Die vergebliche Suche
20. September 1519 – 1. April 1520
Am 20. September 1519 war die Flotte Magellans vom Festland abgestoßen. Aber schon beginnt in jenen Jahren Spanien weit über Europa hinauszureichen; als die fünf Schiffe sechs Tage später auf den Kanarischen Inseln in Teneriffa zwischenlanden, um die Vorräte an frischem Wasser und Lebensmitteln zu ergänzen, befinden sie sich noch immer im Hoheitsgebiet Karls V. Noch einmal ist es den Weltfahrern verstattet, mit ihren Füßen auf der guten, festen Heimatserde zu schreiten, noch einmal im eigenen Sprachkreis zu atmen, ehe sie weitersteuern ins Unbekannte.
Aber bald geht diese letzte erlaubte Rast zu Ende. Schon will Magellan wieder Segel setzen, da kommt, von ferne schon winkend, eine Karavelle von Spanien nachgefahren, die Magellan geheime Botschaft von seinem Schwiegervater Diego Barbosa bringt. Wie meist bedeutet geheime Nachricht zugleich schlimme Nachricht. Barbosa warnt seinen Schwiegersohn, er habe sichere Kunde von einem Geheimpakt der spanischen Kapitäne an Bord, Magellan unterwegs den Gehorsam zu verweigern; das Haupt der Verschwörung sei Juan de Cartagena, der Vetter des Bischofs von Burgos. Magellan hat keinen Grund, an der Redlichkeit und Richtigkeit dieser Warnung zu zweifeln; allzu genau bestätigt sie die dunkle Drohung jenes Spions Alvarez, »es seien andere ausgesandt mit gegenteiligen Befehlen, aber das werde er erst zu einer Zeit erfahren, wenn es zu spät sei für seine Ehre«. Jedoch die Würfel sind geworfen, und nur noch härter wird die Härte Magellans angesichts der offenbaren Gefahr. Stolz schreibt er nach Sevilla zurück, was immer geschehe; er werde beharren in seinem Dienste für den Kaiser und setze sein Leben als Pfand. Ohne einen einzigen an Bord ahnen zu lassen, welche düstere und allzu wahre Warnung ihm jener Brief gebracht, der letzte, den er zeitlebens empfängt, befiehlt er, die Anker zu heben, und nach wenigen Stunden verdämmert schon der Pik von Teneriffa in der Ferne. Zum letztenmal haben die meisten von ihnen die heimische Erde gesehen.
Die schwierigste Aufgabe Magellans inmitten aller Schwierigkeiten auf dieser Fahrt besteht darin, die fünf Segelschiffe, die völlig verschiedenes Tonnenmaß und jedes eine andere Fahrtgeschwindigkeit haben, ständig als einheitliche Gruppe zusammenzuhalten: verliert nur eines sich, so ist es im riesigen, weglosen Ozean für die Flotte verloren. Schon vor der Abreise hat Magellan darum im Einverständnis mit der Casa de Contratacion ein besonderes System ausgearbeitet, um ständigen Kontakt aufrechtzuerhalten. Zwar ist den Contromaestres, den Schiffskapitänen und Piloten die »derota«, die allgemeine Fahrtrichtung, mitgeteilt, aber auf dem offenen Meere soll dann nichts als der Befehl gelten, dem Kielwasser der »Trinidad«, des vorausfahrenden Flaggschiffs, einfach zu folgen. Bei Tag bedeutet dieses bloße Nachfolgen keinerlei besondere Anforderung; selbst bei schwerem Sturm können die Schiffe einander ständig in Sicht behalten; schwieriger dagegen wird es nachts für die fünf Segelschiffe, ständig in Fühlung zu bleiben, und ein besonders ersonnenes Verständigungssystem durch Lichtsignale muß diese Verbindung aufrechterhalten. Bei Einbruch der Dunkelheit wird am Heck der »Trinidad« eine hölzerne Fackel in einer Laterne (farol) entzündet, damit die nachfolgenden Schiffe die richtunggebende »Capitana« nicht aus dem Auge verlieren können. Zündet man aber auf der »Trinidad« außer der Holzfackel noch zwei andere Lichter auf, so ist damit den andern Schiffen bedeutet, sie sollten langsamer segeln oder wegen des ungünstigen Windes lavieren. Drei Lichter besagen, eine Bö sei zu erwarten, und raten an, das untere Segel einzuziehen, vier Lichter, alle Segel zu streichen. Unruhiges Flackerfeuer auf dem Admiralschiff oder Kanonenschüsse mahnen die nachfolgenden Schiffe zur Vorsicht, da Untiefen oder Sandbänke in der Nähe zu befürchten seien; auf diese Art ist für alle denkbaren Zufälle oder Unfälle ein ingeniöses Signalsystem durch nächtliche Feuersprache ausgearbeitet.
Jedes Zeichen aber dieses primitiven Lichttelegraphen hat jedesmal von jedem Schiffe sofort in gleicher Weise beantwortet zu werden, damit der Generalkapitän wisse, ob seine Befehle verstanden und vollzogen wurden; überdies hat jeden Abend knapp vor Einbruch der Dunkelheit jedes der vier Schiffe an das Flaggschiff heranzusteuern, den Admiral zu begrüßen mit den Worten: »Dios vos salve sefior capitan-general y maestre é buena compania« und die Befehle für die Zeit der drei Nachtwachen entgegenzunehmen. Durch diesen täglichen Rapport aller vier Kapitäne vor dem Admiral scheint die Disziplin vom ersten Tage an gewährleistet; das Flaggschiff führt und die andern Schiffe folgen, der Admiral befiehlt den Kurs und die andern Kapitäne haben ihn ohne Frage und Klage einzuschlagen.
Aber gerade, daß die Führung derart straff und autoritativ in den Händen eines einzigen Mannes liegt und daß dieser schweigsame, auf seine Geheimnisse versessene Portugiese sie jeden Tag antreten läßt wie Rekruten und nach empfangener Ordre wieder wegschickt, als ob sie bloße Handlanger wären, verstimmt die Kapitäne der vier andern Schiffe. Ohne Zweifel hatten sie gehofft – und man muß es sagen: nicht ohne Berechtigung –, Magellan habe in Spanien nur deshalb so geheimniskrämerisch mit jeder Auskunft über das eigentliche Ziel der Reise zurückgehalten, weil er das Geheimnis des »paso« nicht dem Schwatz und der Spionage aussetzen wollte; auf der offenen See aber werde er diese Vorsicht nicht mehr gelten lassen, sie an Bord des Admiralschiffs berufen und an Hand seiner Karten ihnen endlich den bisher eifersüchtig verschwiegenen Plan auseinandersetzen. Statt dessen sehen sie Magellan eher noch schweigsamer werden, noch kälter, noch unzugänglicher. Er beruft sie nicht an Bord, er befragt sie nicht um ihre Meinung, er holt nicht ein einziges Mal von einem der erprobten Kapitäne Rat ein. Nur der Fahne bei Tag, nur dem farol bei Nacht haben sie stumpf und gehorsam nachzufolgen wie der Hund seinem Herrn. Einige Tage nehmen die spanischen Offiziere die schweigende Selbstverständlichkeit, mit der ihnen Magellan wortlos voraussteuert, gelassen hin. Aber als der Admiral, statt geradewegs Südwest nach Brasilien zu segeln, den vorbesprochenen Kurs stärker südlich nimmt und bis Sierra Leone hinab knapp an der Küste Afrikas bleibt, stellt Juan de Cartagena bei dem abendlichen Appell die offene Anfrage, warum entgegen den ursprünglich gegebenen Instruktionen der Kurs geändert worden sei.
Diese offene Anfrage bedeutet keineswegs eine Überheblichkeit von seiten Juan de Cartagenas (und es tut not, dies ausdrücklich zu betonen, weil in den meisten Darstellungen, um Magellan zu entlasten, Juan de Cartagena von Anfang an als schwarzer Verräter dargestellt wird). Nur logisch und durchaus berechtigt muß man es nennen, wenn die vom König ernannte conjuncta persona, wenn der Kapitän des größten Schiffs und veedor der spanischen Krone den Oberkommandanten höflich fragt, warum eigentlich der vorbestimmte Kurs geändert worden sei. Überdies hat auch im nautischen Sinne Juan de Cartagena recht, denn der neu anbefohlene Kurs wird sich als ein völlig umwegiger erweisen, der zweifellos die Flotte überflüssige vierzehn Tage gekostet hat. Welche Gründe Magellan bewogen haben, die Route zu ändern, ist nicht bekannt. Vielleicht ist er die Küste Afrikas so tief bis Guinea hinabgefahren, um dort – ein technisches Geheimnis der portugiesischen Seefahrt, das die Spanier nicht kannten – »tomar barlavento«, »den richtigen Passatwind zu fangen«, oder er wich vom gewohnten Kurse ab, weil er den Schiffen, die König Manoel von Portugal angeblich nach Brasilien beordert hatte, um seine Flotte zu kapern, lieber ausweichen wollte. Jedenfalls wäre es für Magellan ein leichtes gewesen, in loyaler und kollegialer Weise den andern Kapitänen die Gründe seines Kurswechsels auseinanderzusetzen. Aber Magellan geht es nicht um diesen Einzelfall, sondern um ein Prinzip. Nicht um ein paar Meilen mehr Südwest oder Südsüdwest, sondern um eine Feststellung, die von Anfang an die Disziplin der Flotte garantieren soll. Sind wirklich Verschwörer an Bord, wie sein Schwiegervater ihm berichtete, so will er sie lieber von Angesicht zu Angesicht kennen. Bestehen tatsächlich zweideutige Instruktionen, die man ihm verheimlicht hat, so müssen sie eindeutig gemacht werden, und zwar zugunsten seiner Autorität. Ausgezeichnet kommt es ihm darum zupaß, daß gerade Juan de Cartagena ihn zur Rede stellt, denn nun muß zum Austrag kommen, ob dieser spanische Hidalgo ihm gleichgestellt ist oder unterstellt. Etwas zweideutig ist ja in der Tat dieses Rangverhältnis geworden. Ursprünglich war Juan de Cartagena vom Kaiser als veedor-general mitgeschickt worden, und in dieser Eigenschaft sowie als Kapitän des »San Antonio« wäre er dem Admiral ohne Beratungs- und Befragungsrecht unterstellt gewesen. Anders aber wurde die Situation, als Magellan seinen Partner Faleiro abschob und an seiner Stelle Juan de Cartagena zur »conjuncta persona« ernannt wurde, denn »conjuncta« heißt doch beigeordnet. Beide können nun auf ein königliches Dokument pochen, Magellan auf das seine, das ihm klar den Alleinbefehl und Oberbefehl der Flotte zuteilt, Juan de Cartagena auf die »cedula«, die ihn anweist, »darüber zu wachen in dem Falle, wenn er irgendeine Nachlässigkeit bemerke und die Scharfsicht oder Umsicht der andern versage«. Hat aber diese conjuncta persona Rechenschaft auch vom Admiral zu fordern? Diese Frage will Magellan nicht einen Augenblick in Schwebe lassen. Und darum beantwortet er gleich die erste Anfrage Juan de Cartagenas mit dem groben Bescheid, »niemand hätte von ihm Erklärungen zu fordern und alle einfach ihm nachzufolgen« (que le siguissen y no le pidiessen mas cuenta).
Das ist grob; aber Magellan will lieber sofort mit dem Knüppel zuschlagen, als lange drohen oder paktieren. Deutlich ist damit den spanischen Kapitänen (und vielleicht Verschwörern) auf den Kopf zugesagt: »Gebt euch keiner Täuschung hin, ich behalte das Steuer eisern und allein in der Hand.« Aber wenn auch eine griffige, eine grimmige, eine harte Faust, so fehlte der Hand Magellans doch manche gute Fähigkeit und eine vor allem: durch Geschicklichkeit wieder zu glätten, wo sie zu wild zugegriffen. Nie hat Magellan die Kunst erlernt, harte Dinge auf freundliche Weise zu sagen, sich auf herzliche, aufgetane Art mit Vorgesetzten oder mit Untergebenen zu verständigen. So mußte von Anfang an um diesen Mann, der ein Energiezentrum ersten Rangs war, eine gespannte, eine feindselige, verärgerte Atmosphäre entstehen und diese latente Mißstimmung sich in dem Maße verschärfen, als der von Juan de Cartagena beanstandete Kurswechsel sich tatsächlich als offenkundiger Fehler Magellans erweist. Der Windfang ist nicht gelungen; zwei Wochen lang stocken und stehen die Schiffe auf dem windstillen Meer. Dann wieder geraten sie in so heftige Stürme, daß nach Pigafettas romantischem Bericht sie nur durch die leuchtende Erscheinung des Corpo Santo, der heiligen Leiber der Schutzpatrone St. Anselm, St. Nikolaus und Santa Klara (das St. Elmsfeuer) gerettet werden. Vierzehn Tage sind durch Magellans eigenwilligen Kurswechsel vertan, und schließlich kann und will Juan de Cartagena nicht mehr an sich halten. Da Magellan Rat mißachtet, da er Kritik nicht duldet, soll die ganze Flotte sehen, wie wenig Achtung er, Juan de Cartagena, vor diesem miserablen Seefahrer hat. Zwar steuert wie immer auch an jenem Abend gehorsam sein Schiff, der »San Antonio«, an die »Trinidad« zum Rapport heran, um Magellans Aufträge zu empfangen. Aber zum erstenmal zeigt sich Juan de Cartagena nicht persönlich an Deck seines Schiffs zum vorgeschriebenen Salut. Er schickt an seiner Statt den Quartiermeister, und dieser begrüßt den Admiral mit den Worten: »Dios vos salve, señor capitan y maestre.«
Magellan gibt sich nicht eine Minute der Täuschung hin, diese fehlerhafte Begrüßung sei ein absichtsloses, ein bloß zufälliges Versehen. Wenn gerade Juan de Cartagena ihn nur als Kapitän (capitan) und nicht als den Admiral (capitan-general) ansprechen läßt, soll damit vor der ganzen Flotte gesagt sein, daß die »conjuncta persona« Juan de Cartagena Magellan nicht als übergeordnet anerkenne. Sofort läßt er Juan de Cartagena melden, er hoffe in Hinkunft in der richtigen und gehörigen Weise begrüßt zu werden. Aber auch Juan de Cartagena zieht jetzt das Visier hoch. Kühl sendet er die Antwort zurück, er bedaure. Diesmal habe er ihn noch durch den besten Mann auf dem Schiffe begrüßen lassen; es könne nächstes Mal auch durch seinen Schiffsjungen geschehen. Durch drei Tage stellt der »San Antonio« – weithin sichtbar für die ganze Flotte – jede weitere Begrüßung ein, um allen andern darzutun, daß sein Kapitän die unbeschränkte Diktatur des portugiesischen Kommandeurs nicht anerkenne. Völlig offen – und dies macht Juan de Cartagena Ehre, der niemals, wie es so oft dargestellt wurde, ein geduckter und heimtückischer Verräter war – schleudert der spanische Hidalgo dem Portugiesen den Eisenhandschuh vor die Füße.
Den Charakter eines Menschen erkennt man niemals besser als an seinem Verhalten in entscheidenden Augenblicken. Immer treibt erst Gefahr die verborgensten Kräfte und Fähigkeiten eines Menschen heraus; alle jene verschatteten Eigenschaften, die bei gemäßigterer Temperatur unter dem Spiegel der Meßbarkeit liegen, zeichnen sich einzig in solchen kritischen Augenblicken wirklich plastisch ab. Magellans Reaktion auf Gefahr bleibt allezeit dieselbe. Jedesmal, wenn es um große Entscheidungen geht, wird Magellan auf eine unheimliche Weise schweigsam und kalt. Er friert gleichsam ein. Auch die gröbste Beleidigung läßt seine hinter den buschigen Augenbrauen verschatteten Pupillen nicht aufleuchten, kein Nerv zuckt um seinen verborgenen Mund. Völlig behält er sein Temperament in der Hand, aber diese Eisigkeit macht ihm die Dinge wie Kristall durchsichtig; während er sich einmauert in sein frostiges Schweigen, durchdenkt und errechnet er am besten seine Pläne. Niemals in seinem Leben hat Magellan hitzig oder übereilt einen Schlag geführt; immer ballt ein langes, dumpfes, dunkles Schweigen wie eine Wolke sich zusammen, ehe der Blitz niederfährt.
Auch diesmal schweigt Magellan; wer ihn nicht kennt – und noch kennen ihn die Spanier nicht –, müßte meinen, er habe die Herausforderung Juan de Cartagenas überhört. In Wirklichkeit rüstet Magellan schon für den Gegenschlag. Er weiß, daß er den Kapitän eines größeren und besser bewaffneten Schiffs nicht mit Gewalt mitten auf dem offenen Meer von seinem Posten holen kann. Geduld also, Geduld! Lieber sich stumpf, sich gleichgültig stellen! So schweigt Magellan zu der Beleidigung, wie eben nur er zu schweigen wußte: mit der Inbrunst eines Fanatikers, mit der Zähigkeit eines Bauern und der Leidenschaft eines Spielers. Gelassen sieht man ihn auf der »Trinidad« auf- und niedergehen, scheinbar völlig absorbiert von den alltäglichsten und kleinlichsten Geschehnissen auf dem Schiff. Daß der Gruß und Abendwunsch vom »San Antonio« völlig ausbleibt, scheint ihn nicht zu verärgern, und mit einiger Überraschung gewahren die Kapitäne bei diesem rätselhaften Menschen plötzlich sogar eine Neigung zur Versöhnlichkeit: zum erstenmal beruft anläßlich des schweren Sittlichkeitsvergehens eines Soldaten der Admiral die vier Kapitäne als Mitberatende auf sein Schiff. Es ist ihm also doch unbehaglich geworden, denken jene sofort, zu allen seinen Kameraden in Feindschaft zu stehen. Er hat doch eingesehen, seit sich sein Kurs als falsch erwiesen, daß man besser tue, alte, erfahrene Kapitäne zu befragen, statt sie als quantité négligeable zu behandeln. Auch Juan de Cartagena kommt an Bord des Admiralschiffes, und da ihm endlich die lang verweigerte Gelegenheit zu sachlicher Aussprache gegeben ist, wiederholt er seine Frage, warum Magellan eigentlich den Kurs geändert habe. Magellan bleibt seiner Art und auch seiner vorausbedachten Absicht gemäß völlig kühl; ihm kann es nur recht sein, wenn an seiner abweisenden Haltung Cartagena mehr und mehr sich erregt! Als oberster Beamter des Königs glaubt Cartagena das Recht freier Kritik zu haben und anscheinend hat er davon reichlich Gebrauch gemacht; schließlich muß es sogar zu einem hitzigen Ausbruch gekommen sein, zu einer Art offener Gehorsamsverweigerung. Gerade aber einen solchen Ausbruch offener Insubordination hat der gute Psychologe Magellan vorausberechnet und für seine Zwecke benötigt. Denn jetzt kann er zuschlagen. Sofort macht er von der unbedingten Justiz, die Karl V. ihm übertragen hat, Gebrauch. Er packt Juan de Cartagena an der Brust mit den Worten: »Sed preso«, »Ihr seid mein Gefangener«, und befiehlt seinem Alguacil (dem Waffenmeister und Polizeioffizier), den Aufrührer festzusetzen.
Betroffen starren die andern spanischen Kapitäne auf. Vor einigen Minuten noch waren sie vollkommen auf Seiten Juan de Cartagenas gewesen; auch jetzt stehen sie innerlich noch zu ihrem Landsmann und gegen den fremden Gewalthaber. Aber die Schnelle des Prankenschlags, die dämonische Energie, mit der Magellan seinen Gegner wie einen Verbrecher anfaßte und festnehmen ließ, hat ihren Willen gelähmt. Vergebens, daß Juan de Cartagena sie auffordert, sie mögen ihm zu Hilfe kommen. Keiner wagt einen Schritt, keiner wagt auch nur das Auge zu heben gegen den untersetzten, stämmigen Mann, der zum erstenmal etwas von seiner unheimlichen Energie aus der verschlossenen Hürde des Schweigens vorbrechen ließ. Erst als man Juan de Cartagena in die Kasematten abführen will, wendet sich einer an Magellan und ersucht mit aller Unterwürfigkeit, Juan de Cartagena als spanischen Edelmann nicht in Eisen werfen zu lassen. Es genüge, daß er einem von ihnen gegen Ehrenwort als Gefangener übergeben werde. Diesem Vorschlag stimmt Magellan zu, freilich nur unter der Bedingung, daß Luis de Mendoza, dem er Juan de Cartagena zur Aufsicht anvertraut, sich eidlich verpflichtet, ihn jederzeit zur Verfügung des Admirals zu halten. Damit ist alles erledigt. Eine Stunde später kommandiert ein anderer spanischer Offizier, Antonio de Coca, den »San Antonio«; richtig und fehlerlos begrüßt er abends den »capitan-general« von seinem Schiffe, ohne weiteren Zwischenfall geht die Reise. Am 29. November meldet ein Ruf vom Mastkorb die brasilianische Küste, die sie, ohne zu landen, in der Nähe von Pernambuco sichten; endlich, am 13. Dezember, fahren die fünf Schiffe nach elfwöchentlicher ununterbrochener Seefahrt in die Bucht von Rio de Janeiro ein.
Die Bucht von Rio de Janeiro, landschaftlich gewiß nicht minder herrlich in jenen verschollenen Tagen als heute in ihrer städtischen Pracht, muß der abgemüdeten Mannschaft als wahres Paradies erschienen sein. Rio de Janeiro, getauft nach dem heiligen Januarius, weil an jenem Kalendertage entdeckt, und irrtümlich Rio benannt, weil man hinter dem Inselgewirr die Mündung eines mächtigen Flusses vermutete, liegt damals bereits innerhalb der portugiesischen Besitzsphäre. Gemäß seiner Instruktion müßte Magellan also eine Landung unterlassen. Aber noch haben die Portugiesen keine Niederlassung errichtet, noch droht keine Festung mit abwehrenden Geschützen, noch ist diese bunte Bai eigentlich ein Niemandsland; unbesorgt können die spanischen Schiffe vorbeigleiten an den zauberhaften Inseln, die den blühenden Strand beschirmen, und unbehelligt ankern. Kaum daß die Landungsboote sich nähern, eilen die Eingeborenen aus ihren Hütten und Wäldern und empfangen mit Neugier und ohne Argwohn die geharnischten Soldaten. Sie erweisen sich als völlig gutmütig und zutraulich, obzwar späterhin Pigafetta zu seiner Kränkung erfahren muß, daß sie als wackere Kannibalen gelegentlich getötete Feinde auf Spieße stecken und wie von einem Pfingstochsen dann die schönsten gebratenen Stücke sich abschneiden. Aber gegen die göttlichen weißen Fremden zeigen die Guaranys keinerlei Gelüste dieser Art. So sind die Soldaten enthoben, die umständlichen Arkebusen und schweren Lanzen gebrauchen zu müssen.
Nach wenigen Stunden beginnt bereits ein reger Tauschhandel. Und nun ist der brave Pigafetta in seinem Element. Während der elfwöchentlichen Fahrt hat der ehrgeizige Chronist nicht viel zu schildern gefunden; gerade ein paar kleine Geschichten von Haifischen und sonderbaren Vögeln konnte er flunkern. Die Gefangensetzung Juan de Cartagenas scheint er verschlafen zu haben, aber jetzt hat er kaum Federn genug in seiner Schreibbüchse, um alle die Herrlichkeiten in seinem Tagebuch zu verzeichnen. Von der wunderbaren Szenerie gibt er freilich kein Bild, was ihm aber nicht angekreidet werden soll, denn Schilderung der Natur ist erst drei Jahrhunderte später durch Jean-Jacques Rousseau erfunden worden; ungemein dagegen beschäftigen ihn die neuen Früchte, die Ananas, »die großen runden Tannenzapfen ähnlich sind, aber außerordentlich süß und vortrefflich schmecken«, dann die »Batate«, die er ähnlich den Kastanien findet, und das »süße Rohr«, das Zuckerrohr. Der wackere Junge kann sich gar nicht vor Begeisterung fassen, wie schrecklich billig dieses törichte Volk ihnen Lebensmittel verkauft. Für eine kleine Fischangel geben die braunen Narren fünf oder sechs Hühner, für einen Kamm zwei Gänse, für einen kleinen Spiegel zehn herrlich bunte Papageien, für eine Schere so viele Fische, daß ein Dutzend Männer davon sich satt essen können. Für ein einziges Glöckchen (und wir erinnern uns, daß die Schiffe nicht weniger als zwanzigtausend mitführen) schleppen sie einen schweren Korb mit Batate heran, für einen angeschmutzten König aus einem alten Kartenspiel kriegt er sogar fünf Hühner, wobei die Guaranys noch glauben, den unerfahrenen Rhodosritter betrogen zu haben. Erfreulich billig im Kurs stehen auch die jungen Mädchen, die, wie Pigafetta zartsinnig schreibt, »ihr Haar als einzige Bekleidung tragen«; für ein Messer oder ein Beil bekommt man gleich zwei oder drei auf Lebenszeit.
Während Pigafetta derart mit dem Notizbuch eifrig Reportage treibt, die Matrosen sich mit Essen, Angeln und mit den gefälligen braunen Mädchen die Zeit vertreiben, denkt Magellan einzig an die Weiterfahrt. Ihm kann es nur recht sein, daß die Mannschaft sich wieder aufmuntert, aber er hält zugleich strenge Zucht. Eingedenk seiner Verpflichtung gegen den König von Spanien, verbietet er längs der ganzen brasilianischen Küste den Ankauf von Sklaven sowie jede Gewalttat, damit die Portugiesen keinen Vorwand hätten, Beschwerde zu erheben.
Dieses loyale Verhalten bringt Magellan noch einen besonderen Erfolg. Da man ihnen nicht die geringste Unbill zufügt, verlieren die Eingeborenen jede Scheu; scharenweise strömt das gutmütige und kindliche Völkchen jedesmal zusammen, wenn am Strande feierlich Messe gehalten wird. Neugierig blicken sie auf die sonderbaren Zeremonien, und da sie sehen, daß die weißen Fremden, von denen sie glauben, daß sie ihnen den lang ersehnten Regen gebracht hätten, die Knie beugen vor einem emporgehobenen Kreuze, knien sie gleichfalls mit gefalteten Händen hin, was von den frommen Spaniern schon als sicheres Zeichen gedeutet wird, daß sie unbewußt das Mysterium des christlichen Glaubens in sich aufgenommen hätten. Als nach dreizehntägigem Aufenthalt zu Ende Dezember die Flotte die weitgeschwungene unvergeßliche Bucht verläßt, kann Magellan besseren Gewissens als sonst Konquistadoren jenes Zeitalters weitersteuern. Denn wenn er seinem Kaiser hier auch Land nicht erobern durfte, so hat er doch als frommer Christ seinem himmlischen Herrn neue Seelen gewonnen. Niemandem ist in diesen Tagen der geringste Harm geschehen, keiner der zutraulichen Einwohner ist gewaltsam von Erde und Heimat gerissen worden. In Frieden ist Magellan gekommen, in Frieden geschieden.
Ungern haben die Matrosen das paradiesische Rio de Janeiro verlassen, ungern steuern sie, ohne landen zu dürfen, an den lockenden Küsten Brasiliens vorbei. Jedoch Magellan darf ihnen keine weitere Rast mehr gönnen. Eine geheime, brennende Ungeduld treibt den äußerlich so Unerschütterbaren ungestüm jenem »paso« entgegen, den er gemäß der Karte Martin Behaims und jenem Bericht an einer bestimmten Stelle vermutet. Dieser Durchlaß müßte, wenn jene Erzählungen der portugiesischen Piloten und die auf Martin Behaims Karte verzeichneten Breiteangaben richtig waren, unmittelbar hinter dem Cabo Santa Maria sich auftun, und deshalb steuert ohne Aufenthalt Magellan vorerst diesem Ziele zu. Endlich, am 10. Januar, sehen sie aus unübersehbarem Flachland einen kleinen Hügel sich erheben, den sie Montevidi (heute Montevideo) nennen. Und aus schlimmstem Wetter retten sie sich in die riesige Meeresbucht, die anscheinend endlos sich nach Westen erstreckt.
Diese riesige Meeresbucht ist in Wirklichkeit nichts anderes als die Mündung des La Plata-Stroms. Aber Magellan ahnt dies nicht. Er sieht nur mit innerer, mit einer kaum unterdrückten Genugtuung genau an der Stelle, die ihm jene geheimen Berichte verhießen, gewaltige Wassermassen westwärts fluten; das muß die gesuchte, die verheißene Straße sein, die er auf Martin Behaims Karte verzeichnet gesehen. Land und Lage scheinen genau zu jenen Beschreibungen zu stimmen, die er von seinen unbekannten Gewährsmännern in Lissabon erhalten; sicherlich ist dies das »Calfo«, durch das gemäß der Newen Zeytung vor zwanzig Jahren die Portugiesen nach Westen steuern wollten. Ausdrücklich bestätigt Pigafetta, daß auch alle andern an Bord einhellig der Überzeugung waren, mit dieser großartig breiten Wasserstraße sei die ersehnte Durchfahrt endlich gefunden. »Si era creduto una volta esser questo un canal che mettesse nel Mar del Sur«; denn unvergleichbar den schläfrigen Mündungen des Rheins, des Po, des Ebro, des Tajo, wo man immerhin zur Rechten und zur Linken noch deutlich die Ufer wahrnehmen kann, dehnt sich hier endlos die Weite der Wasser; ein anderes Gibraltar, ein anderer Ärmelkanal, ein anderer Hellespont muß mit dieser Bucht beginnen, Ozean und Ozean verbindend. Und unbedingt ihrem Führer vertrauend, träumen sie schon davon, in wenigen Tagen diese neue Straße durchfahren zu haben und damit das andere südliche Meer zu erreichen, das sagenhafte »Mar del Sur«, das nach Indien, nach Japan, nach China, das nach den Gewürzinseln führt, hinüber, hinüber zu den Schätzen Golcondas und allem Reichtum der Erde!
Daß auch Magellan vom ersten Tage an bei dem Anblick dieser gigantischen Wassermassen vollkommen in der Gewißheit lebte, hier die erträumte Durchfahrt gefunden zu haben, erweist die Hartnäckigkeit, mit der er hier und gerade hier den »paso« sucht. Ganze fünfzehn Tage verbringt oder vielmehr verliert er an der La Plata- Mündung mit vergeblicher Suche. Kaum daß der Sturm, der sie gleich bei der Ankunft überfallen, nur ein wenig nachläßt, teilt Magellan die Flotte. Die kleineren Schiffe werden den vermeintlichen Kanal nach Westen (in Wahrheit stromaufwärts) geschickt. Die zwei großen Schiffe dagegen steuern unter seiner persönlichen Führung gleichzeitig quer über die Mündung des La Plata nach Süden, »por ver si habia pasage«, um auch in dieser Richtung auszukundschaften, wie weit der vielgesuchte Weg eigentlich führe. Langsam, sorgfältig mißt er den ganzen Umkreis der Bucht gegen Süden aus, indes die kleineren Schiffe nach Westen unterwegs sind. Bittere Enttäuschung jedoch! Nach fünfzehn Tagen erregten Pilotierens in »Montevidi« leuchten endlich die Segel der zurückkehrenden Schiffe. Aber keine Wimpel wehen freudig am Mast, und die Kapitäne bringen niederschmetternden Bescheid: diese riesige Wasserstraße, die sie selbst voreilig für den gesuchten Kanal gehalten, sei nichts anderes als ein ungewöhnlich gewaltiger Strom mit süßem Wasser, den man zum Gedenken Juan de Solis’, der hier gleichfalls den Weg nach Malacca gesucht und statt dessen den Tod gefunden, vorläufig Rio de Solis tauft (erst später wird man ihn Rio de la Plata nennen).
Nun heißt es für Magellan eisern die Muskeln straffen. Niemand der Kapitäne, niemand der Mannschaft darf merken, welchen mörderischen Schlag seine innere Sicherheit durch diese Enttäuschung erlitten. Denn eines weiß der Admiral jetzt schon: jene Karte Martin Behaims war falsch, jene Nachrichten der Portugiesen von der angeblich entdeckten Durchfahrt ein voreiliger Irrtum. Trügerisch waren die Informationen, auf die er seinen ganzen Plan der Weltumfahrung aufgebaut, irrig alle Berechnungen Faleiros, falsch seine eigenen Behauptungen, falsch, was er dem König von Spanien und dessen Räten versprochen. Wenn dieser Durchlaß überhaupt existiert und zum erstenmal muß der bisher ehern Überzeugte an dies »wenn überhaupt« denken –, so muß er tiefer im Süden liegen. Nach Süden steuern bedeutet aber nicht, der Wärme entgegensegeln, sondern, da sie den Äquator längst überschritten haben, wieder polaren Zonen sich nähern. Februar und März meinen jenseits des Äquators nicht wie in den heimischen Zonen Wintersende, sondern im Gegenteil Wintersanfang. Wenn also sich jetzt nicht bald ein Weg ins Südmeer auftut, nicht bald der hier vergeblich gesuchte »paso« sich erschließt, dann ist für die Umschiffung Südamerikas die günstige Jahreszeit endgültig versäumt und es bleiben nur zwei Möglichkeiten: entweder zurück in wärmere Zonen oder irgendwo hier zu überwintern.
Dunkle Gedanken müssen von diesem Augenblicke an, da die Rekognoszierungsschiffe enttäuscht zurückkehrten, Magellans Seele beschattet haben. Und wie im innern Raum seines Herzens verdüstert sich auch im äußern Räume die Welt. Immer unfreundlicher, immer nackter und leerer zeigt sich die Küste, immer finsterer der Himmel. Verloschen das weiße, das südliche Licht, verdüstert zu grauem Wolkengeschiebe der blaue Zenith. Dahin die tropischen Wälder mit ihrem schwülen und süßen Duft, der weit über die Küste hinaus noch die nahenden Schiffe umschmeichelte! Entschwunden für immer die freundliche Landschaft Brasiliens und ihre üppigen Bäume, mit Früchten behangen, die wehenden Palmen, die bunten Tiere, die gastlichen braunen Männer und Frauen! Hier stelzen am nackten sandigen Strand nur Pinguine herum, ängstlich fortwatschelnd, sobald man ihnen naht, dumm und faul wälzen sich Seelöwen auf den Klippen. Sonst will weit und breit kein Lebewesen sich zeigen, Mensch und Tier scheinen ausgestorben in der herzbeklemmenden Ödnis. Ein einziges Mal jagen am Land große, wilde Männer in wirrer Flucht davon, wie Eskimos ganz in Felle gehüllt. Aber nicht die Glöckchen, nicht die hingehaltenen bunten Kappen können sie heranlocken. Unfreundlich und abweisend rennen sie fort, sobald man sich ihnen nähern will, und vergeblich erweist sich jeder Versuch, eine Spur ihrer Behausung zu finden.
Immer mühsamer, immer langsamer wird die Fahrt, denn unerbittlich hält Magellan Kurs an der Küste. Jede kleine Bucht, jeder winzige Hafen wird auf das gründlichste durchforscht und mit dem Senkblei durchsucht. Zwar vertraut Magellan jener mysteriösen Karte, die ihn erst zur Reise verlockt und dann auf der Reise verraten, schon längst nicht mehr. Aber vielleicht geschieht dennoch, dennoch das Wunder, daß plötzlich an unvermuteter Stelle der »paso« sich zeigt und sie vor Winterbeginn noch hinübersteuern können ins »Mar del Sur«! Deutlich fühlt man, wie der unsicher Gewordene sich anklammert an diese eine, an die letzte Hoffnung, vielleicht hätten die Karte und jene Portugiesen sich nur in der Breitenbestimmung geirrt und die gesuchte Straße liege ein paar Meilen tiefer, als ihre Flunkereien behaupteten. Als die Flotte am 24. Februar sich abermals einer breiten und unübersehbaren Bucht, dem Golf von San Matthias, nähert, flackert wie eine vom Sturm gefaßte Kerze noch einmal Hoffnung hoch. Sofort läßt Magellan die kleineren Schiffe wieder vorausfahren, »viendo si habia alguna salida para el Maluco«, ob nicht etwa hier die ersehnte Durchbruchstelle zu den Molukken sei. Aber wieder nichts! Wieder nur eine geschlossene Bucht! Ebenso vergeblich werden zwei andere Buchten durchforscht, die Bahia de los Patos, so nach den vielen Pinguinen benannt, und die Bahia de los Trabajos (zum Gedenken der furchtbaren Mühsale, die dort die landende Mannschaft erlitten). Aber nur die Leichen von erschlagenen Seewölfen bringen die halb Erfrorenen zurück und nicht die ersehnte Botschaft.
Weiter, weiter also geht unter dem verdüsterten Himmel die Fahrt der Küste entlang. Immer grauenhafter wird die Öde, immer kürzer werden die Tage, immer länger die Nächte. Nicht mehr in mildem Blau, von leichter Brise sanft dahingetragen, gleiten die Schiffe dahin: eisige Stürme reißen jetzt wild an den Segeln, mit weißen Körnern schmettern Schnee und Hagel herab, grau und gefährlich bäumt sich das Meer. Zwei Monate braucht die Flotte, um das kleine Stück vom La Plata-Strom bis nach Port San Julian dem feindlichen Wetter abzukämpfen. Fast täglich hat die Mannschaft mit Orkanen zu kämpfen, den berüchtigten »pamperos« jener Gegend, den brüsken Windstößen, welche die Mäste zerschmettern und Segel wegreißen, es wird kälter, es wird düsterer von Tag zu Tag, und noch immer, noch immer zeigt sich der »paso« nicht. Grausam rächen sich jetzt die versäumten Wochen. Denn während die Flotte alle Winkel und Buchten durchforschte, ist ihr der Winter vorausgerannt. Nun steht er vor ihnen, der böseste, gefährlichste Feind, und sperrt mit Stürmen den Weg. Ein halbes Jahr ist vertan, und nicht näher weiß sich Magellan noch seinem eigentlichen Ziel als an dem Tage, da er wegsteuerte von Sevilla.
Allmählich beginnt die Mannschaft ihre Unruhe offen zu zeigen; aus Instinkt spüren sie alle, daß etwas nicht in Ordnung geht. Hat man ihnen denn nicht in Sevilla beim Anheuern erzählt, daß die Reise nach den Gewürzinseln ziele, in den strahlendsten Süden, in paradiesische Welt? Hat der Sklave Enrique ihnen seine Heimat nicht als Schlaraffenland geschildert, wo man mit bloßer Hand die kostbarsten Gewürze mühelos vom Boden aufliest? Hat man ihnen nicht Reichtum versprochen und baldige Heimkehr? Statt dessen führt dieser finstere Schweiger sie in immer kältere und armseligere Wüsteneien. In kleinem, kurzem Bogen schleicht manchmal eine kraftlose Sonne gelb durch die Wolken, aber meist ist der Himmel völlig verhangen, nach Schnee schmeckt die Luft. Mit kaltem Griff rasiert der Wind ihnen grob die Wangen und eisig greift er durch die zerfetzten Kleider; schon frieren die Hände an, wenn sie die gefrorenen Taue fassen wollen, und der Atem erstarrt vor dem Munde zu Rauch. Und dabei: welche Öde ringsum, welche grausame Trostlosigkeit! Selbst die Kannibalen sind hier der Kälte entflüchtet. Wenn man landet, findet man weder Tier noch Frucht außer Muscheln und Seewölfen: im eisigen Wasser haust hier Lebendiges noch lieber als an dem sturmgepeitschten, verlassenen Strand. Wohin hat dieser tolle Portugiese sie verraten? Wohin schleppt er sie weiter? Will er sie am Ende bis ins Eisland führen oder an den antarktischen Pol?
Vergebens sucht Magellan ihr lautes Murren zu beschwichtigen. Sie mögen sich doch nicht schrecken lassen von dem bißchen Kälte, redet er ihnen zu, und nicht gleich mutlos werden. Die Küsten von Norwegen und Island lägen in noch viel höheren Breiten und seien dennoch im Frühjahr ebenso leicht zu befahren wie die spanische See. Nur ein paar Tage sollten sie noch tapfer durchhalten. Im Notfall könne man ja immer noch überwintern und dann bei freundlicherem Wetter die Reise fortsetzen. Jedoch die Mannschaft läßt sich mit leeren Worten nicht mehr beschwichtigen. Nein, das sei nicht zu vergleichen. Eine Fahrt in solch eisige Zonen könne nicht vorgesehen worden sein von ihrem König, und wenn der Admiral ihnen was von Norwegen und Island vorschwätze, so wäre dies eine ganz andere Sache. Dort seien die Leute Kälte von Kind an schon gewöhnt und hätten außerdem die Beruhigung, immer bloß acht oder vierzehn Tage weit von Haus und Heim zu fahren. Sie aber habe man in eine Ödnis geschleppt, wo noch nie ein Christenmensch gewesen, wo nicht einmal Heiden und Menschenfresser, nicht einmal Bären und Wölfe hausten. Was hätten sie hier zu schaffen? Warum steuere man gerade diesen abwegigen Kurs, wo doch eine andere, die ostindische Straße bequem zu den Gewürzinseln führe, ohne solche Eiswüsten und mörderische Zonen zu berühren? So antworten offen und laut die Mannschaften auf die Beschwichtigungen des Admirals. Unter sich allein, im schützenden Schatten des Schiffsraums aber murren sie zweifellos noch heftiger. Wieder regt sich der alte Verdacht, der schon in Sevilla herumgemunkelt worden war, ob dieser verteufelte Portugiese nicht ein »tratto doble«, ein doppeltes Spiel treibe. Ob er nicht, um sich bei seinem portugiesischen König wieder zu Ehren zu bringen, fünf gute spanische Schiffe mit ihrer ganzen Mannschaft elend zugrunde richten wolle.
Mit stiller Befriedigung beobachten die spanischen Kapitäne den steigenden Unmut der Mannschaft. Sie selbst mengen sich nicht ein; sie vermeiden, mit dem Admiral zu sprechen, sie werden sogar auffälligerweise immer schweigsamer und stummer. Aber ihr Schweigen ist gefährlicher als der redselige Unmut der Matrosen. Da sie mehr vom nautischen Handwerk verstehen, konnte es ihnen nicht entgangen sein, daß Magellan durch falsche Karten irregeführt sein muß und daß er seines »Geheimnisses« längst nicht mehr sicher ist. Denn wenn dieser Mann wirklich auf den Längen- und Breitegrad genau die Lage jenes angeblichen »paso« gekannt hätte, warum hat er dann fünfzehn Tage ganz unnütz und sinnlos die Schiffe den Rio de la Plata hinaufgeschickt? Warum versäumt er immer wieder kostbarste Zeit, indem er jede kleine klägliche Bucht tagelang auszirkeln läßt? Entweder hat Magellan den König oder er hat sich selbst getäuscht mit seiner Behauptung, die Lage des »paso« zu kennen, denn dies ist jetzt schon gewiß – er sucht nur einen Weg, er kennt ihn noch nicht. Mit kaum verhehlter Schadenfreude beobachten sie darum, wie er immer wieder bei jeder Öffnung der Küste auf den zerrissenen Strand starrt. Nun, möge er nur noch weiter die Flotte in Frost und Ferne hineinsteuern! Sie brauchen ihm nicht mehr zu wehren, sich nicht mehr zu beschweren. Bald wird von selbst die Stunde kommen, da er eingestehen muß: ich kann, ich weiß nicht weiter. Dann aber ist auch der Augenblick gekommen, selbst das Kommando zu übernehmen und diesem hochmütigen Schweiger endgültig den Nacken zu beugen.
Eine fürchterlichere moralische Lage als die Magellans in jenen Wochen ist nicht zu erdenken. Denn Magellan kann, seit seine Hoffnung, den Durchgang zu finden, zweimal – das erste Mal bei der La Plata-Mündung, das zweite Mal bei der San Matthias-Bai – grausam enttäuscht wurde, sich nicht mehr länger verhehlen, daß sein heiliger Glaube an jene Karte Behaims und die allzu leichtfertig für wahr gehaltenen Behauptungen jener unbekannten Piloten ein Irrglaube gewesen. Selbst im günstigsten Fall, daß dieser angebliche »paso« wirklich existiert, kann er nur tiefer gegen Süden, also näher der antarktischen Zone, gelegen sein, und auch in diesem günstigsten Falle ist die Möglichkeit einer Durchfahrt für dieses Jahr schon versäumt. Der Winter hat ihn überholt und alle seine Berechnungen zunichte gemacht; vor dem Frühjahr kann die Flotte mit ihren ausgefahrenen Schiffen und ihrer unwilligen Mannschaft die gesuchte Straße, selbst wenn man sie jetzt noch entdeckte, nicht mehr nützen. Neun Monate sind vertan, und nicht an den Molukken ist Magellan gelandet, wie er voreilig versprochen. Noch immer irrt seine Flotte im Weglosen und kämpft gegen die grausamsten Orkane um ihr Leben.
Das Vernünftigste wäre: jetzt die Wahrheit einzugestehen. Die Kapitäne zusammenzuberufen, ihnen zu erklären, daß die Karten und jene Erzählungen ihn genarrt hätten und man erst im Frühjahr die Suche nach dem »estrecho« wieder aufnehmen könne. Besser jetzt umkehren, den Stürmen entweichen, wieder die Küste hinauffahren nach Brasilien, in das freundliche, das warme Land, dort in dem bekömmlichen Klima den Winter verbringen, die Schiffe und die Mannschaft retablieren, ehe man im Frühjahr neuerdings nach Süden steuert. Dies wäre der klarste Weg, die humanste Handlungsweise. Aber Magellan hat sich zu weit vorgewagt, um noch zurück zu können. Zu lange hat er den andern vorgetäuscht, der selbst Getäuschte, er wisse einen neuen, kürzeren Weg nach den Molukken. Zu heftig hat er jene bestraft, die sein »Geheimnis« auch nur leise anzweifelten; er hat die spanischen Offiziere beleidigt, er hat den höchsten Beamten des Königs an Bord abgesetzt und wie einen Verbrecher behandelt. All dies kann nur ein großer, ein entscheidender Triumph entschuldigen. Denn keine Stunde, keine Minute würden die Kapitäne, würde die Mannschaft ihm weiterhin das Kommando lassen, wenn er nur andeutete – geschweige denn eingestünde –, daß er seiner Sache keineswegs so sicher sei, wie er daheim ihrem Monarchen versprochen; der letzte Schiffsjunge würde sich weigern, die Mütze vor ihm zu lüften. Für Magellan gibt es kein Zurück mehr; im Augenblick, da er das Steuer nach Brasilien wenden ließe, wäre er nicht Befehlshaber mehr seiner Offiziere, sondern ihr Gefangener. So faßt er einen verwegenen Entschluß. Wie Cortez im gleichen Jahr die Schiffe hinter sich verbrennt, um seinen Soldaten die Möglichkeit der Rückkehr zu nehmen, beschließt Magellan, jetzt Schiffe und Mannschaft an einer so abgelegenen Stelle festzuhalten, daß selbst, wenn sie wollten, sie ihn nicht mehr zur Umkehr nötigen könnten. Findet er im Frühling dann den Durchgang, so ist alles gewonnen. Findet er ihn nicht, so ist alles verloren: für Magellan gibt es keinen Mittelweg mehr. Nur Starrsinn kann ihm jetzt Stärke schaffen, nur Verwegenheit ihn retten. Abermals rüstet in aller Stille der unberechenbare Rechner zu einem entscheidenden Schlag.
Immer wilder von Tag zu Tag, immer winterlicher wirft unterdessen sich der Sturm der Flotte entgegen. Kaum können die Schiffe mehr vorwärts, zwei ganze Monate werden vertan, um sich armselige zwölf Breitegrade gegen Süden vorwärtszukämpfen. Endlich am 31. März zeigt sich an der leeren Küste wieder eine Bucht. Erster Blick des Admirals und letzter Hoffnungsblick zugleich: ist die Bucht offen, kann sie der ersehnte »paso« sein? Nein, die Bucht ist geschlossen. Trotzdem befiehlt Magellan, einzufahren. Und da schon die erste Erkundung zeigt, daß es hier an frischen Wasserquellen und Fischen nicht fehlt, gibt er den Befehl: nieder die Anker! Und zu ihrem Erstaunen und vielleicht Erschrecken erfahren Kapitäne und Mannschaft, daß ihr Admiral (ohne jemanden zu verständigen oder zu befragen) beschlossen hat, hier in San Julian, dieser unbekannten, unbesiedelten Bucht im neunundvierzigsten Breitegrad, an einem der düstersten und abgelegensten Orte der ganzen Erde, den noch nie ein Seefahrer erkundet, Winterquartier zu halten.
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Die hier vorzufindene Sammlung der gemeinfreien Werke Stefan Zweigs ist aus der Ausgabe des Null Papier Verlages übernommen. Zu dieser Ausgabe gelangen Sie durch einen Klick auf diesen Eintrag.