An Arthur Schnitzler


Salzburg, Kapuzinerberg 5


7.1.1927


Lieber verehrter Herr Doktor, Ihr Buch war mir eine große Freude und eine besonders persönliche: ich habe immer das Gefühl gehabt, als wüßte man zu wenig von Ihrer innern Geistigkeit, Ihrer Gefühlswärme und dem Ernst hinter ihrem Lächeln. Wer einmal den Menschen heiter kommt, scheint verwirkt zu haben, für seriös im strengen Sinne zu gelten, als ob nicht gerade das Spielhafte immer Erlösung von einem tiefen innern Ernst bedeutete: Sie haben nur zu recht, daß die Wenigsten eigentlich von Ihnen hinter Ihrem Ruhme wissen. Zu diesen zu zählen war immer mein Stolz. Das Einzige, was mich an diesen Sprüchen ein wenig verdroß, war, um goethisch zu reden ›das Buch des Unmuts‹, nämlich daß Sie den Kleingeistigen die Freude machen, zu zeigen, daß Mückenstiche Sie manchmal ärgerten. Zu viel Ehre! Wer wie Sie auf einem Werke steht, kann herabsehen; Verachtung zu zeigen, verrät eine vorangegangene Entrüstung und die hätten Sie niemals an solchen engen Deutungen erfahren sollen. Notwendigerweise hält sich der lockere Geist am Äußeren, aus Faulheit, in die Tiefe zu dringen, er klammert sich an einen Begriff und der ist Ihnen durch das Diminutiv der ›Liebelei‹ von anfangs an taxfrei verliehen worden. Lassen Sie der Zeit ihre Zeit und Sie werden selbst noch die Wandlung erfahren, dieselbe, die allen Österreichern allmählich bewilligt wurde, sehr unwillig zwar, aber dann umso dauerhafter. Aber Ihr Buch war fördernd für ein ernsteres Anschaun, ein Sich besinnen dieser Gleichgiltigkeit, die ich für Sie empörter empfinde als Sie selbst: Ihre hohe Haltung, der nicht im schulmäßigen, wohl aber viel intensiveren Sinne sittliche Ernst Ihres Werks waren für mich immer vorbildlich und werden es dauernd bleiben, denn immer wieder steht Ihr neues Schaffen auf einer neuen Stufe, andern Ausblick eröffnend und gleichsam tiefere Quellen aufdeutend. Ich erwarte mir gerade von diesen Ihren reifsten Jahren noch unendlich viel und da Sies nie getan haben, werden Sie mich auch in dieser liebevollen Erwartung nicht enttäuschen.


Von mir darf ich nichts sagen als daß ein neues Drei-Meisterbuch, das meiner eigenen Arbeit wie ein Klotz im Wege gelegen, bald fortgerollt sein wird und ich wieder dem Erfinderischen mich nähern kann. Inzwischen fiel mir eine kleine Komödie ein, die zu schreiben ich allein zu träge bin; aber schon in Gedanken mit Heiterkeiten zu spielen, entlastet: Ich glaube man kann sich nur von einer Arbeit in der andern erholen oder wenigstens im Spiel mit neuen Plänen und Möglichkeiten. Möge jeder Tag Ihnen freudig und erfüllt sein: Wer verdient dies Bedeutsamste, wenn nicht Sie? Innigst Ihnen getreu


Ihr Stefan Zweig


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Die hier vorzufindene Sammlung der gemeinfreien Werke Stefan Zweigs ist aus der Ausgabe des Null Papier Verlages übernommen. Zu dieser Ausgabe gelangen Sie durch einen Klick auf diesen Eintrag.