Bildnis eines Königspaares


In den ersten Wochen nach einer Thronbesteigung haben immer und überall die Kupferstecher, Maler, Bildhauer und Medaillenpräger alle Hände voll zu tun. Auch in Frankreich wird mit leidenschaftlicher Eile das Bildnis des längst nicht mehr »vielgeliebten« Königs Ludwig XV. weggeräumt und durch das festlich bekränzte des neuen Herrscherpaares ersetzt: Le roi est mort, vive le roi.


Viel Schmeichelkunst ist für einen geübten Medaillenschneider gar nicht nötig, um dem braven Biedermannsgesicht Ludwigs XVI. etwas Cäsarisches aufzuprägen. Denn abgesehen von dem kurzen festen Nacken kann man den Kopf des neuen Königs keineswegs unedel nennen: eine ebenmäßig zurückfliehende Stirn, ein starker, beinahe kühner Schwung der Nase, eine vollsaftig sinnliche Lippe, ein fleischiges, aber wohlgeformtes Kinn ergeben, rundlich geeint, ein stattliches, ein durchaus sympathisches Profil. Verschönender Nachhilfe bedarf am ehesten der Blick, denn ohne Lorgnette erkennt der außergewöhnlich Kurzsichtige schon drei Schritte weit keinen Menschen; hier muß der Stichel des Graveurs schon ziemlich viel Korn und Tiefe nehmen, um diesen schwerlidrigen, blaßschwimmenden Kuhaugen etwas Autorität zu verleihen. Schlecht steht es bei Ludwig, dem Schwerfälligen, auch mit der Haltung; ihn im Ornat wirklich aufrecht und imposant erscheinen zu lassen, das bereitet allen Hofmalern arge Not, denn frühzeitig verfettet, unbeholfen und durch seine Kurzsichtigkeit bis zur Lächerlichkeit linkisch, macht Ludwig XVI., obwohl fast sechs Fuß hoch und gerade gewachsen, bei allen offiziellen Anlässen unglückliche Figur (la plus mauvaise tournure qu’on pût voir). Er geht über das blanke Parkett von Versailles plump und mit schaukelnden Schultern »wie ein Bauer hinter dem Pflug«, er kann weder tanzen noch Ball spielen; wenn er bloß hastig ausschreitet, stolpert er schon über seinen eigenen Degen. Dieser körperlichen Ungeschicklichkeit ist sich der arme Mann genau bewußt, sie macht ihn verlegen, diese Verlegenheit steigert neuerdings seine Tapsigkeit: so hat jeder zunächst den Eindruck, in dem König von Frankreich einen kläglichen Tölpel vor sich zu sehen.


Aber Ludwig XVI. ist keineswegs dumm und beschränkt; nur wie im Auftreten durch seine Kurzsichtigkeit, ist er geistig durch seine Schüchternheit (die im letzten wahrscheinlich auf seiner sexuellen Unmännlichkeit beruht) arg gehemmt. Eine Unterhaltung zu führen, bedeutet für diesen krankhaft scheuen Herrscher jedesmal eine seelische Anstrengung, denn weil er weiß, wie langsam und schwerfällig er denkt, hat Ludwig XVI. eine unsagbare Angst vor klugen, witzigen und gescheiten Leuten, denen das Wort rasch auf die Lippe springt; schamvoll fühlt der ehrliche Mann im Vergleich zu ihnen die eigene Linkischkeit. Läßt man ihm aber Zeit, seine Gedanken zu ordnen, drängt man ihn nicht zu schnellen Entscheidungen und Antworten, so überrascht er selbst skeptische Partner wie Joseph II. oder Pétion durch seinen zwar niemals hervorragenden, aber doch redlichen und geradlinigen gesunden Menschenverstand; sobald seine nervöse Scheu einmal glücklich überwunden ist, wirkt er durchaus normal. Im allgemeinen liest und schreibt er aber lieber, statt zu sprechen, denn Bücher sind still und bedrängen nicht; Ludwig XVI. (man würde es nicht glauben) liest gern und viel, er hat gute Kenntnisse in Geschichte und Geographie, verbessert unablässig sein Englisch und Latein, wobei ihn ein ausgezeichnetes Gedächtnis unterstützt. In seinen Akten und Haushaltungsbüchern hält er tadellose Ordnung; jeden Abend verzeichnet er in seiner klaren, runden, fast kalligraphisch saubern Schrift die armseligen Nüchternheiten seines Lebens (»sechs Hirsche geschossen«, »mich purgieren lassen«) in ein Tagebuch, das durch ein ahnungsloses Übersehen alles welthistorisch Wichtigen geradezu erschütternd wirkt – im ganzen das Musterbild eines mittelmäßigen, unselbständigen Intellekts, von Natur aus etwa zu einem verläßlichen Zollrevisor oder Kanzleibeamten bestimmt, zu irgendeiner rein mechanischen und subalternen Tätigkeit im Schatten der Geschehnisse, – zu allem und allem, nur zu einem nicht: zu einem Herrscher.


Das eigentliche Verhängnis im Naturell Ludwigs XVI. aber ist: er hat Blei im Blut. Etwas Stockiges, Schweres versulzt seine Adern, nichts wird ihm leicht. Immer muß dieser redlich bemühte Mann einen Widerstand der Materie, eine Art Schlaftrunkenheit in sich überwinden, um etwas zu tun, zu denken oder bloß zu fühlen. Seine Nerven können, wie schlaff gewordene Gummibänder, sich nicht straffen, nicht spannen, nicht schwingen, sie sprühen nicht von Elektrizität. Diese angeborene Nervenstumpfheit schaltet Ludwig XVI. von jeder starken Gefühlsleistung aus: Liebe (im geistigen wie im physiologischen Sinn), Freude, Lust, Angst, Schmerz, Furcht, alle diese Elemente des Gefühls dringen bei ihm nicht durch die Elefantenhaut seiner Gleichmütigkeit, und nicht einmal unmittelbare Lebensgefahr kann ihn aus seiner Lethargie aufrütteln. Während die Revolutionäre die Tuilerien stürmen, geht sein Puls nicht eine Sekunde rascher, auch die Nacht vor der Guillotine kann keine der beiden Säulen seines Wohlbehagens, Schlaf und Eßlust, erschüttern. Nie wird dieser Mann, selbst die Pistole vor der Brust, erblassen, nie Zorn aus seinen stumpfen Augen aufleuchten, nichts kann ihn erschrecken, nichts aber auch ihn begeistern. Nur allergröbste Anstrengung, wie Schlosserei und Jagd, bringt wenigstens äußerlich seinen Körper in Bewegung; alles Zarte, Feingeistige, Graziöse, also Kunst, Musik, Tanz, ist dagegen seiner Gefühlswelt überhaupt nicht zugänglich; keine Muse und kein Gott vermögen seine trägen Sinne in Schwingung zu versetzen, selbst Eros nicht. Nie hat in zwanzig Jahren Ludwig XVI. eine andere Frau begehrt als die ihm sein Großvater als Gattin bestimmt hat; er bleibt mit ihr glücklich und zufrieden, wie er mit allem zufrieden ist in seiner geradezu aufreizenden Bedürfnislosigkeit. Darum war es eine teuflische Böswilligkeit des Schicksals, gerade von einer solchen stockigen und stumpf animalischen Natur die historisch wichtigsten Entscheidungen des ganzen Jahrhunderts zu verlangen, einen so durchaus auf das Beschauliche angelegten Menschen vor die fürchterlichste Weltkatastrophe zu stellen. Denn eben dort, wo die Tat beginnt, wo der Muskel des Willens in Zugriff oder Abwehr sich straffen soll, wird dieser körperlich robuste Mann auf die jämmerlichste Weise schwach: jede Entscheidung bedeutet für Ludwig XVI. jedesmal die allerschrecklichste Verlegenheit. Er kann nur nachgeben, nur tun, was andere wollen, weil er selbst nichts will als Ruhe, Ruhe, Ruhe. Bedrängt und überrascht, verspricht er jedem, was er verlangt, und ebenso schlapp und bereitwillig dem nächsten das Gegenteil; wer an ihn herankommt, hat ihn schon überwältigt. Durch diese namenlose Schwäche wird Ludwig XVI. immer wieder schuldlos schuldig und bei ehrlichster Absicht unehrlich, Spielball seiner Frau, seiner Minister, ein Bohnenkönig ohne Heiterkeit und Haltung, glücklich, wenn man ihm seinen Frieden läßt, verzweifelt und zum Verzweifeln in den Stunden, da er wirklich herrschen sollte. Hätte die Revolution diesem arglosen dumpfen Menschen, statt ihm ein Fallbeil in den kurzen dicken Hals zu treiben, irgendwo ein kleines Bauernhäuschen mit einem Gärtchen und einer unbedeutenden Pflicht gegönnt, sie hätte ihn glücklicher gemacht als der Erzbischof von Reims mit der Krone Frankreichs, die er ohne Stolz, ohne Lust und ohne Würde zwanzig Jahre hindurch gleichgültig trug.


Einen solchen gutmütig unmännlichen Mann als großen Imperator zu preisen, hat auch der höfischste aller Hofbarden nie gewagt. Die Königin dagegen in allen Formen und Worten zu verherrlichen, in Marmor, Terrakotta, Biskuit, Pastell, in zierlichen Elfenbeinminiaturen und graziösen Gedichten nachzubilden, wetteifern alle Künstler, denn ihr Antlitz, ihr Gehaben spiegelt geradezu vollendet das Zeitideal. Zart, schlank, anmutig, liebreizend, spielerisch und kokett, wird die Neunzehnjährige von der ersten Stunde an die Göttin des Rokoko, der vorbildliche Typus der Mode und des herrschenden Geschmacks; wenn eine Frau als schön und anziehend gelten will, bemüht sie sich, ihr ähnlich zu sein. Dabei hat Marie Antoinette eigentlich weder ein bedeutendes, noch ein besonders eindrucksvolles Gesicht; ihr glattes, feingeschnittenes Oval mit kleinen pikanten Unregelmäßigkeiten wie der habsburgischen starken Unterlippe und einer etwas zu flachen Stirn, bezaubert weder durch geistigen Ausdruck, noch durch irgendeinen persönlich-physiognomischen Zug. Etwas Kühles und Leeres wie von glattfarbenem Email geht von diesem unausgeformten, noch auf sich selbst neugierigen Mädchengesicht aus, dem erst die späteren fraulichen Jahre eine gewisse majestätische Fülle und Entschlossenheit hinzutun. Einzig die weichen und im Ausdruck sehr wandelhaften Augen, die leicht in Tränen überströmen, um dann sofort wieder in Spiel und Spaß aufzufunkeln, deuten auf Belebtheit des Gefühls, und die Kurzsichtigkeit gibt ihrem seichten, nicht sehr tiefen Blau einen schwimmenden und rührenden Charakter; nirgends aber zeichnet Willensstraffheit eine harte Charakterlinie in dies blasse Oval: man spürt nur eine weiche, nachgiebige Natur, die von der Stimmung sich führen läßt und, durchaus weiblich, immer nur den Unterströmungen ihres Empfindens folgt. Dieses Zärtlich-Anmutige ist es auch, was alle an Marie Antoinette vor allem bewundern. Wahrhaft schön ist an dieser Frau eigentlich nur das wesentlich Weibliche, das üppige, vom Aschblonden ins Rötliche schimmernde Haar, das Porzellanweiß und die Glätte ihres Teints, die füllige Weichheit der Formen, die vollendeten Linien ihrer elfenbeinglatten und zartrunden Arme, die gepflegte Schönheit ihrer Hände, all das Blühende und Duftende einer erst halb aufgefalteten Mädchenschaft, allerdings ein zu flüchtiger und sublimierter Reiz, als daß er sich aus den Nachbildungen ganz erahnen ließe.


Denn auch die wenigen meisterlichen unter ihren Bildern enthalten uns noch das Allerwesentlichste ihrer Natur vor, das Allerpersönlichste ihrer Wirkung. Bilder vermögen fast immer nur die erzwungene starre Pose eines Menschen festzuhalten, und der eigentlichste Zauber Marie Antoinettes beruhte, darüber ist nur eine Stimme, in der unnachahmlichen Anmut ihrer Bewegungen. Erst in der belebten Haltung enthüllt Marie Antoinette die eingeborene Musikalität ihres Körpers; wenn sie auf feinen Fesseln hoch und schlank durch das Spalier der Spiegelsäle schreitet, wenn sie sich kokett-nachgiebig in einem Sessel zum Plaudern zurücklehnt, wenn sie ungestüm aufspringt und beschwingt über die Stufen läuft, wenn sie mit natürlich anmutiger Geste die blendend weiße Hand zum Kusse darreicht oder zärtlich ihren Arm um die Taille der Freundin legt, wirkt ihre Haltung ohne jede Anstrengung vollendet aus weiblich-körperlicher Intuition. »Wenn sie sich aufrecht hält«, schreibt ganz trunken der sonst kühle Engländer Horace Walpole, »ist sie die Statue der Schönheit, wenn sie sich bewegt, die Grazie in Person.« Und wirklich, sie reitet, sie spielt Ball wie eine Amazone; überall, wo ihr biegsam geformter, talentierter Körper ins Spiel kommt, übertrifft sie die schönsten Frauen ihres Hofes, nicht nur an Geschicklichkeit, sondern auch an sinnlichem Reiz, und energisch weist der entzückte Walpole den Einwand, sie folge im Tanze nicht immer genau dem Rhythmus, mit dem hübschen Worte zurück, dann habe eben die Musik unrecht. Aus wissendem Instinkt – jede Frau kennt das Gesetz ihrer Schönheit – liebt Marie Antoinette darum die Bewegung. Unruhe ist ihr wahres Element; Stillsitzen dagegen, Zuhören, Lesen, Lauschen, Nachdenken und in gewissem Sinne sogar Schlaf sind für sie unerträgliche Geduldproben. Nur auf und ab und hin und her, etwas anfangen, immer etwas anderes und nichts zu Ende tun, immer beschäftigt sein und beschäftigt werden, ohne sich dabei selbst ernstlich anzustrengen; nur immer spüren, daß die Zeit nicht stillesteht, nur ihr nach, sie überholen, sie überrennen! Nicht lang essen, nur rasch ein bißchen Zuckerwerk naschen, nicht lange schlafen, nicht lange denken, nur weiter und weiter in wechselndem Müßiggang! So werden die zwanzig königlichen Jahre Marie Antoinettes ein ewiges, um das eigene Ich kreisendes Bewegtsein, das, keinem äußeren oder inneren Ziel zugewandt, menschlich und politisch einen völligen Leerlauf ergibt.


Diese Haltlosigkeit, dies nie bei sich selber Halt machen, diese Selbstvergeudung einer großen und nur falsch verwerteten Kraft ist es, was ihre Mutter so sehr an Marie Antoinette erbittert: sie weiß genau, die alte Menschenkennerin, dieses von Natur begabte und auch beseelte Mädchen könnte hundertmal mehr aus sich herausholen. Marie Antoinette brauchte nur sein zu wollen, was sie im Grunde ist, und sie hätte königliche Macht; aber, Verhängnis, sie lebt aus Bequemlichkeit ständig unter ihrem eigenen geistigen Niveau. Als echte Österreicherin hat sie unzweifelhaft viel und zu vielem Talent, leider nur nicht den mindesten Willen, diese eingeborenen Gaben ernsthaft auszunützen oder gar zu vertiefen: leichtfertig zerstreut sie ihre Talente, um sich selbst zu zerstreuen. »Ihre erste Regung«, urteilt Joseph II., »ist immer die richtige, und wenn sie dabei beharrte, ein wenig mehr nachdenken würde, wäre sie vortrefflich.« Aber gerade dieses auch nur ein wenig Nachdenken wird ihrem wirbeligen Temperament schon zur Last; jedes andere Denken als das aus dem Stegreif springende bedeutet für sie Anstrengung, und ihre kapriziös nonchalante Natur haßt jede Art geistiger Anstrengung. Nur Spiel will sie, nur Leichtigkeit in allem und jedem, nur kein Bemühen, keine wirkliche Arbeit. Marie Antoinette plaudert ausschließlich mit dem Mund und nicht mit dem Kopf. Wenn man zu ihr spricht, hört sie sprunghaft-zerstreut zu; in der Konversation, bestechend durch bezaubernde Liebenswürdigkeit und glitzernde Leichtigkeit, läßt sie jeden Gedanken, kaum angesponnen, sofort wieder fallen, nichts spricht sie, nichts denkt sie, nichts liest sie zu Ende, nirgends hakt sie sich fest, um daraus einen Sinn und Seim wirklicher Erfahrung zu saugen. Darum mag sie auch keine Bücher, keine Staatsakte, nichts Ernstes, das Geduld und Aufmerksamkeit fordert, und nur ungern, mit ungeduldig kritzelnder Schrift entledigt sie sich der allernotwendigsten Briefe; selbst denen an die Mutter merkt man das Fertighabenwollen oft deutlich an. Nur nicht sich das Leben beschweren, nur nichts, was den Kopf düster oder dumpf oder melancholisch macht! Wer diese ihre Denkfaulheit am besten überspielt, gilt ihr als der klügste Mann, wer Anstrengung fordert, als lästiger Pedant, und mit einem Sprung ist sie weg von allen vernünftigen Ratgebern bei ihren Kavalieren und Gesinnungsschwestern. Nur genießen, nur sich nicht stören lassen durch Nachdenken und Rechnen und Sparen, so denkt sie, und so denken sie alle in ihrem Kreise. Nur den Sinnen leben und sich nicht besinnen: Moral eines ganzen Geschlechts, des Dix-huitième, dem das Schicksal sie symbolisch als Königin gesetzt, daß sie sichtbar mit ihm lebe und sichtbar mit ihm sterbe.


Einen krasseren charakterologischen Gegensatz als dieses höchst ungleiche Paar könnte kein Dichter erfinden; bis in den letzten Nerv ihrer Körper, bis in den Rhythmus des Bluts, bis in die äußerste Ausschwingung ihrer Temperamente stellen Marie Antoinette und Ludwig XVI. in allen ihren Eigenschaften und Eigenheiten eine geradezu schulmäßige Antithese dar. Er schwer, sie leicht, er plump, sie biegsam, er stockig, sie moussierend, er nervenstumpf, sie flackerig-nervös. Und weiter ins Seelische: er unentschlossen, sie zu rasch entschlossen, er langsam überlegend, sie spontan in Ja und Nein, er strenggläubig bigott, sie selig weltverliebt, er bescheiden demütig, sie kokett selbstbewußt, er pedantisch, sie fahrig, er sparsam, sie verschwenderisch, er überernst, sie unmäßig verspielt, er Tiefgänger mit schwerem Flutgang, sie Schaum und Wellentanz. Er fühlt sich allein am wohlsten, sie in lauter lärmender Gesellschaft, er liebt mit animalisch dumpfem Behagen viel zu essen und schweren Wein zu trinken, sie rührt Wein nie an, ißt wenig und flink. Sein Element ist der Schlaf, das ihre der Tanz, seine Welt der Tag, die ihre die Nacht; so geht der Stundenzeiger ihrer Lebensuhren ständig wie Sonne und Mond gegeneinander. Um elf Uhr, wenn sich Ludwig XVI. schlafen legt, beginnt Marie Antoinette erst richtig aufzuflackern, heute in den Spielsaal, morgen auf einen Ball, immer anderswohin; wenn er morgens schon stundenlang auf der Jagd herumreitet, fängt sie erst an, sich zu erheben. Nirgends, in keinem Punkt, treffen ihre Gewohnheiten, ihre Neigungen, ihre Zeiteinteilung zusammen; eigentlich machen Marie Antoinette und Ludwig XVI. einen Großteil ihres Lebens vie à part, wie sie (zum Leidwesen Maria Theresias) fast immer lit à part machen.


Eine schlechte, eine zanksüchtige, gereizte, eine mühsam zusammengehaltene Ehe also? Durchaus nicht! Im Gegenteil, eine durchaus gemütliche, zufriedene Ehe und wäre das anfängliche Versagen der Männlichkeit mit den bekannten peinlichen Auswirkungen nicht, sogar eine völlig glückliche. Denn damit Spannungen entstehen, bedarf es beiderseits einer gewissen Kraft, Wille muß sich gegen Willen stemmen, hart gegen hart. Diese beiden aber, Marie Antoinette und Ludwig XVI. weichen jeder Reibung und Spannung aus, er aus körperlicher, sie aus seelischer Lässigkeit. »Mein Geschmack ist nicht derselbe wie der des Königs«, plaudert Marie Antoinette locker in einem Briefe aus, »er interessiert sich für nichts als die Jagd und mechanische Arbeit… Sie werden mir zugeben, daß meine Stellung in einer Schmiede nicht eben von besonderer Grazie wäre: ich wäre dort nicht Vulkan, und die Rolle der Venus würde meinem Gatten vielleicht noch mehr mißfallen als meine andern Neigungen.« Ludwig XVI. wieder findet die ganze wirbelige, geräuschvolle Art ihrer Vergnügungen gar nicht nach seinem Sinn, aber der schlaffe Mann hat weder Willen noch Kraft, energisch einzuschreiten; gutmütig lächelt er zu ihren Maßlosigkeiten und ist im Grunde Stolz, eine so vielbewunderte, scharmante Frau zu haben. Soweit sein mattes Gefühl sich einer Schwingung überhaupt fähig erweist, ist dieser biedere Mann auf seine Art – also schwerfällig und redlich – seiner schönen und ihm an Verstand überlegenen Frau völlig willenshörig zugetan, er drückt sich, seiner Minderwertigkeit bewußt, zur Seite, um ihr nicht im Licht zu stehen. Sie wiederum lächelt ein wenig über den bequemen Ehegatten, aber ohne Bosheit, denn auch sie hat ihn in einer gewissen nachsichtigen Weise gern, etwa wie einen großen zottigen Bernhardiner, den man ab und zu krault und streichelt, weil er niemals knurrt und murrt und gehorsam zärtlich dem kleinsten Wink gehorcht: auf die Dauer kann sie dem guten Dickfell nicht böse sein, schon aus Dankbarkeit nicht. Denn er läßt sie schalten und walten nach ihrer Laune, zieht sich zartfühlend zurück, wo er sich nicht erwünscht fühlt, betritt nie unangemeldet ihr Zimmer, ein idealer Gatte, der trotz seiner Sparsamkeit ihre Schulden immer wieder zahlt und ihr alles gestattet, am Ende sogar ihren Liebhaber. Je länger Marie Antoinette mit Ludwig XVI. zusammenlebt, um so mehr gewinnt sie Achtung vor seinem hinter aller Schwäche hochehrenwerten Charakter. Aus der diplomatisch gekuppelten Ehe wird allmählich eine wirkliche Kameradschaft, ein gutes herzliches Beisammensein, ein herzlicheres jedenfalls als in den meisten fürstlichen Ehen jener Zeit.


Nur Liebe, dies große und heilige Wort, läßt man besser bei diesem Anlaß aus dem Spiel. Zu rechter Liebe fehlt diesem unmännlichen Ludwig die Energie des Herzens; Marie Antoinettes Neigung für ihn enthält anderseits zu viel Mitleid, zu viel Herablassung, zu viel Nachsicht, als daß dieses laue Gemisch noch Liebe genannt werden dürfte. Körperlich konnte und mußte sich diese Feinnervige und Zarte aus Pflichtgefühl und Staatsräson ihrem Gatten ergeben, aber anzunehmen, daß dieser behäbige, bequeme, gefühlsfaule Mann, dieser Falstaff, in dieser muntern Frau Flut erotische Spannungen erweckt oder befriedigt hätte, wäre einfach sinnlos. »Liebe hat sie gar keine für ihn«, meldet klipp und klar, in ruhiger sachlicher Feststellung Joseph II. von seinem Pariser Besuch nach Wien, und wenn sie ihrerseits ihrer Mutter schreibt, von den drei Brüdern sei ihr derjenige noch immer der liebste, den ihr Gott als Ehegemahl bescherte, so sagt dieses »noch«, dieses verräterisch in die Zeilen geschlüpfte »noch«, mehr als sie bewußt ausdrücken wollte, etwa: da ich keinen bessern Mann bekommen konnte, ist dieser anständige brave Gatte »noch« immer der annehmbarste Ersatz. In diesem einen Wort mißt sich die ganze laue Temperierung ihrer Beziehung. Nun wäre Maria Theresia schließlich – sie hört von ihrer andern Tochter aus Parma viel schlimmere Dinge – mit dieser elastischen Eheauffassung zufrieden, zeigte Marie Antoinette nur etwas mehr Verstellungskunst und seelischen Takt in ihrem Verhalten, verstünde sie bloß besser vor andern zu verbergen, daß sie ihren königlichen Gemahl männlich als Null, als quantité négligeable betrachtet! Aber Marie Antoinette – und dies verzeiht ihr Maria Theresia nicht – vergißt die Form zu wahren und damit die Ehre ihres Gatten; glücklicherweise ist es die Mutter, die rechtzeitig eines dieser leichtfertigen Worte auffängt. Einer ihrer Staatsfreunde, Graf Rosenberg, war nach Versailles zu Besuch gekommen, Marie Antoinette hat den feinen alten galanten Herrn liebgewonnen und so viel Vertrauen zu ihm, daß sie ihm nach Wien einen muntern Plauderbrief schreibt, in dem sie erzählt, wie sie heimlich ihren Mann zum Narren gehalten, als der Herzog von Choiseul bei ihr Audienz erbat. »Sie werden mir gern glauben, daß ich ihn nicht gesehen habe, ohne den König zu verständigen. Aber Sie werden nicht ahnen können, welche Geschicklichkeit ich eingesetzt habe, um nicht den Anschein zu erwecken, eine Erlaubnis zu erbitten. Ich sagte, daß ich Herrn von Choiseul gern sehen möchte und nur mit der Wahl des Tages noch nicht im reinen wäre, und das machte ich so gut, daß der arme Mann (›le pauvre homme‹) selbst die bequemste Stunde ausfindig machte, wo ich ihn sehen konnte. Meiner Meinung nach habe ich bei dieser Sache nur mein Recht als Frau weidlich genutzt.« Ganz locker fließt Marie Antoinette das Wort ›pauvre homme‹ aus der Feder, sorglos siegelt sie den Brief, denn sie glaubt doch nur eine lustige Anekdote erzählt zu haben, und die Bezeichnung ›pauvre homme‹ bedeutet in der Sprache ihres Herzens ganz ehrlich gutmütig: der »arme gute Kerl«. Aber in Wien liest man dieses Mischwort aus Sympathie, Mitleid und Verächtlichkeit anders. Maria Theresia erkennt sofort, welche gefährliche Taktlosigkeit darin liegt, wenn die Königin von Frankreich in einem Privatbrief den König von Frankreich, den obersten Herrn der Christenheit, öffentlich einen »pauvre homme« nennt, wenn sie nicht einmal den Monarchen in ihrem Gatten achtet und ehrt. In welchem Ton muß dieser Windkopf sich erst mündlich bei den Gartenfesten und Redouten mit seinen Lamballes und Polignacs, mit den jungen Kavalieren über den Gebieter Frankreichs mokieren! Sofort wird strenge Beratung in Wien gehalten und ein derartig energischer Brief an Marie Antoinette geschrieben, daß jahrzehntelang das kaiserliche Archiv seine Veröffentlichung nicht erlaubte. »Ich kann Dir nicht verschweigen«, rüffelt die alte Kaiserin die pflichtvergessene Tochter, »daß Dein Brief an Grafen Rosenberg mich auf das äußerste bestürzt hat. Was für eine Ausdrucksform, was für ein Leichtsinn! Wo ist das so gute, so weiche, so hingebungsvolle Herz der Erzherzogin Marie Antoinette? Ich sehe dort nur Intrige, kleinlichen Haß, Spott und Hämischkeit; eine Intrige, in der eine Pompadour, eine Dubarry hätte ihre Rolle spielen können, aber nicht eine Prinzessin, und zwar eine große Prinzessin aus dem Hause Habsburg-Lothringen voll Güte und Takt. Immer hat mich Dein rascher Erfolg und alles, was Dich umschmeichelt, seit diesem Winter, in dem Du Dich in die Vergnügungen und lächerlichen Moden und Aufmachungen geworfen hast, erzittern lassen. Diese Hetzjagd von Vergnügen zu Vergnügen ohne den König, obwohl Du weißt, daß es ihn nicht freut und daß er nur aus reiner Nachgiebigkeit Dich begleitet oder sie duldet, all das ließ mich in meinen früheren Briefen meine berechtigte Unruhe äußern. Ich sehe sie durch diesen Brief nur bestätigt. Was für eine Sprache! ›Le pauvre homme!‹ Wo ist der Respekt und die Dankbarkeit für all sein Entgegenkommen? Ich überlasse Dich darüber Deinem eigenen Nachdenken und sage nicht mehr, obwohl noch viel zu sagen wäre… Aber wenn ich weiterhin noch derartige Ungehörigkeiten bemerke, werde ich nicht schweigen können, weil ich Dich zu sehr liebe, und ich sehe solche leider noch mehr als jemals voraus, weil ich Dich so leichtfertig, so heftig und so ohne jede Überlegung weiß. Dein Glück kann nur zu rasch enden und Dich durch Dein eigenes Verschulden ins größte Unglück stürzen, und dies alles nur infolge jener furchtbaren Vergnügungssucht, die Dir keine ernste Beschäftigung gönnt. Was für Bücher liest Du denn? Und dann wagst Du Dich in alles einzumengen, in die wichtigsten Affären und in die Wahl der Minister?… Es scheint, daß der Abbé und Mercy Dir unangenehm geworden sind, weil sie nicht diese niedrigen Schmeichler nachahmen und weil sie Dich glücklich machen wollen und nicht bloß amüsieren und von Deiner Schwäche Nutzen ziehen. Eines Tages wirst Du das einsehen, aber zu spät. Ich hoffe, diesen Augenblick nicht erleben zu müssen, und bitte Gott, so rasch als möglich meine Tage zu beschließen, weil ich Dir nicht mehr nützlich sein kann, weil ich es nicht ertragen könnte, mein Kind zu verlieren und unglücklich zu sehen, das ich zärtlich bis zu meinem letzten Augenblick lieben werde.«


Übertreibt sie nicht, malt sie nicht zu früh den Teufel an die Wand wegen dieses einen, doch nur übermütig gemeinten Spaßworts »pauvre homme«? Aber Maria Theresia geht es in diesem Falle nicht um das zufällige Wort, sondern um ein Symptom. Diese Äußerung hellt ihr blitzartig auf, wie wenig Respekt Ludwig XVI. in der eigenen Ehe genießt und wie wenig im ganzen Hofkreise. Ihre Seele wird unruhig. Wenn in einem Staate Mißachtung des Monarchen bereits die festesten Tragbalken, die eigene Familie, unterhöhlt, wie sollen dann die andern Stützen und Pfeiler im Sturme aufrecht bleiben? Wie soll eine bedrohte Monarchie bestehen ohne Monarchen, ein Thron unter bloßen Statisten, die den Königsgedanken weder im Blute, noch im Hirn, noch im Herzen fühlen? Ein Schwächling und eine Mondäne, zu zaghaft denkend der eine, zu unbedacht die andere, wie sollen diese Leichtfertigen ihre Dynastie behaupten gegen eine drohend gesammelte Zeit? Sie ist in Wahrheit gar nicht zornig gegen ihre Tochter, die alte Kaiserin, sie ist nur besorgt um sie.


Und wirklich, wie auch diesen beiden zürnen, wie sie verurteilen? Selbst dem Konvent, ihrem Ankläger, ist es bitter schwer geworden, diesen »armen Mann« als Tyrannen und Bösewicht anzusprechen; im tiefsten Grunde war kein Gran Bösartigkeit in diesen beiden und, wie meist in mittleren Naturen, keine Härte, keine Grausamkeit, nicht einmal Ehrsucht und grobe Eitelkeit. Jedoch, leider, auch ihre Vorzüge kommen über bürgerlichen Mittel wuchs nicht hinaus: honette Gutmütigkeit, lockere Nachsicht, temperiertes Wohlwollen. In eine Zeit geraten, so mittelmäßig wie sie selber, hätten sie in Ehren bestanden und leidlich gute Figur gemacht. Aber einer dramatisch gesteigerten Epoche durch innere Mitverwandlung eine gleiche Erhobenheit des Herzens entgegenzuhalten, haben weder Marie Antoinette noch Ludwig gewußt; sie verstanden noch eher, anständig zu sterben, als stark und heroisch zu leben. Jeden erreicht immer nur das Schicksal, dessen er nicht Herr zu werden versteht – in allem Unterliegen ist ein Sinn und eine Schuld. Im Falle Marie Antoinettes und Ludwigs XVI. hat Goethe sie richterlich weise gemessen:


Warum denn wie mit einem Besen
Wird so ein König hinausgekehrt?
Wärens Könige gewesen,
Sie ständen alle noch unversehrt.

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Königin des Rokoko

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Die hier vorzufindene Sammlung der gemeinfreien Werke Stefan Zweigs ist aus der Ausgabe des Null Papier Verlages übernommen. Zu dieser Ausgabe gelangen Sie durch einen Klick auf diesen Eintrag.