Die Vorbereitung


Mit unwahrscheinlicher Energie macht sich Cyrus W. Field ans Werk. Er setzt sich mit allen Fachleuten in Verbindung, bestürmt die Regierungen um die Konzessionen, führt in beiden Weltteilen eine Kampagne, um das nötige Geld aufzubringen, und so stark ist die Stoßkraft, die von diesem völlig unbekannten Manne ausgeht, so passionierend seine innere Überzeugung, so gewaltig der Glaube an die Elektrizität als neue Wunderkraft, daß das Grundkapital von dreihundertfünfzigtausend Pfund in England innerhalb weniger Tage voll gezeichnet wird. Es genügt, in Liverpool, in Manchester und London die reichsten Kaufleute zur Gründung der Telegraph Construction and Maintenance Company zusammenzurufen, und das Geld strömt ein. Aber auch die Namen Thackerays und der Lady Byron, die ohne jeden geschäftlichen Nebenzweck und nur aus moralischem Enthusiasmus das Werk fördern wollen, findet man unter den Zeichnern; nichts veranschaulicht so sehr den Optimismus für alles Technische und Maschinelle, der im Zeitalter Stevensons, Brunels und der andern großen Ingenieure England beseelte, als daß ein einziger Anruf genügt, um einen so enormen Betrag für ein völlig phantastisches Unternehmen à fonds perdu bereitzustellen.


Denn die ungefähren Kosten der Kabellegung sind so ziemlich das einzige verläßliche Errechenbare bei diesem Beginnen. Für die eigentliche technische Durchführung gibt es keinerlei Vorbild. In ähnlichen Dimensionen ist im neunzehnten Jahrhundert noch nie gedacht und geplant worden. Denn wie diese Überspannung eines ganzen Ozeans vergleichen mit der Überbrückung jenes schmalen Wasserstreifens zwischen Dover und Calais? Dort hatte es genügt, vom offenen Deck eines gewöhnlichen Raddampfers dreißig und vierzig Meilen abzuspulen, und das Kabel rollte gemächlich ab wie der Anker von seiner Winde. Bei der Kabellegung im Kanal konnte man in Ruhe einen besonders stillen Tag abwarten, man kannte genau die Tiefe des Meeresgrundes, blieb ständig in Sicht des einen oder des andern Ufers und damit jedem gefährlichen Zufall entrückt; innerhalb eines einzigen Tages konnte bequem die Verbindung geleistet werden. Während einer Überfahrt aber, die zum mindesten drei Wochen ständiger Fahrt voraussetzt, kann eine hundertfach längere, hundertfach gewichtigere Spule nicht offen auf Deck allen Unbilden der Witterung ausgesetzt bleiben. Kein Schiff der damaligen Zeit ist außerdem groß genug, um in seinem Laderaum diesen gigantischen Kokon aus Eisen, Kupfer und Guttapercha aufnehmen zu können, keines mächtig genug, um diese Last zu ertragen. Zwei Schiffe zumindest sind vonnöten, und diese Hauptschiffe müssen wieder begleitet sein von andern, damit der kürzeste Kurs genau eingehalten und bei Zwischenfällen Hilfe geleistet werden könne. Zwar stellt die englische Regierung für diesen Zweck die »Agamemnon« bei, eines ihrer größten Kriegsschiffe, das als Flaggschiff vor Sebastopol gefochten, und die amerikanische Regierung die »Niagara«, eine Fünftausendtonnen-Fregatte (damals das gewaltigste Ausmaß). Aber beide Schiffe müssen erst eigens umgebaut werden, um jedes die Hälfte der endlosen Kette, welche zwei Erdteile miteinander verbinden soll, in sich zu verstauen. Das Hauptproblem freilich bleibt das Kabel selbst. Unausdenkbare Anforderung ist an diese gigantische Nabelschnur zwischen zwei Weltteilen gestellt. Denn dieses Kabel muß einerseits fest und unzerreißbar sein wie ein stählernes Tau und gleichzeitig elastisch bleiben, um leicht ausgelegt werden zu können. Es muß jeden Druck aushalten, jede Belastung bestehen und doch sich glatt abschnurren lassen wie ein Seidenfaden. Es muß massiv sein und doch nicht zu füllig, einerseits solid und anderseits doch so exakt, um die leiseste elektrische Welle über zweitausend Meilen hinüberschwingen zu lassen. Der kleinste Riß, die winzigste Unebenheit an irgendeiner einzelnen Stelle dieses Riesenseils kann schon die Übermittlung auf diesem Vierzehn-Tage-Wege zerstören.


Aber man wagt’s! Tag und Nacht spinnen jetzt die Fabriken, der dämonische Wille dieses einen Menschen treibt alle Räder vorwärts. Ganze Bergwerke von Eisen und Kupfer werden verbraucht für diese eine Schnur, ganze Wälder von Gummibäumen müssen bluten, um die Guttaperchahülle zu schaffen auf so riesige Distanz. Und nichts veranschaulicht sinnlicher die enormen Proportionen der Unternehmung, als daß dreihundertsiebenundsechzigtausend Meilen einzelnen Drahtes in dieses eine Kabel versponnen werden, dreizehnmal soviel, als genügte, die ganze Erde zu umspannen, und genug, um in einer Linie die Erde mit dem Mond zu verbinden. Seit dem Turmbau von Babel hat die Menschheit im technischen Sinne nichts Grandioseres gewagt.

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