Noch einmal Mißgeschick
Cyrus Field, der einzig Unerschütterliche, Held und Kaufmann zugleich, macht Bilanz. Was ist verloren? Dreihundert Meilen Kabel, etwa hunderttausend Pfund des Aktienkapitals und, was ihn vielleicht noch mehr bedrückt, ein ganzes, ein unersetzliches Jahr. Denn nur im Sommer kann die Expedition auf günstiges Wetter hoffen, und diesmal ist die Jahreszeit schon zu weit vorgeschritten. Auf dem andern Blatt steht ein kleiner Gewinn. Man hat ein gutes Stück praktischer Erfahrung bei diesem ersten Versuch gewonnen. Das Kabel selbst, das sich als tauglich erwiesen, kann aufgewickelt werden und für die nächste Expedition verstaut. Geändert müssen nur die Auslegemaschinen werden, die den verhängnisvollen Bruch verschuldet haben. So vergeht mit Warten und Vorarbeiten wieder ein Jahr. Erst am 10. Juni 1858 können, mit neuem Mut und mit dem alten Kabel befrachtet, dieselben Schiffe wieder ausfahren. Und da die elektrische Zeichenübertragung bei der ersten Reise klaglos funktioniert hat, ist man zum alten Plane zurückgekehrt, die Kabellegung von der Mitte des Weltmeeres aus nach beiden Seiten zu beginnen. Die ersten Tage dieser neuen Reise vergehen bedeutungslos. Erst am siebenten Tag soll ja an der vorher berechneten Stelle die Kabellegung und damit die eigentliche Arbeit beginnen. Bishin ist oder scheint alles eine Spazierfahrt. Die Maschinen stehen unbeschäftigt, die Matrosen können noch rasten und sich des freundlichen Wetters erfreuen, wolkenlos ist der Himmel und still, vielleicht allzu still, die See.
Aber am dritten Tage fühlt der Kapitän der »Agamemnon« heimliche Unruhe. Ein Blick auf das Barometer hat ihm gezeigt, mit welcher beängstigenden Geschwindigkeit die Quecksilbersäule sinkt. Ein Unwetter besonderer Art muß im Anzug sein, und tatsächlich bricht am vierten Tage ein Sturm los, wie ihn selbst die erprobtesten Seeleute im Atlantischen Ozean nur selten erlebt. Am verhängnisvollsten trifft dieser Orkan gerade das englische Auslegeschiff, die »Agamemnon«. An sich ein vortreffliches Fahrzeug, das auf allen Meeren und auch im Kriege die härtesten Proben bestanden, müßte das Admiralsschiff der englischen Marine auch diesem schlimmen Wetter gewachsen sein. Aber unseligerweise ist das Schiff für die Kabellegung völlig umgebaut worden, um die riesige Last in sich bergen zu können. Nicht wie auf einem Frachtschiff konnte man hier das Gewicht nach allen Seiten gleichmäßig auf den Laderaum verteilen, sondern in der Mitte lastet das ganze Gewicht der riesigen Spule, und nur einen Teil hat man ganz im Vorderschiff untergebracht, was die noch ärgere Folge hat, daß bei jedem Auf und Nieder die Pendelschwingung verdoppelt wird. So kann das Unwetter gefährlichstes Spiel mit seinem Opfer treiben; zur Rechten, zur Linken, nach vorn und rückwärts wird das Schiff bis zu einem Winkel von fünfundvierzig Grad gehoben, Sturzwellen überfluten das Deck, alle Gegenstände werden zerschmettert. Und neues Verhängnis – bei einem der fürchterlichsten Stöße, die das Schiff vom Kiel bis zum Mast erschüttern, gibt der Verschlag der auf das Deck gehäuften Kohlenladung nach. In einem schwarzen Hagel schmettert die ganze Masse wie ein Steinschlag auf die schon ohnehin blutenden und erschöpften Matrosen. Einige werden im Hinsturz verwundet, andere in der Küche durch die überschlagenden Kessel verbrüht. Ein Matrose wird wahnsinnig im zehntägigen Sturm, und schon denkt man an das Äußerste: einen Teil der verhängnisvollen Kabellast über Bord zu werfen. Glücklicherweise widerstrebt der Kapitän, diese Verantwortung auf sich zu nehmen, und er behält recht. Die »Agamemnon« übersteht nach unsäglichen Prüfungen den zehntägigen Sturm und kann trotz starker Verspätung die andern Schiffe an der vereinbarten Stelle inmitten des Weltmeeres wiederfinden, an der die Kabellegung beginnen soll.
Aber jetzt zeigt sich erst, wie sehr die kostbare und empfindliche Fracht der tausendfach verschlungenen Drähte durch das fortwährende Schleudern gelitten hat. An einigen Stellen haben sich die Stränge verwirrt, die Guttaperchahülle ist zerrieben oder zerrissen. Mit wenig Vertrauen unternimmt man einige Versuche, das Kabel trotzdem auszulegen, doch sie zeitigen nur einen Verlust von etwa zweihundert Meilen Kabel, die nutzlos im Meer verschwinden. Zum zweitenmal heißt es die Flagge streichen und ruhmlos heimkehren statt im Triumph.
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Die hier vorzufindene Sammlung der gemeinfreien Werke Stefan Zweigs ist aus der Ausgabe des Null Papier Verlages übernommen. Zu dieser Ausgabe gelangen Sie durch einen Klick auf diesen Eintrag.