Kapitel 29
Dieser Oberst Svetozar Bubencic, hinter dem ich jetzt wie ein hingeschlagener Schatten durch die matt von Petroleumlampen erhellten, dumpf leeren und doch vom Dunst vieler Menschen gesättigten Gänge und Treppen schritt, war ein hundertgrädiger Troupier und der gefürchtetste unter unseren Vorgesetzten. Kurzbeinig, kurzhalsig, kurzstirnig, verbarg er unter den struppigen Brauen ein Paar tiefsitzende glimmrige Augen, die selten jemand heiter gesehen. Der stämmige Leib, der schwere, massive Gang verrieten unverkennbar seine bäuerliche Abstammung (er kam aus dem Banat). Aber mit dieser niederen Büffelstirn und seinem eisenharten Schädel hatte er sich langsam und beharrlich bis zum Oberst vorgestoßen. Seiner krassen Unbildung, seiner rüden Sprech- und Schimpfweise und seiner wenig repräsentablen Art wegen schob ihn freilich seit Jahren das Ministerium von einer Provinzgarnison in die andere, und daß er vor den roten Generallampassen noch den blauen Bogen kriegen würde, galt in diesen oberen Regionen soviel wie ausgemacht. Doch unansehnlich und ordinär, wie er war, in der Kaserne und auf dem Exerzierplatz kam ihm keiner gleich. Er kannte den kleinsten Paragraphen des Reglements wie ein schottischer Puritaner die Bibel, und sie bedeuteten für ihn keineswegs elastische Gesetze, die eine feinere Hand zu harmonischem Gefüge verknüpft, sondern fast religiöse Gebote, deren Sinn oder Widersinn ein Soldat nicht zu erörtern hatte. Er lebte im allerhöchsten Dienst wie Gläubige in Gott, er gab sich nicht mit Frauen ab, er rauchte nicht, er spielte nicht, hatte zeitlebens kaum ein Theater oder Konzert besucht und gleich seinem allerhöchsten Kriegsherrn Franz Joseph niemals etwas anderes gelesen als das Dienstreglement und Danzers Armeezeitung; für ihn existierte nichts auf Erden als die kaiserlich und königliche Armee, innerhalb der Armee nur die Kavallerie, innerhalb der Kavallerie nur die Ulanen und unter den Ulanen nur eines, nur sein Regiment. Daß alles bei diesem seinem Regiment besser als bei jedem andern klappen sollte, war in nuce der Sinn seines Lebens.
Ein Mann bornierten Blickfelds ist an und für sich schon überall schwer erträglich, wo ihm Macht gegeben ist, am fürchterlichsten aber beim Militär. Da Dienst bei der Truppe sich aus tausend überakkuraten, meist schon überalterten und petrifizierten Vorschriften zusammensetzt, die einzig ein enragierter Troupier auswendig kennt und nur ein Narr buchstabengetreu fordert, fühlte keiner in der Kaserne sich je vor diesem Fanatiker des heiligen Reglements sicher. Der Terror der Exaktheit saß in seiner feisten Gestalt zu Pferd, er thronte mit stecknadelscharfen Augen bei Tisch, er war der Schrecken der Kantinen und Kanzleien; ein kalter Wind von Angst stob überall seinem Kommen voraus, und wenn das Regiment ausgerückt stand zur Inspizierung und Bubencic auf seinem rostbraunen niedern Wallachen langsam heranritt, den Kopf ein wenig gesenkt wie ein Stier vor dem Stoß, erstarrte jede Bewegung in den Reihen, als ob gegenüber feindliche Artillerie aufgefahren wäre und schon abprotzte und zielte. Jeden Augenblick, wußte man, mußte der erste Einschlag kommen, unabwendbar, unaufhaltsam, und niemand konnte voraussagen, ob dieser erste Volltreffer nicht ihm galt. Eisstarr standen sogar die Pferde und zuckten mit keinem Ohr, keine Sporen klirrten, kein Atem ging. Und gemächlich, den Schrecken, der von ihm ausging, sichtlich genießend, ritt der Tyrann dann heran, einen nach dem andern aufspießend mit seinem akkuraten Blick, dem nichts entging. Er sah alles, dieser metallene Dienstblick, er ertappte die Kappe, die einen Fingerbreit zu nieder war, jeden schlecht geputzten Knopf; jeden Rostfleck am Säbel, jede Schlackspur am Pferd; und kaum daß er die kleinste Unvorschriftsmäßigkeit erspäht hatte, brach ein Gewitter oder vielmehr eine wahre Schlammflut von Flüchen nieder. Unter dem engen Uniformkragen schwoll der Adamsapfel apoplektisch wie eine plötzliche Geschwulst, die Stirn unter dem kurzgeschorenen Haar wurde blutrot, dicke Adern kletterten blau die Schläfen hinauf. Und dann fetzte er los mit seiner knorrig heiseren Stimme; ganze Dreckkübel goß er über das schuldig-unschuldige Opfer aus, und manchmal wurde die Ordinärheit seiner Ausdrücke derart peinlich, daß die Offiziere verärgert zu Boden blickten, weil sie sich für ihn vor der Mannschaft schämten.
Wie den leibhaftigen Satan fürchtete ihn die Mannschaft, der er für jede Nichtigkeit Spangen und Arrest aufrasselte und manchmal im Zorn sogar seine derbe Faust ins Gesicht drosch. Selbst habe ich’s erlebt, wie ein ruthenischer Ulan einmal im Stall, als der »blade Frosch« – so nannten wir ihn, weil sein feister Hals sich im Zorn bis zum Platzen blähte – schon in der Nachbarbox tobte, auf russische Weise das Kreuz schlug und mit bebenden Lippen ein Stoßgebet herzusagen begann. Bis zur Erschöpfung hußte Bubencic die armen Burschen herum, er karniffelte sie, ließ sie Karabinerübungen wiederholen, daß ihnen die Arme krachten, und auf den stützigsten Pferden solange reiten, bis ihnen das Blut aus den Hosen lief. Erstaunlicherweise aber liebten die biedern bäuerlichen Opfer ihren Tyrannen auf ihre dumpfe und ängstliche Weise mehr als all die milderen und dafür auch distanzierteren Offiziere. Es war, als ob irgendein Instinkt ihnen sagte, daß diese Härte aus einem eigensinnig bornierten Willen nach gottgewollter Ordnung stammte; überdies tröstete es die armen Teufel, daß wir Offiziere nicht viel besser wegkamen, denn selbst die schlimmste Fuchtel nimmt der Mensch sofort leichter hin, sobald er weiß, daß sie gleich hart auf des Nachbars Rücken fällt. Gerechtigkeit gleicht Gewalt geheimnisvoll aus: immer wieder wärmten die Soldaten mit gutem Behagen die Geschichte vom jungen Prinzen W. auf, der mit dem allerhöchsten Kaiserhaus verwandt war und darum glaubte, sich allerhand besondere Schnacken erlauben zu dürfen. Aber Bubencic verknallte ihn ebenso unbarmherzig auf vierzehn Tage wie irgend einen Häuslerssohn; vergebens, daß aus Wien Exzellenzen anriefen. Bubencic schenkte dem hohen Delinquenten nicht einen einzigen Tag seiner Strafe – ein Trotz übrigens, der ihn damals sein Avancement kostete.
Aber noch merkwürdiger: selbst wir Offiziere konnten uns einer gewissen Bindung an ihn nicht entziehen. Auch uns imponierte die dumpfe Ehrlichkeit in seiner Unerbittlichkeit und vor allem seine unbedingte kameradschaftliche Solidarität. Genau wie er keinen Tupf Staub auf einer Ulanka, keinen Kotspritzer auf dem Sattel beim letzten Soldaten ertrug, duldete er nicht die geringste Ungerechtigkeit; jeden Skandal im Regiment empfand er wie einen Hieb gegen die eigene Ehre. Wir gehörten zu ihm und wußten genau, daß, wenn einer etwas ausgefressen hatte, er am klügsten tat, geradewegs zu ihm zu gehen, worauf er einen zunächst angrobste, dann aber sich doch in die Stiefel steckte, um einen aus dem Schlamassel herauszupaddeln. Wenn es hieß, ein Avancement durchzusetzen oder einem, der in die Patsche geraten war, einen Vorschuß aus dem Albrechtsfonds herauszufechten, dann hielt er stramm, fuhr stracks ins Ministerium und stemmte mit seinem dicken Schädel die Sache durch. Gleichgültig, wie er uns ärgerte und trakassierte, wir spürten eben alle in einem versteckten Winkel unseres Herzens, daß dieser Bauernkerl aus dem Banat auf seine plumpe und bornierte Art treuer und ehrlicher als alle Nobeloffiziere den Sinn und die Tradition der Armee verteidigte, diesen unsichtbaren Glanz, von dem wir, die schlechtbezahlten Subalternoffiziere, innerlich mehr lebten als von unserer Gage.
So war dieser Oberst Svetozar Bubencic, der Oberschinder unseres Regiments, hinter dem ich jetzt die Treppe emporstieg; und genau so männlich und borniert, dummehrlich und ehrenhaft, wie er uns zeitlebens zusetzte, hat er sich selber zur Rechenschaft gezogen. Als im serbischen Feldzug nach dem Debakel Potioreks gerade noch neunundvierzig Ulanen von unserem blitzblank ausgerückten Regiment heil über die Save zurückkamen, blieb er als letzter auf dem feindlichen Ufer und tat dann angesichts des panikartigen Rückzugs, den er als schmählich für die Ehre der Armee empfand, was von allen Führern und hohen Offizieren des Weltkriegs nur die wenigsten nach Niederlagen getan: er nahm seinen schweren Dienstrevolver und schoß sich eine Kugel vor den Kopf, um nicht Zeuge sein zu müssen von Österreichs Untergang, den er im furchtbaren Bilde jenes zurückflüchtenden Regiments mit seinen dumpfen Sinnen prophetisch vorausgefühlt.
Der Oberst schloß auf. Wir traten in sein Zimmer, das in seiner spartanischen Nüchternheit eher einer Studentenbude glich: ein eisernes Feldbett – er wollte in keinem besseren schlafen als Franz Joseph in der Hofburg – zwei Farbdrucke, der Kaiser rechts, die Kaiserin links, vier oder fünf billig gerahmte Erinnungsphotographien von der Ausmusterung und Regimentsabenden, ein paar überkreuzte Säbel und zwei türkische Pistolen – das war alles. Kein bequemer Fauteuil, keine Bücher, gerade nur vier Strohsessel um einen harten leeren Tisch.
Bubencic strich sich heftig den Schnurrbart, einmal, zweimal, dreimal. Wir kannten alle diese stoßhafte Bewegung; sie galt bei ihm als das sichtlichste Zeichen gefährlicher Ungeduld. Schließlich knurrte er kurzatmig, ohne mir einen Sessel anzubieten:
»Tu dich kommod! Und jetzt keine Faxen – schieß los. Schwulitäten mit Geld oder Weiberg’schichten?«
Es war mir peinlich, im Stehen sprechen zu müssen, überdies empfand ich mich im scharfen Licht zu sehr seinem ungeduldigen Blick ausgesetzt. So wehrte ich nur rasch ab, es handle sich keineswegs um eine Geldangelegenheit.
»Also Weiberg’schichten! Schon wieder! Daß ihr Kerle keine Ruh geben könnt’s! Als ob’s nicht Weiber g’nug gäb, bei denen das verdammt einfach geht. Aber weiter jetzt, und ohne viel Faxereien – wo liegt der Hund begraben?«
Ich referierte mit möglichster Knappheit, daß ich mich heute mit der Tochter des Herrn von Kekesfalva verlobt hätte und drei Stunden später die Tatsache einfach abgeleugnet. Aber er möge keinesfalls glauben, daß ich nachträglich die Unehrenhaftigkeit meiner Handlungsweise zu beschönigen wünsche – im Gegenteil, ich sei nur gekommen, um ihm als meinem Vorgesetzten privat mitzuteilen, daß ich mir der Konsequenzen voll bewußt sei, die ich als Offizier aus meinem unkorrekten Verhalten zu ziehen hätte. Ich wüßte, was meine Pflicht sei, und würde sie erfüllen.
Bubencic glotzte mich ziemlich verständnislos an.
»Was redst da für Unsinn? Unehrenhaftigkeit und Konsequenzen? Ja woher denn und wieso denn? Da ist doch gar nix dabei. Mit der Tochter vom Kekesfalva, sagst, hast dich verlobt? Die hab ich einmal g’sehn – sonderbarer Gusto, das ist doch eine ganz verknackste, verwachsene Person. Na, und hast dir’s halt nachher wieder überlegt. Da ist doch nix dabei. Das hat schon einmal einer getan und ist darum kein Lump geworden. Oder hast …« Er trat näher. »Hast vielleicht ein Techtelmechtel mit ihr g’habt und ist jetzt was los? Dann freilich wär’s eine schäbige Sach.«
Ich ärgerte mich und schämte mich. Mich verdroß die lockere, vielleicht beabsichtigt legere Art, mit der er alles mißverstand. So schlug ich die Hacken zusammen:
»Gestatten Herr Oberst, daß ich gehorsamst bemerke: ich habe diese grobe Unwahrheit, daß ich nicht verlobt sei, vor sieben Offizieren des Regiments am Stammtisch im Kaffeehaus gesagt. Aus Feigheit und Verlegenheit habe ich meine Kameraden angelogen. Morgen wird der Leutnant Hawliczek den Apotheker stellen, der ihm die richtige Nachricht überbracht hat. Morgen wird die ganze Stadt bereits wissen, daß ich am Offizierstisch eine Unwahrheit gesagt habe und mich somit standeswidrig benommen.«
Jetzt starrte er verblüfft auf. Sein schwerfälliges Denken hatte offenbar endlich eingesetzt. Sein Gesicht wurde allmählich dunkler.
»Wo war das, sagst?«
»An unserem Stammtisch, im Kaffeehaus.«
»Vor den Kameraden, sagst? Alle ham’s g’hört?«
»Zu Befehl.«
»Und der Apotheker weiß, daß du’s abg’stritten hast?«
»Er wird es morgen erfahren. Er, und die ganze Stadt.«
Der Oberst zwirbelte und zerrte so heftig an seinem dicken Schnurrbart, als wollte er ihn ausreißen. Man sah, daß hinter seiner niederen Stirn etwas arbeitete. Ärgerlich begann er auf und ab zu gehen, die Hände hinter dem Rücken gekreuzt, einmal, zweimal, fünfmal, zehnmal, zwanzigmal. Der Boden schütterte leise unter diesem harten Trott, dazwischen klingelten leise die Sporen. Schließlich machte er wieder vor mir halt.
»Na, und was willst tun, sagst?«
»Es gibt nur einen Ausweg; Herr Oberst wissen das selbst. Ich bin nur gekommen, um mich vom Herrn Obersten zu verabschieden und gehorsamst zu bitten, Sorge zu tragen, daß nachher alles still und mit möglichst wenig Aufsehen erledigt wird. Es soll durch mich keine Schande auf das Regiment fallen.«
»Unsinn«, murmelte er. »Unsinn! Wegen so was! Ein fescher, g’sunder, anständiger Mensch wie du, wegen so einem Krüppelg’spiel! Wahrscheinlich hat dich der alte Fuchs eing’seift und du hast auf grade Art net mehr auskommen können. Na – denentwegen wär’s mir wurscht, was gehn die uns an! Aber das mit die Kameraden und dann, daß dieser blöde Lauser von Apotheker davon weiß, das ist natürlich eine dreckige G’schicht!«
Er begann wieder auf und ab zu schreiten, heftiger noch als vorhin. Das Denken schien ihn anzustrengen. Jedesmal, wenn er in seinem Auf und Ab wiederkehrte, war sein Gesicht um einen Ton röter geschattet, wie dicke schwarze Wurzeln wuchsen die Adern aus den Schläfen. Endlich blieb er entschlossen stehen.
»Also paß auf. So was muß rasch gedeichselt werden – redt sich’s einmal herum, dann kann man wirklich nix mehr machen. Fürs erste einmal – wer von die Unsrigen war dabei?«
Ich nannte die Namen. Bubencic zog aus der Brusttasche sein Notizbuch – das kleine, berüchtigte, rotlederne Notizbuch, das er jedesmal wie eine Waffe zückte, sobald er einen vom Regiment bei etwas Ungehörigem erwischte. Wer da einmal eingeschrieben stand, der konnte über seinen nächsten Urlaub das Kreuz machen. Nach bäurischer Art feuchtete der Oberst den Bleistift zuerst zwischen den Lippen an, ehe er mit seinen dicken, breitnägligen Fingern Namen nach Namen untereinander kraxte.
»Sind das alle?«
»Ja.«
»Bestimmt alle?«
»Zu Befehl.«
»So.« Er stieß das Notizbuch in die Brusttasche zurück wie einen Säbel in die Scheide. Es war der gleiche klirrende Ton in diesem abschließenden »so«.
»So – das wär einmal erledigt. Morgen b’stell ich sie mir her, alle sieben, einen nach dem andern, eh sie einen Fuß auf den Exerzierplatz setzen, und Gott gnad dem Kerl, der sich nachher noch zu erinnern getraut, was du g’sagt hast. Den Apotheker nehm ich mir dann separat vor. Ich wer’ ihm schon was aufbinden, verlaß dich drauf, ich wer’ schon was finden. Vielleicht, daß du mich erst hast um Erlaubnis bitten wollen, eh du’s offiziell machst oder … oder, wart einmal« – er trat ruckhaft so nah an mich heran, daß ich seinen Atem spürte, und sah mir mit seinem stechenden Blick in die Augen – »sag aufrichtig, aber wirklich aufrichtig jetzt: hast vorher was ’trunken g’habt – ich mein, vorher, eh du den Blödsinn ang’stellt hast?«
Ich war beschämt. »Zu Befehl, Herr Oberst, ich habe allerdings, eh’ ich hinausging, ein paar Kognak getrunken und draußen noch beim … bei jenem Essen ziemlich reichlich … Aber …«
Ich erwartete einen zornigen Anpfiff. Statt dessen ging sein Gesicht plötzlich aufleuchtend ins Breite. Er patschte in die Hände und lachte laut, dröhnend, selbstzufrieden.
»Famos, famos, jetzt hab ich’s! Damit kriegen wir den Karren aus dem Dreck. Klar wie Stiefelwichs! Ich erklär ihnen halt allen, du warst b’soffen wie ein Schwein und hast nicht g’wußt, was d’redst. Ehrenwort hast doch keins ’geben?«
»Nein, Herr Oberst.«
»Dann ist doch alles tulli. Warst halt b’soffen, sag ich ihnen. Ist schon einmal vorgekommen, sogar bei einem Erzherzog! Warst stockb’soffen, hast nicht die lausigste Ahnung g’habt, was d’ redst, hast gar nicht recht zug’hört und alles falsch verstanden, was sie g’fragt haben. Das ist doch logisch! Und dem Apotheker bind ich noch auf die Nasen, daß ich dich gründlich verknallt hab, weil du mit so einem Mordsrausch ins Kaffeehaus gestolpert bist. – So: Punkt eins wär erledigt.«
Die Erbitterung wuchs in mir, daß er mich so mißverstand. Mich ärgerte, daß dieser im Grunde gutmütige Hartschädel mir durchaus die Steigbügel hinhalten wollte; am Ende meinte er, ich hätte ihn aus Feigheit beim Ärmel gepackt, um mich herauszuretten. Zum Teufel, warum wollte er das Erbärmliche partout nicht begreifen! So riß ich mich zusammen.
»Melde gehorsamst, Herr Oberst, für mich ist damit die Sache keineswegs aus der Welt geschafft. Ich weiß, was ich angestellt habe, und weiß, daß ich keinem anständigen Menschen mehr ins Gesicht schauen kann; als ein Lump will ich nicht weiterleben und …«
»Halt’s Maul«, unterbrach er. »Oh pardon – laß einen doch ruhig nachdenken und schwätz mir nicht drein – ich weiß schon selber, was ich zu tun hab, und brauch von so einem Grünschnabel keine Belehrung. Glaubst, es geht einzig um dich? Nein, mein Lieber, das war nur das Erste, und jetzt kommt Punkt zwei und der heißt: morgen früh verschwindst, hier kann ich dich nicht brauchen. Über so eine Sach muß man Gras wachsen lassen, nicht einen Tag mehr darfst hierbleiben, sonst geht gleich das blöde G’frag und Geschwätz los, und das paßt mir nicht. Wer zu meinem Regiment g’hört, darf sich von keinem ausfragen und schief anschaun lassen. Das duld ich nicht … Von morgen an bist transferiert zum Ersatzkader nach Czaslau … ich schreib dir selber den Befehl und geb dir einen Brief an den Oberstleutnant mit: was drin steht, geht dich nix an. Du hast nur zu verduften, und was ich tu, ist meine Sach. Heut nacht machst dich fertig mit deinem Burschen, und morgen schiebst so zeitig ab aus der Kasern, daß d’ keinen einzigen siehst von der ganzen Gesellschaft. Mittags beim Rapport wird einfach verlesen, daß du abkommandiert bist in dringlichem Auftrag, damit keiner was spannt. Wie du das andre nachher mit dem Alten ausmachst und mit dem Mädel, geht mich nix an. Deinen Dreck koch dir g’fälligst selber aus – mich kümmert’s nur, daß kein G’stank und kein G’schwätz davon in die Kasernen kommt … Also abgemacht – halb sechs hier oben morgen früh, fix und fertig, ich geb dir den Brief und dann vorwärts! Verstanden?«
Ich zögerte. Nicht dazu war ich gekommen. Ich wollte doch nicht echappieren. Bubencic merkte meinen Widerstand und wiederholte fast drohend:
»Verstanden?«
»Zu Befehl, Herr Oberst«, antwortete ich militärisch und kühl. Innerlich sagte ich mir: »Laß den alten Narren reden, was er will. Ich tu doch, was ich tun muß.«
»So – und jetzt Schluß. Morgen früh, halb sechs.«
Ich stand stramm. Er kam auf mich zu.
»Daß grad du solche blöden Sachen machst! Gern geb ich dich nicht ab zu denen nach Czaslau. Bist mir von die ganzen jungen Leut doch noch immer der liebste gewesen.«
Ich spüre, er überlegt, ob er mir die Hand reichen soll. Sein Blick ist weicher geworden.
»Brauchst vielleicht noch was? Wenn ich dir beispringen kann, genier dich nicht, ich tu’s gern. Ich möcht nicht, daß die Leut glauben, du bist in Verschiß, oder so was. Brauchst nix?«
»Nein, Herr Oberst, danke gehorsamst.«
»Um so besser. Na, Gott befohlen. Morgen früh halb sechs.«
»Zu Befehl, Herr Oberst.«
Ich blicke ihn an, wie man einen Menschen zum letztenmal ansieht. Ich weiß, er ist der letzte Mensch, den ich gesprochen habe auf Erden. Morgen wird er der einzige sein, der die ganze Wahrheit weiß. Stramm klappe ich die Hacken zusammen, ziehe die Schultern hoch und mache kehrt.
Aber etwas muß selbst dieser dumpfe Mensch bemerkt haben. Etwas muß ihm in meinem Blick oder meinem Gang verdächtig geworden sein, denn er kommandiert scharf in meinen Rücken: »Hofmiller, herstellt!«
Ich reiße mich herum. Er zieht die Brauen hoch, mustert mich eindringlich, dann murrt er, bissig und gutmütig zugleich:
»Du, Kerl, du g’fallst mir nicht. Mit dir is was los. Mir scheint, du willst mich zum Narren halten, du hast einen Unsinn vor. Aber ich duld nicht, daß du wegen so einer Scheißsache Dummheiten machst … mit dem Revolver oder so … ich duld’s nicht … hast verstanden?«
»Zu Befehl, Herr Oberst.«
»Ah was, kein ›zu Befehl‹! Mir macht man nix vor. Ich bin kein heuriger Has.« Seine Stimme wird weicher. »Gib mir die Hand.«
Ich reichte sie ihm. Er hält sie fest.
»Und jetzt« – er sieht mir scharf in die Augen – »jetzt, Hofmiller, dein Ehrenwort, daß du heut nacht keine Dummheiten machst! Dein Ehrenwort, daß du morgen um halb sechs hier gestellt bist und nach Czaslau abrückst.«
Ich halte dem Blick nicht stand.
»Mein Ehrenwort, Herr Oberst.«
»No, dann is gut. Weißt, mir hat so was g’spannt, daß d’ in der ersten Rage ein Blödsinn anstellen könntst. Bei euch fuchtige junge Leut weiß man ja nie … ihr seid’s immer gleich fertig mit allem, auch mit dem Revolver … Nachher wirst schon selber vernünftig werden. So was übertaucht man schon. Wirst sehn, Hofmiller, gar nix wird aus der ganzen Sach, gar nix! Das bügel ich aus bis auf die letzte Falten, und ein zweitesmal wird dir so ein Blödsinn nicht mehr passieren. Na – und jetzt geh – wär doch schad gewesen um einen wie dich.«
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