An Hermann Hesse


Wien, 2. Februar 1903


Sehr werter Herr Hesse,


Ich muß Sie ganz herzlich darum bitten, mir es nicht als gewohnte Verlegenheitsphrase werten zu wollen, wenn ich Ihnen dankend sage, daß mit Ihrem Buche eine große Freude zu mir gekommen ist. Ich danke Ihnen recht, recht innig und muß Sie bitten, mir auch dies glauben zu wollen: ich habe seit langem schon die Absicht gehabt, mich an Sie um Ihr Buch zu wenden. Nur fürchtete ich auf einen zu stoßen, der meine Anschauung nicht teilt, daß auch Dichter oder eben Dichter es nicht notwendig haben, conventionaliter miteinander in Verkehr zu treten. Ich habe von je an jenen »Geheimbund der Melancholischen« geglaubt, von dem Jacobsen in der Maria Grubbe erzählt, ich glaube auch, daß wir, die wir seelische Ähnlichkeiten in uns fühlen, einander nicht fremd bleiben dürfen. Sie, den ich lange aus einzelnen Versen in Zeitschriften liebe, nun persönlich zu kennen, ist mir aufrichtige Freude.


Darf ich einiges über Ihr Buch sagen? Nein, ich wills doch nicht, ich hab’s noch nicht ganz gelesen, nur so aufgeschlagen. Aber ich hab’s auch schon genommen und aus meiner hellen lebendigen Empfindung heraus zu meinen Freunden getragen und vorgelesen. Ganz aufrichtig: ich sehe schon jetzt, daß es neben Rilkes: »Buch der Bilder«, Wilhelm von Scholzens: »Spiegel« und meines lieben Freundes Camill Hoffmann ganz wundersam verwandtem »Adagio stiller Abende« das liebste Versbuch dieses Jahres ist. Mit Freude kann ich es zu den Dedicationen stellen; die Gesellschaft dort ist übrigens nicht so übel: Johannes Schlaf, R.M. Rilke, Camille Lemonnier, Wilhelm von Scholz, Franz Evers, Wilhelm Holzamer, Hans Benzmann, Richard Schaukal, Otto Hauser, Busse Palma sind da als Spender zu nennen. Gerne will ich auch, sobald sich Gelegenheit findet, für das Buch etwas tun, und zwar in einem großen Blatte, wo ich weiß, daß meine Worte nicht im Wind verwehn.


Meinen »Verlaine« erhalten Sie in ca. 8 Tagen; ich will heute meinen Verleger um neue Exemplare bitten; ich habe übrigens viel Freude an dem Buche, es geht ganz mächtig ab, und ich hoffe vielleicht schon im Herbst das 3. – 5. Tausend als zweite Auflage in die Welt gehn zu sehn. Da will ich dann zuverlässig Ihr so prächtig übertragenes Gedicht einfügen, eventuell Sie bitten, mir noch andere Proben zu übermitteln.


Und nun noch eins: ich möchte nun, da Sie mit fröhlicher Kraft das Eis gebrochen haben, es nicht wollen, daß wir uns ganz verloren gehen. Ich wüßte gerne mehr von Ihnen, als Carl Busse erzählt. Ich bin zwar kein zuverlässiger Briefschreiber; mit Richard Schaukal war ich einige Zeit in Correspondenz (er schrieb mir auch von Ihnen), hab’ sie aber nicht durchführen können, weil mir mein Studium keine Zeit läßt, mich brieflich über Literatur zu unterhalten; hab’ ja ohnehin so meine 3 Briefe im Tag, wiewohl ich nur mit Wilhelm von Scholz, Fritz Stöber und einigen andern deutschen Freunden und einer Menge Franzosen wie Camille Lemonnier, Charles van der Stappen in Correspondenz stehe. Aber von engeren Dingen, vom Persönlichen, von dem was uns bewegt und innerlich beschäftigt, einem verehrten Freunde sagen zu dürfen, ist mir immer ein Glück. Nur sind solche Briefe bei mir spontan; sie sind nicht postwendend, sondern dauern oft 3 Wochen und mehr. Wollen Sie es unter solchen Umständen wagen, mir von Ihnen recht viel zu erzählen, so will ich nur froh und innig dankbar sein, und ich glaube, Sie dürfen dann auf mich zählen. Als Lyriker werte ich mich nicht sehr hoch, so zweifle ich nie an meiner gänzlichen Unnotwendigkeit für die Welt – es sei denn, daß ich an mir die Tugend schätze, »meinen Freunden Freund zu sein«. Und mir ist, als würde ich Sie einst zu ihnen zählen dürfen.


Nochmals und nochmals: Dank aus aufrichtigem Herzen! Haben Sie einmal in Ihrem Leben eine trübe Stunde, da Sie sich ängstigen, ob Ihr Lied und Leben nicht ohne Nachhall verrauscht, so lassen Sie sich aufrichten durch die Gewißheit, daß Sie einem mehr gegeben haben als viele in Deutschland Vielgenannte – mehr wie Falke, Hartleben, Schaukal, Bierbaum etc. etc. – nämlich Ihrem Sie in herzlicher Verehrung begrüßenden


Stefan Zweig


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An Hermann Hesse


Wien, 2. März 1903


Werter Herr Hesse,


Glauben Sie mir, wenn auch zwischen Ihrem Briefe und dem meinigen ein ganzer Monat liegt, so habe ich doch oft Ihrer gedacht. Ihren »Hermann Lauscher« hab’ ich mit viel Liebe gelesen – ich danke Ihnen herzlich für dieses Buch. Wie ich so am Anfang war, dacht’ ich mir: wie freudig wärst Du nun, hättest du nicht einen schmalen Band in der Hand, sondern ein dickes Buch, wäre das doch nicht ein Fragment, sondern das erste Capitel eines Romanes. Dann dürften wir uns wirklich gratulieren! Aber, wer weiß?! Was nicht ist, kann werden.


Und ich meine, Sie dürfen auch Ihrem Leben nicht gram sein, wenn es Ihnen gegeben hat, dies zu schreiben. Wollte ich meine Kindheitserlebnisse zusammenraffen, so wäre ja auch Sonne und Wolken in ihnen, aber sie hätten nicht jenes reine stille Licht, das die rauschende Natur Ihnen gespendet hat. Großstadtschicksal kann gleiche Tragik haben und doch nie gleiche Größe. Auch ich gehe hier der Literatur ziemlich aus dem Weg. Ich glaube – so sah ich’s wenigstens in Berlin –, man denkt sich die Wiener Literatur im Ausland als einen großen Caféhaustisch, um den wir alle herumsitzen Tag für Tag. Nun – ich, zum Beispiel, kenne weder Schnitzler noch Bahr, Hofmannsthal, Altenberg intim, die ersten drei überhaupt nicht. Ich gehe meine Wege mit ein paar Stillen im Lande: Camill Hoffmann, Hans Müller, Franz Carl Ginzkey, einem französisch-türkischen Dichter Dr. Abdullah Bey und ein paar Malern und Musikern. Ich glaube – im Grunde leben wir – ich meine »wir«, die wir uns verwandt fühlen – alle ziemlich gleich. Auch ich habe mich viel verschwendet ans Leben – nur jenes letzte Überfließen fehlt mir: der Rausch. Ein bißchen bleibe ich immer nüchtern – ein Ding, das mir Georg Busse Palma, das größte Sumpfhuhn unserer Tage, nie verzeihen konnte. Ich glaube, ich werde es auch kaum mehr lernen, denn die Fähigkeit zur Gründlichkeit in allen Dingen wird mir von Tag zu Tag fremder: Würden mir die neuen Gedichte nicht wertvoller, als die ein bißchen wäßrigen und allzu glatten »Silbernen Saiten«, so glaubte ich, daß ich mich verflache.


Und dabei muß ich Wissenschaft treiben! Und ich arbeite jetzt wie ein Rasender, um nächstes Jahr den Doctor philosophiae hinter mich zu werfen, wie einen lästigen Kleiderfetzen. Es ist dies wohl die einzige Sache, die ich meinen Eltern zuliebe tue und dem eignen Ich zu Trotz. Ich fühle mich ganz zermalmt von dem vielen Büffeln, das nur von wilden Nächten ab und zu durchkreuzt wird, nie von Erholung und Befreiung – hoffentlich setze ich’s zu Hause durch, daß man mich zu Ostern auf 10 Tage nach Italien läßt. Ich habe Italienisch gelernt, und mich hungert mit einem Male nach Leonardos Bildern, von denen ich weiß, daß ich sie lieben werde, wiewohl ich sie nur aus Nachbildungen bisher kenne.


Ein Brief von Ihnen, werter Herr Hesse, wird mich sehr erfreuen; je früher, je lieber. Und daß mich graue Stimmung nicht früher Dank sagen ließ für Ihre Zeilen, verübeln Sie doch nicht Ihrem herzlich grüßenden


Stefan Zweig


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An Hermann Hesse


1. XI. 1903


Lieber Herr Hesse, ich schreibe Ihnen aus großer Freude. Complimente zu machen, habe ich nicht nötig, aber wie wunderbar schön, wie hinreißend sind die drei ersten Capitel Ihres Buches, das ich bewegten Herzens, sehnsüchtig, aber neidlos gelesen habe. Es ist so deutsch, so echt und gut; ich freue mich heute schon auf den lauten und hellen Fanfarenstoß, den ich ihm vorausschicken will, sobald es erscheint, denn mag Mitte und Ende auch sinken, das Buch darf schon um des Anfangs willen nicht untergehen.


Sie sind, lieber und verehrter Herr Hesse, zu bescheiden und zu mutlos. Oder sollten Sie zu anspruchsvoll sein? Sie haben dreißig meisterliche Gedichte geschrieben, die viel Beifall fanden, allerdings nicht genügend – ich habe das jüngst im »Magazin für Literatur« öffentlich auch betont –, und sind nicht zufrieden allein damit, daß Sie sie geschaffen haben? Ist es Ihnen nicht mehr, wenn Ihnen ein paar sagen – zu denen ich auch zähle –, Hermann Hesse ist heute einer der Ersten in Deutschland, ein Junger und Großer, mehr Dichter als Holz und Bierbaum und Schaukal und Otto Ernst und alle, die heute mit klappernden Glockenschwengeln ins Land geläutet werden. Sind das nicht auch Erfolge, wenn Fischer einen Roman acceptiert? Ich wollte ich wäre schon so weit! Wollen Sie materielle Erfolge? Auch diese werden nicht ausbleiben, denn Ihre Bücher werben Freunde; die Gabe, die Sie mir mit Ihren Werken gespendet haben, hat schon vierfache Zinsen getragen, hat Ihnen vier Exemplare abgesetzt und achtfache, zwanzigfache Bewunderung und Verehrung gebracht. Ich weiß Freunde, die Verse von Ihnen auswendig können – ich kann auch nicht wenige – und sie recitieren, wenn man von guten Werken spricht. Ich glaube, Sie sitzen zu sehr im Schwarzwald, um das alles zu wissen. Aber bleiben Sie nur dort und schreiben Sie uns ein neues Buch – ich brauche nicht zu sagen – ein gutes. – Was soll ich Ihnen nun von mir armem Knaben erzählen, der an elterlicher Eitelkeit krankt, einen Doktorhut zu tragen? In der Bretagne, auf der lieben stillen Insel, auf die ich mich verkrochen hatte, um zu arbeiten, habe ich eine sensitive, allzu artistische Novelle geschaffen, die meinen Band complettiert. Seitdem übersetze ich nur ab und zu ein Gedicht von Emile Verhaeren – dem großen belgisch-französischen Dichter. Das gibt auch wieder ein Buch. Aber ich habe gar keine Sehnsüchte, Papier mit eigenem Unfug blätternd in den Händen zu halten; ich wollte, ich wäre wieder in meinem braunen schlanken Segelboot auf Ile Bréhat und steuerte in die Welt, wo ich sie nicht ahnte und kannte. Oder in Paris bei den schönen Frauen, die mich so verzärtelt haben, daß ich hier von Abenteuer zu Abenteuer mit unwilligen Schritten gehe, freudlos und gelangweilt, ohne es mir zu gestehen. Ich verträume mehr und mehr. Das Schaffen wird mir Qual gegenüber dem reinen altindischen Genuß, nicht mehr schöpferisch die Bilder zu gruppieren, sondern sie wahllos und ohne Logik zueinander wandeln zu lassen wie im Traum. Ein – zwei Gedichte habe ich in sechs Monaten geschaffen, der sonst in sechs Tagen soviel schrieb. Aber ich will nicht klagen: vielleicht haben auch diese Wege ein Ziel. Ich will nicht hoffärtig sein.


Erzählen Sie mir, lieber Herr Hesse, von Ihrem Leben dort oben im Schwarzwald. Und nehmen Sie es nicht zu genau mit den Briefen: in der Stille schreibt man leichter, und ein Großstädter


thut eigentlich etwas ganz Altväterisches, wenn er ausführlich wird. Nichtsdestoweniger bin ichs Ihnen gegenüber gerne.


Ein Bild von Ihnen hätte ich gerne und würde es Ihnen mit gleicher Gabe erwidern. Seien Sie mir herzlich gegrüßt von Ihrem


Stefan Zweig


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An Hermann Hesse


Wien, 20. September 1904


Glauben Sie mir es, lieber Herr Hesse, daß ich mich über Ihren lieben Brief fast mehr geärgert als gefreut habe? Nicht wegen des Portraits: das ist eine kleine dumme Geschichte, mit der ich Ihnen eine Freude zu machen hoffte. (Ihren Widerstand werden Sie übrigens bald dem wachsenden Ruhme opfern müssen, denn die »Woche« läßt sich keinen entgehen, den der Lorbeer auch nur streifte.) Selbstverständlich bleibts unediert. Ein ganz Anderes hat mich verdrossen. Verzeihen Sie mir – ich bin kein Berechner und wäre ein höchst übler Geschäftsmann –, aber ich hatte mir, freudig berührt von den angezeigten 10.000 Exemplaren eine Summe von ebensoviel Mark für Sie herausgerechnet. Und nun schreiben Sie mir ganz stolz von 2.500. Lieber Herr Hesse, Sie haben jetzt eine Frau – ich hoffe, bald auch noch mehr –, und da dürfen Sie sich nicht so von einem Verleger begaunern lassen, dürfen sich nicht so ganz in eine Bescheidenheit hüllen, die Ihnen zu Gesicht steht wie ein Armesündergewand. Sie sind Deutschland heute sehr viel, und jeder Verleger wäre glücklich, Ihr nächstes Buch sein eigen zu nennen. Glauben Sie mir, der dies aus einer weiteren Perspective sieht wie Sie in Ihrem lieben kleinen Nest Gaienhofen. Und folgen Sie mir: stellen Sie Bedingungen, die Ihnen selbst phantastisch klingen. Sie werden sehen, wie sie rückhaltslos acceptiert werden.


Aber jetzt lassen wir die Fastnachtspredigt: Ich will Ihnen was andres sagen. Ich kann’s aber nicht recht: Sie würden es besser spüren, wenn ich Ihnen die Hand schüttelte. Seit Jahr und Tag hab ich nichts gelesen, das mich so sehr ergriffen hätte, so mit linder Hand ans Herz gerührt, daß die Tränen abschmelzen wollten, nichts selbst im »Peter Camenzind« hat mich so gerührt, wie die eine Fortsetzung der »Marmorsäge«, die ich heute las. Die Schilderung der Unruhe vor der Klärung der Gefühle, dieses In-die-Nacht-Wanderns haben Sie in einer gesegneten Stunde geschrieben. Wie sehnlich warte ich jetzt auf den Schluß, weil ich weiß, wie meisterlich Sie Accorde ausrauschen lassen. Ich wünsche Ihnen viele so schöner Stunden, wie Sie sie mir mit dieser Novelle gegeben.


Nun hab’ ich eine Angst gekriegt: in einem Monat wollt ich Ihnen meinen Band Novellen in die Hände legen, und nun habe ich gerade bei Ihnen die Angst, Sie möchten mich mißachten, weil die Dinger noch nicht ganz flügge sind und die Eierschalen der ersten Jugend noch nicht ganz abschüttelten. Aber Sie werden hoffentlich doch sich hie und da was auszugraben wissen, das nicht verdient, weggeworfen zu werden.


Ihr stilles Leben neide ich Ihnen fast. Um so mehr als ich für dieses Jahr gerade ins Brausendste hinein will: nach Paris, wohin mich viel lockt und irgendein ungestümer Drang hinlenkt. Im Frühjahr will ich das Geld für meine Doktorsreise verpatzen: zuerst nach Südspanien und die Balearen im März, um dann mit dem Frühling, diesem holden Geleiter zusammen, nach Norden zu flanieren, gegen die Pyrenäen zu, und dann in die Provence hinein bis zur lieben Bretagne empor, der ich schon einen schönen Sommer schulde. Ein wenig Arbeit wird sich ja von selbst einstellen. Mir war’s ja leider nie gegeben, längere Zeit ganz müßig zu sein. Jetzt hatte ich ein Trauerspiel in Versen (einaktig) im Brouillon fertig: ich kann mich aber nicht mehr mit ihm befreunden, seitdem es eine definitive Form hat. So will ich’s entweder um zweier sehr heroischer Scenen willen umschaffen oder paar Jahre lang Schreibtischstaub schlucken lassen. Vielleicht kriegts dadurch neue Kraft. Grüßen Sie mir recht herzlich alles was Ihnen lieb ist in Ihrer kleinen Welt, verzeihen Sie mir meine Einmischung in Ihre Verlegeraffairen, und, bitte, vergessen Sie nicht, daß ein Brief von Ihnen mir immer eine frohe Stunde bereitet. Ihr herzlichst und getreulichst ergebener


Stefan Zweig


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An Hermann Hesse


5, rue Victor Massé, Paris


21. Nov. 1904


Lieber Herr Hesse, Das »Litterarische Echo«, in dem ich Ihre lieben Worte lese, erinnert mich daran, daß ich Ihnen mit meinem herzlichsten Dank zugleich auch einen Brief schulde. Nun kennen Sie ja selbst Paris – wenn Sie es auch nicht lieben, wissen Sie doch, wie sehr es einen von allen Seiten gefangennimmt. Ich habe eine sehr hübsche Wohnung gefunden, die in einen Garten hineinzielt und so still ist, als läge sie, von endlosen Wiesen umzirkt, mitten im Lande. Das macht mich nun sehr froh, daß ich des öfteren still bei mir sein kann und mich nach meiner Art vergnügen: Bekannte habe ich hier, wenn ich sie will, und das ist mir lieb. Holzamer, den ich schon lange kenne, habe ich sehr gern; ein paar Wiener, ein paar junge Franzosen kenne ich, und wenn Verhaeren kommt, so habe ich einen wertvollen und gütigen Gefährten.


Meinen »Verlaine« habe ich hier mit Lust begonnen, in Hast vor meinem wachsenden Unmut vollendet: ich will mich nie und nimmer mehr binden und verpflichten. Das zerstört einem das Schönste, die willige Freude des Schaffens.


Bei Ihnen scheinen ja jetzt frohe Tage zu sein. Der Bauernfeld-Preis hat mich sehr gefreut – um so mehr als unsere Wiener Herren sonst ein wenig dickköpfig sind. Und Weihnachten streut unseren lieben »Peter Camenzind« – den ich bei Bernus jüngst sogar angedichtet fand – sicher in alle Welt. Hoffentlich sind auch alle andern Sorgen beim Teufel und Sie leben wohlgemut und schaffensfroh.


Vergessen Sie mich aber, lieber Herr Hesse, nicht ganz. Erzählen Sie mir einmal, ob wir Neues von Ihnen erhoffen dürfen oder ob Sie brachliegen für die kommenden Jahre der Ernten. Ich freue mich immer so sehr darüber. Gerne hätte ich einen Abstecher zu Ihnen gemacht – zwei Stunden war ich weit –, als ich nach Paris fuhr, da Sie mir aber schrieben, Ihre Frau sei nicht gesund, hütete ich mich wohl, Sie zu verständigen und von Ihrem Heim fortzulocken. Ich hab schon das Vertrauen, daß wir uns einmal finden werden, und ich will Ihnen da gern ein paar Kilometer entgegengehn.


Und das Reisen? Haben Sie es verlernt? Ich nicht, wahrhaftig nicht, ich habe so eine Unrast überallhin zu fahren, alles zu sehen und zu genießen, habe Angst vor dem Alter, daß ich dies – meinen liebsten Besitz – einmal verlieren könnte in Mattigkeit und Faulheit. Im März geht es nach Spanien – es muß dies das schönste Land Europas sein, ich fühle das. Kommen Sie mit: Sie wären ein Reisegefährte! Ich weiß nicht: immer wenn ich mir Spanien vor mich hin sage, spüre ich’s wie einen Ruck. Ich freu mich so darauf; schon studiere ich spaniolisch. Nun noch herzliche Grüße, von denen Sie aber Ihrer Frau auch ein paar abgeben müssen. Ihr in Ergebenheit und Freundschaft getreuer


Stefan Zweig


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An Hermann Hesse


Wien, 17. Oktober 1905


Lieber und verehrter Herr Hesse, ich bin nun wieder heim. Und als ich so kam, wühlte ich mir aus den Büchern, die meinen Schreibtisch belagerten, sogleich Ihren neuen Roman heraus. Und nun hab ich ihn gelesen.


Viele Worte darüber werden ja in diesen Tagen in Ihr stilles Haus gesegelt kommen: gedruckte und geschriebene. Lassen Sie mich doch darum sagen, wie ich es empfunden habe. Empfindung ist nicht Kritik, so darf ich sie sagen und muß nicht vergleichen (wie es ja alle Leute mit dem »Camenzind« tun werden).


Ich liebe sehr diese tiefe und mit so wunderbarer Kunst erzählte Geschichte um ihrer Menschlichkeit willen. Es stehen Dinge darin, die ich selbst in meiner Knabenzeit empfunden hatte und dann wieder verloren: und mit dem Buch dämmerten mir alte Stunden herauf, jene herb-süßen, von denen man nie wußte, daß sie unser schönstes sind. Das haben Sie so hinreißend geschildert, daß ich dankbar über die Ferne Ihre lieben Hände fasse. Und dann die zwei Liebesscenen: die stehen nun wie eigene Geschehnisse in meinem Leben.


Ist das nicht Unsägliches? Kann ein Dichter mehr tun? Kaum. Ich weiß: ich habe einige Einwände gegen einzelnes der Composition (wir sind alle zu literarisch geschult, um so etwas nicht herauszuschmecken), aber das verlischt alles in dem überwältigenden Eindruck, den mir die Seele des Buches gegeben hat. Ich wollte, alle hätten darüber ihre Freude wie ich. Leider glaube ich nicht daran. Sie werden vielleicht Häßliches zu hören bekommen: es gibt der Leute zu Deutschland genug, die keinem Lebenden zehn Auflagen verzeihen. Werten Sie alles Mißliche, so freuen Sie sich der Begeisterung, die Ihnen wieder fühlen lassen wird, wieviel Sie Deutschland sind und – angeln Sie glücklich. Ich weiß, das ist Ihnen wichtiger.


Ich weiß nicht, ob ich über das Buch schreibe. Ich glaube, man kommt heute überall schon zu spät. Sie sind ja »actuell«. Aber das macht nichts: später oder früher will ich ja doch das, was ich Ihnen durch Ihre Bücher danke, in runder geeinter Form einmal fassen.


Also Glückwunsch ins Haus. Und viele Grüße an Ihre Frau und Sie von Ihrem freundschaftlich getreuen und ergebenen


Stefan Zweig


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An Hermann Hesse


9. November 15


Sehr verehrter lieber Herr Hesse, wundern Sie sich nicht, daß ich seit Jahren des Vorbeischweigens – ich lebte ja immer als Wanderer irgendwo in der Welt – zum ersten Mal mich plötzlich wieder an Sie wende, aber es ist mir Bedürfnis, Ihnen ein Wort der Dankbarkeit zu sagen. Seit den ersten Tagen des Krieges hat mich Ihre menschliche und dichterische Haltung sehr ergriffen, jedes Ihrer Worte, das ich fand inmitten der andern Stimmen, die mir wehtaten, innig berührt. Dann schrieb mir mein Freund Rolland, er sei Ihnen nah geworden, und wieder war es mir Freude. Aber all dies hätte mich, den Briefträger, kaum vermocht, Ihnen einen Gruß zu senden, hätte ich nicht an der Gehässigkeit jener Angriffe eine Einsamkeit gespürt, in die Zuruf und Bewunderung eine Pflicht ist. Ihr Aufsatz gestern wieder in der »Zeit« sagte wieder ganz mein Empfinden. Edel und schön haben Sie Ihres dichterischen Amts gewaltet. Tolstoi und Björnson, die beiden großen Stimmen des Gewissens, sind ja in diesen Tagen stumm, da mußte jeder einzelne eben gegen die Menge vortreten und wenigstens seine Seele retten und sich treu bleiben. Rolland hat mir durch sein moralisches Beispiel viel geholfen: er war mir die stärkste Mahnung zur Gerechtigkeit.


Auch für Ihren »Knulp« habe ich Ihnen zu danken. Ihre letzten Bücher scheinen mir wahrhaftig die schönsten. Darf ich offen zu Ihnen sprechen, so sag ich’s, wie mir es schien: nach den ersten zwei Büchern war mir bei Ihnen ein leichtes Ermüden der dichterischen Imagination bemerkbar, oder es schien mir so. Vielleicht hatten Sie schwere Zeiten, ungünstige Verhältnisse gehemmt. Und manchmal – ich bin offen – bangte mir ganz leise, ob Ihr Weg sich nicht neige. Dann las ich wieder oft und oft einzelne Verse und empfing mit den letzten beiden Büchern den Eindruck einer innern Regeneration. Es ist Alles so durchseelt in Ihren letzten Büchern und so weltweit. Nie war so viel Horizont, so viel Reinheit und Fernblick in Ihrem Schaffen. Und so kam zur alten Liebe neue Bewunderung.


Gern legte ich dem Briefe heute als Dank ein Buch bei. Aber ich halte seit zwei, seit drei Jahren alles zurück, vor allem die neuen Gedichte. Einzig ein Buch über Dostojewski ist ganz fertig, in dem drei Jahre Arbeit und viel Liebe auf hundert Seiten zusammengepreßt sind. Ich glaube, Sie werden es, wenn es im Frieden – wann, oh wann – erscheint, schätzen können. Jetzt vermag ich für mich gar nichts zu tun, mein Militärdienst hält mich ganz. Monate währt das schon, einzig durch eine dreiwöchentliche Dienstreise durch ganz Galizien knapp hinter den Russen, farbig belebt. Übrigens erzählte mir Robert Michel von dem Versehen, daß Sie im Kriegspressequartier nicht sofort aufgenommen wurden: ich glaube, ich könnte das jede Stunde ordnen, falls Sie noch den Wunsch haben. Aber ich würde Ihnen nicht raten: man ist dort wochenlang nie allein, immer umringt, immer in Gespräch und Bewegung. Auch Bartsch kam von seiner Fahrt irgendwie verstört zurück. Aber ich schreibe da viel, und es wollte eigentlich nur ein Wort sein: Dank! Herzlichen Dank!


In alter Verehrung


Ihr Stefan Zweig


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An Herrmann Hesse


Rüschlikon, 12. August 1918


Lieber Herr Hesse, ich möchte Ihnen heute nur sagen, wie schön ich Ihren Aufsatz über die »Sprache« in der »Frankf. Zeitung« fand, wie klar in Ihnen alles ist und wie Sie Ihr Wort zu sagen wissen: ich liebe heute Ihre Kunst mehr als je.


Und Ihre ganze menschliche Art. Ihre Worte in der »Friedenswarte« waren so rein und klar. Ich sah, daß Clemenceaus Blatt oder die Leute, die seinen »Sieg« dort wollen, Sie angriffen – das macht Ihnen nur Ehre. Nie war unser Wort notwendiger als jetzt. Deutschland macht eine Gewissenskrise durch: die Hypnose ist verdampft, das Gefühl wird wieder wach, man fühlt das Leiden. Und dieser Monat August bedeutet eine Entscheidung. Jetzt wird der Friede geschaffen – oder erst in einem Jahr. Wir müssen alle Kräfte dafür einsetzen, daß er jetzt werde, nicht aus irgendeinem Patriotismus (obzwar für mich ein Fortkämpfen den rettungslosen Untergang der Centralmächte bedeutet), sondern aus der Verpflichtung gegen die Menschen. Ich hasse die Politik – aber wir müssen jetzt dem dienen, das über ihr ist, der Erhaltung des Lebens. So wenigstens fühle ich den Augenblick.


Ich bin ganz aufgewühlt von diesem Gefühl, daß Schicksal unermeßlich groß, jetzt hinter diesen Tagen steht. Schicksal für uns alle, für Kinder noch und Enkel. Und könnte ich das schreien, was ich fühle, es wäre besser für mich und die Zeit. Ihnen herzlich die Hand in treuer Verehrung.


Ihr Stefan Zweig


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An Hermann Hesse


(undatiert; vermutlich Herbst 1918)


Lieber verehrter Herr Hesse,


Es ist nicht meine Art, Leute zu Leuten zu schicken und selbst Freunde zu Freunden. Aber ich möchte doch zu gerne, daß Sie meinen lieben Frans Masereel, den wunderbaren belgischen Zeichner und einen der edelsten, einfachsten Menschen, kennenlernen (sein »Image de la passion d’un homme« scheint mir eins der unvergänglichen Werke dieser Zeit). Er kann deutsch und liebt Ihre Werke sehr.


Montag kommt er für einige Stunden nach Bern, und zwar gegen 16 ½ Uhr und bleibt bis 6 Uhr. Vielleicht schreiben Sie ihm ein Wort poste restante, wo er Sie in der Stadt oder sonst sehen kann.


Welche Wendung indes! Ich bin nicht so politisch vergiftet, um nicht unendliche Trauer zu fühlen vor so viel Leiden. Herzlichst


Ihr Stefan Zweig


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An Hermann Hesse


18. Okt. 1918


Lieber verehrter Hermann Hesse, ich muß Ihnen innig für das kleine Buch danken und für vieles sonst noch. Sie sind von all den Dichtern hier der Gefestigteste: in Ihnen ist irgend etwas, das nicht zu erschüttern ist, weil es viel tiefer wurzelt als in der Zeit. Ich verkenne nicht den Preis dieser Sicherung: unendlich viel Resignation auf äußeres Leben, Verzicht und Entsagung. Sie haben schwere Jahre hinter sich: ich spüre das so in Ihren Versen, die jetzt so voll sind, so reif und klar. Und ich weiß, Ihnen kann eigentlich nichts mehr geschehn.


Ich drücke das alles dumpf aus, aber ich glaube, Sie spüren schon, was ich meine. Ich hoffe auch bald drüben zu stehen, wo Sie sind, in jenem Jenseits, wo man nur bildhaft und spielhaft diese tolle Welt anblickt und jener andern gedenkt, die man um so viel lieber geträumt.


Ach, warum kann ich das alles nicht besser sagen, und spür es doch im Wehsten klar – mit jener Klarheit, die bei Ihnen jetzt schon ganz selbstverständlich im Wort, im Gedanken und Wesen ist. Sie wissen es selbst nicht, lieber Hermann Hesse, wie Sie reif geworden sind in den letzten Jahren. Ich weiß es und sage Ihnen: wenn Sie jetzt ein Buch schreiben werden, wird es ein ganz wundervolles sein. Es gibt ganz wenige Menschen, derer ich so sicher bin als Ihrer. Und ganz sicher keinen, dem ich dies so schamlos unbefangen sagen würde: denn nichts wäre verhängnisvoller, als käme jetzt, wo alles in Ihnen reif und klar ist, noch einmal Müdigkeit über Sie oder risse Sie die irrsinnige Zeit in den Wirbel hinein.


In herzlicher Verehrung


Ihr getreuer Stefan Zweig


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An Hermann Hesse


Salzburg, Kapuzinerberg 5


28/VII/1920


Lieber Hermann Hesse, seit vier Wochen, seit ich Ihren »Klingsor« gelesen habe, will ich Ihnen einen Brief schreiben. Aber ich vermag es nicht. Mir ist der »Klingsor« ein so persönliches Erlebnis, ich fühle so viel darin, was eben auch im Blutrhythmus unserer Jahre merkwürdig aufwallend sich rühren muß, daß ich eine Art Schamgefühl, ja, eine rechte dumme Bubenscham habe, mit Ihnen davon (und gar ungebeten und gar auf einem offenen Blatt) zu reden. Ich sage Ihnen nur, daß das Unterirdische, das Gefährliche in diesen Novellen (ach, törichtes Wort Novelle) mich bruderhaft angesprochen hat, und Sie verstehen mich schon gewiß. Auch der Dostojewski in den »Drei Meistern«, die Sie hoffentlich von der Insel erhielten (sonst sende ich Ihnen noch ein Exemplar), sagt’s Ihnen wohl.


Lieber Hermann Hesse, Ihr Weg ist so wunderbar gerad, eben weil er einmal so tief in den Schatten der Dinge ging. Ich weiß so viel um Sie durch Ihre letzten Werke und habe Sie so gerne wie nie. Und langsam beginnt auch Deutschland zu erkennen, wen wir an Ihnen besitzen. Verzeihen Sie diesen dummen Brief Ihrem altergebenen


Stefan Zweig


Dieser Brief, den ich eben überlese, ist wirklich unerlaubt zusammenhanglos oder scheint so: nehmen Sie ihn nur als Willen, Ihnen zu sagen, daß ich Ihnen sehr dankbar bin: ich schreibe Ihnen nächstens einen vernünftigen.


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An Hermann Hesse


Salzburg, Kapuzinerberg 5


3. Nov. 1920


Lieber verehrter Hermann Hesse – Sie waren einmal (sind Sie es noch?) ein Mann, für den ein schönes Buch eine Freude auf Tage hinaus war. Ich, hier jetzt eingegrenzt in Garten und Haus, habe wieder eine neue Liebe zu diesen Schmetterlingen des Zimmers, diesen bunten, stillen wortlosen Dingen bekommen – nun mögen Sie die Freude ermessen, als gestern Ihre »Wanderungen« kamen, ein Buch in dem schon äußerlich eine ganz seltene Harmonie erreicht ist.


Und das dann, wenn mans aufgetan und in sich eingetan hat, wie wunderbar ist es einem da neuerlich geschenkt. Sie sind jetzt, Hermann Hesse, in einer prachtvollen Stunde – Sie reden so unbekümmert aus Ihrem Gefühl heraus, wie es eben nur der freie Mensch vermag, der die »schlimmsten Menschenfeinde« Furcht und Hoffnung von sich abgetan, niemandem, auch sich selbst nicht mehr Rechenschaft schuldet und nur lebt in jenem letzten Sinn, der dem ursprünglichen, dem bloß vegetativen, so sehr ähnlich ist. Glauben Sie mir, daß es für einen, der seit Jahren bei Ihnen Schritt an Schritt gesehen, es eine sonderbare Lust ist, zu fühlen, daß Sie auf einmal einen Sprung getan haben aus Ihrer alten Welt in die ewige hinein. Und nur einer, der wie ich zwei Jahrzehnte immer unruhig, in ewiger Wanderschaft gelebt, weiß alle Wollust, die darin liegt, »in der Luft« zu leben, wie Beethoven sagt, dem Zufall Freund und der ewigen Begegnung.


Ich wollte Ihnen damals als Sie mir eine trübe Karte sandten, ein Wort sagen zur Aufmunterung. Aber Sie haben es nicht nötig, Sie kriegen sich schon selbst wieder heraus. Was ich Ihnen nur wiederholen will, ist dies: lassen Sie sich doch einmal zu uns hertreiben in diese schöne Salzburger Welt. Sie leben auch hier frei und ohne Beschwerden, billiger sogar als im Schweizer Land.


Und ein paar Menschen sind hier, die zündeten Kerzen an zu einem kleinen Fest für Ihre Gegenwart.


Ich lebe hier still und arbeite. Aber im Frühjahr breche ich aus nach Italien für vier Wochen: vielleicht kreuzt sich da unser Weg.


Mit vielen Grüßen Ihr getreu ergebener


Stefan Zweig


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An Hermann Hesse


Salzburg, Kapuzinerberg 5


(undatiert; vermutlich Herbst 1922)


Lieber verehrter Herr Hesse, ich wollte Sie heute nur um Entschuldigung bitten, daß ich Ihnen mein neues Buch »Amok« direkt durch den Verlag zugehen lasse: die Pakete nach Österreich dauern vierzehn Tage, ehe sie sich durch die diversen Verzögerungsanstalten wie Zoll und Ausfuhrstelle durchgewunden haben, und die neuerliche Versendung in die Schweiz ist eine neue Misere. So ließ ich’s Ihnen direkt durch die Insel zukommen, möchte aber, daß Sie fühlen, es sei Ihnen persönlich zugedacht. Ich habe das Empfinden, manches darin würde gerade Ihnen verständlich und nahe sein. Ohne mich überheben zu wollen, spüre ich, daß wir innerlich oft sehr nahe Wege gehn, daß wir beide von der Zeit irgendwie gleich erschüttert und in einen Weg nach innen gedrängt wurden, der manchem vielleicht abseitig und wie eine Flucht anmuten könnte, indes wir doch wissen, daß es ein Versuch gerade zum Wesentlichen ist. Mir war es bewundernswert, wie Sie so oft deutlich und mit der Ihnen eingeborenen Plastik zum Ausdruck bringen, was mich in der eigenen Verworrenheit bewegt. Nur sind Sie um soviel gesammelter, vielleicht durch mehr Einsamkeit, soviel klarer, vielleicht durch mehr Leiden und durch ein Voraussein in den Jahren. Ich sehe Ihnen doch nun bald die zwanzig Jahre zu: Ihr Weg, so hart er Ihnen scheinen möge, ist so wunderbar schön. Wie weit ist es von einem so scheinbar reifen Werke wie »Camenzind« bis zu »Klingsors letztem Sommer«! Das spüren Sie selbst nicht so ganz, weil Sie in Ihr Gefühl den Preis einrechnen (unbewußt!), den Sie für jene Läuterung an das Schicksal bezahlt haben, indes wir, Ihre Freunde, nur das lautere Gewicht des Wertes fühlen und um wieviel tiefer jedes Neue in der Schale niederdrückt. Lassen Sie sich darum in der Einsamkeit, in Ihrem selbstgewählten Exil nicht die Stunden dunkel werden, deren Widerglanz im Geiste, im dichterischen Bilde uns so glücklich macht. Und lernen Sie nur dies eine wieder von Ihrer Jugend zurück: Wanderschaft! Sie erneut den Menschen von unten auf. Drei Wochen Italien im letzten Jahr, eine Woche Paris, eine Woche am Meer im Frühling und Sommer haben in diesem Jahr wieder alles freigemacht, was mich zu verschütten drohte, und ich habe es mir geschworen, nicht mehr lang stillzuliegen, solange die Beine mich tragen. Nur nach Lugano konnte ich nicht kommen, teils aus Familienrücksichten (mein alter Vater war recht krank zu jener Zeit und allein in Wien), teils aus Furcht vor den vielen Menschen und meiner gesteigerten Ermüdbarkeit vor vielen Menschen. Aber Sie, lieber, verehrter Hermann Hesse, verlernen Sie die Welt nicht: kommen Sie doch einmal zu uns, wir haben immer ein Zimmer für Sie bereit, wenn Sie vorüberwandern, überall warten Menschen auf Sie, Ihnen zu danken, überall wartet die alte Welt, uns etwas von ihrer ewigen Jugend zu geben.


Dies als Dank für Ihren Gruß! Wir denken Ihrer oft und oft und immer in inniger Liebe! Treulichst


Ihr Stefan Zweig


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An Hermann Hesse


Salzburg, am 13. Dezember 1922


Lieber Hermann Hesse!


Innigen Dank für Ihre lieben Worte hinüber in Ihre stille Welt! Auch ich empfinde, zurückschauend auf Jahr und Jahr, zwischen uns beiden ein merkwürdiges Zusammengehen in der Ferne. Es ist nicht Zufall, daß wir lyrisch so nahe vor mehr als 20 Jahren begonnen und dann immer wieder in entscheidenden Fragen, jener des Krieges, Rollands, uns begegnet haben, daß wir beide in einer Legende aus der indischen Welt in derselben Stunde ähnliche Erkenntnisse abwandelten. Ich fühle genau, daß das aus keinem Zufall kommt, sondern daß da ein Schicksal waltet, daß manche geheime Ähnlichkeiten sind, aus denen heraus ich Werke wie den »Klingsor« so unerhört liebe. Vielleicht werden Sie wiederum in meinen neuen Novellen »Amok«, die Ihnen hoffentlich von der Insel zugegangen sind – wenn nicht, bitte um Verständigung! –, einiges lesen, was den andern verdunkelt oder verschlossen bleibt. Ich habe mich gerade in diesen Tagen hingesetzt, um einmal zusammenfassend über Ihre neuen Bücher zu schreiben – vielleicht wirds nicht ganz abgehen, ohne daß ich Persönliches dabei berühre, denn es liegt mir heute nicht mehr recht, von oben her, von einem imaginären literarischen Katheder über Bücher zu reden; ich muß eine Sache zu meiner Angelegenheit machen, sonst interessiert sie mich nicht. Hoffentlich kommt es noch in diesen Tagen mit dem Aufsatz zu Ende, und er zeigt Ihnen dann, bald erscheinend, in wie hohem Maße ich Ihre Wandlung im Werke gespiegelt finde. Die meisten Novellisten und Prosaisten in Deutschland schreiben für mein Gefühl heute Belangloses (wenn auch in meisterhafter Form) durch Mangel an Mut in der Psychologie, die ganze Problematik scheint mir bei jenen fast ganz auf das Zufällige gestellt, während ich bei Ihnen so stark die vordringende Bewegung zum Zentralen, zum Nerv der Existenz fühle.


Lieber Hermann Hesse, ich habe mich sehr über Ihre Worte gefreut. Einstens, da wir noch jung waren, nicht die Brieflast und die Agentur eines sogenannten Erfolges auf den Schultern trugen, haben wir oft uns ein solches Blatt hin und her zwischen den Zeiten gesandt. Lassen wir diesen guten Brauch von einst nicht ganz verlorengehen, und vor allem: lassen Sie sich wieder einmal sehen: Sie wissen, ich sagte es Ihnen schon, daß Sie bei uns immer gastlich erwartet sind, ich habe mehr als je das sichere Gefühl, wir würden gut beisammen sein.


Seien Sie herzlichst gegrüßt von Ihrem


Stefan Zweig


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An Hermann Hesse


Salzburg, Kapuzinerberg 5


am 14. Mai 1925


Lieber Herr Hesse!


Kurgast 1925


Ich muß Ihnen doch ein paar Zeilen schreiben über Ihr Badener Bade-Buch, das gestern eintraf und sofort gelesen wurde. Lassen Sie mich nun einmal zwei Minuten lang unbescheiden sein und aus alter Verbundenheit Ihnen etwas fast Hochmütiges sagen: ich glaube, daß es wenige Leute gibt, die so sehr innerlich spüren, um was es Ihnen eigentlich geht. Mir ist der Weg von »Demian« zu »Klingsor« und »Siddharta« und nun zu diesem Buche so ungemein klar – vielleicht weil ich selbst der Leidenschaft zur Psychologie und zur Wahrhaftigkeit immer mehr verfalle. Ich spüre so deutlich, wie sehr Sie von der obern Schicht des noch jugendlichen Sentimentalen (»Camenzind«) mit einer Unerbittlichkeit tiefer herankommen an Ihr eigentliches unverfälschtes Wesen; und was ich so wunderbar wieder auch an diesem Buche finde, daß Sie das Schmerzhafte und im gewissen Sinne Wissenschaftliche der Diagnose durch Dichterisches und einen leichten Humor so famos abzureagieren wissen.


Wir kennen einander, lieber Hermann Hesse, lange genug, als daß ich Ihnen Honig um den Mund schmieren müßte, so glauben Sie mirs wohl, daß ich dieses Buch mit einem unerhörten Genuß und einer wirklich brüderlichen Freude empfangen habe. Es ist übrigens noch ein Spezialvergnügen zu sehen, wie, durch einen Zufall, Sie eine verwandte Sphäre mit Thomas Mann streifen (den besonderen Seelenzustand des Kranken im Sanatorium), aber Ihr Buch macht dabei frei, indes das andere bedrückt. Kurzum, ich habe mich Ihnen herzlich nahe gefühlt und wäre ein Faulpelz, wollte ich es nicht mit einem Wort an Sie vermelden. Auch ich habe ein Buch auf Sie abschießen lassen: »Den Kampf mit dem Dämon« – es ist hoffentlich schon seit einiger Zeit in Ihrer Hand. Aber Sie brauchen mir deshalb durchaus nicht jetzt etwas darüber zu sagen, außer – wenn Sie es nicht erhalten haben sollten – ein Wort, daß es Ihnen nochmals gesandt wird.


Leben Sie herzlich wohl, lieber verehrter Hermann Hesse; wenn ich mich nicht ganz täusche, so haben wir noch ein Jahr, und dann ist es ein Vierteljahrhundert, daß wir zum erstenmal einen Gruß getauscht haben. Um so herzlicher dann hinüber ins zweite!


Ihr getreuer Stefan Zweig


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An Hermann Hesse


Salzburg, Kapuzinerberg 5


am 9. Dezember 1933


Lieber verehrter Herr Hermann Hesse!


Die Zeit ist so sonderbar geworden und man selber aller Beziehungen derart ungewiß, daß ein einzelner Gruß heute einen noch glücklicher macht als vordem ein üppiges Geschenk. So war mir Ihr Gedicht mehr als ein Gruß, sondern wahrhaftige Beglückung. Ich habe ja oft an Sie gedacht, und mein Schweigen hat das Ihre verstanden. Ich habe durch Monate mich wie ein Verzweifelter gewehrt, in den Irrwitz auch nur ein Wort hineinzusprechen, obwohl man mich von rechts und links zerrte, nun ist es den Leuten, dank Veröffentlichung von privaten Briefen gelungen, mich auch einigermaßen durch den politischen Dreck zu ziehen. Aber in zwei, drei Monaten erhalten Sie von mir ein kleines Buch des Bekenntnisses. Ich habe mir Erasmus von Rotterdam als Nothelfer gewählt, den Mann der Mitte und der Vernunft, der ebenso zwischen die Mühlsteine des Protestantismus und Katholizismus geriet, wie wir zwischen die großen Gegenbewegungen von heute. Es war für mich ein kleiner Trost zu sehen, wie schlecht es ihm ging und daß man nicht allein ist, wenn man sich anständigerweise mit schweren Entscheidungen und Entschließungen quält, statt es sich bequem zu machen und mit einem Ruck auf den Rücken einer Partei zu springen.


Vor zwei Monaten sprach ich lange von Ihnen mit Rolland. Er liebt Sie sehr und machte mir heftige Lust, Sie einmal aufzusuchen, aber ich war jetzt für sechs Wochen in London und


fand dort schönere Einsamkeit in der Bibliothek des britischen Museums als irgendwo anders in der europäischen Welt!


In alter Liebe und Verehrung,


Ihr getreuer Stefan Zweig


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An Hermann Hesse


Unites States Lines


On Board S.S. Manhattan


30. Jan. 1935


Lieber Hermann Hesse, Ich habe mich ein wenig in Amerika herumgetrieben; nun da die Welt wacklig wird, tut man gut, sie sich noch einmal von allen Seiten zu betrachten. Es war großartig und ermüdend und tröstlich sogar, aber wunderbarerweise hat man auf dem Schiff dann Ruhe und Zeit. Da gedenke ich nun einer moralischen Schuld. Denn selten hat mich etwas Dichterisch-Denkerisches so berührt wie Ihr »Glasperlenspiel«, und ich wollte es Ihnen sagen, aber die Zeit strömte über mich her. Nichts ist wichtiger als der Gedanke, wie das Individuelle sich gegenüber der Mechanisierung (wie sie Amerika schon optisch zeigt) entfalten wird, und daß Sie dieses Problem im bejahenden Sinne lösen und nicht in der üblichen Form des flachen Resignierens, hat mir wohlgetan. Lieber Hermann Hesse, wie schön ist Ihr Weg, wie wissen Sie immer nach einer inneren Phase eine neue, höhere anzufangen im Sinne von Goethes Spirale: Wiederkehr zum Ausgangspunkt auf erhobener Fläche! Wie weit ist es vom »Camenzind« zu dem Manne in Ihnen, und wie sicher stehen Sie dadurch in diesen Zeitläuften. Ich achte und liebe sehr Ihre Haltung, die innerlich entschieden, nicht auf die peripherischen Bewegungen reagiert; ich habe gelernt, die Politik, die immer überdimensionieren muß, das Wort an das Schlagwort verraten, das Dogma an seine Übertreibung, redlich zu hassen als den Widerpol der Gerechtigkeit. Ich habe sie jetzt in zu vielen Ländern gesehen, um zu wissen, daß sie nicht wie Napoleon meinte, das moderne Schicksal ist, sondern nur der unsichere Schatten von Bewegungen, die zu erkennen uns selbst nicht gegeben ist, aber wirklich nur ein Spiel und um so zufälliger, je gesetzmäßiger und theoretischer er sich nach außen gebärdet. Ich glaube fest, daß gerade diese Veräußerlichung bei den Besten eine Verinnerlichung erzwingen muß, je mehr sich die andern zusammenrotten, um so hartnäckiger werden die Einzelgänger ihr Recht behaupten.


Ich hoffe sehr, Sie wieder einmal zu sehen. Ich hänge ziemlich unsicher an einem schwachen Ast; mein Haus in Salzburg (von den Fenstern sehe ich nach Bayern hinein) ist mir nicht recht Heimat mehr, zum Emigranten habe ich kein Talent, so lebe ich jetzt beinahe studentisch, bald da, bald dort und spüre es beinahe als ein Glück, aus diesem sichern Behagen herausgestoßen zu sein. Ich habe viel gelernt in dem Londoner Jahr und nun in Amerika. Hoffentlich kommt es zu Tage, denn das biographische Intermezzo ist vorbei, und ich will versuchen, wieder das zu sagen und zu gestalten, was mir von innen her wichtig ist. Nehmen Sie diesen kleinen Silberling als Anzahlung einer stattlichen inneren Schuld und als Zeichen meiner Anhänglichkeit: lächeln Sie nicht, aber es ist fünfunddreißig Jahre her, daß wir zum erstenmal einander geschrieben haben!


Herzlichst


Ihr Stefan Zweig


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An Hermann Hesse


Hotel Regina,


Wien den 4. Mai 1935


Lieber, verehrter Hermann Hesse,


ich kann Ihre schöne Sendung nun mit einer kleinen Gegengabe erwidern, die als Beilage zum »Philobiblon« erschienen ist. Für mich sind Handschriften das, was für Sie die Bilder, und vielleicht sogar um einen Grad mystischer, weil sie verschlossener sind. Ich vermute, daß ich jetzt selber für zwei, drei Wochen in der Nähe von Zürich die zwei Elemente angenehm verbinden werde, die einen Wandernden beglücken, eine schöne Landschaft mit einer guten Bibliothek. Meine eigene steht recht verlassen in Salzburg, und ich habe das Gefühl, sie ausgelesen zu haben, selbstverständlich ein trügerisches Gefühl, aber jedesfalls bin ich meiner eigenen Zimmer müde und genieße das Nomadische mit studentischer Muße. Ich glaube, Sie hatten genau in meinen jetzigen Jahren eine ähnliche Ausbruchsneigung, und sie scheint wohl zu einem richtigen Leben zu gehören, organisch zu sein für einen normalen Organismus und keine Abnormalität. Jedesfalls lasse ich mich laufen, solange ich inneren Auslauf habe, und frage nicht lange, wohin. Ich weiß, so wild auch der Kreisel tanzt, einmal fällt er doch hin. Jedesfalls war auch Wien schön, und ich hätte Sie gerne hierher gewünscht, zu den starken Gesprächen, die wir mit Bruno Walter hatten vor und nach dem Händel’schen »Messias«, denn auch mich zieht (anscheinend wie Sie) die Musik stärker heran, weil sie so herrlich überweltlich und überpolitisch wirkt und dadurch beruhigend. Nichts hat mir vielleicht mehr geholfen im letzten Jahr als die enge Beziehung zu Toscanini und Bruno Walter, und wenn ich das Gleichgewicht nicht verloren habe (wie die Meisten), so danke ich es diesem tröstenden Element.


Ich weiß, daß Zürich nicht weit ab liegt vom Tessin, und vielleicht erlauben Sie mir, daß ich dann auf einen Sprung einmal zu Ihnen herunterkomme. Ich weiß mich einen ungefährlichen Gast, der niemanden lange behelligt und nicht gern hat, wenn ihm andere zuviel wegnehmen.


Leider hatte mir seinerzeit meine Frau untersagt, unter die Sonnenuhr unseres alten schönen Hauses in Salzburg das kleine Gedicht malen zu lassen, das ich mir ausgedacht hatte:


Die Sonne hält nur kurze Rast, – nimm Dir ein Beispiel, lieber Gast.


Meiner Frau schien es zu unfreundlich. Aber ich glaube, es hätte mir viele langweilige Stunden gerettet.


Immer in alter Neigung und Verbundenheit


Ihr verehrungsvoller Stefan Zweig


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Die hier vorzufindene Sammlung der gemeinfreien Werke Stefan Zweigs ist aus der Ausgabe des Null Papier Verlages übernommen. Zu dieser Ausgabe gelangen Sie durch einen Klick auf diesen Eintrag.