Die Verhandlung
Die siebzig Tage in der Conciergerie haben Marie Antoinette zu einer alten und kränklichen Frau gemacht. Rot und von Tränen entzündet, brennen jetzt ihre des Tageslichtes völlig entwöhnten Augen, ihre Lippen sind auffallend blaß durch die schweren, unaufhörlichen Blutverluste, die sie in den letzten Wochen erlitten. Oft und oft hat sie jetzt mit Müdigkeiten zu kämpfen, mehrmals mußte der Arzt ihr Herzstärkungsmittel verordnen. Aber sie weiß, heute beginnt ein historischer Tag, heute darf sie nicht müde sein, niemand im Gerichtssaal soll die Schwäche einer Königin und Kaiserstochter bespötteln dürfen. Noch einmal muß aus dem erschöpften Körper, aus dem längst schon mattgewordenen Gefühl alle Spannkraft emporgezwungen werden, dann kann er ja lange, dann kann er für immer ruhen. Nur zwei Dinge hat Marie Antoinette noch auf Erden zu tun: aufrecht sich zu verteidigen und aufrecht zu sterben.
Aber innerlich voll Entschlossenheit, will Marie Antoinette auch äußerlich mit Würde dem Gericht entgegentreten. Das Volk soll spüren, daß die Frau, die heute vor die Schranke tritt, eine Habsburgerin und, trotz aller Absetzungsdekrete, eine Königin ist. Sorgfältiger als sonst scheitelt sie ihr weißgewordenes Haar. Sie setzt ein gefälteltes, frischgestärktes weißes Leinenhäubchen auf, von dem zu beiden Seiten der Trauerschleier niederfällt; als Witwe Ludwigs XVI., des letzten Königs von Frankreich, will Marie Antoinette vor dem Gericht der Revolution erscheinen.
Um acht Uhr versammeln sich in dem großen Saal die Richter und Geschworenen, Herman, der Landsmann Robespierres, als Präsident, Fouquier-Tinville als öffentlicher Ankläger. Die Geschworenen sind aus allen Klassen zusammengesetzt, ein früherer Marquis, ein Chirurg, ein Limonadeverkäufer, ein Musiker, ein Buchdrucker, ein Perückenmacher, ein ehemaliger Priester und ein Tischler; neben dem öffentlichen Ankläger haben einige Mitglieder des Sicherheitsausschusses Platz genommen, um den Gang der Verhandlung zu überwachen. Der Saal selbst ist gedrängt voll. Nur einmal im Jahrhundert hat man Gelegenheit, eine Königin auf dem Armsünderstuhl zu sehen.
Marie Antoinette tritt gelassen ein und nimmt ruhig Platz; ihr ist nicht mehr wie ihrem Gatten ein besonderer Lehnstuhl bewilligt, ein nackter Holzsitz wartet ihrer; auch die Richter sind nicht mehr wie bei der feierlichen öffentlichen Anklage Ludwigs XVI. die gewählten Vertreter der Nationalversammlung, sondern die tagtäglich waltende Jury, die ihre düstere Pflicht tut wie ein Handwerk. Aber vergebens suchen die Zuschauer in ihrem erschöpften, jedoch nicht verstörten Gesicht nach einem sichtlichen Zeichen der Erregung und Angst. In aufrechter, entschlossener Haltung wartet sie auf den Beginn der Verhandlung. Ruhig blickt sie auf die Richter, ruhig in den Saal und sammelt ihre Kraft.
Als erster erhebt sich Fouquier-Tinville und liest die Anklageschrift vor. Die Königin hört kaum zu. Sie kennt jetzt schon alle diese Vorhalte: gestern hat sie jeden mit ihrem Advokaten geprüft. Nicht ein einziges Mal, auch nicht bei den härtesten Anschuldigungen, hebt sie den Kopf, ihre Finger spielen gleichgültig auf der Armlehne des Sessels, »wie auf einem Klavier«.
Dann beginnt der Aufmarsch der einundvierzig Zeugen, die, ihrem Eid gemäß »ohne Haß und ohne Furcht, die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nur die Wahrheit« auszusagen haben. Da der Prozeß hastig vorbereitet ist – er hat wahrhaftig viel zu tun in jenen Tagen, der arme Fouquier-Tinville, die Girondisten sind bereits an der Reihe, Madame Roland und hundert andere –, so werden die verschiedensten Anschuldigungen ohne jeden zeitlichen oder logischen Zusammenhang wirr durcheinander vorgebracht. Die Zeugen sprechen bald über die Geschehnisse des 6. Oktober in Versailles, bald vom 10. August in Paris, über die Verbrechen vor oder während der Revolution. Die meisten dieser Aussagen sind bedeutungslos, einige geradezu lächerlich, etwa jene des Dienstmädchens Milot, das gehört zu haben behauptet, wie 1788 der Herzog von Coigny zu irgend jemandem sagte, die Königin habe ihrem Bruder zweihundert Millionen übersenden lassen, oder die noch törichtere, Marie Antoinette habe zwei Pistolen bei sich getragen, um den Herzog von Orléans zu ermorden. Zwei Zeugen allerdings beschwören, Geldanweisungen der Königin gesehen zu haben; aber die Originale dieser entscheidenden Dokumente können nicht vorgelegt werden; ebensowenig ist ein Brief zur Hand, den Marie Antoinette an den Kommandanten der Schweizergarde geschickt haben soll: »Kann man sicher auf Ihre Schweizer zählen, werden sie im gebotenen Fall sich tapfer halten?« Kein einziges geschriebenes Blatt von Marie Antoinette ist zu erbringen, und auch das versiegelte Paket, das ihre Habseligkeiten enthält, die man im Temple beschlagnahmt hat, ergibt nichts Belastendes. Die Haarlocken sind die ihres Mannes und ihrer Kinder, die Miniaturporträts jene der Prinzessin von Lamballe und ihrer Jugendfreundin, der Landgräfin von Hessen-Darmstadt, die notierten Namen in ihrem Notizbuch die ihrer Wäscherin und ihres Arztes: kein einziges Stück erweist sich für die Anklage als brauchbar. So sucht der Ankläger immer wieder auf die allgemeinen Beschuldigungen zurückzukommen, aber die Königin, diesmal vorbereitet, antwortet womöglich noch fester und sicherer als beim Vorverhör. Es entspinnen sich Debatten wie die folgende:
»Woher haben Sie das Geld genommen, mit dem Sie das kleine Trianon ausbauen und möblieren ließen, in dem Sie Feste gaben, bei denen Sie immer die Göttin gewesen sind?«
»Man hatte für diese Ausgaben einen Fonds bestimmt.«
»Dieser Fonds mußte beträchtlich sein, denn das kleine Trianon wird riesige Summen gekostet haben.«
»Es ist möglich, daß das kleine Trianon riesige Summen gekostet hat und wahrscheinlich mehr, als ich selber gewünscht habe. Man wurde nach und nach in die Ausgaben hineingezogen. Übrigens wünsche ich mehr als jeder andere, daß man über alles aufgeklärt werde.«
»War es nicht im kleinen Trianon, wo Sie zum erstenmal Frau La Motte gesehen haben?«
»Ich habe sie niemals gesehen.«
»War sie nicht Ihr Opfer in der Angelegenheit der berüchtigten Halsbandaffäre?«
»Sie konnte es nicht sein, weil ich sie nicht kannte.«
»Sie bleiben also dabei, zu leugnen, daß Sie sie gekannt haben?«
»Mein System ist nicht die Ableugnung. Ich habe die Wahrheit gesagt und werde fortfahren, sie zu sagen.«
Wenn überhaupt noch Hoffnung bestünde, so dürfte Marie Antoinette sich ihr hingeben, denn die meisten Zeugen haben völlig versagt. Kein einziger von denen, die sie fürchtete, hat sie ernstlich belastet. Immer kräftiger wird ihre Gegenwehr. Als der öffentliche Ankläger behauptet, sie hätte den ehemaligen König durch ihren Einfluß zu allem gebracht, was sie verlangt hätte, antwortet sie: »Es ist etwas ganz anderes, ob man jemanden berät oder etwas ausführen läßt.« Als im Lauf der Verhandlung der Präsident sie darauf hinweist, sie befinde sich mit ihren Aussagen im Widerspruch zu den Erklärungen ihres Sohnes, sagt sie verächtlich: »Es ist leicht, ein achtjähriges Kind alles sagen zu lassen, was man von ihm will.« Bei den wirklich bedrohlichen Fragen deckt sie sich durch ein vorsichtiges: »Ich weiß es nicht, ich erinnere mich nicht.« So kann sie Herman nicht ein einziges Mal triumphierend einer offenen Unwahrhaftigkeit oder eines Widerspruchs überführen, nicht einmal läßt sich während der langen Stunden die gespannt lauschende Zuhörerschaft zu einem zornigen Zwischenruf oder einer gehässigen Regung oder zu patriotischem Applaus entfachen. Leer, langsam, mit vielen sandigen Stellen läuft die Verhandlung hin. Es ist Zeit, daß eine entscheidende, eine wirklich niederschmetternde Aussage komme, um Schwung in die Anklage zu bringen. Diese Sensation meint endlich Hébert zu bringen mit der furchtbaren Beschuldigung des Inzests.
Er tritt vor. Entschlossen, überzeugt, mit laut vernehmbarer Stimme wiederholt er die ungeheuerliche Anschuldigung. Aber bald wird er gewahr, daß das Unglaubliche dieser Anklage unglaubhaft wirkt, daß niemand im ganzen Saale seinen Abscheu vor dieser verworfenen Mutter, vor dieser entmenschten Frau durch wütende Zwischenrufe kundgibt; stumm sitzt alles, blaß und betroffen. So meint der arme Schächer, noch eine besonders raffinierte psychologisch-politische Auslegung auftischen zu müssen. »Man kann annehmen«, erklärt der Dummkopf, »daß dieser verbrecherische Genuß nicht von dem Bedürfnis nach Vergnügen bestimmt war, sondern durch die politische Absicht, dieses Kind körperlich zu entnerven. Die Witwe Capet hat nämlich gehofft, ihr Sohn würde einmal den Thron einnehmen, und sie könnte dann, dank solcher Machenschaften, sich das Recht über seine Handlungsweise sichern.«
Aber seltsam, auch bei dieser welthistorischen Einfältigkeit bleibt die Zuhörerschaft geradezu bestürzend still. Marie Antoinette antwortet nicht und blickt an Hébert verächtlich vorbei. Gleichgültig, als ob dieser ingrimmige Tropf chinesisch gesprochen hätte, und ohne eine Miene zu verziehen, sitzt sie aufrecht und unberührt. Auch der Präsident Herman tut so, als ob er die ganze Anschuldigung überhört hätte. Er vergißt absichtlich, zu fragen, was die verleumdete Mutter zu erwidern habe – schon hat er den peinlichen Eindruck dieser Inzestanklage bei allen Zuhörern, insbesondere bei den Frauen, wahrgenommen und läßt darum hastig diese widrige Beschuldigung unter den Tisch fallen. Da hat unglückseligerweise einer der Geschworenen den Vorwitz, den Präsidenten zu erinnern: »Bürger Präsident, ich fordere Sie auf, zu beachten, daß die Angeklagte in Hinsicht auf die Geschehnisse, von denen der Bürger Hébert behauptet, sie hätten sich zwischen ihr und ihrem Sohn abgespielt, sich nicht geäußert hat.«
Nun kann der Präsident nicht länger ausweichen. Gegen sein inneres Gefühl muß er die Frage an die Angeklagte stellen. Marie Antoinette hebt stolz und mit einem Ruck das Haupt – »hier scheint die Angeklagte lebhaft bewegt« meldet selbst der sonst so trockene Moniteur und erwidert laut und mit unsäglicher Verächtlichkeit: »Wenn ich nicht geantwortet habe, so geschah dies, weil die Natur sich weigert, auf eine solche Beschuldigung gegen eine Mutter etwas zu erwidern. Ich wende mich an alle Mütter, die sich hier befinden mögen.«
Und tatsächlich, ein unterirdisches Brausen, eine starke Bewegung geht durch den Saal. Die Frauen aus dem Volk, die Arbeiterinnen, die Fischweiber, die Trikoteusen halten den Atem an, sie fühlen in geheimnisvoller Verbundenheit: man hat mit dieser einen Frau ihr ganzes Geschlecht beleidigt. Der Präsident schweigt, jener neugierige Geschworene senkt den Blick: der Akzent des schmerzlichen Zornes in der Stimme der verleumdeten Frau hat alle getroffen. Wortlos tritt Hébert von der Schranke zurück, nicht eben stolz auf seine Leistung. Alle spüren, und vielleicht er selbst, seine Anschuldigung hat der Königin gerade in schwerster Stunde zu einem großen moralischen Triumph verholfen. Was sie erniedrigen sollte, hat sie erhöht.
Robespierre, der am gleichen Abend von dem Zwischenfall erfährt, kann seine Erbitterung über Hébert nicht bemeistern. Er, der einzige politische Geist unter diesen lauten lärmenden Volksagitatoren, begreift sofort, welche rasende Dummheit es gewesen, diese irrwitzige, von Angst oder Schuldbewußtsein eingegebene Anschuldigung eines noch nicht neunjährigen Knaben gegen seine Mutter vor die Öffentlichkeit zu zerren. »Dieser Tölpel von einem Hébert«, sagt er wütend zu seinen Freunden, »mußte ihr noch einen Triumph verschaffen.« Längst ist Robespierre dieses wüsten Gesellen müde, der durch seine ordinäre Demagogie, durch sein anarchisches Gehaben die ihm heilige Sache der Revolution schändet; an diesem Tage beschließt er innerlich, diesen Schmutzfleck auszutilgen. Der Stein, den Hébert gegen Marie Antoinette geschleudert, fällt auf ihn selbst mörderisch zurück. Ein paar Monate noch, und er wird im gleichen Karren den gleichen Weg fahren, aber nicht so tapfer wie sie, sondern mit derart mattem Mut, daß sein Kamerad Ronsin ihn anherrschen muß: »Als es zu handeln galt, hast du erbärmlich geschwätzt. Jetzt lerne wenigstens zu sterben.«
Marie Antoinette hat ihren Triumph gespürt. Aber sie hat auch eine Stimme im Zuschauerraum aufstaunen gehört: »Siehst du, wie stolz sie ist!« Und so fragt sie ihren Verteidiger: »Habe ich nicht zu viel Würde in meine Antwort gelegt?« Aber der beruhigt sie: »Madame, bleiben Sie, die Sie sind, und Sie werden vortrefflich sein.« Noch einen zweiten Tag hat Marie Antoinette zu kämpfen, schwer schleppt sich der Prozeß weiter, Zuhörer und Teilnehmer ermüdend; aber obwohl sie von ihren Blutungen erschöpft ist und nichts als eine Tasse Suppe in den Pausen zu sich nimmt, bleibt ihre Haltung wie ihr Geist energisch und aufrecht. »Man trachte, sich die ganze Seelenkraft vorzustellen«, schreibt ihr Verteidiger in seinen Erinnerungen, »die für die Königin vonnöten war, um die Anstrengungen einer so langen und furchtbaren Sitzung zu ertragen: auf der Bühne vor einem ganzen Volk, im Kampf gegen blutgierige Gegner sich gegen alle die Fangstricke, die man ihr hinhielt, zu wehren und dabei zugleich die Haltung und das richtige Maß zu bewahren und nicht hinter sich selber zurückzubleiben.« Fünfzehn Stunden hat sie am ersten Tage gekämpft, mehr als zwölf sind schon am zweiten vorüber, als endlich der Präsident das Verhör für beendet erklärt und an die Angeklagte die Frage stellt, ob sie noch etwas zu ihrer Entlastung hinzuzufügen habe. Selbstbewußt antwortet Marie Antoinette: »Gestern kannte ich die Zeugen noch nicht, ich wußte nicht, was sie gegen mich aussagen würden. Nun, kein einziger von ihnen hat eine einzige positive Tatsache gegen mich vorgebracht. Ich habe nichts mehr zu bemerken, als daß ich nur die Frau Ludwigs XVI. war und mich daher allem, was er beschloß, fügen mußte.«
Nun erhebt sich Fouquier-Tinville und begründet zusammenfassend die Anklage. Die beiden zugeteilten Verteidiger erwidern in ziemlich lauer Weise: sie erinnern sich wahrscheinlich, daß der Verteidiger Ludwigs XVI., weil er zu energisch für ihn Partei nahm, für das Schafott angefordert wurde; so ziehen sie es vor, lieber die Milde des Volkes anzurufen, statt die Unschuld der Königin zu behaupten. Ehe der Präsident Herman nun seinerseits den Geschworenen die Schuldfragen vorlegt, wird Marie Antoinette aus dem Saal geführt, das Tribunal und die Geschworenen bleiben unter sich. Jetzt wird nach allen Phrasen der Präsident Herman klar und sachlich: er läßt all die unbestimmten hunderterlei Einzelbeschuldigungen beiseite und faßt alle Fragen zu knapper Formel zusammen. Es sei das französische Volk, das Marie Antoinette anklage, denn alle politischen Geschehnisse, die sich seit fünf Jahren ereignet hätten, legten Zeugenschaft ab gegen sie. Deshalb stelle er vier Fragen an die Geschworenen:
Erstens: Ist es erwiesen, daß es Machenschaften und Verständigungen mit den auswärtigen Mächten und Feinden der Republik gibt, um diesen Geldeshilfe zu vermitteln, ihnen Einlaß auf französischen Boden zu gewähren und den Sieg ihrer Waffen zu unterstützen?
Zweitens: Ist Marie Antoinette von Österreich, Witwe Capet, überführt, an solchen Machenschaften teilgenommen und derartige Verständigungen unterhalten zu haben?
Drittens: Ist es erwiesen, daß ein Komplott und eine Verschwörung bestanden haben, um den Bürgerkrieg im Innern des Landes anzufachen?
Viertens: Ist Marie Antoinette von Österreich, Witwe Ludwig Capets, überführt, an dieser Verschwörung teilgenommen zu haben?
Schweigend erheben sich die Geschworenen und ziehen sich in ein Nebenzimmer zurück. Mitternacht ist vorbei. Die Kerzen flammen unruhig in dem von Menschen überwärmten Saal, und die Herzen zucken mit ihnen in Spannung und Neugier.
Zwischenfrage: Wie müßten von Rechts wegen die Geschworenen entscheiden? In seinem Schlußantrag hat der Präsident den ganzen politischen Aufputz des Prozesses weggeschoben und die Beschuldigungen eigentlich auf eine einzige zurückgeführt. Die Geschworenen werden nicht befragt, ob sie Marie Antoinette für eine widernatürliche und ehebrecherische, eine blutschänderische, eine verschwenderische Frau halten, sondern einzig, ob die ehemalige Königin schuldig sei, mit dem Ausland in Verbindung gestanden, den Sieg der feindlichen Armeen und einen Aufstand im Innern gewünscht und gefördert zu haben.
Ist nun Marie Antoinette im rechtlichen Sinne dieses Verbrechens schuldig und überführt? Zweischneidige Frage, die nur zwiefach beantwortet werden kann. Zweifellos war Marie Antoinette – und dies ist die Stärke des Prozesses – wirklich schuldig im Sinne der Republik. Sie hat, wir wissen es, mit dem feindlichen Ausland unleugbar ständige Verbindungen unterhalten. Sie hat, ganz im Sinne der Anklage, tatsächlich Hochverrat begangen, indem sie die militärischen Angriffspläne Frankreichs dem österreichischen Gesandten auslieferte, sie hat und hätte jedes gesetzliche und ungesetzliche Mittel, das ihrem Gatten Thron und Freiheit zurückgeben konnte, bedingungslos genutzt und gefördert.
Die Anklage besteht also zu Recht. Aber – hier die Schwäche des Prozesses – sie ist nicht im mindesten bewiesen. Heute sind die Dokumente bekannt und gedruckt, die Marie Antoinette unzweideutig des Hochverrates gegen die Republik überführen; sie liegen im Staatsarchiv in Wien, im Nachlaß Fersens. Aber dieser Prozeß wurde am 16. Oktober 1793 in Paris geführt, und damals war kein einziges dieser Dokumente dem öffentlichen Ankläger zugänglich. Kein einziges wirklich gültiges Zeugnis jenes wirklich begangenen Landesverrats konnte den Geschworenen im ganzen Prozeß vorgelegt werden.
Eine ehrliche, unbeeinflußte Geschworenenschaft wäre also in arger Verlegenheit. Folgten sie ihrem Instinkt, so müßten diese zwölf Republikaner Marie Antoinette unbedingt verurteilen, denn keiner von ihnen kann zweifeln: diese Frau ist die Todfeindin der Republik, sie hat, was sie konnte, getan, um ungeschmälert die königliche Macht für ihren Sohn zurückzuerobern. Aber nach dem Buchstaben steht das Recht auf seiten der Königin: es fehlt die tatsächliche Überführung. Als Republikaner dürfen sie die Königin für schuldig erachten, als beeidete Geschworene müßten sie das Gesetz wahren, das keine andere Schuld als die erwiesene kennt. Aber glücklicherweise bleibt den kleinen Bürgern dieser innere Gewissenskonflikt erspart. Denn sie wissen, der Konvent fordert gar keinen gerechten Richtspruch. Er hat sie entsendet, nicht um zu entscheiden, er hat sie heranbefohlen, um eine staatsgefährliche Frau zu verurteilen. Sie haben entweder den Kopf Marie Antoinettes zu liefern oder den eigenen hinzuhalten. So beraten die Zwölf in Wirklichkeit nur zum Schein, und wenn sie länger zu überlegen scheinen als eine Minute, so geschieht dies nur, um Beratung noch vorzutäuschen, wo eindeutiger Beschluß schon längst anbefohlen ist.
Um vier Uhr morgens kehren die Geschworenen schweigend in den Saal zurück, Totenstille erwartet ihren Urteilsspruch. Einstimmig erklären sie Marie Antoinette der ihr zugeschriebenen Verbrechen für schuldig. Präsident Herman ermahnt die Zuhörer – es sind jetzt, lange nach Mitternacht, nicht mehr viele, die Ermüdung hat die meisten nach Hause getrieben –, jedes Zeichen der Zustimmung zu vermeiden. Dann wird Marie Antoinette hereingeführt. Sie allein, die den zweiten Tag schon seit acht Uhr früh ununterbrochen kämpft, hat noch kein Recht, müde zu sein. Man liest ihr die Entschließung der Geschworenen vor. Fouquier-Tinville fordert die Todesstrafe; sie wird einstimmig bejaht. Dann fragt der Präsident die Verurteilte, ob sie noch irgendeine Beschwerde erhebe.
Marie Antoinette hat ohne jede Bewegung, vollkommen ruhig den Spruch der Geschworenen und das Urteil angehört. Sie gibt nicht das kleinste Zeichen weder von Angst noch von Zorn noch von Schwäche. Auf die Frage des Präsidenten antwortet sie kein Wort, sie schüttelt nur verneinend das Haupt. Ohne sich umzuwenden, ohne jemanden anzublicken, schreitet sie durch das allgemeine Schweigen aus dem Saal und die Stufen hinab; sie ist müde dieses Lebens, dieser Menschen und zutiefst zufrieden, daß alle diese kleinen Quälereien nun zu Ende sind. Jetzt gilt es nur, fest zu bleiben für die letzte Stunde.
Einen Augenblick versagen ihr im stockdunklen Gang die übermüdeten und geschwächten Augen, der Fuß findet nicht mehr die Stufe, sie zögert und schwankt. Rasch, ehe sie stürzt, bietet ihr der Gendarmerieoffizier Leutnant de Busne, der einzige, der ihr während der Verhandlung ein Glas Wasser zu reichen den Mut hatte, den Arm, um sie zu stützen. Dafür und weil er den Hut in der Hand gehalten, während er die Todgeweihte begleitet, wird er sofort von einem andern Gendarmen angezeigt und muß sich verteidigen: »Ich habe das nur getan, um einen Sturz zu vermeiden, und alle Menschen von gesunder Vernunft werden darin keinen andern Grund erblicken, denn wenn sie auf der Treppe gefallen wäre, hätte man sofort Verschwörung und Verrat gezetert.« Auch die beiden Verteidiger der Königin werden nach beendeter Sitzung festgenommen; man untersucht sie, ob ihnen die Königin nicht heimlich eine geschriebene Botschaft überreicht hätte; arme Juristenseelen, fürchten die Richter die unzerstörbare Energie dieser Frau noch knapp einen Schritt vor der Grube.
Aber die, welcher alle diese Angst und Besorgnis gilt, die arme, ausgeblutete und müde Frau, weiß von allen diesen jämmerlichen Scherereien nichts mehr; ruhig und gelassen ist sie in ihr Gefängnis zurückgetreten. Jetzt zählt ihr Leben nur noch nach Stunden.
Im kleinen Zimmer brennen auf dem Tisch zwei Kerzen. Der zum Tode Verurteilten hat man sie als letzte Gunst gewährt, damit sie die Nacht vor der ewigen Nacht nicht im Dunkel verbringen müsse. Auch eine andere Bitte wagt der bisher übervorsichtige Gefängniswärter nicht mehr abzuschlagen: Marie Antoinette verlangt Papier und Tinte für einen Brief; aus ihrer letzten und finstersten Einsamkeit möchte sie noch einmal das Wort an diejenigen richten, die sich um ihretwillen sorgen. Der Wächter bringt Tinte, Feder und ein gefaltetes Blatt, und während das erste Frührot schon durch die vergitterten Fenster blickt, beginnt Marie Antoinette mit der letzten Kraft ihren letzten Brief.
Goethe sagt einmal von den letzten Äußerungen unmittelbar vor dem Tode das herrliche Wort: »Am Ende des Lebens gehen dem gefaßten Geiste Gedanken auf, bisher undenkbare; sie sind wie selige Dämonen, die sich auf den Gipfeln der Vergangenheit glänzend niederlassen.« Solch ein geheimnisvolles Abschiedslicht leuchtet auch über diesem letzten Brief der Todgeweihten; nie hat Marie Antoinette ihre Seele so mächtig und zu solcher entschlossenen Klarheit zusammengefaßt wie in diesem Abschied an Madame Elisabeth, die Schwester ihres Gatten und nun auch Hüterin ihrer Kinder. Fester, sicherer, beinahe männlich, sind die Schriftzüge auf diesem Blatt, geschrieben an einem erbärmlichen kleinen Gefängnistisch, als all jene, die wegflatterten von dem vergoldeten Schreibtisch von Trianon; reiner formt sich hier die Sprache, ohne Rückhalt das Gefühl: es ist, als ob der vom Tode aufgewühlte innere Sturm das ganze, unruhige Gewölk zerrissen hätte, das dieser tragischen Frau verhängnisvoll lange den Ausblick in die eigene Tiefe verhüllte. Marie Antoinette schreibt:
»Dir, liebe Schwester, schreib ich zum letzten Mal. Ich wurde soeben verurteilt, nicht zu einem schmachvollen Tod, der nur für Verbrecher gilt, sondern dazu, Deinen Bruder wiederzufinden. Unschuldig wie er, hoffe ich ihm in seinen letzten Augenblicken zu gleichen. Ich bin ruhig, wie man es ist, wenn das Gewissen dem Menschen keine Vorwürfe macht. Ich bedaure tief, meine armen Kinder zu verlassen. Du weißt, ich habe nur für sie gelebt und für Dich, meine gute, zärtliche Schwester. Du, die Du aus Freundschaft alles geopfert hast, um bei uns zu bleiben, – in welcher Lage lasse ich Dich zurück! Durch das Plädoyer des Prozesses habe ich erfahren, daß meine Tochter von Dir getrennt worden ist. Ach, die arme Kleine! Ich wage es nicht, ihr zu schreiben, sie würde meinen Brief nicht erhalten, – weiß ich doch nicht einmal, ob dieser hier Dich erreichen wird. Empfange für sie beide hierdurch meinen Segen. Ich hoffe, daß sie später einmal, wenn sie größer sind, sich mit Dir vereinigen und ganz Deine zärtliche Sorgfalt werden genießen können. Mögen sie beide an das denken, was ich sie unablässig gelehrt habe: daß die Grundsätze und die genaue Befolgung der eigenen Pflichten das wichtigste Fundament des Lebens sind, daß die Freundschaft und das Vertrauen, das sie einander entgegenbringen werden, sie glücklich machen wird. Möge meine Tochter, als die ältere, fühlen, daß sie ihrem Bruder immer beistehen müsse mit Ratschlägen, die größere Erfahrung und ihre Freundschaft ihr eingeben werden. Möge mein Sohn hinwieder seiner Schwester alle Fürsorge und alle Dienste erweisen, die sich aus der Freundschaft ergeben. Mögen sie endlich beide fühlen, daß sie in jeder Lage ihres Lebens nur durch ihre Eintracht wirklich glücklich sein werden. Mögen sie sich uns zum Beispiel nehmen! Wie viel Tröstung hat uns unsere Freundschaft in unseren Leiden verschafft! Und das Glück genießt man doppelt, wenn man es mit einem Freunde teilen kann. Wo aber kann man einen zärtlicheren, innigeren Freund finden als in der eigenen Familie? Möge mein Sohn niemals die letzten Worte seines Vaters vergessen, die ich ihm mit Vorbedacht wiederhole: Möge er niemals danach trachten, unseren Tod zu rächen!
Ich muß zu Dir von einer Sache sprechen, die meinem Herzen sehr wehe tut. Ich weiß, wie dieses Kind Dir Qual bereitet haben muß, verzeih ihm, liebe Schwester, denk an seine große Jugend, und wie leicht es ist, ein Kind das sagen zu lassen, was man will, und sogar das, was es selber nicht versteht. Ich hoffe, ein Tag wird kommen, da es um so besser den Wert Deiner Liebe und Zärtlichkeit begreifen wird, die Du beiden entgegenbringst.
Ich muß Dir noch meine letzten Gedanken anvertrauen. Ich hätte sie vom Beginn des Prozesses an niederschreiben mögen, aber abgesehen davon, daß man mir nicht gestattete zu schreiben, verlief er so schnell, daß ich in der Tat keine Zeit dazu gehabt hätte.
Ich sterbe im apostolischen, römisch-katholischen Glauben, der Religion meiner Väter, in der ich erzogen wurde und zu der ich mich immer bekannt habe. Da ich keinerlei geistliche Tröstung zu erwarten habe, da ich nicht weiß, ob es hier noch Priester dieser Religion gibt, und da auch der Ort, an dem ich mich befinde, sie allzu großen Gefahren aussetzen würde, wenn sie zu mir kämen, bitte ich Gott von Herzen um Vergebung für alle meine Sünden, die ich begangen habe, seit ich lebe. Ich hoffe, daß er in seiner Güte meine letzten Gebete erhören wird so wie alle jene, die ich seit langem an ihn richte, damit meine Seele seines Erbarmens und seiner Güte teilhaftig werde.
Ich bitte alle, die ich kenne, und im besonderen Dich, liebe Schwester, um Vergebung für jedes Leid, das ich ihnen unwissentlich etwa zugefügt habe. Ich verzeihe all meinen Feinden alles Böse, das ich durch sie erlitten habe. Ich sage hiermit den Tanten und all meinen Brüdern und Schwestern Lebewohl. Ich hatte Freunde. Der Gedanke, daß ich von ihnen für immer getrennt bin, und das Bewußtsein ihres Schmerzes gehören zu den größten Leiden, die ich sterbend mit mir nehme. Mögen sie wenigstens wissen, daß ich bis zu meinem letzten Augenblick an sie gedacht habe.
Leb wohl, gute, zärtliche Schwester! Möge dieser Brief Dich erreichen! Vergiß mich nicht! Ich umarme Dich von ganzem Herzen, sowie die armen lieben Kinder! Mein Gott, wie herzzerreißend ist es doch, sie für immer zu verlassen! Leb wohl, leb wohl! Ich werde mich nun nur noch mit meinen geistlichen Pflichten befassen. Da ich nicht frei in meinen Entschlüssen bin, wird man mir vielleicht einen Priester zuführen. Aber ich erkläre hiermit, daß ich ihm kein einziges Wort sagen und ihn wie einen völlig Fremden behandeln werde.«
Dann bricht der Brief plötzlich ab, ohne Schlußwort, ohne Unterschrift. Wahrscheinlich hat Müdigkeit die Schreibende überwältigt. Auf dem Tisch brennen noch immer die beiden Wachskerzen flackernd weiter, ihre Flamme wird vielleicht den lebendigen Menschen überleben.
Dieser Brief aus dem Dunkel hat fast alle jene, an die er gerichtet war, nicht mehr erreicht. Marie Antoinette übergibt ihn, kurz bevor der Henker eintritt, dem Kerkermeister Bault zur Bestellung an ihre Schwägerin; Bault hatte gerade genug Menschlichkeit gehabt, um ihr Schreibpapier und Feder zu gewähren, nicht aber Mut genug, dieses Vermächtnis ohne Erlaubnis zu bestellen (je mehr Köpfe man fallen sieht, um so mehr fürchtet man für den eigenen!). So händigt er den Brief der Königin ordnungsgemäß dem Untersuchungsrichter Fouquier-Tinville ein, der ihn paraphiert, aber gleichfalls nicht weiterbefördert. Und als dann zwei Jahre später Fouquier seinerseits den Karren besteigen muß, den er für so viele andere in die Conciergerie bestellt, ist das Schriftstück verschwunden; niemand in der Welt ahnt und weiß von seinem Vorhandensein als ein einziger höchst unbedeutender Mann namens Courtois. Dieser Deputierte ohne Rang und Geist hatte nach der Verhaftung Robespierres vom Konvent den Auftrag erhalten, dessen nachgelassene Papiere zu ordnen und herauszugeben; bei dieser Gelegenheit war dem ehemaligen Holzschuhanfertiger ein Licht aufgegangen, wieviel Macht jemand in den Händen hält, der sich geheime Staatspapiere aneignet. Denn alle kompromittierten Abgeordneten umschwänzeln jetzt aufs demütigste den kleinen Courtois, den sie vordem kaum gegrüßt hatten; sie machen ihm die tollsten Versprechungen, wenn er ihnen ihre Briefe an Robespierre zurückgäbe. Man tut also gut, merkt der geübte Kaufmann, sich möglichst viel fremde Briefschaften ins Schubfach zu legen; so nützt er das allgemeine Chaos, um die ganzen Akten des Revolutionstribunals zu plündern und damit Handel zu treiben; nur den Brief Marie Antoinettes, der ihm bei dieser Gelegenheit in die Hände fällt, behält der Verschlagene zurück: wer vermag in solchen Zeitläuften zu wissen, wie man ein derart kostbares Geheimdokument einmal brauchen kann, wenn der Wind wieder umspringt. Zwanzig Jahre verbirgt er seinen Raub und wirklich: der Wind springt um. Abermals wird ein Bourbone, Ludwig XVIII., König von Frankreich, und die einstigen »régicides«, diejenigen, die für die Hinrichtung seines Bruders Ludwig XVI. gestimmt haben, spüren jetzt ein merkliches Jucken am Halse. Um sich in Gunst zu setzen, bietet Courtois (es ist doch gut, Papiere zu stehlen) Ludwig XVIII. in einem heuchlerischen Brief dieses von ihm »gerettete« Schreiben Marie Antoinettes als Geschenk. Der üble Trick hilft ihm nichts, Courtois wird genau wie die andern verbannt. Doch der Brief ist gewonnen. Einundzwanzig Jahre, nachdem ihn die Königin abgesendet, tritt dieses wundervolle Abschiedsschreiben an das Licht.
Aber zu spät! Fast alle, die Marie Antoinette aus ihrer Todesstunde grüßen wollte, sind ihr nachgefolgt. Madame Elisabeth auf der Guillotine, ihr Sohn ist entweder wirklich im Temple gestorben oder irrt damals (man weiß bis heute nicht die ganze Wahrheit) unter einem fremden Namen unerkannt und mit seinem eigenen Schicksal unbekannt durch die Welt. Und auch Fersen erreicht nicht mehr der liebende Gruß. Mit keinem Worte war er in jenem Brief genannt, und doch, – wem als ihm galten jene bewegten Zeilen: »Ich hatte Freunde. Der Gedanke, daß ich von ihnen für immer getrennt bin, und das Bewußtsein ihres Schmerzes, gehören zu den größten Leiden, die ich sterbend mit mir nehme.« Die Pflicht verbot Marie Antoinette, vor der Welt denjenigen zu nennen, der ihr der teuerste war. Aber sie hatte gehofft, diese Zeilen würden ihm einmal zu Gesicht kommen und der Geliebte auch im verhaltenen Worte erkennen, daß sie bis zum letzten Atemzug in unveränderlicher Herzenshingabe seiner gedacht. Und – geheimnisvolle Fernwirkung des Gefühls! – als ob er dies ihr Verlangen fühlte, in letzter Stunde um ihn zu sein, antwortet, wie magisch angerufen, sein Tagebuch beim Empfang der Todesnachricht, »es sei der furchtbarste Schmerz in seinen Schmerzen, daß sie allein sein mußte in jenen letzten Augenblicken, ohne die Tröstung, jemanden zu haben, mit dem sie hätte sprechen können«. Wie sie an ihn in äußerster Einsamkeit, so denkt er an sie im gleichen Augenblicke. Durch Meilen und Mauern getrennt, unsichtbar und unerreichbar eine der andern, atmen die beiden Seelen in der gleichen Sekunde den gleichen Wunsch: in unfaßbarem Raum, hinweg über die Zeit berühren sich in sphärischer Schwingung sein Gedenken und das ihre wie Lippe und Lippe im Kuß.
Marie Antoinette hat die Feder niedergelegt. Das Schwerste ist überwunden, der Abschied von allem und allen ist genommen. Jetzt noch ein paar Augenblicke ausgestreckt ruhen und die Kräfte sammeln. Es gibt nicht mehr viel zu tun für sie in diesem Leben. Nur eines noch: sterben, und zwar gut sterben.
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