Magellan macht sich frei


Juni 1512 – Oktober 1517


Heroische Zeitalter sind und waren niemals sentimental, und kläglich geringen Dank haben von ihren Königen jene kühnen Konquistadoren erfahren, die für ihr Spanien oder Portugal ganze Welten eroberten. Columbus kehrt nach Sevilla in Ketten zurück, Cortez fällt in Ungnade, Pizarro wird ermordet, Nuñez de Baiboa, der Entdecker der Südsee, enthauptet; Camoens, der Kämpfer und Dichter Portugals, verbringt, von erbärmlichen Provinzbeamten verleumdet, gleich seinem großen Gefährten Cervantes, Monate und Jahre in einem Kerker, der nicht viel besser ist als ein Düngerhaufen. Gigantischer Undank des Zeitalters der Entdeckungen: als Bettler und Krüppel, verlaust, verwahrlost und fieberkrank werden in den Hafengassen von Cadiz und Sevilla dieselben zurückgekehrten Matrosen und Soldaten herumirren, die für Spaniens Kronschatz Montezumas Geschmeide und die Goldkammern der Inkas erbeutet haben, und wie räudige Hunde werden die wenigen, die der Tod in den Kolonien verschont, ruhmlos in der Heimat verscharrt. Denn was gilt die von diesen namenlosen Helden geleistete Tat den Höflingen, die selber nie den sichern Palast verlassen, wo sie mit geschickter Hand sich die Reichtümer zuspielen, die jene im Kampf erobert? Sie, die Drohnen des Palasts, werden die Adelantados, die Gouverneure der neuen Provinzen, sie sacken das Gold, und als lästige Eindringlinge in ihre Pfründenkrippe stoßen sie die Kolonialkämpfer, die Frontoffiziere jener Zeit, zur Seite, wenn sie nach Jahren der Aufopferung und Erschöpfung die Torheit begehen, zurückzukehren. Daß er zu Cannanore, in Malacca und in vielen andern Schlachten gekämpft hat, daß er dutzendmal sein Leben und seine Gesundheit für Portugals Ehre aufs Spiel gesetzt, gibt dem heimgekehrten Magellan nicht das geringste Anrecht auf würdige Beschäftigung oder Sicherung. Nur dem zufälligen Umstand, daß er adelig ist und schon vorher zum Haushalt des Königs (criaçao de el Rey) gehörte, verdankt er, daß man ihn gnädigst in die Liste der Pensions- oder vielmehr Almosenempfänger wieder einreiht, zunächst sogar in die allerletzte Rangreihe als Mozo fidalgo mit dem Bettel von tausend Reis im Monat. Erst nach einem Monat und wahrscheinlich nach heftiger Verwahrung rückt er eine kleine Stufe auf zum Fidalgo escudeiro mit achtzehnhundertfünfzig Reis (oder nach einer andern Mitteilung als »cavalleiro fidalgo« – mit 1250 Reis). Jedenfalls: welcher dieser Pfründnertitel auch der richtige gewesen sein mag, keiner war ein gewichtiger, denn keiner dieser pompösen Titel berechtigt oder verpflichtet Magellan zu etwas anderem als zu einem faulen Herumlungern in den königlichen Vorgemächern. Ein Mann von Ehre und Ambition wird nun selbst Nichtstun sich nicht mit einem solchen verächtlichen Bettelgehalt auf die Dauer bezahlen lassen. Und so ist es keineswegs überraschend, daß Magellan die erste, freilich nicht die beste, Gelegenheit benützen wird, sich neuerdings im Kriegsdienst zu beschäftigen und zu bewähren.


Beinahe ein Jahr muß Magellan warten. Aber kaum, daß im Sommer 1513 König Manoel eine große militärische Expedition gegen Marokko ausrüstet, um den piratischen Mauren endlich den Genickfang zu geben, meldet sich der Indienkämpfer sofort zur Armee – ein Entschluß, der nur aus Unzufriedenheit mit der ihm aufgezwungenen Untätigkeit zu erklären ist. Denn bei einem Landkriege kann Magellan, der fast immer zu Schiff gedient hat und in jenen sieben Jahren einer der erfahrensten Seefahrer seiner Zeit geworden ist, seine eigentlichen Gaben gar nicht zur Geltung bringen. Wiederum ist er inmitten der großen Armee, die nach Azamor entsendet wird, nichts als ein untergeordneter Offizier ohne Rang und selbständiges Kommando. Wieder wie in Indien steht sein Name nicht im Vordergrund der Berichte, seine Person jedoch genau wie in Indien im Vordergrund der Gefahr. Auch diesmal wird Magellan – nun schon zum drittenmal – im Nahkampf verwundet. Ein Lanzenstoß gegen das Kniegelenk verletzt den Nerv, und das linke Bein bleibt für immer schwerfällig und halb lahm.


Im Frontdienst ist ein Hinkemann, der nicht rasch gehen und nicht reiten kann, weiter nicht zu gebrauchen. Magellan könnte jetzt bequem von Afrika abrücken und als Verwundeter erhöhte Pension fordern. Aber er beharrt darauf, in der Armee, im Krieg, in der Gefahr zu bleiben, seinem wahren Element; so weist man dem Verwundeten gemeinsam mit einem andern Offizier die Stellung an, die mächtige Beute an Pferden und Vieh, die man den Mauren abgenommen hat, als Prisenoffizier, als quadileiro das preses, zu verwalten; hier ereignet sich nun ein Zwischenfall dunkler Art. Einige Dutzend Schafe verschwinden nachts aus den riesigen Hürden, und böswillig redet sich das Gerücht herum, Magellan und sein Kamerad hätten einen Teil der Beute den Mauren heimlich zurückverkauft oder durch Nachlässigkeit ermöglicht, daß sie ihr Vieh nachts aus den Pferchen holten. Sonderbarerweise ist diese erbärmliche Anschuldigung, Veruntreuung zuungunsten des Staates verübt zu haben, ganz genau die gleiche, mit der portugiesische Kolonialbeamte wenige Jahrzehnte später den andern ruhmreichsten Mann Portugals, den Dichter Camoens, verleumden und erniedrigen werden; beide Männer, denen sich jahrelang in Indien hunderterlei Möglichkeiten geboten, sich bei Plünderungen zu bereichern, und die beide bettelarm aus dem Eldorado nach Hause zurückgekehrt waren, werden durch denselben schimpflichen Verdacht in ihrer Ehre beschmutzt.


Nun ist glücklicherweise Magellan aus härterem Holz geschnitzt als der sanfte Camoens. Er denkt nicht daran, sich von derlei Kreaturen verhören und wie Camoens monatelang in Gefängnissen herumschleifen zu lassen. Nicht wie der Dichter der Lusiaden hält er weichmütig seinen Feinden den Rücken hin, sondern kaum daß sich das Gerücht verbreitet und noch ehe irgend jemand gewagt hat, ihn öffentlich anzuschuldigen, verläßt er die Armee und reist nach Portugal, um Genugtuung zu fordern.


Daß sich Magellan nicht im mindesten als Schuldiger in dieser dunklen Affäre empfand, beweist, daß er, kaum nach Lissabon zurückgekehrt, eine Audienz bei dem König anspricht, aber keineswegs, um sich zu verteidigen, sondern im Gegenteil: um im Vollbewußtsein seiner Leistung endlich würdigere Beschäftigung und bessere Bezahlung zu fordern. Abermals hat er zwei Jahre verloren, abermals in offener Schlacht eine Wunde empfangen, die ihn beinahe zum Krüppel macht. Doch er kommt schlimm an; König Manoel läßt dem energischen Gläubiger gar nicht Zeit, seine Ansprüche vorzubringen. Vom Oberkommando in Afrika bereits verständigt, daß dieser ungebärdige Kapitän eigenmächtig und ohne Urlaub anzufordern die Armee in Marokko verlassen habe, behandelt er den verdienten, den verwundeten Offizier wie einen gemeinen Fahnenflüchtigen. Ohne ihn zu Wort kommen zu lassen, befiehlt er Magellan kurz und knapp, auf der Stelle zu seinem Standort in Afrika zurückzukehren und sich vor allem seinem Oberkommandanten wieder zur Disposition zu stellen. Um der Disziplin willen muß Magellan gehorchen. Mit dem nächsten Schiff kehrt er nach Azamor zurück. Dort ist selbstverständlich von einer offenen Untersuchung keine Rede mehr, niemand wagt, den verdienten Soldaten zu beschuldigen, und mit der ausdrücklichen Bekräftigung des Kommandos, die Armee in Ehren verlassen zu haben, mit all den Dokumenten, die seine Unschuld und seine Verdienste bezeugen, kehrt Magellan zum zweitenmal nach Lissabon zurück – man mag sich denken, mit welchem Gefühl der Erbitterung! Statt Auszeichnungen hat er Verdächtigungen, statt Belohnungen immer nur Narben empfangen, lange hat er geschwiegen und still sich im Hintergrund gehalten. Jetzt aber, fünfunddreißig Jahre alt, ist er müde, um sein Recht wie um ein Almosen zu bitten.


Klugheit müßte Magellan in so heiklem Falle gebieten, nicht gleich unmittelbar nach seiner Rückkehr zu König Manoel zu gehen und ihm mit derselben Forderung neuerdings ins Haus zu fallen. Gewiß wäre es ratsamer, jetzt eine Zeitlang stillzuhalten, im höfischen Kreise Verbindungen und Freunde zu suchen, sich umzutun und einzuschmeicheln. Aber Geschicklichkeit und Geschmeidigkeit waren nie Magellans Sache. So wenig wir von ihm wissen, dies bleibt gewiß, daß dieser dunkle, kleine, unauffällige und schweigsame Mann niemals ein Gran jener Begabung besessen hat, sich beliebt zu machen. Der König, man weiß nicht warum, war ihm zeitlebens feindlich gesinnt (»sempre teve hum entejo«), und selbst sein getreuer Begleiter Pigafetta muß eingestehen, daß die Offiziere ihn redlich haßten (»li capitani sui lo odiavano«). Es ging – wie die Rahel von Kleist sagt – »streng um ihn her«. Er wußte nicht zu lächeln, nicht liebenswürdig, nicht gefällig zu sein, nie auch seine Ideen, seine Gedanken mit Geschick zu vertreten. Ungesprächig, verschlossen, immer in eine Wolke von Einsamkeit gehüllt, muß dieser ewige Einzelgänger eine Atmosphäre von eisiger Kälte, von Ungemütlichkeit und Mißtrauen um sich verbreitet haben, denn wenige kamen ihm nur an die Haut und sein innerstes Wesen hat keiner gekannt. Unbewußt spürten seine Kameraden in seinem schweigsamen Im-Hintergrund-Bleiben einen Ehrgeiz anderer, dunklerer Art, der ihnen verdächtiger war als jener der offenen Stellenjäger, die sich hitzig und schamlos an die Krippe drängten. Etwas blieb ständig hinter seinen tiefliegenden, kleinen, kugelig harten Augen, hinter seinem umbuschten Mund unzugänglich versteckt, ein Geheimnis, in das er nicht blicken ließ; immer aber wird der Mensch, der ein Geheimnis in sich birgt und die Kraft hat, es jahrelang hinter den Zähnen zu verpressen, den natürlich Zutraulichen, den Geheimnislosen unheimlich. Von Anfang an hat Magellan aus dem Dunklen seines Wesens heraus sich Widerstand geschaffen. Es war nicht leicht, mit ihm und für ihn zu sein, und am schwersten vielleicht für diesen tragischen Einzelgänger, mit sich selbst so allein zu sein.


Auch dieses zweite Mal geht völlig allein, ohne jeden Protektor und Förderer, der Fidalgo escudeiro Fernão de Magelhaes zu seinem König in Audienz, den schlechtesten Weg wählend, den es bei Hofe gibt: den ehrlichen und geraden. König Manoel empfängt ihn im selben Räume, vielleicht von demselben Thronsessel herab, auf dem sein Vorgänger João II. dereinst Columbus abgefertigt: an gleicher Stelle erneuert sich eine gleich historische Szene. Denn der kleine, bauernhaft breitschultrige, derb untersetzte, schwarzbärtige Portugiese mit dem tiefen, verdeckten Blick, der jetzt vor seinem Herrscher sich verbeugt und den dieser gleich verächtlich entlassen wird, trägt keinen geringeren Gedanken in sich als jener landfremde Genuese; an Kühnheit, an Entschlossenheit und Erfahrung ist Magellan dem berühmteren Vorgänger vielleicht sogar überlegen. Zeuge jenes Schicksalsaugenblicks ist niemand gewesen, aber doch sieht man nach den übereinstimmenden Schilderungen der zeitgenössischen Chronisten durch die Ferne der Zeit bis in den Thronsaal hinein: mit seinem gelähmten Bein hinkt Magellan bis zum König heran und überreicht mit einer Verbeugung die Dokumente, welche unwiderleglich das Unrecht jener böswilligen Anschuldigung dartun. Dann stellt er seine erste Bitte: der König möge in Anbetracht seiner abermaligen Verwundung, die ihn kampfunfähig mache, sein Monatsgehalt, seine Moradia, um einen halben Crusado (etwa einen heutigen englischen Schilling) im Monat erhöhen. Es ist ein lächerlich geringfügiger Betrag, den er fordert, und wenig scheint es sich für den stolzen, harten, ehrgeizigen Mann zu ziemen, daß er um eines solchen Bettels willen das Knie zur Bitte beugt. Aber bei dieser Forderung geht es Magellan natürlich nicht um das eine Silberstück, um den halben Crusado, sondern um seinen Rang, um seine Ehre. Die Höhe der Moradia, der Pension, drückt an diesem Königshofe, wo einer den andern eifersüchtig mit dem Ellbogen zurückschieben will, sinnbildlich die Rangstufe aus, welche ein Edelmann im königlichen Haushalt einnimmt. Magellan, fünfunddreißig Jahre alt, Veteran des indischen und des marokkanischen Kriegs, will nicht länger hinter flaumbärtigen Bürschchen, die hier dem König die Mundschüssel hinhalten oder den Kutschenschlag öffnen, zurückstehen. Aus Stolz hat er sich nie vorgedrängt, aber der Stolz verbietet ihm auch, sich Jüngeren und Geringeren unterstellen zu lassen. Er will sich nicht niederer einschätzen lassen, als er sich und seine Leistung selber einschätzt.


Doch mit düster verärgerter Braue blickt König Manoel auf den ungeduldigen Petenten. Auch ihm, diesem reichsten Monarchen, geht es natürlich nicht um das armselige Silberstück. Ihn verdrießt nur die Art dieses Mannes, der, statt demütig zu bitten, ungestüm fordert, der durchaus nicht warten will, bis er, der König, ihm das Gehalt wie eine Gnade zuteilt, sondern der starr und bockig auf seiner Rangerhöhung wie auf einem Recht besteht. Nun, man wird diesem hartstirnigen Burschen das Warten und das Bitten schon beibringen! Unglücklich von seinem Ärger beraten, lehnt Manoel, sonst el fortunado, der Glückliche, zubenannt, Magellans Ansuchen auf Pensionserhöhung ab, ohne zu ahnen, wie viele tausend goldene Dukaten er für diesen ersparten halben Crusado bald wird zahlen wollen.


Eigentlich sollte Magellan jetzt zurücktreten, denn die verwölkte Stirn des Königs läßt keinen Sonnenstrahl höfischer Gunst mehr für ihn erwarten. Aber statt servil sich zu verbeugen und den Saal zu verlassen, bleibt Magellan, von seinem Stolz gehärtet, ruhig vor seinem Monarchen stehen und stellt die zweite Bitte, welche im letzten Grunde seine eigentliche ist. Er fragt, ob der König nicht irgendeine Stellung, eine würdige Beschäftigung in seinen Diensten für ihn habe; er fühle sich zu jung und zu tatkräftig, um lebenslänglich Almosenempfänger zu bleiben. Nun steuern aus Portugals Häfen damals allmonatlich und sogar allwöchentlich Schiffe nach Indien und Afrika und Brasilien; nichts wäre selbstverständlicher, als auf einem dieser vielen das Kommando einem Manne anzuvertrauen, der so gut wie nur irgendeiner die Meere des Ostens kennt. Niemand mit Ausnahme des alten Veteranen Vasco da Gama ist in dieser Stadt und im ganzen Reich, der sich rühmen dürfte, Magellan an Kenntnissen zu übertreffen. Aber König Manoel wird es immer unerträglicher, den harten, fordernden Blick dieses unangenehmen Querulanten zu fühlen. Er lehnt kalt ab, ohne Magellan auch nur für die Zukunft zu vertrösten: nein, er habe keine Stellung für ihn.


Erledigt. Abgetan. Aber Magellan stellt noch eine dritte Bitte, und diese ist eigentlich keine Bitte mehr, sondern bloß eine Frage. Magellan fragt, ob der König etwas dawider habe, wenn er Dienst suche in einem andern Lande, wo er hoffen dürfe, bessere Förderung zu erhalten. Und mit einer beleidigenden Kälte gibt ihm der König zu verstehen, daß ihm dies völlig gleichgültig sei. Er möge Dienst nehmen, wo er ihn bekomme und wo es ihm gefiele. Damit ist Magellan deutlichst dargetan, daß man auf jede Art seiner Betätigung am portugiesischen Hofe verzichtet, daß man zwar gnädigerweise das Almosen ihm noch weiterhin zuerkenne, aber höchlich einverstanden wäre, wenn er Land und Hof den Rücken kehrte.


Bei dieser Audienz ist niemand Zuhörer gewesen. Man weiß nicht, ob bei diesem Anlaß, ob bei einem früheren oder späteren Magellan dem König schon seinen eigentlichen, geheimen Plan unterbreitet hat. Vielleicht hat man ihm gar nicht Gelegenheit gegeben, seine Ideen zu entwickeln, vielleicht wurden sie kühl abgelehnt; jedenfalls hatte in dieser Audienz noch einmal Magellan den Willen bewiesen, wie bisher auch weiterhin Portugal mit seinem Blut, seinem Leben zu dienen. Erst die schroffe Zurückweisung zwingt ihm jene innere Entscheidung auf, wie sie im Leben eines schöpferischen Menschen unverweigerlich einmal fallen muß.


Magellan weiß in dem Augenblicke, da er wie ein abgewiesener Bettler den Palast seines Königs verläßt: er darf nun nicht länger warten und zögern. Mit fünfunddreißig Jahren hat er alles erlebt und erfahren, was ein Krieger, ein Seemann im Felde und auf dem Meere erlernen konnte. Viermal hat er das Kap umfahren, zweimal von Westen, zweimal von Osten. Unzähligemal ist er knapp vor dem Tode gestanden, dreimal hat er das kalte Metall feindlicher Waffe im warmen, blutenden Leibe gefühlt. Unermeßlich viel Welt hat er gesehen, er weiß mehr von dem Osten der Erde als alle berühmten Geographen und Kartographen seiner Zeit. Er ist durch fast zehnjährige Erprobung bewährt in jeder Technik des Kriegs, er ist geschult, das Schwert zu handhaben und die Arkebuse, das Steuer und den Kompaß, das Segel und die Kanone, das Ruder, den Spaten und die Lanze. Er kann Portolane lesen, das Senkblei führen und nicht minder exakt als ein »Meister der Astronomie« die nautischen Instrumente bedienen. Was andere nur neugierig in Büchern lesen, endlose Windstillen und vieltägige Zyklone, Seeschlachten und Landschlachten, Belagerungen und Plünderungen, Überfall und Schiffbruch, all das hat er mittätig erlebt. Er hat innerhalb eines Jahrzehnts in tausend Nächten und Tagen das Warten gelernt auf endlosen Meeren und dann wieder, die blitzende Sekunde der Entscheidung zu nutzen. Er ist vertraut geworden mit aller Art Menschen, gelben und weißen, schwarzen und braunen, Hindus und Negern und Malaien und Chinesen und Arabern und Türken. In allen Formen des Dienens, zu Wasser und zu Land, in allen Jahreszeiten und Meereszonen, im Frost und unter brennendem Himmel hat er seinem König, hat er seinem Lande gedient. Doch Dienen ist eine Sache der Jugend, und nun, nahe dem sechsunddreißigsten Jahr, entscheidet Magellan, daß er nun genug lang sich aufgeopfert hat fremden Interessen und fremdem Ruhm. Wie jeder schöpferische Mensch fühlt er media in vita das Verlangen nach Selbstverantwortlichkeit und Selbstverwirklichung. Das Vaterland hat ihn im Stich gelassen, die Bindung an Amt und Pflichten gelöst – um so besser: nun ist er frei. Wie so oft wirft die Faust, die einen Menschen zurückstoßen will, ihn in Wahrheit auf sich selber zurück.


Niemals äußert sich bei Magellan ein gefaßter Entschluß sofort augenfällig und impulsiv. So wenig Licht auch aus den zeitgenössischen Beschreibungen auf seinen Charakter fällt, diese eine und wesentliche Tugend bezeichnet sichtlich alle Phasen seines Lebens: daß Magellan wunderbar zu schweigen verstand. Weder ungeduldiger noch gesprächiger Natur, auch mitten im Tumult der Armee unauffällig und abseitig, hat Magellan seine Gedanken einzig mit sich allein durchgedacht. Auf weite Fristen hinaus blickend, jede Möglichkeit im stillen durchrechnend, ist Magellan nie mit einem Plan oder einem Entschluß vor die Menschen getreten, ehe er seine Idee nicht innerlich reif, durchdacht und unwiderleglich wußte.


Auch diesmal übt Magellan wunderbar seine Schweigekunst. Ein anderer hätte nach jener beleidigenden Abweisung durch König Manoel wahrscheinlich sofort das Land verlassen und einem andern Herrscher sich angeboten. Magellan aber bleibt gelassen noch ein ganzes Jahr lang in Portugal, und niemand ahnt, womit er sich beschäftigt. Höchstens merkt man – sofern dies überhaupt beachtenswert wäre bei einem alten Indienfahrer –, daß Magellan viel beisammensitzt mit Piloten und Kapitänen, und hauptsächlich mit jenen, die früher die Südsee befuhren. Aber wovon plaudern Jäger lieber als von der Jagd, wovon Seefahrer lieber als von der See und neuentdeckten Ländern? Auch daß er in der Tesoraria, dem Geheimarchiv König Manoels, alle Küstenkarten, die Portolane und die Logbücher der letzten Expeditionen nach Brasilien durchforscht, die dort als secretissima verwahrt werden, kann keinen Verdacht erregen; was denn sollte ein unbeschäftigter Schiffskapitän in seiner vielen freien Zeit studieren als die Bücher und die Berichte über die neuentdeckten Länder und Meere?


Auffälliger wäre eher eine neue Freundschaft, die Magellan schließt. Denn dieser Mann, Ruy Faleiro, mit dem er sich immer enger zusammentut, scheint als fahriger, nervöser, aufbrausender Intellektueller mit seiner heftigen Suada, seinem überhitzten Selbstbewußtsein, seiner zänkischen Natur am allerwenigsten zu dem schweigsamen, beherrschten, undurchdringlichen Seemann und Kriegsmann zu passen. Aber die Begabungen dieser beiden Männer, die man bald unzertrennlich beisammen sieht, ergeben gerade dank ihrer polaren Gegensätzlichkeit eine gewisse – notwendigerweise kurzfristige – Harmonie. Wie für Magellan das Seeabenteuer und die praktische Durchforschung der irdischen Welt, so ist für Faleiro die abstrakte Erd- und Himmelskunde innerste Leidenschaft. Als reiner Theoretiker, als echter Stubengelehrter, der nie ein Schiff betreten, nie Portugal verlassen hat, kennt Ruy Faleiro die fernen Bahnen des Himmels und der Erde nur aus Kalkulationen, Büchern, Tabellen und Karten; in dieser abstrakten Sphäre allerdings, als Kartograph und Astronom, gilt er als höchste Autorität. Er kann kein Segel setzen, aber er hat ein eigenes System der Längenberechnung erfunden, das, wenn auch fehlerhaft, die ganze Erdkugel umspannt und Magellan späterhin entscheidende Dienste leisten wird. Er kann kein Steuer handhaben, aber die von ihm angefertigten Seekarten, Portolane, Astrolaben und andern Instrumente scheinen als nautische Hilfsmittel die besten seiner Zeit gewesen zu sein. Von einem solchen Fachmann kann Magellan, der ideale Praktiker, dessen Universität einzig der Krieg und das Abenteuer gewesen, der von Himmelskunde und Erdkunde nur weiß, was er im wörtlichsten Sinne er-fahren, das heißt auf seinen Fahrten und durch diese Fahrten erlernt hat, unermeßlich viel Nutzen haben. Gerade weil vollkommen polar in ihren Begabungen und Neigungen, ergänzen sich diese beiden Menschen so außerordentlich glücklich wie immer das Kombinatorische mit dem Experimentellen, der Gedanke mit der Tat, der Geist mit der Materie.


Dazu aber kommt in diesem besonderen Falle noch die zeitliche Schicksalsgemeinschaft. Beide diese – jeder in anderm Sinne – außerordentlichen Portugiesen sind in ihrem Selbstbewußtsein von ihrem Landesherrn tief gekränkt und in der Verwirklichung ihrer Lebensleistung gehindert worden. Ruy Faleiro strebt seit Jahren die Stellung eines königlichen Astronomen an, und zweifellos hätte niemand in Portugal berechtigteren Anspruch. Jedoch wie Magellan durch seinen schweigsamen Stolz, scheint Ruy Faleiro den Hof durch seine heftige, nervöse, leicht beleidigte und rasch aufbrausende Art verärgert zu haben. Einen Narren nennen ihn seine Feinde und verbreiten sogar, um sich seiner durch die Inquisition zu entledigen, den Verdacht, Faleiro bediene sich bei seinen Arbeiten übernatürlicher Geisterkräfte, er stehe mit dem Teufel im Bunde. Beide, Magellan und Ruy Faleiro, sehen sich also in der eigenen Heimat von Haß und Mißtrauen zurückgedrängt, und dieser äußere Druck von Mißtrauen und Haß treibt Magellan und Faleiro innerlich zusammen. Faleiro studiert Magellans Mitteilungen und Pläne. Er gibt ihnen den wissenschaftlichen Überbau, und seine Kalkulationen bestätigen, was Magellan rein gefühlshaft vermutete, mit genauen und tabellarischen Berechnungen. Und je mehr nun der Theoretiker und der Praktiker ihre Wahrnehmungen vergleichen, desto leidenschaftlicher wird ihr Entschluß, ein bestimmtes Projekt ebenso gemeinsam zu verwirklichen, wie sie es gemeinsam durchdacht und geformt haben. Mit Ehre und Eid verpflichten sich dann noch Theoretiker und Praktiker gegeneinander, bis zum entscheidenden Augenblick der Realisierung gegen jedermann das Geheimnis ihres Vorhabens zu wahren und notfalls auch ohne ihr Vaterland und gegen ihr eigenes Vaterland eine Tat zu vollbringen, die nicht bloß einem einzigen Lande, sondern der ganzen Menschheit gehören soll.


Nun aber ist der Augenblick gekommen, zu fragen: was ist eigentlich jener mysteriöse Plan, den Magellan und Faleiro im Schatten des königlichen Palastes von Lissabon heimlich wie Verschwörer erörtern? Was ist das Neue, das noch nicht Dagewesene daran, was macht ihn so kostbar, daß sie mit Eid und Ehre sich zu strengstem Geheimnis verpflichten, und was ist so gefährlich an diesem Projekt, daß sie es versteckt halten wie eine vergiftete Waffe? Die Antwort wirkt zunächst enttäuschend, denn dieser neue Plan ist kein anderer als eben jener Gedanke, den Magellan von Indien schon zurückgebracht und zu dem ihn Serrão ermutigte: die kostbaren Gewürzinseln nicht wie die Portugiesen auf dem Wege nach Osten über Afrika, sondern vom Westen her rund um Amerika zu erreichen. Dieser Plan stellt an sich scheinbar nichts Neues dar. Schon Columbus war bekanntlich nicht ausgefahren, um das (damals noch ungeahnte) Amerika zu entdecken, sondern um Indien zu erreichen, und als dann schließlich die Welt seines Irrtums gewahr wurde – er selbst hat ihn nie erkannt und bis zu seinem Tode vermeint, in einer Provinz des Khan von China gelandet zu sein –, gedachte Spanien keineswegs, die Fahrt nach Indien um dieser zufälligen Entdeckung willen aufzugeben. Denn der ersten Freude war bald eine ärgerliche Enttäuschung gefolgt. Die Ankündigung des voreiligen Phantasten Columbus, auf San Domingo und Hispaniola liege das Gold flach unter der Erde, hatte sich als Geflunker erwiesen. Man hatte kein Gold gefunden, keine Gewürze und nicht einmal »schwarzes Elfenbein«, denn die schwächlichen Indios waren als Sklaven nicht zu gebrauchen. Solange noch die Schatzkammern der Inkas nicht von Pizarro geplündert, die Silberminen von Potosi nicht angeschürft waren, bedeutete die Entdeckung Amerikas kommerziell eine Niete, und den goldhungrigen Kastilianern war es viel weniger darum zu tun, Amerika zu kolonisieren und zu verwalten, als möglichst rasch um Amerika herum zu kommen nach dem Paradies der Juwelen und der Gewürze. Unablässig wurden auf Befehl der Krone die Versuche fortgesetzt, diese neu aufgefundene »terra firma« zu umsegeln und vor den Portugiesen in die eigentliche Schatzkammer des Orients, in die Gewürzinseln einzubrechen. Eine Expedition folgte der andern, aber bald mußten auf ihrer Suche nach einem Seeweg zu dem ersehnten Indien die Spanier die gleiche Enttäuschung erfahren wie vordem die Portugiesen mit Afrika. Denn auch dieser neue Erdteil Amerika erwies sich als viel umfangreicher, als sie ursprünglich vermutet hatten. Überall, wo sie im Süden, wo sie im Norden mit Schiffen durchbrechen wollen nach dem Indischen Ozean, stoßen sie auf eine unübersteigbare Barriere von festem Land. Überall liegt ihnen wie ein breiter Balken dieser langgestreckte Kontinent, dieses »Hindernis« Amerika im Weg. Einer nach dem andern der großen Konquistadoren versucht vergeblich sein Glück, irgendwo einen Durchlaß, eine Meeresstraße, einen »paso«, einen »estrecho« zu finden. Columbus wendet sich auf seiner vierten Reise nach Westen, um über Indien heimzukehren, und stößt an die Barriere. Die Expedition, an der Vespucci teilhat, tastet ebenso vergeblich die ganze amerikanische Südküste ab, »con proposito di andare e scoprire un isola verso Oriente che si dice Melacha«, um die Gewürzinseln, die Molukken, zu erreichen. Cortez verspricht in seiner vierten »relacion« ausdrücklich dem Kaiser Karl, bei Panama den Durchbruch zu suchen. Cortereal und Cabot steuern bis hoch hinauf in das Eismeer, um die Durchfahrt im Norden, Juan de Solis den La Plata-Strom empor, um sie im Süden zu entdecken. Aber vergebens! Überall, im Norden, im Süden, in den eisigen Zonen ebenso wie in den tropischen Graden der gleiche unerschütterliche Wall aus Erde und Stein! Schon beginnt jede Hoffnung zu schwinden, vom Atlantischen Ozean her jenen andern zu erreichen, den Nuriez de Balboa von den Panama-Höhen zum erstenmal erschaut. Schon zeichnen die Kosmographen Südamerika als angewachsen an den antarktischen Pol in ihre Karten ein, schon sind unzählige Schiffe gescheitert auf dieser vergeblichen Suche, schon hat sich Spanien damit abgefunden, endgültig abgeschlossen zu bleiben von den Ländern und Meeren des reichen Indischen Ozeans, weil nirgends und nirgends der ersehnte »paso«, der leidenschaftlich gesuchte Durchlaß, sich finden will.


Da plötzlich erhebt sich dieser unbekannte kleine Kapitän Magellan aus der Anonymität seiner Existenz und erklärt mit dem Pathos der absoluten Gewißheit: »Es gibt eine Durchfahrt vom Atlantischen zum Pazifischen Ozean. Ich weiß es, ich kenne den Ort und die Stelle. Gebt mir eine Flotte und ich werde die Durchfahrt euch weisen und von Osten nach Westen steuernd die ganze Erde umrunden.«


Hier nun stehen wir vor dem eigentlichen Geheimnis Magellans, das seit Jahrhunderten Gelehrte und Psychologen beschäftigt. An sich – es wurde soeben dargetan – war das Projekt Magellans keineswegs eigenartig; er wollte im Grunde genau das gleiche wie Columbus, Vespucci, Cortereal, Cortez und Cabot. Das verblüffend Neue an seinem Vorschlag ist also nicht der Vorschlag selbst, sondern die peremptorische Sicherheit, mit der Magellan seine Behauptung von der Möglichkeit eines westlichen Seewegs nach Indien stellt. Denn von Anfang an sagt er nicht etwa bescheidentlich wie die andern: ich hoffe irgendwo einen »paso«, einen Durchbruch zu finden. Sondern er sagt mit dem erzenen Ton der Sicherheit: ich werde den »paso« finden. Denn ich weiß, ich allein, daß es einen Durchlaß gibt zwischen dem Atlantischen und dem Pazifischen Ozean, und ich weiß, an welcher Stelle ich ihn zu finden habe.


Wie aber – dies das Rätsel – kann Magellan im vorhinein wissen, wo sich diese von allen andern Seefahrern vergeblich gesuchte Straße befindet? Er selbst hat sich niemals auf seinen Fahrten der amerikanischen Küste auch nur genähert und ebensowenig sein Partner Faleiro. Wenn er also mit solcher Bestimmtheit das Vorhandensein dieser Straße behauptet, so kann er ihre Existenz und ihre geographische Lage nur von irgendeinem Vorgänger erfahren haben, der ipsis oculis die Straße gesehen. Wenn sie aber ein anderer Seefahrer vor Magellan gesehen, dann wäre – verzwickte Situation! – Magellan gar nicht der ruhmreiche Entdecker, als den ihn die Geschichte feiert, sondern bloß der Plagiator, der Usurpator einer fremden Leistung. Dann wäre die Magellanstraße ebenso zu Unrecht nach Magellan benannt wie Amerika nach seinem Nichtentdecker Amerigo Vespucci.


In dieser einen Frage erschöpft sich also das eigentliche Geheimnis in der Geschichte Magellans: durch wen und auf welchem Wege hat dieser kleine portugiesische Kapitän derart verbürgte Kenntnis von dem Vorhandensein einer Durchfahrt von Meer zu Meer gehabt, daß er das bisher unmöglich Geglaubte zu vollführen versprechen konnte, nämlich die Erde auf einer einzigen Fahrt zu umrunden? Den ersten Wink, auf Grund welcher Information Magellan sich seiner Sache vollkommen gewiß meinte, verdanken wir Antonio Pigafetta, seinem vertrautesten Begleiter und Biographen, der berichtet: selbst als der Eingang zu jener Straße schon vor ihren Augen lag, hätte kein einziger in der ganzen Flotte an die Möglichkeit einer solchen Verbindungsstraße zwischen den Ozeanen geglaubt. Einzig Magellans Überzeugung sei in diesem Augenblick nicht zu erschüttern gewesen, denn er hätte im vorhinein genau von dem Vorhandensein einer solchen verborgenen Straße gewußt, und zwar dank einer Karte des berühmten Kosmographen Martin Behaim, die er im Geheimarchiv des Königs von Portugal seinerzeit aufgestöbert hätte. Diese Mitteilung Pigafettas wäre an und für sich vollkommen glaubhaft, denn einerseits ist Martin Behaim tatsächlich bis zu seinem Tod (1507) Hofkartograph des Königs von Portugal gewesen. Andererseits wissen wir, daß der schweigsame Sucher Magellan rechtzeitig verstanden hatte, sich den Zutritt in dies Geheimarchiv zu verschaffen. Aber – das Puzzlespiel geht aufregend weiter – dieser Martin Behaim hatte selbst an keiner überseeischen Expedition persönlich teilgenommen, auch er für sein Teil konnte die erstaunliche Nachricht von der Existenz eines »paso« nur von andern Seefahrern übernommen haben. Auch er muß Vorgänger gehabt haben. So geht die Frage weiter: wer waren diese Vorgänger, wer diese unbekannten Seeleute, wer also die eigentlichen Entdecker? Sind tatsächlich andere portugiesische Schiffe vor der Anfertigung jener Karten und Globen bis an diese geheimnisvolle Straße vom Atlantischen zum Pazifischen Ozean vorgedrungen? Und siehe: unantastbare Dokumente stellen fest, daß tatsächlich zu Anfang des Jahrhunderts mehrere portugiesische Expeditionen (eine von Vespucci begleitet) die Küsten Brasiliens und vielleicht sogar Argentiniens erkundet hatten; nur sie allein konnten den »paso« gesehen haben.


Jedoch – die Schraube dreht sich tiefer – neuerliche Frage: wie weit waren jene mysteriösen Expeditionen gekommen? Wirklich hinab bis zum faktischen Durchgang, bis zur Magellanstraße? Für die Auffassung, daß andere Seeleute vor Magellan schon um den »paso« gewußt hätten, besaß man lange keinen anderen Stützpunkt als jene Mitteilung Pigafettas und einen noch heute vorhandenen Globus Johann Schöners, der verblüffenderweise schon 1515, also lange vor Magellans Ausfahrt, deutlich eine südliche Durchfahrt zeigt (freilich an einer ganz unrichtigen Stelle). Aber von wem Behaim und der deutsche Professor ihre Information erhalten hatten, war damit keineswegs ergründet. Denn in jenem Zeitalter der Entdeckungen wachte mit kaufmännischer Eifersucht jede Nation darüber, daß die Resultate jeder Expedition streng geheim blieben. Die Logbücher der Piloten, die Aufzeichnungen der Kapitäne, die Karten und Portolane wurden streng in der Tesoraria Lissabons versteckt, und unter Todesstrafe verbot König Manoel mit dem Edikt vom 13. November 1504, »Angaben über die Schiffahrt jenseits des Kongostroms zu machen, damit nicht Fremde aus den Entdeckungen Portugals Vorteil ziehen können«. Und schon schien die Frage nach der Priorität als eine müßige abgetan, da erklärte oder schien ein unvermuteter Fund in einem späteren Jahrhundert zu erklären, wem Behaim und Schöner und schließlich Magellan ihre geographischen Kenntnisse dankten. Es war nur ein Flugblatt in deutscher Sprache, auf schlechtestem Papier gedruckt, das man entdeckte, »Copia der Newen Zeytung aus Presillg Landt« benannt (überdies die erste »Zeytung«, welche diesen Namen trägt), aber dies Blatt stellt sich als ein Bericht heraus, den von Portugal zu Anfang des Jahrhunderts irgendein Faktor an die großen Kaufherren in Augsburg, die Welser, gerichtet hat. Darin ist in einem schauderbaren Deutsch berichtet, daß ein portugiesisches Schiff etwa im vierzigsten Breitengrade ein Cabo, also ein Kap entsprechend dem Kap der Guten Hoffnung, gefunden und umfahren habe, und daß dahinter von Osten nach Westen eine breite Durchgangsstraße ähnlich jener von Gibraltar zum andern Meere hinüberginge, so daß es ein leichtes sei, auf diesem Wege die Molukken, die Gewürzinseln, zu erreichen; klar behauptet also dieser Bericht, daß der Atlantische und der Pazifische Ozean verbunden seien – quod erat demonstrandum.


Damit schien endlich das Rätsel gelöst und Magellan endgültig als Usurpator, als Plagiator einer früheren Entdeckung überwiesen. Denn selbstverständlich mußte Magellan mindestens ebensogut wie dieser anonyme Reedereifaktor und der Augsburger Geograph in Lissabon die Resultate jener vorangegangenen portugiesischen Expedition gekannt haben und sein ganzes welthistorisches Verdienst wäre darauf beschränkt, daß er ein wohlgehütetes Geheimnis energisch in eine der ganzen Menschheit gültige Erkenntnis umzusetzen wußte. Geschicklichkeit, Geschwindigkeit und Unbedenklichkeit in der Ausnützung fremden Erfolgs scheinen also das ganze Geheimnis Magellans zu sein.


Aber überraschenderweise dreht sich noch einmal die Schraube, noch einmal, zum letztenmal. Denn wir wissen heute genau, was Magellan nicht wußte: jene Seeleute der unbekannten portugiesischen Expedition sind in Wirklichkeit nie an die Magellanstraße herangelangt, und ihre Berichte, die Magellan ebenso gutgläubig wie Martin Behaim und Johann Schöner als verläßliche Kunde hinnahm, sind in Wirklichkeit ein Mißverständnis, ein leichtbegreiflicher Irrtum gewesen. Denn was hatten und hier halten wir den Finger am Puls des Problems jene Piloten in der Nähe des vierzigsten Breitegrades gesehen? Was berichtet eigentlich der Augenzeugen-Bericht der »Newen Zeytung«? Nichts, als daß jene Seefahrer ungefähr im vierzigsten Breitegrade eine Meeresbucht entdeckt hätten, in die sie zwei Tage lang hineingefahren, ohne zu ihrem Ende zu kommen, und daß sie, ohne ihren Auslauf gefunden zu haben, durch einen Sturm wieder zurückgetrieben worden seien. Sie hatten also nichts als den Eingang einer Wasserstraße vor sich gesehen, von der sie vermeinten – aber bloß vermeinten –, sie sei der vielgesuchte Verbindungskanal zum Pazifischen Ozean. Aber die wirkliche Durchfahrt liegt – dies wissen wir seit Magellan – nahe dem zweiundfünfzigsten Breitegrade. Was also konnten jene unbekannten Seefahrer in der Nähe des vierzigsten Breitegrades gesehen haben? Dafür haben wir eine begründete Vermutung. Denn wer zum erstenmal mit eigenen Augen die ungeheuren Wassermassen, die meerhaft breite Fläche angestaunt hat, mit der sich der La Plata-Strom ins Meer ergießt, nur der versteht, daß es eine nicht zufällige, sondern geradezu notwendige Verwechslung war, diese gigantische Mündung eines Flusses für eine Bucht, für ein Meer zu halten. Nichts war selbstverständlicher, als daß jene unbekannten Seefahrer, die nie einen Strom von solchen gigantischen Dimensionen in Europa gesehen, bei dem Anblick dieser unüberschaubaren Weite voreilig triumphierten, dies müsse die vielgesuchte Wasserstraße sein, die Ozean und Ozean verbinde. Daß also jene Piloten, auf die sich die »Newe Zeytung« beruft, tatsächlich den Riesenstrom mit einer Meerenge verwechselten, dafür geben jene nach ihrer Aussage gefertigten Karten den besten Beweis. Denn hätten sie, diese unbekannten Piloten, außer dem La Plata-Strom noch tiefer unten im Süden die wirkliche Magellanstraße, den wirklichen »paso« gefunden, so hätten sie doch auf ihren Portolanen und hätte Schöner auf seinem Globus doch auch den La Plata, diesen Giganten unter den Strömen der Erde, einzeichnen müssen. Aber siehe, sowohl Schöner als auch die andern uns bekannten Karten zeichnen den La Plata-Strom nicht ein, sondern sie zeichnen statt seiner den »paso«, die mythische Meeresstraße gerade im gleichen Breitegrad. Damit ist die Frage vollkommen geklärt. Jene Bürgen der Newen Zeytung haben sich in redlichster Weise getäuscht. Sie sind einer augenfälligen und erklärlichen Verwechslung zum Opfer gefallen, und ebensowenig hat Magellan unredlich gehandelt, als er behauptete, authentische Nachricht über das Vorhandensein eines »paso« zu haben. Er ist nur selbst getäuscht gewesen durch eine fremde Selbsttäuschung, als er an Hand dieser Karten und Berichte seinen großartigen Plan der Erdumrundung entwarf. Ein Irrtum, ein ehrlich geglaubter und ehrlich übernommener Irrtum war im letzten das Geheimnis Magellans.


Aber man verachte den Irrtum nicht! Immer kann, wenn vom Genius berührt, wenn vom Zufall geführt, auch aus dem narrenhaftesten Irrtum eine höchste Wahrheit entstehen. Zu Hunderten und Tausenden zählen die wichtigen Erfindungen, die auf jedem Gebiet der Wissenschaft von falschen Hypothesen hervorgerufen worden sind. Nie hätte Columbus sich ins Weltmeer gewagt ohne jene Karte Toscanellis, die absurd falsch den Erdumfang berechnete und ihm vortäuschte, in kürzester Zeit an der Ostküste Indiens landen zu können. Nie hätte Magellan einen Monarchen überreden können, ihm eine Flotte zu übergeben, hätte er nicht mit solcher narrenhaften Sicherheit an jene unrichtige Karte Behaims und jene phantasiehaften Berichte der portugiesischen Piloten geglaubt. Nur indem er ein Geheimnis zu wissen glaubte, konnte Magellan das größte geographische Geheimnis seiner Zeit lösen. Nur weil er sich mit ganzer Seele hingab an einen vergänglichen Wahn, entdeckte er eine unvergängliche Wahrheit.

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Die hier vorzufindene Sammlung der gemeinfreien Werke Stefan Zweigs ist aus der Ausgabe des Null Papier Verlages übernommen. Zu dieser Ausgabe gelangen Sie durch einen Klick auf diesen Eintrag.