Auguste Rodin


Der große Meister ist müde und alt. –
Ein weißes wehendes Dickicht umwallt
Sein Bauernbart den zerfurchten Basalt
Des abgelebten grauen Gesichts.
Und wenn er schwer durch die Säle geht
Durch die er sein steinernes Werk gesät,
So schlurft er so schläfrig und urallein,
Als schritt’ er in seinen Tod hinein.


Aber weiß,
Ein funkelnder Kreis,
Umstehn ihn die Statuen und strahlen von Licht!
Die Augen weitfort von sich aufgetan,
Träumen sie schweigend ein Ewiges an.
Sie rühren sich nicht, sie regen sich nicht,
Sie spüren sich nicht, sie bewegen sich nicht,
Stumm
Ruhen sie aus in unendlichem Ruhm.
Ein Lächeln verloren im marmornen Mund,
Stehen sie da, die großen Trophäen
Verschollener Siege, gemeisterter Zeit,
Gefrorne Kristalle Unendlichkeit.


Der Meister umschlurft sie mit langsamem Gang,
Als schritt’ er sein ganzes Leben entlang
Mit seligem Schauern, mit zärtlichem Graun
Muß er sie wieder und wieder anschaun,
Und kann’s doch nicht fassen, das Unfaßbare,
Daß sie, die ihm vor verschollenen Jahren
Gespielen und Spiel seiner Jugend waren,
Noch immer dieselben, die strahlenden sind
Und ihre Formen, die kühlen, die klaren,
Noch rein die Welle des Lebens durchrinnt,
Indes er selber, der sie gestaltet,
In sich zerfaltet, in sich veraltet,


An jeder Stunde zu sterben beginnt.
Und wie er sie so, die strahlenden, sieht,
Fühlt er sich selber uralt und müd.
Er ahnt, in den klaren, körnigen Quadern
Müsse tiefinnen
Das eigene Blut seiner todmatten Adern
Noch feurig quellen und rotfunkelnd rinnen.
Und mit denselben uralten Händen,
Die das Leben in ihre Leiber getan,
Rührt er jetzt zagend die Statuen an,
Noch einmal in ihnen, den stummen, den kühlen,
Das weggelebte Leben zu fühlen:
Wie ein Dürstender beugt er sich über den Stein
In den Brunnen verschollener Jahre hinein.


Aber fremd
Stehen die Statuen im Totenhemd.
Sie ehren ihn nicht, sie wehren ihm nicht,
Sie atmen nur Schweigen, sie leben nur Licht.
Sie haben vergessen, woher sie kamen,
Den Fels und das Land und die Zeit und den Namen.
Wortlos gereiht
Stehn sie in ihren weißen Gewändern
Unberührt von Vergehn und Verändern
Jenseits der Zeit.
Und kein Wort von ihrem marmornen Munde
Spricht mehr zurück zu den Menschen der Stunde.
Die Uhren, die ihnen zu Häupten gehangen,
Sind weitergegangen,
Städte erstanden und andre verdarben,
Gesichter fielen aus Formen und Farben,
Geschlechter erwuchsen, Geschlechter verblühten,
Menschen wurden zu Masken und Mythen,
Alles ward in der mitleidlosen
Mühle der Jahre zerstäubt und zerstoßen –
Nur sie in ihren erstarrten Posen
Dürfen im rastlos Wandernden ruhn,


Weil sie ihr Wesen ewig zu Ende tun.
Der geht – und sein Gehen ist ewiges Gehn –
Der ruht – und sein Ruhen ist ewige Ruh –
Und wie auch die Stunden stürmen und schwingen,
Keine Stunde nimmt, keine gibt etwas zu,
Denn jede der stummen Gestalten hält
In sich kristallt einen Augenblick Welt,
Der nie wiederkehrt und niemals zerfällt.
Niemals werden die weißen, die glatten
Gestalten in ihrem Wesen ermatten,
Ewig werden, die sich umschlingen,
Im Liebeskampf um Erfüllung ringen,
Ewig wird die Welle der Lichter
Die Qual der vier Gebeugten umzittern,
Ewig wird mit den Schreckblick der Dichter
Aus innerer Nacht in die Welt gewittern,
Und das Lächeln, das jener Lippe umschwebt,
Ist irdisch verklungen und bleibt doch und lebt,
Indes sie selber, die wachen Gesichter,
Sich längst zerstäubten aus Formen und Falten
Und mit den Stunden verwehten wie Wind. –
Sie aber, die Schatten des Lebens, die kalten
Steine, sie stehen, sie dauern: sie sind.
Der Meister steht staunend im steinernen Wald,
Von Schweigen umschart, von Stille umschallt,
Und mit einmal begreift er die Urgewalt,
Die wie große Musik aus den Steinen bricht:
Sendung
War ihm gegeben,
Vollendung
Schafft Leben über dem eigenen Leben,
Gestalteter Stein ist stärker als Zeit!
Und selig erkennt er das große Licht
Ob seinen Gestalten: Unsterblichkeit.


Da lächelt der Meister zum erstenmal,
Seit er stumm vor den Steinen steht.
Von Licht und Schweigen orgelt der Saal,
Und sein Herz braust mit in dem großen Choral.
Wie im Gebet
Hebt er die Hände,
Die all dies getan,
Und sieht sie, die eigenen, ehrfürchtig an,
Er sieht sie an, die kranken, die kalten,
Mit ihren Schrunden und Schwielen und Falten,
Die Werkmannshände, in denen vor Jahren
All diese aufgereckten Gestalten
Wie zitternde, unflügge Vögel waren,
Und die nun, heilig und unnahbar,
Hinglänzen durch die stürzende Stunde
Wie eine niederverlorene Engelschar,
Die Gott anschweigt mit marmornem Munde.


Groß rauscht es im Saale, still sinken die Hände,
Stumm stehen die Statuen, weiß leuchtet der Stein.
Wie in eine Legende
Geht der Meister fromm in sein Werk hinein.

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