vergessenen Ersatzstück kann ein Schiff unbrauchbar werden, an einer einzigen falschen Kalkulation das ganze Unternehmen zugrunde gehen.
Darum gilt der strengste, der sorglichste Blick dieser letzten Heerschau dem Proviant. Was verzehren zweihundertfünfundsechzig Menschen auf einer Reise, deren Dauer auch annähernd nicht zu erraten ist? Schwierigste Rechnung dies, weil der eine Nenner – die Dauer der Reise – unbekannt ist. Nur Magellan und nur er allein ahnt – er wird es vorsichtigerweise der Mannschaft nicht sagen –, daß es viele Monate, daß es wahrscheinlich sogar Jahre dauern wird, ehe zulänglicher Mundvorrat wieder nachbeschafft werden kann: lieber mehr als weniger wird er darum mitnehmen müssen, und die Mengen sind – in Anbetracht des kleinen Schiffsraums – wirklich imposant. Das Alpha und Omega aller Ernährung bildet der Schiffszwieback: einundzwanzigtausenddreihundertachtzig Pfund hat Magellan an Bord schaffen lassen und sie kosten mit den Säcken dreihundertzweiundsiebzigtausendfünfhundertzehn Maravedis; soweit menschliche Voraussicht etwas berechnen kann, müßte diese riesige Ration sogar für zwei Jahre ausreichen. Auch sonst denkt man bei der Proviantliste Magellans eher an einen modernen Transatlantikdampfer von zwanzigtausend Tonnen als an fünf Fischkutter von zusammen etwa fünfhundert bis sechshundert Tonnen (zehn Tonnen von damals entsprechen elf von heute). Was alles ist da im engen, dumpfigen Schiffsraum zusammengestaut! Neben den Säcken mit Mehl, Bohnen und Linsen und Reis und allen denkbaren Hülsenfrüchten lagern fünftausendsiebenhundert Pfund eingepökeltes Schweinefleisch, zweihundert Fässer Sardellen, neunhundertvierundachtzig Laibe Käse, vierhundertfünfzig Schnüre Knoblauch und Zwiebeln; ihnen hinzugefügt sind allerhand schmackhafte Dinge wie fünfzehnhundertzwölf Pfund Honig, dreitausendzweihundert Pfund Malagatrauben, Rosinen und Mandeln, reichlich Zucker, Essig und Senf. Sieben lebende Kühe (aber die braven Vierbeiner werden nicht lange leben) treibt man noch in letzter Stunde an Bord; damit ist für die erste Zeit Milch und für die spätere frisches Fleisch gesichert. Aber wichtiger als Milch dürfte den robusten Gesellen auf die Dauer doch der Wein sein. Um die Mannschaft in guter Stimmung zu halten, hat Magellan den besten und allerbesten in Xerez einkaufen lassen, und zwar nicht weniger als vierhundertsiebzehn Schläuche sowie zweihundertdreiundfünfzig Fässer; auch hier ist theoretisch auf zwei Jahre hinaus für jeden Matrosen sowohl Mittags- als Abendtrunk sichergestellt.
Die Liste in der Hand, wandert Magellan von Schiff zu Schiff, von Gegenstand zu Gegenstand. Welche Mühe, erinnert er sich, hat es gekostet, all dies zusammenzubringen, zu prüfen, zu berechnen, zu bezahlen! Welche Kämpfe bei Tag mit den Ämtern, den Händlern, und welche Angst dann in den Nächten, etwas vergessen, etwas falsch verteilt zu haben! Aber nun scheint endlich alles vorhanden, was zweihundertfünfundsechzig Mägen auf dieser Fahrt benötigen werden. Für die Menschen, für die Matrosen ist gesorgt. Doch auch Schiffe sind lebende, sind sterbliche Wesen, und jedes verbraucht im Kampf mit den Elementen viel von seiner Widerstandskraft. Der Sturm zerreißt die Segel, zerzerrt und zerfetzt die Taue, das Seewasser frißt am Holz und rostet das Eisen, die Sonne brennt die Farben aus, die Dunkelheit verbraucht Öl und Kerzen. Jedes einzelne Ausrüstungsstück muß also zweifach und mehrfach vorhanden sein, Anker und Tauwerk, Holz und Eisen und Blei, Stämme für neue Mäste, Sackleinwand für frische Segel. Nicht weniger als vierzig Wagenladungen Holz führen die Schiffe mit, um jeden Schaden sofort ausflicken, jede Planke, jede Rippe erneuern zu können, dazu ganze Tonnen voll Teer und Pech und Wachs und Werg, um die Fugen zu dichten; selbstverständlich fehlt nicht das nötige Arsenal von Zangen und Sägen und Bohrern und Schrauben und Schaufeln und Hämmern und Nägeln und Piken. Tausende von Angelhaken, Dutzende Harpunen und ein reichlicher Vorrat an Fischernetzen liegen gehäuft, um unterwegs Fische zu fangen, die neben dem mitgenommenen Brot die Hauptnahrung der Mannschaft sein müssen. Für die Beleuchtung des Nachts ist durch neunundachtzig kleine Laternen und vierzehntausend Pfund Kerzen auf längste Zeit gesorgt, nicht eingerechnet dabei die großen schweren Wachskerzen für die Messe. Auch für den nautischen Dienst ist alles auf weite Frist berechnet: Kompasse und Kompaßnadeln, Stundengläser, Astrolaben, Quadranten und Planisphären, unersetzlich jedes Stück, und für die Rechenbeamten fünfzehn leere Bücher (denn wie außer in China ein einziges Blatt Papier sich nachschaffen auf dieser Reise?). Unerfreuliche Zwischenfälle werden gleichfalls vorausbedacht: Medizinkasten für die Apotheke, Schröpfzangen für die Bader, Handschellen und Ketten für Unbotmäßige; aber ebenso ist für Unterhaltsamkeit gesorgt durch fünf große Trommeln und zwanzig Tambourine, zu denen wohl auch ein paar Fiedeln, Pfeifen und Dudelsäcke sich gefunden haben mögen.
Dies nur ein kleiner Auszug aus Magellans wahrhaft homerischem Schiffskatalog, nur einige wesentliche von den tausend Dingen, die Mannschaft und Schiffe auf so unberechenbarer Reise für sich benötigen. Aber diese Flotte, die mit aller Ausrüstung an die acht Millionen Maravedis kostet, hat der künftige Herr beider Welten ja keineswegs bloß aus Neugier ins Unbekannte gesandt; diese fünf Schiffe sollen nicht nur kosmographische Resultate, sondern auch Geld und so viel Geld als möglich dem Konsortium der Unternehmer heimbringen! Tauschware für die erhofften Handelsartikel muß also reichlich mitgenommen und geschickt gewählt werden. Nun kennt Magellan von seinen Indienfahrten auf das genaueste den naiven Geschmack der Naturkinder. Er weiß, zwei Dinge machen überall Effekt: der Spiegel, in dem der schwarze, braune oder gelbe Erdbewohner zum erstenmal erstaunt sein eigenes Antlitz anstarren kann, und dann die Glocken und Glöckchen, dieses ewige Kinderentzücken. Nicht weniger als zwanzigtausend dieser kleinen Lärminstrumente führt man darum mit, dazu neunhundert kleine und zehn große Spiegel (von denen leider die meisten zerschlagen ankommen werden), vierhundert Messer, »made in Germany« (ausdrücklich vermerkt die Liste: »400 Docenas de cuchillos de Alemania de los peores«, Messer aus Deutschland billigster Sorte), fünfzig Dutzend Scheren, dann natürlich die unvermeidlichen bunten Schnupftücher und roten Kappen, Messingarmringe, falsche Edelsteine und bunte Glasgüsse. Ein paar türkische Anzüge werden als Paradestücke beiseite gelegt sowie die üblichen grellen Fetzen aus Samt und Wollzeug – im ganzen eine heillose Ramschware, in Spanien so wertlos wie auf den Molukken das Gewürz, aber ideal so den Sinn eines Handelsgeschäfts erfüllend, bei dem Käufer und Verkäufer zehnfach den Wert der heimischen Ware im Tausche überzahlt bekommen und doch beide kräftig verdienen.
Diese Kämme und Kappen, Spiegel und Spielereien gelten freilich nur für den freundlichen Fall, daß die Eingeborenen zu friedlichem Tausch sich bereit finden. Jedoch auch für die andere, die kriegerische Möglichkeit, ist ausgiebig gesorgt. Achtundfünfzig Kanonen, sieben lange Falkonetten, drei schwere Mörser blinzeln böse aus den Luken, Kugeln aus Eisen und Stein beschweren reichlich den Schiffsbauch und dazu noch ganze Tonnen Blei, um weitere zu gießen. Tausend Lanzen, zweihundert Piken und zweihundert Schilde zeigen entschlossene Gesinnung, außerdem ist mehr als die Hälfte der Mannschaft mit Helmen und Brustplatten ausgerüstet. Für den Admiral selbst werden zwei Harnische eigens aus Bilbao bestellt, die ihn von Kopf bis Fuß ganz in Eisen kleiden: als übernatürliches, unverwundbares Wesen kann er darin den fremden Völkern entgegentreten. So ist, obwohl Magellan seinem Plane wie seinem Charakter gemäß jeden Kampf zu vermeiden gedenkt, diese Expedition militärisch nicht schlechter ausgerüstet als jene des Hernando Cortez, der im gleichen Sommer 1519 am andern Ende der Welt mit seiner Handvoll Leute ein Millionenreich erobert: ein heldisches Jahr für Spanien kann beginnen.
Eindringlich und mit der wachen, unbeirrbaren Geduld, die ihn auszeichnet, hat Magellan noch einmal, zum letztenmal, jedes der fünf Schiffe auf Fahrtüchtigkeit, auf Ladung und Ausrüstung geprüft. Nun einen Blick auf die Mannschaft! Nicht leicht hat es gehalten, sie anzuheuern, Wochen und Wochen hat es gedauert, ehe man sie zusammenkehrte aus den letzten Hafengassen und Tavernen; zerlumpt, verdreckt, undiszipliniert sind sie angerückt gekommen, und noch immer reden sie durcheinander das krauseste Volapük, spanisch der eine, italienisch der andere, französisch der dritte, portugiesisch und griechisch, katalanisch und deutsch. Ja, es wird noch gute Zeit dauern, ehe diese Olla podrida zusammengekocht ist in eine gute, verläßliche, stramme Schiffsmannschaft. Aber ein paar Wochen an Bord, und er wird sie schon fest in die Hand bekommen! Wer selbst sieben Jahre simpler Sobresaliente, Matrose und Kriegsmann gewesen, weiß, was Matrosen brauchen, wieviel man von ihnen verlangen darf und wie man sie behandeln muß. Die Mannschaft macht dem Admiral wenig Sorge.
Aber eine unangenehme Spannung spürt er nahe der Galle, wenn er auf die drei spanischen Kapitäne blickt, die ihm als Kommandanten der andern Schiffe zugeteilt sind. Unwillkürlich straffen sich seine Muskeln wie die eines Ringers unmittelbar vor dem beginnenden Kampfe. Denn mit wie kalter, hochmütiger Miene, mit wie schlecht verhehlter und vielleicht sogar absichtlich schlecht verhehlter Verächtlichkeit sieht dieser veedor, dieser königliche Oberaufseher, Juan de Cartagena an ihm vorbei, dem er an Stelle Faleiros das Kommando des »San Antonio« übertragen mußte. Gewiß, Juan de Cartagena ist ein Seemann von Rang und Erfahrung und seine persönliche Ehrenhaftigkeit ebensowenig zu bezweifeln wie sein Ehrgeiz. Aber wird der adelige Kastilianer diesen Ehrgeiz bezähmen können? Wird dieser Vetter des Bischofs von Burgos, dem der König Faleiros Titel der »conjuncta persona« übertragen hat, sich wirklich, wie er geschworen hat, ihm unterordnen? Immer wieder erinnert sich Magellan, da er ihn anblickt, der Worte, die Alvarez ihm ins Ohr geflüstert, es hätten außer ihm noch andere besondere Vollmachten in der Tasche, von denen er erst erfahren werde, wenn es schon zu spät sei für seine Ehre. Nicht minder feindselig blickt Luis de Mendoza, der die »Victoria« kommandiert. Schon in Sevilla hat er einmal frech den Gehorsam verweigert, und doch durfte Magellan diesen heimlichen Feind nicht entlassen, den der Kaiser ihm als tesorero mitgegeben. Nein, es besagt nicht viel, daß feierlich alle diese Offiziere in der Kathedrale von Santa Maria de la Victoria im Schatten der entbreiteten Fahne ihm Treue und Gehorsam geschworen; im inneren Herzen bleiben sie Feinde und Neider. Man wird achthaben müssen auf diese spanischen Edelleute.
Ein Glück darum, daß es wenigstens einigermaßen gelungen ist, das königliche Reskript und die verärgerten Proteste der Casa de Contratacion zu umgehen und dreißig Portugiesen, darunter ein paar verläßliche Freunde und Blutsverwandte, in die Flotte zu schmuggeln. Da ist vor allem Duarte Barbosa, sein Schwager, trotz seiner Jugend schon ein erprobter Weltfahrer, da ist Alvaro de Mesquita, gleichfalls ihm nahe verwandt, und Estevão Gomez, der trefflichste Pilot Portugals. Da ist João Serrão, der zwar als Spanier in den Listen geführt wird und auf spanischen Expeditionen mit Pizarro und Pedro d’Arias in der Castilia del oro gewesen ist, aber als Verwandter des Francisco Serrão, des Blutsfreunds Magellans, doch irgendwie sein Landsmann sein muß. Großen Gewinn bedeutet ferner João Corvalho, der schon vor vielen Jahren in Brasilien gewesen ist und sogar einen Sohn an Bord mitbringt, den er drüben mit einer braunen brasilianischen Frau gezeugt hat. Beide können sie dank ihrer Sprache und Ortskenntnis in jenem Lande die besten Wegbereiter sein; gelingt es aber anderseits, von Brasilien hinüber in den malaiischen Sprachkreis, zu den Gewürzinseln und nach Malacca zu gelangen, dann wird Magellans Sklave Enrique sich als Dolmetsch bewähren. Ein halbes Dutzend oder ein Dutzend Männer sieht er also im ganzen unter den zweihundertfünfundsechzig, auf deren Treue er sich unbedingt verlassen kann. Das ist nicht viel. Aber wer keine Wahl hat, muß wagen, auch wenn die Zahl und die Stunde wider ihn steht.
Ernst, mit innerlichster Prüfung jedes einzelnen hat Magellan die Front abgeschritten, unaufhörlich im geheimen rechnend und überrechnend, wer im Entscheidungsfalle zu ihm stehen würde und wer wider ihn. Ohne daß er es bemerkt, hat die Anstrengung seine Stirn in Falten gestrafft. Aber auf einmal löst sich die Spannung, unwillkürlich muß er lächeln. Mein Gott, den hätte er beinahe vergessen, diesen einen Überzähligen und Überflüssigen, der da in letzter Stunde noch hereingeschneit kam! Wirklich nur durch einen blanken Zufall ist dieser stille, bescheidene, blutjunge Italiener Antonio Pigafetta, Angehöriger eines alten Adelsgeschlechts in Vincenza, in diese bunte Gesellschaft von Abenteurern, Ehrgeizigen, Geldraffern und Desperados gerutscht. Mit dem Gefolge des päpstlichen Protonotars an den Hof Karls V. nach Barcelona gekommen, hörte dort der noch unbärtige Rhodosritter von einer geheimnisvollen Expedition reden, die auf ganz unbekanntem Wege zu bisher unerreichten Zielen und Zonen führen soll. Nun hat Pigafetta wahrscheinlich das in seiner Vaterstadt Vincenza 1507 gedruckte Buch Vespuccis über die »Paese novamente retrovati« gelesen, wo Vespucci von seiner Lust erzählt, »di andare e vedere parte del mondo e le sue meraviglie«. Vielleicht hat auch der vielgelesene »Itinerario« seines Landsmannes Lodovico Varthema den jungen Italiener begeistert; mächtig erregt ihn der Gedanke, auch für sein eigen Teil etwas von den »großartigen und schauervollen Dingen des Ozeans« mit eigenen Augen erblicken zu dürfen. Karl V., an den er sich mit seiner Bitte wendet, an dieser geheimnisvollen Expedition teilnehmen zu dürfen, empfiehlt ihn an Magellan, und mit einemmal steht zwischen all diesen professionellen Seefahrern, Geldmachern und Abenteurern ein sonderbarer Idealist, der nicht um des Ruhms und nicht um des Geldes willen sich in die Gefahr wagt, sondern aus ehrlicher Globetrotterleidenschaft, der als Dilettant im schönsten Sinne, also nur um seines diletto willen, um der Freude willen zu sehen, zu erfahren, zu bewundern, zu bestaunen, sein Leben für das Abenteuer einsetzt.
Aber in Wahrheit wird gerade dieser Unscheinbare und Überflüssige für Magellan der wichtigste Teilnehmer seiner Fahrt werden. Denn was gilt eine Tat, wenn sie nicht dargestellt wird? Nie ist eine historische Tat schon vollendet, wenn sie vollzogen wird, sondern immer erst, wenn sie der Nachwelt überliefert wird. Was wir Geschichte nennen, stellt keineswegs die Summe aller bedeutsamen Taten dar, die jemals in Raum und Zeit sich ereignet haben; die Weltgeschichte, die Welthistorie umfaßt einzig jenen kleinen belichteten Ausschnitt, der zufällig von dichterischer oder gelehrter Darstellung erhellt wurde. Nichts wäre Achill ohne Homer, Schatten bleibt jede Gestalt, und wie leere Welle zerrinnt jede Tat im unermeßlichen Meer der Geschehnisse ohne den Chronisten, der sie in seiner Darstellung erstarren läßt, oder den Künstler, der sie neu und bildnerisch formt. So wüßten wir auch wenig von Magellan und seiner Tat, hätten wir nur die eine Dekade Peter Martyrs, den knappen Brief des Maximilian Transsylvanus und die paar trockenen Aufzeichnungen und Logbücher der verschiedenen Piloten. Nur dieser eine kleine Rhodosritter, dieser Überzählige und Überflüssige, hat Magellans Tat der Nachwelt zur Anschauung gebracht.
Nun war unser braver Pigafetta gewiß kein Tacitus oder Livius. Auch in der Schriftstellerei wie in der Abenteurerkunst blieb er nichts als ein sehr sympathischer Dilettant. Menschenkenntnis kann man nicht gerade seine Stärke nennen; die wichtigsten seelischen Spannungen zwischen Magellan und den Kapitänen scheint er an Bord völlig verschlafen zu haben. Aber gerade weil Pigafetta sich um Zusammenhänge wenig kümmert, beobachtet er akkuratest die Einzelheiten und verzeichnet sie mit der munteren Sauberkeit eines Pennälers, der als Schulaufgabe seinen Sonntagsausflug zu schildern hat. Nicht immer ist er zuverlässig, manchmal läßt er sich in seiner naiven Art von den alten Piloten, die in ihm sofort das Greenhorn erkennen, die mächtigsten Bären aufbinden; aber all diese kleinen Fabeleien und Unverläßlichkeiten hat Pigafetta reichlich gutgemacht durch seine neugierige Sorgsamkeit, mit der er jede Einzelheit beschreibt; und daß er sich sogar die Mühe nahm, die Patagonier nach der Berlitz-Methode auszufragen, hat dem kleinen Rhodosritter unvermutet den historischen Ruhm gebracht, das erste schriftliche Wörterbuch amerikanischer Vokabeln angelegt zu haben. Jedoch noch höhere Ehre ist ihm geworden. Denn niemand geringerer als Shakespeare bedient sich für seinen »Tempest« einer Szene aus Pigafettas Reisebuch, und was kann einem mittelmäßigen Schriftsteller Herrlicheres geschehen, als daß ein Genius aus seinem vergänglichen Werk etwas für sein unvergängliches nimmt und so einen belanglosen Namen auf seiner Adlerschwinge mitaufhebt in seine ewige Sphäre?
Magellan hat seinen Rundgang beendet. Mit ruhigem Gewissen kann er sich sagen: alles, was ein sterblicher Mensch errechnen und vorausdenken konnte, hat er vorausberechnet und durchdacht. Aber eine Abenteuer-, eine Entdeckungsfahrt fordert noch höhere Mächte als die irdisch meßbaren und wägbaren heraus. Ein Mann, der alle Möglichkeiten des Gelingens auf das genaueste vorauszubestimmen versucht, muß auch das wahrscheinlichste Ende solcher Fahrt in Betracht ziehen: die Nichtwiederkehr. So verfaßt Magellan, nachdem er seinen Willen in irdisches Werk umgesetzt, zwei Tage vor der Ausfahrt seinen letzten Willen.
Dieses Testament Magellans kann man nicht ohne Ergriffenheit lesen. Denn im allgemeinen kennt, wer einen letzten Willen verfaßt und unterfertigt, wenigstens annähernd den Umfang seiner Habe. Aber wie könnte Magellan auch nur ungefähr abschätzen, wie viel er zu vererben hat? Noch steht in den Sternen geschrieben, ob er in einem Jahre ein Bettler sein wird oder einer der reichsten Männer der Erde. Denn seine ganze Habe besteht einzig in jenem Vertrag mit der Krone. Gelingt die Fahrt, findet Magellan den sagenhaften »paso«, gelangt er zu den Gewürzinseln und von dort mit reichlicher Ladung zurück, dann kehrt, der als armer Abenteurer ausgefahren, als Krösus nach Sevilla heim. Entdeckt er außerdem neue Inseln unterwegs, so fällt Söhnen und Enkeln zu all diesem Reichtum noch der erbliche Titel eines Gouverneurs und Adelantados zu. Geht aber sein Weg in die Irre, zerschellen die Schiffe, dann werden seine Frau, seine Kinder vor den Kirchen mit erhobenen Händen das Mitleid der Frommen anrufen müssen, um nicht zu verhungern. Nur bei den oberen Mächten, denselben, die Wind und Wellen lenken, liegt die Entscheidung. Und Magellan als inbrünstig frommer Katholik beugt sich im voraus demütig vor Gottes unerforschlichem Willen. Ehe an die Menschen und die Ämter, wendet dies ergreifende Testament sich darum an den »höchsten und allmächtigen Gott, unseren Herrn, der ohne Anfang und Ende waltet«. Erst spricht in diesem Testament der Christ, dann der Edelmann und am Ende erst der Gatte, der Vater.
Aber auch in frommen Verfugungen wird ein Magellan niemals vage und verworren sein, und die gleiche erstaunliche Vorausdenkekunst wie während seines Lebens wendet er auch an sein Nachleben. Alle Möglichkeiten sind vorausgesehen und sorgsam abgestuft. »Wenn dies mein gegenwärtiges Leben enden und das ewige beginnen sollte«, wünsche er »am liebsten in Sevilla im Kloster von Santa Maria de la Victoria in einem eigenen Grabe bestattet zu werden«. Sollte ihn dagegen der Tod auf der Reise ereilen und keine Möglichkeit bestehen, seinen Leichnam in die Heimat zu bringen, »dann möge man seine Leiche in der nächsten Kirche, die der Mutter Gottes gewidmet ist, zur letzten Ruhe betten«. Fromm und präzise zugleich, verteilt der gläubige Christ die religiösen Legate. Ein Zehntel von jenem Fünftel aus dem Vertrage soll zu gleichen Teilen dem Kloster von Santa Maria de la Victoria, dem Kloster von Santa Maria Monserrat und dem Kloster von San Domingo in Oporto zufallen, tausend Maravedis der Kapelle von Sevilla, wo er das heilige Abendmahl (vor der Ausfahrt) empfangen habe und es mit Gottes Willen (nach der glücklichen Heimkehr) wieder zu erhalten hoffe. Einen Silberreal vermacht er dem heiligen Kreuzzug, einen andern Silberreal zur Auslösung christlicher Gefangener aus den Händen der Heiden, einen andern Real dem Siechenhaus von San Lazaro, einen vierten und fünften dem Hospital de las Bubas und der Casa de San Sebastian, damit die Empfänger des Almosens »dort zu Gott unserem Herrn für meine Seele beten mögen«. Dreißig Messen sollen über seinem Leichnam und dreißig Tage nach seiner Bestattung noch ebenso viele in Santa Maria de la Victoria gelesen werden. Außerdem bestimmt er, »daß an diesem Tage meiner Bestattung drei Arme bekleidet werden mögen, daß jeder einen Rock von grauem Stoff, eine Mütze, ein Hemd und ein Paar Schuhe erhalte, damit sie zu Gott für meine Seele beten. Und ich wünsche, daß an diesem Tage nicht nur diese drei Armen gespeist werden, sondern noch zwölf andere, damit auch sie zu Gott für meine Seele flehen, und daß ein goldener Dukaten als Almosen für die Seelen im Fegefeuer gespendet werde.«
Nachdem so die Kirche ihr frommes Teil an seinem Erbe erhalten, erwartet man, nun werde dieser letzte Wille sich endlich Frau und Kind zuwenden. Aber rührenderweise bedrückt den tiefreligiösen Mann noch mehr die Sorge um das Schicksal seines Sklaven Enrique. Vielleicht hat schon vordem sein Gewissen Bedenken empfunden, ob ein wahrer Christ einen Sklaven und gar einen, der die christliche Taufe empfangen und damit ein Glaubensbruder, ein Wesen mit unsterblicher Seele geworden war, wie ein Stück Erde oder einen Rock sein Eigentum nennen dürfe. Keinesfalls aber will Magellan mit solcher Unruhe der Seele vor Gott hintreten; deshalb verfügt er, daß »von meinem Todestage an mein Gefangener und Sklave Enrique, geboren in der Stadt Malacca und etwa sechsundzwanzig Jahre alt, frei von jeder Verpflichtung der Sklaverei oder Unterwürfigkeit sei und er dann tun und lassen möge nach seinem Belieben. Ferner wünsche ich, daß aus meinem Nachlaß zehntausend Maravedis in barem Geld zu seiner Unterstützung gegeben werden. Dieses Erbe sichere ich ihm zu, weil er ein Christ geworden ist und damit er zu Gott bete für mein Seelenheil.«
Nun erst, nachdem er inbrünstig an zukünftiges Leben gedacht und die »guten Werke vorausgesehen, welche auch für den Sündigsten Fürsprecher sein können bei dem Jüngsten Gericht«, wendet sich Magellan in seinem Testament der Familie zu. Aber auch hier geht der Sorge um Geld und Gut die Verfügung über etwas Immaterielles voran: die Erhaltung seines Wappenschilds und adeligen Namens; bis ins zweite oder dritte Glied verfügt Magellan, wer, falls sein Sohn – düstere Ahnung! – ihn nicht überleben sollte, seine »armas«, sein Wappenschild, führen dürfe. Wie der Christ, so sehnt auch der Adelsmann sich in diesem letzten Willen inbrünstig nach Unsterblichkeit.
Dann erst verteilt Magellan sein – in Wind und Welle noch flutendes – Vermögen an Weib und Kind; mit fester, steifer Schrift, aufrecht wie er selber, unterschreibt der Admiral das Blatt »Hernando de Magallanes«. Aber nicht mit einem Federstrich läßt das Schicksal sich binden, nicht mit Gelübden sich beschwichtigen – stärker ist sein herrischer Wille als eines Menschen inbrünstigster Wunsch. Nicht eine einzige Verfügung von all jenen, die Magellan getroffen, ist verwirklicht worden; ein leeres nichtiges Blatt wird Magellans letzter Wille bleiben. Die er zu Erben gesetzt, werden nicht erben, die Armen, die er bedacht, nicht getröstet werden; sein Leib wird nicht bestattet sein an der erbetenen Stätte und verloren sein Wappenschild. Nur die Tat, die er selbst erfüllte, wird den Weltfahrer überdauern und einzig die ganze Menschheit ihm ein Erbe zu danken haben.
Die letzte Pflicht in der Heimat ist getan. Nun kommt der Abschied. Zitternd steht vor ihm die Frau, mit der er ein einziges Jahr und ein halbes zum erstenmal in seinem Leben wahrhaft glücklich gewesen. Sie hält in den Armen den Sohn, den sie ihm geboren, Schluchzen schüttelt ihren abermals gesegneten Leib. Einmal sie noch umarmt, zum letztenmal, dann Barbosa die Hand gedrückt, dem er den Sohn, den einzigen, in sein Abenteuer entführt! Dann rasch, um nicht schwächlich zu werden an den Tränen der verlassenen Frau, im Boote hinab nach San Lucar, wo die Flotte ihn erwartet. Noch einmal empfängt in der kleinen Kirche von San Lucar nach geleisteter Beichte Magellan mit der gesamten Mannschaft das Abendmahl. Mit dem Morgengrauen – es ist Dienstag, der 20. September 1519, und es wird ein Datum der Weltgeschichte sein – klirren die Anker empor, die Segel flattern, die Geschütze donnern hinüber zum entschwindenden Land: die weiteste Entdeckungsfahrt, das kühnste Abenteuer in der Geschichte der Menschheit hat begonnen.
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Die hier vorzufindene Sammlung der gemeinfreien Werke Stefan Zweigs ist aus der Ausgabe des Null Papier Verlages übernommen. Zu dieser Ausgabe gelangen Sie durch einen Klick auf diesen Eintrag.